Welche Unterschiede gibt es im Nachlassverfahren zwischen Ländern wie Deutschland, Österreich, der Schweiz oder den USA?

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Zusammenfassung

Die Nachlassverfahren in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA unterscheiden sich vor allem im Übergang des Erbes, der Rolle von Gerichten und Notar:innen sowie der Abwicklung. Während in Deutschland und der Schweiz der Nachlass automatisch auf die Erb:innen übergeht, erfolgt dies in Österreich erst durch gerichtliche Einantwortung und in den USA durch ein gerichtliches “Probate”-Verfahren. Internationale Erbfälle erfordern sorgfältige Planung, um rechtliche, steuerliche und organisatorische Unterschiede zu berücksichtigen.

Das Nachlassverfahren regelt, wie nach einem Todesfall der Nachlass abgewickelt wird - ein Prozess, der sich von Land zu Land stark unterscheidet. Für Personen mit internationalem Bezug oder mit Vermögen in verschiedenen Ländern ist das Wissen um diese Unterschiede besonders wichtig. Dieser Beitrag beleuchtet die wesentlichen Unterschiede zwischen den Nachlassverfahren in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA.

Das deutsche Nachlassverfahren - Direkter Übergang des Erbes

In Deutschland gilt ein grundlegendes Prinzip: Mit dem Tod einer Person geht deren Vermögen automatisch und unmittelbar auf die Erb:innen über. Dieses Prinzip wird als “Vonselbsterwerb” oder “Gesamtrechtsnachfolge” bezeichnet[1].

Die wichtigsten Merkmale des deutschen Nachlassverfahrens:

  • Direkter Erwerb: Die Erb:innen werden sofort Rechtsnachfolger:innen und übernehmen alle Rechte und Pflichten[1]
  • Ausschlagungsmöglichkeit: Die Erb:innen können das Erbe rückwirkend ausschlagen, etwa bei hoher Ver­schul­dung des Nachlasses[1]
  • Zuständiges Gericht: Das Nachlassgericht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt der verstorbenen Person[7]
  • Erbschein: Zum Nachweis der Erbenstellung kann ein Erbschein beim Nachlassgericht beantragt werden[7]

Das deutsche Nachlassgericht übernimmt als zuständiges Amtsgericht wichtige Aufgaben wie die Ver­wah­rung und Eröffnung von Testamenten, die Entgegennahme von Erb­aus­schla­gun­gen und die Erteilung von Erbscheinen. Die Erb:innen müssen selbst aktiv werden und die Ab­wick­lung des Nachlasses in die Hand nehmen.

Das österreichische Verlassenschaftsverfahren - Notar als Ver­mitt­lungs­person

Im Gegensatz zum deutschen System kennt Österreich keinen direkten Erwerb der Erbschaft. Hier kommt ein besonderes Verfahren zur Anwendung, das sich grundlegend vom deutschen Modell unterscheidet[3][5].

Die Besonderheiten des österreichischen Verlassenschaftsverfahrens:

  • Verlassenschaft als eigenes Rechtssubjekt: Der Nachlass existiert zunächst als eigenständiges Rechtsobjekt[1][3]
  • Einantwortung erforderlich: Erb:innen erwerben das Eigentum erst durch die gerichtliche “Einantwortung”[1][3]
  • Gerichtskommissär: Ein Notar führt im Auftrag des Gerichts das Verfahren durch[5]
  • Erbantrittserklärung: Statt Erbschein geben Erb:innen eine “Erbantrittserklärung” ab[5]

Das österreichische System ist stärker gerichtsgesteuert. Nach einem Todesfall wird automatisch ein Ver­las­sen­schafts­ver­fah­ren eingeleitet. Der vom Gericht beauftragte Notar übernimmt dabei eine zentrale Rolle: Er ermittelt die Erb:innen, erstellt das Nachlassverzeichnis und holt alle nötigen Auskünfte ein[5].

Für deutsche Erb:innen ist dieser Prozess oft überraschend, da sie mit dem automatischen Ein­greifen des Notars nicht vertraut sind. Der Notar agiert quasi als gesetzlicher Testaments­voll­strecker[5].

Das schweizerische Nachlassverfahren - Ähnlich, aber anders

Das schweizerische Erbrecht ähnelt dem deutschen System in wesentlichen Punkten. So gilt auch hier der Vonselbsterwerb, bei dem die Erb:innen mit dem Tod unmittelbar in die Rechtsnachfolge eintreten[1].

Merkmale des schweizerischen Nachlassverfahrens:

  • Gesamtrechtsnachfolge: Die Erb:innen erwerben den Nachlass automatisch mit dem Tod[1]
  • Ausschlagungsrecht: Möglichkeit der rückwirkenden Ausschlagung des Erbes[1]
  • Besondere Begriffsdefinition: Der Begriff “Nachlassgericht” umfasst in der Schweiz auch die Behörde für Schuldenbereinigungsverfahren[7]

Trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es im Detail zahlreiche Unterschiede, etwa im Güterrecht bei ver­hei­ra­te­ten Erb­las­ser:in­nen oder bei der Ausgestaltung der Pflicht­teils­rechte[1].

Das US-amerikanische Nachlassverfahren - Ein grundlegend anderes System

Das US-amerikanische Erbrecht unterscheidet sich grundlegend von den deutschsprachigen Rechtssystemen und weist einige für deutsche Verhältnisse ungewöhnliche Besonderheiten auf[2][4].

Die wichtigsten Merkmale des US-amerikanischen Nachlassverfahrens:

  • Kein einheitliches Erbrecht: Jeder Bundesstaat hat eigene erbrechtliche Regelungen[4][6]
  • Nachlass als rechtsfähige Person: Der Nachlass wird als eigene rechtliche Einheit betrachtet[7]
  • Nachlassabwickler (Personal Representative): Er verwaltet den Nachlass unter Gerichtsaufsicht[10]
  • Probate-Verfahren: Das Testament muss durch ein Gericht bestätigt werden[2][6]
  • Unterschiedliche Regeln für verschiedene Vermögensarten: Für Immobilien gilt das Recht des Ortes, für bewegliches Vermögen das Recht des letzten Wohnsitzes[4]

Der grundlegende Unterschied zum deutschen System liegt darin, dass in den USA der Nachlass nicht direkt auf die Erb:innen übergeht. Stattdessen wird ein Nachlassabwickler bestellt, der alle Verbindlichkeiten tilgt und erst dann das verbleibende Vermögen an die Begünstigten verteilt[10].

Das “Probate”-Verfahren, also die gerichtliche Bestätigung eines Testaments, kann je nach Bundesstaat unterschiedlich komplex und langwierig sein[6].

Die fünf wichtigsten Unterschiede im Überblick

Um die wesentlichen Unterschiede klar zu erkennen, hier eine Gegenüberstellung der fünf grund­le­gen­den Aspekte:

  1. Übergang des Erbes

    • Deutschland & Schweiz: Automatischer Übergang (Vonselbsterwerb)
    • Österreich: Übergang erst durch gerichtliche Einantwortung
    • USA: Verwaltung durch Nachlassabwickler, dann Verteilung
  2. Rolle des Gerichts/Notars

    • Deutschland: Nachlassgericht eher passiv, tätig auf Antrag der Erb:innen
    • Österreich: Gericht initiiert Verfahren, Notar als aktiver Gerichtskommissär
    • USA: Gericht überwacht den Nachlassabwickler
  3. Nachweis der Erbenstellung

    • Deutschland: Erbschein
    • Österreich: Gerichtlicher Einantwortungsbeschluss
    • USA: Letters Testamentary/Letters of Administration
  4. Anwendbares Recht bei internationalem Bezug

    • Deutschland/EU: Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts (für Todesfälle ab 17.8.2015)
    • USA: Bei Immobilien das Recht des Belegenheitsortes, bei beweglichem Vermögen das Recht des letzten Wohnsitzes
  5. Besonderheiten bei der Abwicklung

    • Deutschland: Erb:innen sind selbst für die Abwicklung verantwortlich
    • Österreich: Abwicklung durch den Notar als Gerichtskommissär
    • USA: Abwicklung durch den Nachlassabwickler unter Gerichtsaufsicht

Praktische Tipps für internationale Erbfälle

Wenn Sie mit einem Erbfall zu tun haben, der mehrere Länder betrifft, sollten Sie folgende Punkte beachten:

  • Frühzeitige Beratung einholen: Bei internationalen Erbfällen ist fachkundige Rechts­be­ra­tung besonders wichtig[5]
  • Länderspezifische Fristen beachten: In jedem Land gelten andere Fristen für Erbaus­schla­gun­gen, Steuererklärungen etc.
  • Steuerliche Aspekte berücksichtigen: Es können Doppelbesteuerungsabkommen zur Anwendung kommen[9]
  • Europäisches Nachlasszeugnis nutzen: Für Erbfälle innerhalb der EU (mit Ausnahme von Dänemark, Irland und Großbritannien) kann das Europäische Nachlasszeugnis hilfreich sein[3]
  • Unterschiedliche Formvorschriften beachten: Was in einem Land als gültiges Testament gilt, kann in einem anderen unwirksam sein[4]

Erbschaftsteuer im internationalen Kontext

Bei grenzüberschreitenden Erbfällen stellt sich oft die Frage nach der Erbschaftsteuer. Auch hier gibt es bedeutende Unterschiede:

  • Zwischen Deutschland und den USA besteht ein Doppelbesteuerungsabkommen zur Vermeidung der mehrfachen Besteuerung[9]
  • In manchen Ländern wird eine Nachlasssteuer erhoben (vom gesamten Nachlass), in anderen eine Erbschaftsteuer (von jedem einzelnen Erwerb)[11]
  • Die Freibeträge und Steuersätze variieren erheblich von Land zu Land[12]

Besonders wichtig: In Deutschland müssen Erb:innen ihre Erbschaft innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis des Erwerbs dem Finanzamt anzeigen - auch wenn der Nachlass noch im Ausland abgewickelt wird[10].

Vorbeugende Maßnahmen für Personen mit internationalem Bezug

Wenn Sie Vermögen in verschiedenen Ländern besitzen oder internationale Familienverbindungen haben, können Sie schon zu Lebzeiten Vorkehrungen treffen:

  • Rechtzeitige Nachlassplanung: Erstellen Sie ein Testament, das den Formvorschriften aller betroffenen Länder entspricht
  • Rechtswahl treffen: Nach der EU-Erbrechtsverordnung können Sie das Recht Ihres Heimatlandes wählen[11]
  • Vermögenswerte strategisch verteilen: Bedenken Sie die unterschiedlichen Steuerfolgen
  • Bevollmächtigungen erteilen: Sorgen Sie für klare Handlungsbefugnisse im Todesfall

Die länderspezifischen Unterschiede im Nachlassverfahren machen internationale Erbfälle komplex. Mit dem richtigen Wissen und vorausschauender Planung lassen sich jedoch viele Probleme vermeiden und der Nachlassübergang erheblich vereinfachen.