Ist ein Anwalt für die Abwicklung des Nachlassverfahrens zwingend erforderlich?

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Zusammenfassung

Ein Anwalt ist für die Abwicklung eines Nachlassverfahrens in Deutschland nicht zwingend erforderlich, besonders bei einfachen und unstrittigen Erbfällen. In komplexen Situationen wie Erbstreitigkeiten, unklaren Testamenten oder umfangreichen Vermögensverhältnissen kann jedoch fachliche Unterstützung sinnvoll sein. Für gerichtliche Verfahren vor dem Landgericht besteht Anwaltszwang.

Der Tod eines nahestehenden Menschen ist eine emotional belastende Zeit. Zusätzlich zur Trauer kommen oft viele organisatorische und rechtliche Fragen auf. Eine davon: Brauchen Sie einen Anwalt, um das Nachlassverfahren abzuwickeln? Die gute Nachricht: In vielen Fällen können Sie dies selbst erledigen. Dennoch gibt es Situationen, in denen fachliche Unterstützung durchaus sinnvoll oder sogar notwendig ist.

Grundsätzliches zum Nachlassverfahren

Das Nachlassverfahren umfasst alle rechtlichen Schritte nach dem Tod einer Person. Dazu gehören die Testaments­eröffnung, die Feststellung der Erben, die Verteilung des Vermögens und die Regelung von Verbindlichkeiten. In Deutschland ist das Nachlassgericht, eine Abteilung des Amtsgerichts, für die Abwicklung zuständig. Dieses Gericht befindet sich am letzten Wohnort des Verstorbenen.[12]

In diesen Fällen kommen Sie ohne Anwalt aus

Einfache, unstrittige Erbfälle: Wenn die Erben sich einig sind und keine komplizierten Vermögens­verhältnisse vorliegen, ist ein Anwalt meist nicht erforderlich.[1]

Klare Testament­situation: Existiert ein eindeutiges Testament ohne Interpretations­spielraum, können Sie die Abwicklung in der Regel selbst vornehmen.[1]

Standardisierte Verfahrens­schritte: Viele Behörden­gänge und Formulare sind standardisiert und können ohne juristische Hilfe bewältigt werden. Dazu gehören:

  • Beantragung eines Erbscheins
  • Mitteilung des Todesfalls an Banken und Versicherungen
  • Kündigung von Verträgen und Mitgliedschaften[4]

Bei vorhandener Bestätigung des Nachlassgerichts: Mit einem Schreiben des Nachlassgerichts, das Sie als mögliche:n Erbe:in bestätigt, können Sie bei verschiedenen Stellen (z.B. Banken) Auskünfte einholen.[2]

In diesen Situationen ist anwaltliche Beratung empfehlenswert

Obwohl keine generelle Pflicht besteht, einen Anwalt einzuschalten, gibt es Fälle, in denen fachliche Beratung sehr hilfreich sein kann:

Bei komplexen Nachlass­verhältnissen:

  • Unternehmen oder Beteiligungen im Nachlass
  • Immobilien im Ausland
  • Hohe Schulden des Verstorbenen[1]

Bei rechtlichen Unklarheiten:

  • Zweifel an der Gültigkeit des Testaments
  • Unklar formulierte Testamente
  • Fragen zur Testier­fähigkeit des Verstorbenen[13]

Bei Erbstreitigkeiten:

  • Durchsetzung oder Abwehr von Pflichtteils­ansprüchen
  • Konflikte in der Erben­gemeinschaft
  • Anfechtung eines Testaments[1][3]

Bei besonderen Vermögens­situationen:

  • Nachlassinsolvenz­verfahren
  • Stiftungs­gründungen im Erbfall
  • Unternehmensnachfolge[1]

Wann besteht Anwaltszwang?

In bestimmten Situationen ist die Vertretung durch einen Anwalt gesetzlich vorgeschrieben:

Bei Gerichtsverfahren vor dem Landgericht: Bei Streitwerten ab 5.000 Euro werden Erbstreitigkeiten vor dem Landgericht verhandelt. Hier herrscht Anwalts­zwang nach der Zivilprozess­ordnung.[7][11]

Bei der Klärung komplexer Testamentsauslegungen: Wenn ein Testament unklar formuliert ist und eine gerichtliche Klärung nötig wird, ist in der Regel ein Anwalts­zwang gegeben.[11]

Alternativen zur anwaltlichen Betreuung

Sie müssen nicht zwingend einen teuren Fachanwalt beauftragen. Es gibt alternative Unterstützungs­möglichkeiten:

Nachlassabwicklungs­teams: Spezialisierte Dienst­leister können Sie bei organisatorischen und bürokratischen Aufgaben unterstützen, ohne dass hohe Anwalts­kosten anfallen.[1]

Beratungsstellen: Viele Verbraucher­zentralen und soziale Einrichtungen bieten kostengünstige Erstberatungen zu erbrechtlichen Fragen an.

Notare: Für bestimmte Schritte wie die Beantragung eines Erbscheins können Sie sich direkt an einen Notar wenden, der oft günstiger ist als ein Anwalt.[12]

Was kostet ein Anwalt für Erbrecht?

Die Kosten für anwaltliche Dienste im Erbrecht variieren:

  • Stundensätze: In der Schweiz beispielsweise liegen sie bei etwa 250 Franken pro Stunde.[3] In Deutschland sind ähnliche Sätze üblich.

  • Nach Rechtsanwalts­vergütungs­gesetz (RVG): Die Gebühren richten sich nach dem Streit- oder Gegen­stands­wert.

  • Honorar­vereinbarung: Alternativ können Sie mit dem Anwalt ein festes Honorar vereinbaren.[8]

Beachten Sie: Bei Rechtsschutz­versicherungen lohnt es sich zu prüfen, ob diese erbrecht­liche Auseinander­setzungen abdecken.

Praktische Tipps für die eigen­ständige Abwicklung

Wenn Sie das Nachlassverfahren selbst in die Hand nehmen möchten:

  1. Sammeln Sie alle wichtigen Unterlagen:

    • Sterbeurkunde
    • Testament (falls vorhanden)
    • Persönliche Dokumente des Verstorbenen
    • Übersicht über Konten und Vermögenswerte
  2. Kontaktieren Sie das Nachlassgericht: Das zuständige Amtsgericht am letzten Wohnort des Verstorbenen kann Ihnen erste Informationen geben.[5][12]

  3. Informieren Sie sich über die Testaments­eröffnung: Diese erfolgt nicht durch einen Anwalt, sondern durch das Nachlassgericht.[13]

  4. Beantragen Sie Einsicht in die Nachlassakte: Als Erbe:in haben Sie das Recht, Einsicht in die Nachlassakte zu nehmen, die wichtige Dokumente enthält.[5]

  5. Holen Sie sich bei Bedarf punktuelle Beratung: Für einzelne komplexe Fragen können Sie gezielt anwaltlichen Rat einholen, ohne ein Komplett­mandat zu vergeben.

Fazit

Ein Anwalt ist für die Abwicklung des Nachlassverfahrens in den meisten unkomplizierten Fällen nicht zwingend erforderlich. Viele Schritte können Sie mit etwas Vorbereitung selbst bewältigen. Bei komplexen Vermögens­verhältnissen, Streit unter Erben oder speziellen rechtlichen Fragen kann fachliche Unterstützung jedoch sehr wertvoll sein. In bestimmten gerichtlichen Verfahren, besonders vor dem Landgericht, besteht sogar Anwalts­zwang.

Letztlich hängt die Entscheidung für oder gegen einen Anwalt von der Komplexität des Nachlasses, Ihren persönlichen Fähigkeiten im Umgang mit Behörden und dem Verhältnis zu den Mit­erben ab. Im Zweifelsfall kann eine erste anwaltliche Beratung helfen, Ihren individuellen Bedarf richtig einzuschätzen.