Wie schützt man pflegebedürftige Erben vor dem Verlust staatlicher Leistungen?

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Zusammenfassung

Ein Behindertentestament schützt pflegebedürftige Erb:innen davor, ihr geerbtes Vermögen für Pflegekosten aufbrauchen zu müssen, wodurch sie ihre Ansprüche auf staatliche Leistungen verlieren würden. Durch die Kombination von Vor- und Nacherbschaft sowie einer Dauertestamentsvollstreckung bleibt das Erbe innerhalb der Familie, während die pflegebedürftige Person weiterhin Sozialleistungen erhält. Eine rechtlich korrekte Gestaltung ist entscheidend und sollte mit fachkundiger Unterstützung erfolgen.

Ein Behindertentestament bietet eine rechtssichere Möglichkeit, das Erbe für pflegebedürftige Angehörige zu schützen und gleichzeitig deren Anspruch auf staatliche Unterstützung zu erhalten. Ohne diese besondere Vorsorge würde das geerbte Vermögen für Pflege- und Betreuungskosten aufgebraucht werden müssen, bevor der Staat wieder unterstützend eingreift. Mit einem fachkundig erstellten Behindertentestament können Eltern und andere Angehörige dafür sorgen, dass pflegebedürftige Erb:innen sowohl vom Erbe als auch von staatlichen Leistungen profitieren.

Die Problematik: Das Nach­rangig­keits­prinzip der Sozialhilfe

Bei der Gewährung von Sozialleistungen gilt das sogenannte Nachrangigkeitsprinzip. Der Staat übernimmt Pflege- und Sozialhilfekosten erst dann, wenn die betroffene Person diese Leistungen nicht eigenständig von ihrem Privatvermögen bezahlen kann[1]. Erhält ein pflegebedürftiger Mensch nun ein Erbe, verändert dies seine finanzielle Situation grundlegend:

  • Das Erbe erhöht das Privatvermögen
  • Der Staat fordert umgehend Ausgleichszahlungen für bereits geleistete Sozial- und Pflegeleistungen
  • Die staatliche Unterstützung wird gekürzt oder komplett entzogen[2]
  • Erst wenn das geerbte Vermögen aufgebraucht ist (bis auf einen Schonbetrag von derzeit 10.000 €, Stand 2024), werden wieder volle Sozialleistungen gewährt[1]

Ein Beispiel: Sabine und Peter haben einen Sohn Christian, der nach einem Unfall nicht voll erwerbstätig ist und Betreuung benötigt. Die Eltern befürchten zu Recht, dass sein Erbe für Sozialleistungen und Pflege komplett aufgebraucht wird, bevor er wieder staatliche Unterstützung erhält[2].

Was ist ein Behinder­ten­testament?

Ein Behinder­ten­testament ist eine spezielle Testamentsform, die verhindert, dass das Familienvermögen dem Sozialhilfeträger zufällt, und stattdessen innerhalb der Familie bleibt[3]. Es handelt sich nicht um ein eigenständiges Rechtsinstrument, sondern um eine besondere Gestaltung eines regulären Testaments mit speziellen Vorkehrungen.

Diese Testamentsform eignet sich für Erblasser:innen, die einen Angehörigen mit Behinderung haben, für dessen Pflegekosten der Staat aufkommt[1]. Die Behinderung kann sowohl körperlicher als auch geistiger Natur sein. Entscheidend ist, dass die Person auf Hilfe vom Staat angewiesen ist[2].

Wie schützt ein Behinder­ten­testament das Erbe?

Das Behindertentestament nutzt gesetzliche Möglichkeiten, um den Zugriff des Staates auf das Erbe zu verhindern. Die wichtigsten Elemente sind:

1. Die Kombination aus Vor- und Nach­erbschaft

Bei dieser Regelung wird die pflegebedürftige Person als Vorerb:in eingesetzt. Das bedeutet:

  • Die pflegebedürftige Person erhält nur einen bedingten Erbanspruch
  • Nach ihrem Tod geht das verbliebene Vermögen an festgelegte Nacherb:innen über (z.B. Geschwister)[4]
  • Das Vermögen gehört rechtlich nie vollständig zum Eigentum der pflegebedürftigen Person

2. Die Dauer­testaments­vollstreckung

Hier wird eine Person bestimmt, die das Erbe verwaltet:

  • Der:die Testamentsvollstrecker:in kontrolliert, wie das geerbte Vermögen verwendet wird
  • Nach § 2214 BGB ist Dritten (auch dem Sozialhilfeträger) der Zugriff auf Vermögenswerte untersagt, die der Verwaltung eines:einer Testamentsvollstrecker:in unterliegen[1]
  • Der:die Testamentsvollstrecker:in stellt der pflegebedürftigen Person nur so viel Geld zur Verfügung, dass die staatlichen Leistungen nicht gefährdet werden[5]

Die Kombination dieser beiden Elemente bietet den besten Schutz für das Erbe und sichert gleichzeitig die finanzielle Zukunft der pflegebedürftigen Person ab.

Die Rechtmäßigkeit des Behinder­ten­testaments

Manche Menschen fragen sich, ob ein solches Testament überhaupt rechtens ist, da es offensichtlich darauf abzielt, dem Sozialhilfeträger den Zugriff auf das Vermögen zu verwehren.

Die gute Nachricht: Gerichte haben die Zulässigkeit von Behinder­ten­testamenten mehrfach bestätigt. Das Oberlandesgericht Hamm urteilte (Az. 10 U 13/16), dass es nachvollziehbar sei, dass Eltern das Erbe für ihre Kinder im größtmöglichen Umfang erhalten möchten[1].

Ein weiteres Gerichtsurteil stellt fest: Ein Behindertentestament ist nicht sittenwidrig, wenn:

  • Das behinderte Kind einen Erbteil erhält, der leicht über dem Pflichtteil liegt
  • Die Eltern sicherstellen wollen, dass ihr Kind Annehmlichkeiten und Therapien erhalten kann, die vom Staat nicht oder nur teilweise bezahlt werden[5]

Praktische Gestaltung eines Behinder­ten­testaments

Formvorschriften

Ein wirksames Behindertentestament muss bestimmte formelle Anforderungen erfüllen:

  • Es muss entweder handschriftlich verfasst oder notariell beurkundet sein
  • Es muss vom Erblasser unterschrieben sein
  • Ort und Datum müssen angegeben sein[1]

Kernelemente eines Behinder­ten­testaments

Im Wesentlichen enthält jedes Behindertentestament folgende Regelungen:

  1. Einsetzung der pflegebedürftigen Person als Vorerb:in
  2. Bestimmung der Nacherb:innen
  3. Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung
  4. Genaue Anweisungen für den:die Testamentsvollstrecker:in[6]

Ein Beispiel zur Veranschaulichung

Ein alleinstehender Vater hinterlässt seinen beiden Kindern folgendes Erbvermögen:

  • Haus im Wert von 100.000 €
  • Barvermögen & Anlagen im Wert von 200.000 €
  • Gesamte Erbmasse: 300.000 €

Laut Behindertentestament sollen seine beiden Kinder zu gleichen Teilen erben - jedem Kind steht ein Erbteil von 150.000 € zu. Der pflegebedürftige Sohn soll das Haus erben, die Tochter die Wertanlagen. Da der Sohn somit einen geringeren Erbanteil erhält, muss die Tochter eine Ausgleichszahlung im Wert von 50.000 € leisten[1].

Häufige Fragen zum Behinder­ten­testament

Ist eine Enterbung des behinderten Kindes eine Alternative?

Manche Eltern überlegen, ihr behindertes Kind zu enterben, damit es weiterhin Sozialleistungen beziehen kann. Diese Strategie ist jedoch nicht zu empfehlen. Enterbt man ein Kind, steht ihm in der Regel ein Pflichtteilsanspruch zu, den der Staat als Ausgleichszahlung beanspruchen kann, sofern dieser Anspruch den Schonbetrag übersteigt[1][7].

Kann ein bestehendes Testament in ein Behinder­ten­testament umgewandelt werden?

Ja, ein bestehendes Testament kann widerrufen und durch ein Behindertentestament ersetzt werden. Dabei gelten dieselben Formvorschriften wie für die ursprüngliche Testamentserstellung.

Für wen ist ein Behinder­ten­testament sinnvoll?

Ein Behindertentestament ist sinnvoll für:

  • Eltern von Kindern mit Behinderungen
  • Angehörige von Menschen mit Pflegebedarf
  • Personen, die jemanden beerben möchten, der staatliche Leistungen bezieht

Was passiert mit dem Erbe nach dem Tod der pflegebedürftigen Person?

Nach dem Tod der pflegebedürftigen Person geht das verbliebene Vermögen an die im Testament bestimmten Nacherb:innen über. Der Sozialhilfeträger hat keinen Zugriff auf dieses Vermögen[4].

Was kann mit dem geschützten Erbe finanziert werden?

Der:die Testamentsvollstrecker:in kann das geschützte Erbe für verschiedene Zusatzleistungen verwenden, die über die staatliche Grundversorgung hinausgehen:

  • Zusätzliche Therapien und Behandlungen
  • Persönliche Wünsche wie Urlaubsreisen oder Hobbys
  • Besondere Hilfsmittel oder Anschaffungen
  • Verbesserung der Wohnsituation
  • Kulturelle Aktivitäten und Freizeitgestaltung[6]

Wichtig: Diese Ausgaben müssen so gestaltet sein, dass sie nicht als Einkommen gelten, sondern als Zusatzleistungen, auf die der Staat keinen Zugriff hat[1].

Warum Sie fachkundige Hilfe in Anspruch nehmen sollten

Die Erstellung eines Behindertentestaments ist rechtlich anspruchsvoll und sollte nicht ohne fachkundige Beratung erfolgen. Fehler können dazu führen, dass der Schutz des Erbes nicht gewährleistet ist.

Ein Fachanwalt für Erbrecht oder ein:e Notar:in kann Sie beraten und sicherstellen, dass:

  • Das Testament rechtssicher formuliert ist
  • Alle notwendigen Regelungen enthalten sind
  • Die Interessen der pflegebedürftigen Person bestmöglich gewahrt werden[8]

Fazit: Sicherheit für pflegebedürftige Erben schaffen

Ein Behindertentestament bietet eine rechtlich gesicherte Möglichkeit, pflegebedürftige Angehörige finanziell abzusichern, ohne dass sie staatliche Unterstützung verlieren. Es ermöglicht, dass das Familienvermögen in der Familie bleibt und der pflegebedürftigen Person ein Leben über dem Sozialhilfeniveau ermöglicht wird.

Die Erstellung eines solchen Testaments erfordert zwar mehr Aufwand als ein gewöhnliches Testament, doch dieser Aufwand lohnt sich: Ihre pflegebedürftigen Angehörigen können sowohl von Ihrem Erbe als auch von staatlichen Leistungen profitieren und so eine bestmögliche Versorgung erhalten[1][2].

Nehmen Sie sich die Zeit, sich von einem:einer Fachanwalt:in beraten zu lassen - diese Investition kann entscheidend für die Zukunft Ihrer pflegebedürftigen Angehörigen sein.