Können nationale Pflichtteilsregeln internationale Verfügungen einschränken?
Nationale Pflichtteilsregeln, wie in Deutschland, Österreich oder der Schweiz, können internationale Verfügungen einschränken, insbesondere wenn sie mit strengen Pflichtteilsregelungen anderer Länder wie Spanien oder Frankreich kollidieren. Die Europäische Erbrechtsverordnung legt fest, welches Recht anwendbar ist, wobei durch eine Rechtswahl deutsches Erbrecht bevorzugt werden kann. Eine frühzeitige Nachlassplanung und professionelle Beratung sind entscheidend, um Konflikte zu vermeiden und den eigenen Willen bestmöglich umzusetzen.
- Was bedeutet Pflichtteilsrecht im internationalen Kontext?
- Welches Recht gilt bei internationalen Erbfällen?
- Wann beschränken nationale Pflichtteilsregeln internationale Verfügungen?
- Konflikte zwischen deutschen und spanischen/französischen Pflichtteilsregeln
- Praktische Auswirkungen für Deutsche mit Auslandsbezug
- Welche Gestaltungsmöglichkeiten haben Sie?
- Worauf müssen Sie in der Praxis achten?
- Fazit: Nationale Pflichtteilsregeln behalten oft die Oberhand
Die Frage, ob Sie Ihr Vermögen frei vererben können, gewinnt mit internationalen Bezügen deutlich an Komplexität. Viele Menschen, die Vermögen in verschiedenen Ländern besitzen oder ihren Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt haben, stehen vor der Herausforderung, dass unterschiedliche Rechtsordnungen aufeinandertreffen. Besonders das Pflichtteilsrecht kann dabei zu unerwarteten Einschränkungen führen.
Was bedeutet Pflichtteilsrecht im internationalen Kontext?
Das Pflichtteilsrecht schützt bestimmte Personen davor, komplett enterbt zu werden. In Deutschland, Österreich und der Schweiz haben nahe Angehörige einen gesetzlich garantierten Anspruch auf einen Teil des Nachlasses. Dieser Anspruch besteht selbst dann, wenn die verstorbene Person sie nicht im Testament bedacht hat.
In anderen Ländern existieren ähnliche Konzepte:
- In Spanien nennt sich dieses Prinzip “legítima” und reserviert zwei Drittel des Vermögens für die Kinder[2].
- In Frankreich gibt es ebenfalls strenge “forced heirship laws”, die einen Teil des Nachlasses für bestimmte Familienmitglieder reservieren[8].
Die Regelungen unterscheiden sich jedoch erheblich von Land zu Land. In Großbritannien und vielen US-Bundesstaaten gibt es beispielsweise kein vergleichbares Pflichtteilsrecht im deutschen Sinne[3].
Welches Recht gilt bei internationalen Erbfällen?
Seit 2015 gilt in der EU die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO). Diese bringt klare Regeln für die Frage, welches nationale Recht bei grenzüberschreitenden Erbfällen anzuwenden ist:
- Grundsätzlich gilt das Recht des Staates, in dem die verstorbene Person ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte[5][7].
- Alternativ kann eine Person das Recht ihres Heimatstaates durch eine Rechtswahl ausdrücklich wählen[1].
Diese Regelung hat wichtige Konsequenzen: Wenn Sie als deutsche:r Staatsangehörige:r dauerhaft in Spanien leben, gilt im Erbfall grundsätzlich spanisches Erbrecht mit seinen strengen Pflichtteilsregeln - es sei denn, Sie haben ausdrücklich deutsches Recht gewählt[1][7].
Wann beschränken nationale Pflichtteilsregeln internationale Verfügungen?
Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 29. Juni 2022 (Az. IV ZR 110/21) wichtige Grundsätze klargestellt:
Deutsche Gerichte können die Anwendung ausländischen Rechts versagen, wenn dieses gegen den deutschen “ordre public” (öffentliche Ordnung) verstößt. Dies kann der Fall sein, wenn das fremde Recht kein nach festen Quoten bestimmtes und bedarfsunabhängiges Pflichtteilsrecht vorsieht[1].
Beispiel: Ein Erblasser hatte wirksam englisches Recht gewählt. Der BGH entschied trotzdem, dass deutsches Pflichtteilsrecht anzuwenden sei, weil das englische Recht keinen ausreichenden Pflichtteilsschutz bot[1].
Wichtige Voraussetzung für diese Einschränkung: Der Erbfall muss eine hinreichend starke Inlandsbeziehung zu Deutschland haben[1].
Konflikte zwischen deutschen und spanischen/französischen Pflichtteilsregeln
Die unterschiedlichen nationalen Regelungen können zu komplizierten Konflikten führen:
Beispiel Spanien:
- Nach spanischem Recht müssen zwei Drittel des Nachlasses an die Kinder gehen, unabhängig vom Willen des Erblassers[2][4].
- Der Nachlass wird in drei Teile geteilt: Ein Drittel geht zwingend an die Pflichterben, ein weiteres Drittel kann vom Erblasser unter den Pflichterben verteilt werden, und nur das letzte Drittel steht zur freien Verfügung[2][4].
- Diese Regelungen gelten für alle Personen mit Wohnsitz in Spanien, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit[4].
Beispiel Frankreich:
Praktische Auswirkungen für Deutsche mit Auslandsbezug
Die Konsequenzen für Sie als Erblasser:in oder Erbe/Erbin können erheblich sein:
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Ihr Testament könnte teilweise unwirksam sein, wenn es gegen zwingende Pflichtteilsregeln des anwendbaren Rechts verstößt[6].
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Kinder oder andere Pflichtteilsberechtigte können unerwartete Ansprüche geltend machen, selbst wenn sie im Testament nicht berücksichtigt wurden[4][6].
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Selbst im Ausland befindliches Vermögen unterliegt meist den gleichen Erbregeln - die frühere Strategie, Vermögen einfach in Länder ohne Pflichtteilsrecht zu verlagern, funktioniert seit der EuErbVO nicht mehr[5].
Welche Gestaltungsmöglichkeiten haben Sie?
Trotz der Einschränkungen gibt es Möglichkeiten, Ihre Nachlassplanung zu optimieren:
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Rechtswahl im Testament: Als deutsche:r Staatsangehörige:r können Sie durch eine ausdrückliche Rechtswahl deutsches Erbrecht wählen, auch wenn Sie im Ausland leben[1][7].
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Lebzeitige Schenkungen: Vermögen, das bereits zu Lebzeiten übertragen wurde, kann unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr für Pflichtteilsansprüche herangezogen werden[5].
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Abstimmung des Wohnsitzes: Der gewöhnliche Aufenthalt hat entscheidenden Einfluss darauf, welches Recht anwendbar ist[3][7].
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Professionelle Nachlassplanung: Bei komplexen internationalen Vermögensverhältnissen bietet eine koordinierte Planung mit Fachleuten aus allen betroffenen Ländern die besten Ergebnisse.
Worauf müssen Sie in der Praxis achten?
Für Menschen mit internationalem Lebensbezug ist eine frühzeitige und umfassende Planung besonders wichtig:
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Lassen Sie sich beraten: Konsultieren Sie Fachanwält:innen für internationales Erbrecht, die sowohl das deutsche als auch das ausländische Recht kennen.
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Erstellen Sie ein Testament: Ohne Testament gilt die gesetzliche Erbfolge - mit möglicherweise unerwarteten Konsequenzen. Ein rechtzeitig erstelltes Testament kann viele Probleme vermeiden.
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Prüfen Sie Ihre persönliche Situation: Entscheidend sind Ihr gewöhnlicher Aufenthalt, Ihre Staatsangehörigkeit und die Lage Ihres Vermögens.
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Dokumentieren Sie Ihren Lebensmittelpunkt: Da der “gewöhnliche Aufenthalt” über das anwendbare Recht entscheidet, kann die Dokumentation Ihres tatsächlichen Lebensmittelpunkts wichtig sein.
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Berücksichtigen Sie steuerliche Aspekte: Neben dem Erbrecht sind auch unterschiedliche Erbschaftsteuerregelungen zu beachten, die zu Mehrfachbesteuerungen führen können[7].
Fazit: Nationale Pflichtteilsregeln behalten oft die Oberhand
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Ja, nationale Pflichtteilsregeln können internationale Verfügungen deutlich einschränken. Die EuErbVO hat zwar für mehr Rechtssicherheit gesorgt, aber auch die Möglichkeiten zur Umgehung von Pflichtteilsansprüchen verringert.
Der BGH hat zudem klargestellt, dass deutsche Gerichte ausländisches Recht nicht anwenden müssen, wenn dieses keinen angemessenen Pflichtteilsschutz bietet. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein enger Bezug zu Deutschland besteht[1].
Wer sein Vermögen möglichst nach eigenen Vorstellungen vererben möchte, sollte deshalb frühzeitig eine umfassende internationale Nachlassplanung in Angriff nehmen und sich dabei fachkundig beraten lassen.