Was ist der "Pflichtteil" und inwiefern schränkt er die Testierfreiheit ein?

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Zusammenfassung

Der Pflicht­teil ist ein gesetzlich garantierter Geld­anspruch, der bestimmten nahen Angehörigen (z. B. Ehepartner:innen, Kindern) zusteht, auch wenn sie enterbt wurden. Er beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und schränkt die Testier­freiheit ein, da Erblasser:innen nicht frei über ihr gesamtes Vermögen verfügen können. Eine sorgfältige Nachlass­planung und gegebenenfalls rechtliche Beratung helfen, Konflikte zu vermeiden und individuelle Lösungen zu finden.

Wenn Sie ein Testament oder einen Erbvertrag aufsetzen, können Sie grundsätzlich frei bestimmen, wer Ihr Vermögen erben soll. Diese sogenannte Testier­freiheit hat jedoch Grenzen - eine davon ist das Pflicht­teils­recht. Doch was bedeutet das genau für Ihre Nachlass­planung? Dieser Artikel erklärt, was der Pflicht­teil ist, wer ihn beanspruchen kann und wie er die Freiheit einschränkt, über das eigene Vermögen zu verfügen.

Was ist die Testier­freiheit?

Die Testier­freiheit bezeichnet Ihr Recht, ohne Angabe von Gründen von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen und selbst zu bestimmen, wer Ihr Vermögen nach Ihrem Tod erhalten soll. Diese Freiheit ist sogar verfassungs­rechtlich durch Artikel 14 des Grund­gesetzes geschützt[7].

Als Erblasser:in dürfen Sie:

  • Personen enterben, die nach der gesetzlichen Erbfolge erben würden
  • Beliebige Personen als Erb:innen einsetzen
  • Ihr Vermögen nach Ihren Vorstellungen aufteilen
  • Vermächtnis­nehmer:innen bestimmen, die einzelne Gegenstände erhalten sollen

Diese Freiheit ermöglicht es Ihnen, Ihre Nach­lass­planung individuell zu gestalten. Doch der Gesetz­geber hat dieser Freiheit bewusst Grenzen gesetzt.

Was ist der Pflicht­teil?

Der Pflicht­teil ist eine gesetzlich garantierte Mindest­beteiligung am Nachlass. Er steht bestimmten nahen Angehörigen zu, selbst wenn diese im Testament enterbt wurden[1].

Wichtig: Der Pflicht­teil ist kein direkter Erban­spruch, sondern ein reiner Geld­anspruch gegen die Erben. Die pflicht­teils­berechtigten Personen werden nicht Teil der Erben­gemeinschaft, sondern haben lediglich Anspruch auf einen bestimmten Geld­betrag[5].

Der Pflicht­teil beträgt immer genau die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Der gesetzliche Erbteil wiederum ist der Anteil am Nachlass, den ein:e Angehörige:r nach der gesetzlichen Erbfolge bekommen würde, wenn kein Testament existieren würde[1].

Wer ist pflicht­teils­berechtigt?

Nicht alle Verwandten haben Anspruch auf einen Pflicht­teil. Der Gesetz­geber hat den Kreis der Pflicht­teils­berechtigten bewusst eng gehalten:

  • Ehepartner:innen oder eingetragene Lebens­partner:innen (außer bei Scheidung oder wenn die Ehe als gescheitert gilt)
  • Kinder (auch adoptierte)
  • Enkel (aber nur, wenn ihr Elternteil, also Ihr Kind, bereits verstorben ist)
  • Eltern (nur wenn keine Kinder oder Enkel vorhanden sind)[1][5]

Nicht pflicht­teils­berechtigt sind Geschwister, Großeltern, Onkel, Tanten, Nichten, Neffen und andere entferntere Verwandte des Erblassers[1].

Wie hoch ist der Pflicht­teil?

Die Höhe des Pflicht­teils berechnet sich in zwei Schritten:

  1. Zunächst wird ermittelt, wie hoch der gesetzliche Erbteil der Person wäre
  2. Davon wird die Hälfte als Pflicht­teil berechnet

Beispiel zur Berechnung:

Sie sind verheiratet und haben zwei Kinder. Wenn Sie ohne Testament versterben würden, erhielte Ihr:e Ehepartner:in nach gesetzlicher Erbfolge 1/2 des Nachlasses und jedes Kind 1/4. Wenn Sie nun ein Testament verfassen und eine:n der Beteiligten enterben:

  • Enterben Sie Ihre:n Ehepartner:in, steht ihr/ihm ein Pflicht­teil von 1/4 des Nachlass­werts zu (die Hälfte von 1/2).
  • Enterben Sie ein Kind, steht diesem ein Pflicht­teil von 1/8 des Nachlass­werts zu (die Hälfte von 1/4).

Wie schränkt der Pflicht­teil die Testier­freiheit ein?

Das Pflicht­teils­recht setzt der Testier­freiheit eine klare Grenze. Als Erblasser:in können Sie zwar jede Person enterben, aber Sie können den gesetzlichen Pflicht­teils­anspruch der engen Angehörigen nicht vollständig umgehen[6].

Diese Einschränkung hat gesellschaftliche und soziale Gründe:

  • Der Gesetz­geber will sicherstellen, dass nahe Familien­angehörige nicht völlig leer ausgehen
  • Es wird angenommen, dass Erblasser:innen auch nach dem Tod noch gewisse Fürsorge­pflichten gegenüber ihren engsten Angehörigen haben[5]
  • Familiäre Bindungen werden geschützt

Für Sie als Erblasser:in bedeutet das: Sie können zwar bestimmen, wer Ihr Vermögen erbt, müssen aber akzeptieren, dass pflicht­teils­berechtigte Personen mindestens ihren Pflicht­teil in Geld fordern können.

Besondere Aspekte des Pflicht­teils

Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch bei Schenkungen

Wenn Sie zu Lebzeiten größere Vermögens­werte verschenken, können diese unter bestimmten Umständen für die Berechnung des Pflicht­teils berücksichtigt werden. Dies soll verhindern, dass das Pflicht­teils­recht durch vorzeitige Schenkungen umgangen wird[8].

Beispiel: Wenn Sie eine Ferien­wohnung im Wert von 120.000 Euro verschenken und innerhalb von vier Jahren versterben, werden davon noch 80.000 Euro für die Pflicht­teils­berechnung berücksichtigt[8].

Verjährung des Pflicht­teils­anspruchs

Der Pflicht­teils­anspruch verjährt nach drei Jahren. Die Frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Erbfall eingetreten ist und die pflicht­teils­berechtigte Person von diesem Umstand Kenntnis erlangt hat. Spätestens 30 Jahre nach dem Tod verjährt der Anspruch in jedem Fall[1].

Pflicht­teils­verzicht

Eine Möglichkeit, das Pflicht­teils­recht zu umgehen, ist ein notariell beurkundeter Pflicht­teils­verzicht. Dieser muss zu Lebzeiten zwischen Erblasser:in und pflicht­teils­berechtigter Person vereinbart werden - oft gegen eine angemessene Abfindung.

Wann kann der Pflicht­teil entzogen werden?

In sehr wenigen Ausnahme­fällen kann der Pflicht­teil entzogen werden. Diese Möglichkeiten sind streng begrenzt und müssen im Testament ausdrücklich mit Begründung festgehalten werden. Gründe können sein:

  • Wenn die pflicht­teils­berechtigte Person dem/der Erblasser:in oder einer nahestehenden Person nach dem Leben trachtet
  • Bei schweren vorsätzlichen körperlichen Misshandlungen
  • Bei bestimmten Straftaten gegen den/die Erblasser:in
  • Bei rechtskräftiger Verurteilung zu einer Freiheits­strafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung[1]

Wichtig: Die Hürden für eine Pflicht­teils­entziehung sind sehr hoch und müssen gerichtlich standhalten können.

Praktische Tipps für Ihre Nachlass­planung

Wenn Sie Ihre Testier­freiheit nutzen und gleichzeitig die Folgen des Pflicht­teils berücksichtigen möchten:

  1. Früh­zeitige Beratung: Lassen Sie sich von Fach­leuten für Erbrecht beraten, um Ihre individuelle Situation zu analysieren.

  2. Pflicht­teils­freundliche Gestaltung: Überlegen Sie, ob Sie pflicht­teils­berechtigten Personen zumindest ihren Pflicht­teil im Testament zusprechen, um spätere Konflikte zu vermeiden.

  3. Mögliche Vereinbarungen: Prüfen Sie, ob ein notarieller Pflicht­teils­verzicht mit angemessener Abfindung für alle Beteiligten eine akzeptable Lösung sein könnte.

  4. Lebzeitige Zuwendungen: Schenkungen zu Lebzeiten können sinnvoll sein, beachten Sie aber die Fristen für den Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch.

  5. Dokumentation: Halten Sie Ihre Gründe für Enterbungen oder besondere Zuwendungen schriftlich fest, um späteren Streitigkeiten vorzubeugen.

Der Pflicht­teil in der gesellschaftlichen Debatte

Das Pflicht­teils­recht wird durchaus kontrovers diskutiert. Während Befürworter:innen den Schutz der Familie und die Sicherung einer Mindest­beteiligung am Familien­vermögen betonen, sehen Kritiker:innen darin eine zu starke Einschränkung der persönlichen Freiheit.

Die Jungen Liberalen beispielsweise beurteilen das Pflicht­teils­recht als “überkommenes Rechts­institut, das den Wert­vorstellungen einer modernen Gesellschaft nicht mehr gerecht wird” und fordern eine vollständige Abschaffung[6].

Fazit: Zwischen Familien­schutz und Testier­freiheit

Der Pflicht­teil stellt einen Kompromiss dar zwischen dem Recht des Einzelnen, frei über sein Vermögen zu verfügen, und dem Anspruch der Familie auf Teilhabe am Familien­vermögen. Er schränkt Ihre Testier­freiheit zwar ein, sichert aber gleichzeitig Ihren engsten Angehörigen eine Mindest­beteiligung.

Bei Ihrer Nachlass­planung sollten Sie dieses Spannungs­verhältnis berücksichtigen und nach Lösungen suchen, die sowohl Ihren Wünschen als auch den berechtigten Interessen Ihrer Angehörigen gerecht werden. Eine fach­kundige Beratung kann Ihnen dabei helfen, die für Sie passende Balance zu finden.