Wie wirkt sich die Staatsangehörigkeit des Erblassers auf die Erbfolge aus?

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Zusammenfassung

Die EU-Erbrechtsverordnung legt fest, dass das Erbrecht des letzten gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Erblassers gilt, nicht mehr automatisch das der Staatsangehörigkeit. Durch eine Rechtswahl im Testament können Sie jedoch bestimmen, dass das Erbrecht Ihrer Staatsangehörigkeit angewendet wird. Diese Möglichkeit ist besonders wichtig bei internationalem Vermögen oder unterschiedlichen Pflichtteilsregelungen und sollte mit fachkundiger Beratung genutzt werden.

Wenn ein Erb­fall mit Auslands­bezug eintritt - sei es durch Vermögen im Ausland oder weil die ver­stor­bene Person im Ausland gelebt hat - stellt sich die Frage, welches Erbrecht gilt. Die Staats­an­ge­hörig­keit spielte dabei lange Zeit die ent­schei­dende Rolle. Seit 2015 haben sich die Regeln jedoch grund­legend geändert. Dieser Artikel erklärt, wie sich die Staats­an­ge­hörig­keit heute auf die Erb­folge auswirkt und welche Gestal­tungs­möglich­keiten Sie haben.

Grundlegende Änderung durch die Europäische Erbrechtsverordnung

Seit dem 17. August 2015 gilt die Europäische Erb­rechts­ver­ord­nung (EU-ErbVO), auch bekannt als “Brüssel IV”. Diese Ver­ord­nung hat einen Para­digmen­wechsel herbei­geführt:

Vor 2015: Die Staats­an­ge­hörig­keit des Erb­lassers bestimmte das anzu­wendende Erbrecht[1][4].

Seit 2015: Maßgeblich ist der letzte “gewöhn­liche Aufent­halt” des Erb­lassers - also sein Lebens­mittel­punkt zum Zeit­punkt des Todes[4].

Das bedeutet: Wenn Sie als deutsche:r Staats­an­ge­hörige:r beispiels­weise Ihren Lebens­abend in Spanien verbringen, würde ohne weitere Maß­nahmen auto­matisch das spanische Erb­recht für Ihren gesamten Nach­lass gelten - unab­hängig davon, ob sich Teile Ihres Ver­mögens in Deutsch­land befinden[4].

Die Opt-out-Möglichkeit: Rechtswahl zugunsten des Heimatrechts

Die EU-Erb­rechts­ver­ord­nung gibt Ihnen jedoch eine wichtige Gestal­tungs­möglic­hkeit: Sie können durch eine aus­drück­liche Rechts­wahl bestimmen, dass statt des Rechts Ihres gewöhn­lichen Aufent­halts­orts das Recht Ihres Heimat­staates auf Ihren Nach­lass angewendet werden soll[3][4][6].

Beispiel: Eine deutsche Staats­an­ge­hörige lebt in Frank­reich. Ohne Rechts­wahl würde nach ihrem Tod fran­zösis­ches Erb­recht gelten. Durch eine Rechts­wahl kann sie fest­legen, dass statt­dessen deutsches Erb­recht Anwendung findet[3].

So treffen Sie eine wirksame Rechtswahl

Damit Ihre Rechts­wahl wirksam ist, sollten Sie folgende Punkte beachten:

  1. Form der Rechts­wahl: Die Rechts­wahl muss in einer letzt­willigen Ver­fügung (Testament oder Erb­vertrag) erfolgen[6].

  2. Art der Erklärung: Die Rechts­wahl sollte aus­drück­lich erklärt werden oder sich ein­deutig aus den Bestimmungen der letzt­willigen Ver­fügung ergeben[3].

  3. Zeit­punkt: Sie können die Rechts­wahl zugunsten des Rechts des Staates treffen, dem Sie im Zeit­punkt der Rechts­wahl oder im Zeit­punkt Ihres Todes ange­hören[6].

Formulierungs­beispiel: “Für meinen gesamten Nach­lass soll deutsches Erb­recht gelten.”

Besonderheiten bei mehrfacher Staatsangehörigkeit

Besitzen Sie mehrere Staats­an­ge­hörig­keiten, haben Sie ein erwei­tertes Wahl­recht:

  • Sie können das Erb­recht jedes Staates wählen, dessen Staats­an­ge­hörig­keit Sie besitzen[4].
  • Bei­spiel: Bei deutsch-itali­enischer Doppel­staats­bürger­schaft können Sie zwischen deutschem und itali­eni­schem Erb­recht wählen[4].

Wichtig: Ohne aus­drück­liche Rechts­wahl gilt auch bei mehr­facher Staats­an­ge­hörig­keit das Recht des letzten gewöhn­lichen Aufent­halts[4].

Praktische Auswirkungen der Rechtswahl

Die Ent­schei­dung für oder gegen eine Rechts­wahl kann erheb­liche Aus­wirkungen haben:

Unterschiedliche Regelungen zum Pflichtteilsrecht

Ver­schie­dene Rechts­ord­nungen haben unter­schied­liche Pflicht­teils­rechte. Durch eine Rechts­wahl können Sie gegeben­en­falls ein für Ihre Nach­lass­planung günstigeres Pflicht­teils­recht wählen[5][3].

Vermeidung einer Nachlassspaltung

In manchen Fällen kann es ohne Rechts­wahl zu einer Nach­lass­spaltung kommen, bei der unter­schied­liche Vermögens­werte nach ver­schie­denen Rechts­ordnungen ver­erbt werden[1].

Beispiel Türkei: Nach dem deutsch-türki­schen Konsular­vertrag ver­erbt sich be­weg­liches Ver­mögen (z.B. Bank­konten) nach dem Recht der Staats­an­ge­hörig­keit, während sich Grund­besitz nach dem Recht des Staates ver­erbt, in dem er liegt[1].

Sonderregelungen außerhalb der EU

Die EU-Erb­rechts­ver­ord­nung gilt nur für die EU-Mit­glied­staaten (mit Aus­nahme von Däne­mark, Irland und dem Ver­einigten König­reich). Für andere Länder können ab­weichende Regeln gelten:

Einige Staaten außer­halb der EU wenden weiter­hin das Staats­an­ge­hörig­keits­prinzip an, darunter:

  • Türkei
  • Marokko
  • Tunesien
  • Thailand
  • Iran[7]

Bei Ver­mögen in diesen Ländern sollten Sie fach­kundigen Rat ein­holen.

Empfehlungen für Ihre Nachlassplanung

Wenn Sie Ver­mögen im Ausland besitzen oder im Ausland leben, sollten Sie folgende Schritte in Betracht ziehen:

  1. Prüfen Sie Ihren Lebens­mittel­punkt: Wo haben Sie Ihren gewöhn­lichen Aufent­halt? Dies be­stimmt grund­sätzlich das anzu­wendende Erb­recht[4].

  2. Ver­gleichen Sie die Erb­rechts­systeme: Infor­mieren Sie sich über die Unter­schiede zwischen dem Erb­recht Ihres Heimat­landes und dem Ihres Wohn­sitz­landes, ins­besondere hin­sicht­lich der Pflicht­teils­rechte und gesetz­lichen Erb­folge.

  3. Erwägen Sie eine Rechts­wahl: Wenn Sie möchten, dass Ihr Nach­lass nach dem Recht Ihres Heimat­landes ver­erbt wird, treffen Sie eine ent­sprechende Rechts­wahl in Ihrem Testament[3][4][6].

  4. Suchen Sie fach­kundige Beratung: Bei Nach­lässen mit Auslands­bezug ist die Rechts­lage komplex. Lassen Sie sich von Fach­anwält:innen für Erb­recht beraten[1].

  5. Prüfen Sie bestehende Testamente: Haben Sie bereits ein Testament er­richtet? Prüfen Sie, ob es an die aktu­elle Rechts­lage angepasst werden sollte, ins­besondere wenn es vor August 2015 er­stellt wurde[4].

Besondere Situationen: Staatsverträge und Konstellationen außerhalb der EU

In manchen Fällen können Staats­verträge Sonder­regelungen vor­sehen:

  • Der deutsch-türki­sche Konsular­vertrag führt zu einer Nach­lass­spaltung zwischen be­weg­lichem und un­be­weg­lichem Ver­mögen[1].
  • Ähnliche Regelungen gelten für den deutsch-ira­nischen und deutsch-sowjetischen Konsular­vertrag[1].

Hinweis: Bei Ver­mögen in Nicht-EU-Staaten sollten Sie stets die spezi­fischen bi­lateralen Ab­kommen und die dort geltenden erb­recht­lichen Regelungen be­rück­sichtigen.

Fazit: Die Rechtswahl als wichtiges Instrument der Nachlassplanung

Die Staats­an­ge­hörig­keit ist heute nicht mehr auto­matisch für das anzu­wendende Erb­recht ent­scheidend. Durch die Möglichkeit der Rechts­wahl haben Sie jedoch die Chance, aktiv zu be­stimmen, nach welchem Recht Ihr Nach­lass ver­erbt werden soll.

Bei einer inter­nationalen Lebens­situation sollten Sie diese Gestal­tungs­möglichkeit bewusst nutzen, um Rechts­sicherheit für Ihre Erb:innen zu schaffen und Ihre Nach­lass­planung zu opti­mieren.