Wie werden Sozialleistungen für behinderte Begünstigte im Ausland sichergestellt?

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Zusammenfassung

Die Sicherung von Sozial­leistungen für Menschen mit Be­hinderungen im Ausland ist in Deutschland stark eingeschränkt und an strenge Voraussetzungen wie eine außer­gewöhnliche Notlage gebunden. Vermögen wird dabei meist angerechnet, und Schon­vermögens­regelungen gelten im Ausland oft nicht. Betroffene sollten frühzeitig Beratung suchen, Alternativen prüfen und ihre Situation sorgfältig planen, um mögliche Ansprüche geltend zu machen.

Menschen mit Be­hinderungen, die im Ausland leben möchten oder müssen, stehen vor besonderen Heraus­forderungen bei der Sicherung ihrer Sozial­leistungen. Die aktuelle Rechtslage bildet erhebliche Hürden, führt jedoch nicht zu vollständiger Aussichtslosigkeit. Dieser Artikel beleuchtet die Möglichkeiten und Grenzen von Sozial­leistungen im Ausland und zeigt auf, wie die Anrechnung von Vermögen sich auf Leistungs­ansprüche auswirkt.

Die Grund­situation: Heraus­forderungen bei Sozial­leistungen im Ausland

Menschen mit Be­hinderungen, die im Ausland leben möchten oder müssen, stehen vor besonderen Heraus­forderungen bei der Sicherung ihrer Sozial­leistungen. Der Grundsatz ist leider ernüchternd: Deutsche Staats­angehörige, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, erhalten grundsätzlich keine Sozial­hilfe­leistungen[6][10]. Dies betrifft auch die für Menschen mit Be­hinderungen oft lebens­wichtigen Leistungen wie die Ein­gliederungs­hilfe oder Hilfe zur Pflege.

Praktisches Beispiel:

Frau Schmidt, die einen Rollstuhl nutzt und auf persönliche Assistenz angewiesen ist, möchte für ein Jahr in Spanien leben. Ihre Ein­gliederungs­hilfe und Pflege­leistungen kann sie nach aktueller Rechts­lage nicht einfach “mitnehmen” - sie stünde im Ausland ohne ihre gewohnten Unterstützungs­leistungen da.

Unter welchen Bedingungen sind Ausnahmen möglich?

Von der strengen Regelung kann nur in besonderen Fällen abgewichen werden. Laut § 24 SGB XII und § 101 SGB IX ist eine Unterstützung im Ausland nur möglich, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind[3][10]:

  1. Es liegt eine außer­gewöhnliche Notlage vor und
  2. Eine Rückkehr nach Deutschland ist nicht möglich aus einem der folgenden drei Gründe:
    • Pflege und Erziehung eines Kindes, das aus rechtlichen Gründen im Ausland bleiben muss
    • Längerfristige stationäre Betreuung in einer Einrichtung oder Schwere der Pflege­bedürftigkeit
    • Hoheitliche Gewalt (beispielsweise Inhaftierung)

Praktisches Beispiel:

Herr Müller hat eine Muskel­erkrankung und ist pflege­bedürftig. Sein Sohn lebt in der Schweiz und hat dort das alleinige Sorge­recht für Herrn Müllers Enkel­kind. Wenn Herr Müller in die Nähe seines Sohnes ziehen möchte, um bei der Erziehung zu helfen, und aufgrund seiner schweren Pflege­bedürftigkeit eine Rückkehr nach Deutschland nicht zumutbar wäre, könnte dies als Ausnahme­fall anerkannt werden.

Besondere Probleme für Menschen mit Be­hinderungen

Menschen mit Be­hinderungen sind oft täglich auf bestimmte Sozial­leistungen angewiesen. Dazu gehören[1]:

  • Leistungen der gesetzlichen Kranken­versicherung (SGB V)
  • Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe (SGB IX)
  • Leistungen der sozialen Pflege­versicherung (SGB XI)
  • Leistungen der Ein­gliederungs­hilfe (6. Kapitel SGB XII)
  • Leistungen der Hilfe zur Pflege aus Sozial­hilfe (7. Kapitel SGB XII)

Bei Auslands­aufenthalten entstehen hier besondere Schwierigkeiten, da viele dieser Leistungen territorial gebunden sind. Häufig scheitert die Umsetzung eines Auslands­aufenthalts an der fehlenden oder nur sehr unzureichenden Möglichkeit, Teilhabe­leistungen oder pflegerische Unterstützungs­leistungen nach deutschem Sozialrecht auch im Ausland in Anspruch zu nehmen[1].

Vermögens­anrechnung bei Sozial­leistungen: Die Grund­regeln

Bei der Beantragung von Sozial­hilfe­leistungen - auch im Ausland - gilt grundsätzlich: Wer Leistungen der Sozial­hilfe nachfragt, hat vor der Gewährung sein verwertbares Vermögen einzusetzen[13]. Zum Vermögen zählen[2][7]:

  • Bargeld und Bankguthaben
  • Wertpapiere, Lebens­versicherungen, Bauspar­verträge
  • Immobilien und Grundstücke
  • Wertvolle Besitztümer wie Schmuck oder Kunst­gegenstände

Praktisches Beispiel:

Familie Bauer hat einen Sohn mit kognitiver Beeinträchtigung, der Ein­gliederungs­hilfe erhält. Die Familie besitzt ein kleines Ferien­haus in Italien im Wert von 80.000 Euro. Bei einem möglichen Umzug nach Italien müsste diese Immobilie grundsätzlich verwertet werden, bevor Sozial­hilfe­leistungen gewährt werden könnten.

Schon­vermögen: Was bleibt Ihnen erhalten?

In Deutschland gibt es sogenanntes “Schon­vermögen”, das bei der Sozial­hilfe nicht angerechnet wird[2][7]:

  • Barbeträge oder Geldwerte bis zu 10.000 Euro
  • Ein angemessenes Kraft­fahrzeug
  • Angemessener Hausrat
  • Eine selbst­genutzte, angemessene Immobilie
  • Für die Alters­vorsorge bestimmte Versicherungs­verträge

Beachten Sie: Bei Sozial­hilfe­leistungen im Ausland gelten diese Schon­vermögens­regelungen in der Regel nicht! Die Ausnahme­regelungen des § 90 Abs. 2 SGB XII finden bei Auslands­leistungen grundsätzlich keine Anwendung, außer wenn durch die Verwertung des Vermögens die außer­gewöhnliche Notlage nicht beseitigt werden kann[4][8].

Die Ein­kommens- und Vermögens­abhängigkeit der Ein­gliederungs­hilfe: Ein Streit­punkt

Die Ein­gliederungs­hilfe ist für viele Menschen mit Be­hinderungen eine zentrale Unterstützungs­leistung. Kritiker:innen bemängeln, dass die Ein­kommens- und Vermögens­abhängigkeit dieser Hilfe eine Diskriminierung nach der UN-Behinderten­rechts­konvention darstellt[5]. Es wird gefordert, dass Menschen mit Be­hinderungen die gleichen faktischen Möglichkeiten haben sollten, im Ausland tätig zu sein wie Menschen ohne Be­hinderungen[1].

Antrag­stellung und Zuständigkeiten

Wenn Sie Sozial­hilfe­leistungen im Ausland beantragen möchten, beachten Sie folgende Punkte:

  1. Der Antrag muss bei der deutschen Auslands­vertretung (Botschaft oder Konsulat) im jeweiligen Aufenthalts­land gestellt werden[10].

  2. Zuständig für die Leistungs­gewährung ist der überörtliche Träger der Sozial­hilfe, in dessen Bereich Sie geboren sind. Wurden Sie im Ausland geboren, gibt es Sonder­regelungen[3][6][10].

  3. Es wird geprüft, ob Ansprüche gegenüber Behörden des Aufenthalts­landes bestehen. Sozial­hilfe­leistungen werden nicht erbracht, soweit sie vom Aufenthalts­land oder von anderen erbracht werden oder zu erwarten sind[3][10].

  4. Art und Maß der Leistungs­erbringung richten sich nach den besonderen Verhältnissen im Aufenthalts­land[3].

Praktisches Beispiel:

Frau Yilmaz, geboren in Köln, hat eine Seh­behinderung und möchte zu ihrer Tochter in die Türkei ziehen. Für ihren Antrag auf Sozial­hilfe­leistungen im Ausland müsste sie sich an die deutsche Botschaft in Ankara wenden. Zuständig für die Bearbeitung wäre der überörtliche Sozial­hilfe­träger in Nordrhein-Westfalen. Die Botschaft würde ihren Antrag dorthin weiterleiten.

Praktische Tipps zum Umgang mit Ver­mögens­fragen bei Auslands­aufenthalten

Wenn Sie als Mensch mit Be­hinderung einen Auslands­aufenthalt planen, können folgende Überlegungen hilfreich sein:

  1. Frühzeitige Planung und Beratung: Informieren Sie sich rechtzeitig vor dem geplanten Auslands­aufenthalt über Ihre Ansprüche und Möglichkeiten. Wenden Sie sich an spezielle Beratungs­stellen für Menschen mit Be­hinderungen.

  2. Dokumente und Nachweise vorbereiten: Bereiten Sie alle notwendigen Unterlagen vor, die Ihre außer­gewöhnliche Notlage und die Unmöglichkeit einer Rückkehr nach Deutschland belegen können. Dazu können ärztliche Bescheinigungen, Gutachten und andere Nach­weise gehören.

  3. Alternative Unterstützungs­strukturen prüfen: Informieren Sie sich, welche Unterstützungs­möglichkeiten im Zielland existieren und wie Sie darauf zugreifen können. In manchen Ländern gibt es bilateral Abkommen, die den Zugang zu Leistungen erleichtern.

  4. Zeitlich begrenzte Auslands­aufenthalte: Bei vorübergehenden Auslands­aufenthalten können manchmal flexiblere Regelungen greifen als bei dauerhaftem Auslands­aufenthalt. Prüfen Sie, ob eine befristete Lösung für Ihre Situation passend sein könnte.

  5. Rechts­beratung in Anspruch nehmen: Die sozial­rechtlichen Regelungen sind komplex - professionelle Beratung kann helfen, Ihre individuellen Möglichkeiten zu klären. Eine Rechts­beratung kann konkrete Wege aufzeigen, wie Sie Ihre Ansprüche geltend machen können.

Ausblick: Forderungen nach Ver­besserungen

Organisationen, die sich für die Rechte von Menschen mit Be­hinderungen einsetzen, fordern deutliche Ver­besserungen[1]:

  • Leistungen der Ein­gliederungs­hilfe und der Hilfe zur Pflege sollten für einen vorübergehenden Auslands­aufenthalt nicht nur als Ausnahme­fall und restriktiv bewilligt werden.

  • Leistungen der gesetzlichen Kranken­versicherung sollten bei einem vorübergehenden Auslands­aufenthalt auch außerhalb der Europäischen Union uneingeschränkt weiter erbracht werden.

  • Leistungen der Sozialen Pflege­versicherung sollten bei einem vorübergehenden Aufenthalt im EU-Ausland weiter erbracht werden können.

Das Ziel ist, dass Menschen mit Be­hinderungen die gleichen faktischen Möglichkeiten haben, vorübergehend im Ausland tätig zu sein wie Menschen ohne Be­hinderungen[1].

Fazit

Die Sicherung von Sozial­leistungen für Menschen mit Be­hinderungen im Ausland ist nach aktueller Rechts­lage eine Heraus­forderung. Die strengen Voraussetzungen und die fehlende Anwendung der Schon­vermögens­regelungen erschweren es vielen Betroffenen, ihr Recht auf freie Wohnort­wahl wahrzunehmen. Politische Initiativen fordern Ver­besserungen, aber bis dahin bleibt Betroffenen nur eine sorgfältige Planung und gegebenenfalls der Rechts­weg, um ihre Ansprüche durchzusetzen.