Was versteht man unter einem Nachlassverfahren und welche Schritte umfasst es typischerweise?

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Zusammenfassung

Das Nachlassverfahren regelt nach dem Tod einer Person die Ermittlung der Erb:innen und die Verteilung des Nachlasses. Es umfasst Schritte wie die Testamentseröffnung, die Entscheidung über Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft, die Beantragung eines Erbscheins und die Nachlassverwaltung. Angehörige sollten Fristen beachten, wichtige Dokumente bereithalten und bei Bedarf rechtliche Beratung in Anspruch nehmen.

Der Verlust eines geliebten Menschen ist eine emotional belastende Zeit. Neben der Trauer stehen Angehörige oft vor vielen rechtlichen und organisatorischen Fragen rund um den Nach­lass. In diesem Artikel er­fahren Sie, was ein Nachlassverfahren ist, welche Schritte dazu ge­hören und was Sie als Ange­hörige oder Erb:innen beachten sollten.

Was ist ein Nachlassverfahren?

Das Nachlassverfahren bezeichnet in Deutschland ein Ver­fahren der frei­willigen Gerichts­barkeit, das nach dem Tod einer Person ein­geleitet wird[4]. Es wird vom zu­ständigen Nach­lassgericht durch­geführt, einer Unter­abteilung des Amts­gerichts[1]. Hauptziel des Nach­lassverfahrens ist die Er­mittlung der recht­mäßigen Erb:innen und die kor­rekte Ver­teilung des Nach­lasses.

Das Ver­fahren sorgt dafür, dass der letzte Wille des ver­storbenen Menschen res­pektiert und um­gesetzt wird - oder falls kein Testament vor­liegt, dass die gesetz­liche Erb­folge an­gewendet wird.

Welches Nachlassgericht ist zuständig?

Für ein Nachlassverfahren ist grund­sätzlich das Amts­gericht zu­ständig, in dessen Bezirk die ver­storbene Person ihren letzten Wohn­sitz oder gewöhn­lichen Aufent­halt hatte[1][7]. Bei deutschen Staats­ange­hörigen, die ihren letzten Wohn­sitz im euro­päischen Aus­land hatten, ist in der Regel dieses Land für die Durch­führung des Nach­lassverfahrens ver­antwortlich[2].

Aufgaben des Nachlassgerichts

Das Nach­lassgericht über­nimmt im Rahmen des Nach­lassverfahrens ver­schiedene Auf­gaben:

  • Ver­wahrung von Testa­menten und Erb­verträgen
  • Testaments­eröffnung
  • Sicherung des Nach­lasses
  • Er­mittlung der Erb:innen
  • Aus­stellung von Erb­scheinen
  • Ent­gegen­nahme von Erb­aus­schlagungen
  • Er­nennung von Testaments­vollstrecker:innen[7]

Die typischen Schritte im Nachlassverfahren

1. Beginn des Verfahrens nach dem Todesfall

Nach dem Tod einer Person informiert das Standesamt das zuständige Nachlassgericht[1]. Angehörige müssen den Todesfall dem Standesamt am Sterbeort melden. Dazu wird eine Todesbescheinigung benötigt, die von einem Arzt oder einer Ärztin ausgestellt wird[3][5].

Praktischer Tipp: Halten Sie die Sterbeurkunde bereit, da Sie diese für viele weitere Schritte im Nachlassverfahren benötigen werden.

2. Die Testamentseröffnung

Wenn ein Testament existiert, wird dieses vom Nachlassgericht eröffnet. Hier gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Amtlich verwahrte Testamente: Diese sind im zentralen Testamentsregister der Bundesnotarkammer registriert. Das Standesamt benachrichtigt automatisch das Register, welches wiederum das zuständige Nachlassgericht informiert[7].

  • Privat verwahrte Testamente: Wer im Besitz eines privaten Testaments ist, muss dieses nach dem Tod der Person unverzüglich beim Nachlassgericht abgeben[7][3]. Diese Abgabepflicht ist gesetzlich vorgeschrieben.

Das Nachlassgericht eröffnet dann alle bekannten Testamente und erstellt eine Eröffnungsniederschrift[3]. Für diesen Vorgang berechnet das Gericht einmalig 100 Euro[3].

3. Ermittlung der Erben

Nach der Testamentseröffnung benachrichtigt das Nachlassgericht die im Testament genannten Erb:innen sowie die gesetzlichen Erb:innen über den Erbfall[3].

Liegt kein Testament vor, ermittelt das Gericht die gesetzlich erbberechtigten Angehörigen gemäß der im Bürgerlichen Gesetzbuch festgelegten Rangfolge[1]:

  • Erb:innen erster Ordnung: Kinder und deren Abkömmlinge
  • Erb:innen zweiter Ordnung: Eltern und deren Abkömmlinge
  • Erb:innen dritter Ordnung: Großeltern und deren Abkömmlinge
  • Ehegatt:innen: haben eine Sonderstellung und erhalten je nach Güterstand einen bestimmten Anteil[1]

4. Entscheidung: Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft

Mit dem Tod geht der gesamte Nachlass - Vermögen und Schulden - automatisch auf die Erb:innen über[5]. Eine ausdrückliche Annahme der Erbschaft ist nicht erforderlich. Wer jedoch das Erbe nicht antreten möchte, muss aktiv werden.

Die Ausschlagung der Erbschaft:

  • Muss innerhalb von 6 Wochen nach Kenntnis vom Erbfall erklärt werden[2][5]
  • Für Erb:innen mit Wohnsitz im Ausland beträgt die Frist 6 Monate[6]
  • Kann persönlich vor dem Nachlassgericht erklärt oder schriftlich niedergelegt und notariell beglaubigt werden[5]
  • Bei minderjährigen Erb:innen ist die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts erforderlich[6]

Wichtig zu wissen: Überlegen Sie sich die Ausschlagung gut, da sie weitreichende Folgen haben kann. Es empfiehlt sich, vorher rechtliche Beratung einzuholen, um festzustellen, ob der Nachlass möglicherweise überschuldet ist[6].

5. Beantragung eines Erbscheins

Ein Erbschein ist ein amtliches Dokument, das die Erbenstellung nachweist. Er wird für viele rechtliche Vorgänge benötigt, etwa bei Banken, Versicherungen oder beim Grundbuchamt[6][1].

Für die Beantragung eines Erbscheins benötigen Sie:

  • Einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins
  • Ihren Personalausweis oder Reisepass
  • Die Sterbeurkunde der verstorbenen Person
  • Das Testament (falls vorhanden)[6]

Gut zu wissen: Bei Vorliegen eines notariellen Testaments oder Erbvertrags wird in der Regel kein Erbschein benötigt. Zum Nachweis der Erbfolge genügt dann eine beglaubigte Abschrift des Testaments oder Erbvertrags und der Eröffnungsniederschrift des Nachlassgerichts[2].

Die Kosten für den Erbschein richten sich nach dem Wert des Nachlasses und können erheblich sein[6].

6. Nachlassverwaltung und Erbauseinandersetzung

Nach Feststellung der Erbschaft kümmern sich die Erb:innen um:

  • Die Erfassung des gesamten Nachlasses (Vermögenswerte und Verbindlichkeiten)
  • Die Begleichung offener Schulden
  • Die Verteilung des Vermögens unter den Erb:innen[3]

Bei mehreren Erb:innen bildet sich eine Erbengemeinschaft. Die Aufteilung des Nachlasses (Erbauseinandersetzung) liegt in der Verantwortung der Erb:innen selbst[5]. Bei Grundbesitz ist für die Auseinandersetzung eine notarielle Beurkundung erforderlich[5].

Praxistipp: Erstellen Sie eine vollständige Liste aller Vermögenswerte und Verbindlichkeiten. Dies hilft bei der gerechten Aufteilung und verhindert späteren Streit.

7. Mögliche weitere Schritte

Je nach individueller Situation können weitere Schritte nötig sein:

  • Pflichtteilsansprüche: Enterbte Pflichtteils­berechtigte haben Anspruch auf Auszahlung ihres Pflichtteils[3]

  • Erbschaftssteuer: Wenn Erbschaftssteuer anfällt, muss eine Erbschaftssteuererklärung abgegeben werden[3]

  • Konfliktlösung: Bei Streitigkeiten unter den Erb:innen kann eine gerichtliche Klärung notwendig werden. Im Extremfall kann die Erben­gemeinschaft zwangsweise durch gerichtlich angeordneten Verkauf des Nachlasses aufgelöst werden[5]

Besondere Situationen im Nachlassverfahren

Nachlasspflegschaft

Wenn Erb:innen unbekannt sind oder Streitigkeiten drohen, kann das Nachlassgericht einen Nachlasspfleger bestellen. Diese Person verwaltet den Nachlass, bis die Erb:innen festgestellt sind oder die Erbschaft angenommen wurde[1][4][8].

Überschuldeter Nachlass

Wenn der Nachlass überschuldet ist, gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Ausschlagung der Erbschaft innerhalb der 6-Wochen-Frist[2][5]
  • Beantragung einer Nachlassverwaltung beim Nachlassgericht, um die Haftung mit dem eigenen Vermögen zu vermeiden[5]

Praktische Tipps für Angehörige

  1. Behalten Sie den Überblick: Führen Sie eine Liste mit allen wichtigen Dokumenten und Fristen.

  2. Rechtzeitig handeln: Beachten Sie besonders die 6-Wochen-Frist für die Ausschlagung einer Erbschaft.

  3. Professionelle Hilfe suchen: Bei komplexen Nachlässen oder Unsicherheiten empfiehlt sich die Beratung durch Fachanwälte für Erbrecht oder Notare.

  4. Testament sicher verwahren: Ein Testament sollte idealerweise beim Amtsgericht hinterlegt werden, um sicherzustellen, dass es nach dem Tod gefunden und eröffnet wird.

  5. Dokumentation sammeln: Halten Sie alle wichtigen Unterlagen wie Geburtsurkunden, Heiratsurkunden und Sterbeurkunden bereit.

Schluss

Das Nachlassverfahren mag auf den ersten Blick komplex erscheinen, folgt aber einem klar strukturierten Ablauf. Mit dem Wissen über die einzelnen Schritte können Sie sich auch in dieser emotional herausfordernden Zeit sicher durch den rechtlichen Prozess bewegen. Denken Sie daran, dass Sie bei Fragen oder Unsicherheiten jederzeit fachkundige Unterstützung in Anspruch nehmen können, um den Nachlass im Sinne der verstorbenen Person zu regeln.