Wie läuft ein Nachlassverfahren mit Beteiligung mehrerer Länder ab?

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Zusammenfassung

Ein internationales Nachlassverfahren wird komplex, wenn mehrere Länder involviert sind, da unterschiedliche Rechtsordnungen gelten können. Die EU-Erbrechtsverordnung erleichtert solche Fälle, indem sie das anwendbare Recht und die Zuständigkeit regelt, wobei meist das Recht des letzten Wohnsitzlandes gilt. Für eine reibungslose Abwicklung sind eine klare Rechtswahl im Testament, die Nutzung des Europäischen Nachlasszeugnisses und die Einbindung von Testamentsvollstrecker:innen oder Fachleuten für internationales Erbrecht entscheidend.

Bei einem Todesfall ist die Regelung des Nachlasses oft schon innerhalb eines Landes eine Heraus­forderung. Wenn jedoch mehrere Länder involviert sind - sei es, weil die verstorbene Person im Ausland gelebt hat, ausländische Staatsangehörigkeit besaß oder Vermögen in anderen Ländern hinterlassen hat - wird der Vorgang deutlich komplexer. Dieser Artikel erklärt, wie internationale Nachlass­verfahren ablaufen und welche Rolle dabei Nachlassgerichte, Testaments­vollstrecker und internationale Treuhänder spielen.

Wann liegt ein internationaler Erbfall vor?

Ein Nachlass­verfahren mit internationaler Beteiligung kann in folgenden Situationen eintreten:

  • Die verstorbene Person hatte eine ausländische Staats­angehörigkeit
  • Die verstorbene Person lebte zuletzt dauerhaft im Ausland
  • Es existieren Vermögens­gegenstände (wie Immobilien, Bankkonten oder Unternehmens­beteiligungen) in verschiedenen Ländern
  • Die Erb:innen leben in unterschiedlichen Ländern

EU-weit gibt es jährlich über 500.000 grenz­überschreitende Erbfälle[2]. Diese Zahl steigt stetig, da immer mehr Menschen in anderen Ländern studieren, arbeiten oder ihren Lebens­abend verbringen.

Die EU-Erbrechts­verordnung als Grundlage

Seit dem 17. August 2015 gilt in der Europäischen Union die EU-Erbrechts­verordnung (Verordnung EU Nr. 650/2012), die grenz­überschreitende Erbfälle wesentlich vereinfacht hat[10]. Diese Verordnung regelt drei entscheidende Aspekte:

  1. Welches nationale Recht auf einen Erbfall anzuwenden ist
  2. Welches Land für das Nachlass­verfahren zuständig ist
  3. Wie Entscheidungen in Erbsachen länder­übergreifend anerkannt werden

Die wichtigste Regelung: Grundsätzlich ist das Recht des Landes anzuwenden, in dem die verstorbene Person zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte[1]. Dies ist eine bedeutende Änderung zum früheren Recht, das sich primär an der Staats­angehörigkeit orientierte.

Die verstorbene Person kann jedoch per Testament eine Rechtswahl treffen und festlegen, dass stattdessen das Recht des Landes ihrer Staats­angehörigkeit gelten soll[1].

Die Rolle der Nachlassgerichte im internationalen Kontext

Bei einem Erbfall mit internationalen Bezügen sind in der Regel die Gerichte des EU-Landes zuständig, in dem die verstorbene Person zuletzt gelebt hat[1]. Diese Gerichte wenden dann entweder das Recht des letzten Wohnsitzlandes an oder - falls eine Rechtswahl getroffen wurde - das Recht des Landes der Staats­angehörigkeit.

Die Aufgaben der Nachlassgerichte umfassen:

  • Eröffnung des Testaments
  • Ausstellung von Erbscheinen oder dem Europäischen Nachlass­zeugnis
  • Ernennung und Überwachung von Testaments­vollstreckern
  • Entscheidung bei Streitigkeiten im Rahmen ihrer Zuständigkeit

Wichtig zu wissen: Das Nachlassgericht prüft nicht die inhaltliche Richtigkeit der Tätigkeit eines Testaments­vollstreckers, hat kein allgemeines Aufsichtsrecht und darf dem Testaments­vollstrecker keine Weisungen erteilen[3].

Das Europäische Nachlass­zeugnis

Eine der wichtigsten Neuerungen der EU-Erbrechts­verordnung ist das Europäische Nachlass­zeugnis (ENZ), das seit 2015 existiert[8]. Dieses Dokument dient als:

  • Einheitlicher Nachweis der Erbenstellung in allen EU-Mitglied­staaten (außer Dänemark, Irland und Großbritannien)
  • Legitimation für Testaments­vollstrecker und Nachlass­verwalter im europäischen Ausland
  • Alternative zu nationalen Erbnachweisen wie dem deutschen Erbschein

Das ENZ ersetzt nicht die nationalen Erbnachweise, bietet aber den Vorteil, dass es in 25 EU-Mitglied­staaten unmittelbar eingesetzt werden kann[8]. Für Erb:innen, die Vermögen in mehreren EU-Ländern verwalten müssen, ist dies eine erhebliche Erleichterung.

Testaments­vollstrecker im internationalen Erbfall

Der Testaments­vollstrecker spielt bei internationalen Erbfällen eine besonders wichtige Rolle. Er ist der “Treuhänder des Erblassers” und garantiert, dass dessen Wille nach dem Tod so umgesetzt wird, wie im Testament vorgesehen[3].

Aufgaben des Testaments­vollstreckers

  • Ermittlung und Sicherung des Nachlasses über Ländergrenzen hinweg
  • Regelung von Verbindlichkeiten
  • Verteilung des Vermögens an die Erb:innen gemäß Testament
  • Vertretung des Nachlasses gegenüber Behörden und Banken in verschiedenen Ländern

Um sich im Rechtsverkehr zu legitimieren, benötigt der Testaments­vollstrecker einen “Ausweis” - das Testaments­vollstrecker­zeugnis. Dieses stellt das Nachlassgericht auf Antrag aus[3].

Internationale Besonderheiten

In verschiedenen Rechtssystemen existieren unterschiedliche Vorstellungen von der Rolle eines Testaments­vollstreckers:

  • Im deutschen Recht ist der Testaments­vollstrecker primär für die Durchsetzung des Erblasser­willens zuständig
  • Im anglo-amerikanischen Recht übernimmt der sogenannte “executor” oder “administrator” (“personal representative”) eine viel umfassendere Rolle und erhält tatsächliche Eigentumsrechte am Nachlass[11]

Besonders wichtig: Im anglo-amerikanischen Rechtssystem ist die Nachlassabwicklung durch einen “personal representative” in jedem Fall notwendig, während im deutschen Recht Testaments­vollstreckung und Nachlassverwaltung eher die Ausnahme sind[11].

Trusts und internationale Treuhänder

Im angel­sächsischen Rechtsraum (USA, Großbritannien und von ihnen beeinflusste Rechtssysteme) spielen Trusts eine zentrale Rolle in der Vermögens- und Nachlass­planung[14].

Was ist ein Trust?

Ein Trust ist ein Rechts­konstrukt, das in Deutschland so nicht existiert. Er basiert auf einer drei­gliedrigen Struktur[15]:

  1. Der Errichter (grantor/settlor/trustor) überträgt Vermögens­bestandteile auf
  2. einen Treuhänder (trustee), der dieses Vermögen zugunsten
  3. eines oder mehrerer Begünstigter (beneficiaries) verwaltet

Der Treuhänder (Trustee) hat im Außen­verhältnis alle Rechte am Vermögen des Trusts, darf dieses aber nur im Rahmen seiner festgelegten Pflichten und Befugnisse nutzen[15].

Praxishinweis: Dem Trust liegt ein Treuhand­vertrag zugrunde, dessen Rolle meist von einem Rechts­anwalt vor Ort oder einer Bank übernommen wird[6].

Herausforderungen bei Trusts mit Deutschlandbezug

Da das deutsche Recht das Konzept des Trusts nicht kennt, entstehen besondere Herausforderungen:

  • Der Trust führt zu einer “Aufspaltung” des Eigentums, was dem deutschen Recht fremd ist
  • Für deutsche Zwecke muss das Trust­verhältnis manchmal in ein anderes Rechts­konstrukt umgedeutet werden (z.B. als Testaments­vollstreckung)[14]
  • Es können komplexe steuerliche Fragen entstehen

Nachlassspaltung: Wenn verschiedene Rechtsordnungen gelten

Eine besondere Herausforderung bei internationalen Erbfällen ist die sogenannte Nachlass­spaltung. Sie tritt ein, wenn für verschiedene Teile des Nachlasses unterschiedliche Rechts­ordnungen gelten.

Besonders häufig betrifft dies Immobilien, da viele Länder Grund­vermögen grundsätzlich ihrem eigenen Recht unterstellen[6]. Dies kann zu unerwarteten Konsequenzen führen:

Beispiel: Eine deutsche Staats­angehörige mit Wohnsitz in Deutschland besitzt ein Ferienhaus in Frankreich. Während für den Rest ihres Nachlasses deutsches Erbrecht gilt, wird das Ferienhaus nach französischem Erbrecht vererbt. Die Pflichtteilsrechte sind in Frankreich anders geregelt als in Deutschland, was zu Komplikationen führen kann[6].

Länder, in denen es häufig zu einer Nachlass­spaltung kommen kann, sind unter anderem: Argentinien, Australien, Großbritannien, Kanada, USA, Türkei und Thailand[4].

Praktische Tipps und Vorsorge­maßnahmen

1. Rechtswahl im Testament treffen

Wenn Sie Vermögen im Ausland besitzen oder in einem anderen Land als Ihrem Heimatland leben, sollten Sie in Ihrem Testament eine explizite Rechtswahl treffen. So können Sie bestimmen, welches nationale Recht auf Ihren gesamten Nachlass angewendet wird[1].

2. Vorsorglich das Europäische Nachlass­zeugnis einplanen

Informieren Sie Ihre Angehörigen bereits zu Lebzeiten über die Möglichkeit des Europäischen Nachlass­zeugnisses. Dieses kann den Umgang mit Vermögens­werten in verschiedenen EU-Ländern erheblich vereinfachen[8].

3. Testaments­vollstrecker für internationale Nachlässe bestimmen

Bei Vermögen in mehreren Ländern kann die Ernennung eines Testaments­vollstreckers sinnvoll sein. Wählen Sie idealerweise eine Person, die Erfahrung mit internationalen Rechts­fragen hat oder zumindest die Sprachen der betroffenen Länder beherrscht.

4. Vorsicht bei gemeinsamen Testamenten mit internationalen Bezügen

Beachten Sie, dass das in Deutschland beliebte “Berliner Testament” (gemeinsames Testament von Eheleuten) in manchen Ländern nicht anerkannt wird oder sogar ungültig sein kann. Dies gilt beispielsweise für Italien[12].

5. Fachkundige Beratung suchen

Bei internationalen Erbfällen ist fachkundige Beratung unerlässlich. Suchen Sie rechtzeitig Rechts­anwält:innen oder Notar:innen auf, die auf internationales Erbrecht spezialisiert sind.

Besonderheiten in häufigen Erbfallländern

USA

Im US-amerikanischen Recht geht der Nachlass zunächst an den “personal representative” über, der entweder vom Erblasser im Testament ernannt (“executor”) oder vom Nachlassgericht bestellt wird (“administrator”)[11]. Dieser wickelt den Nachlass als Treuhänder ab.

Das Verfahren beginnt mit dem Antrag auf ein Bestätigungs­zeugnis (Certificate of appointment/Letters of administration/Grant of Probate)[5]. Erst nach Abschluss der Nachlassabwicklung erhalten die Erb:innen ihre Anteile.

Großbritannien

Ähnlich wie in den USA ist auch hier ein formelles Nachlassverfahren (“probate”) erforderlich. Der Nachlass geht nicht direkt auf die Erb:innen über, sondern wird durch einen Testaments­vollstrecker verwaltet.

Italien

Das italienische Erbrecht kennt keine gemeinsamen Testamente und keine Erbverträge[12]. Bei einer verstorbenen Person mit letztem Wohnsitz in Italien und deutscher Staats­angehörigkeit ohne Rechtswahl würde italienisches Erbrecht gelten.

Schweiz

Die Schweiz hat eigene Kollisionsnormen: Verstirbt ein deutscher Staats­angehöriger mit Wohnsitz in der Schweiz, würde nach Schweizer Recht Schweizer Erbrecht anwendbar sein, nach deutschem Recht hingegen deutsches Erbrecht[6]. Dies kann zu Konflikten führen, die vorab geklärt werden sollten.

Schlusswort: Rechtzeitige Planung ist entscheidend

Bei internationalen Nachlass­angelegenheiten ist vorausschauende Planung besonders wichtig. Die rechtlichen Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern können erheblich sein und zu unerwarteten Komplikationen führen.

Mit einer gut durchdachten Nachlassplanung, fachkundiger Beratung und der richtigen Dokumentation können Sie jedoch sicherstellen, dass Ihr letzter Wille auch über Ländergrenzen hinweg wirksam umgesetzt wird. Nehmen Sie sich die Zeit, sich mit den Besonderheiten der beteiligten Rechtssysteme vertraut zu machen und treffen Sie entsprechende Vorkehrungen - zum Wohle Ihrer Angehörigen.