Wie unterscheidet sich die gesetzliche Erbfolge in Deutschland, Österreich und der Schweiz?
Die gesetzliche Erbfolge unterscheidet sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz vor allem in der Reichweite der Erbberechtigung, den Erbquoten von Ehegatt:innen und den Pflichtteilsrechten. Während Deutschland ein Ordnungssystem nutzt, arbeiten Österreich und die Schweiz mit Parentelen, wobei die gesetzliche Erbfolge in der Schweiz früher endet. Zudem gibt es Unterschiede beim Erwerb des Nachlasses (automatisch in DE/CH, formelles Verfahren in AT) und bei den Pflichtteilsregelungen, die in der Schweiz seit 2023 mehr Flexibilität bieten.
Die gesetzliche Erbfolge regelt, wer erbt, wenn kein Testament oder Erbvertrag vorhanden ist. Obwohl Deutschland, Österreich und die Schweiz auf den ersten Blick ähnliche Erbrechtssysteme haben, gibt es bedeutende Unterschiede, die für Sie als erbberechtigte Person oder als Erblasser:in wichtig sein können. Dieser Artikel beleuchtet die zentralen Unterschiede der gesetzlichen Erbfolge in diesen drei deutschsprachigen Ländern.
Grundkonzepte der gesetzlichen Erbfolge
In allen drei Ländern folgt die gesetzliche Erbfolge dem Prinzip der Blutsverwandtschaft, wobei nähere Verwandte entferntere ausschließen. Zudem haben Ehegatt:innen und eingetragene Partner:innen ein gesondertes Erbrecht. Doch schon beim System der Verwandtenerbfolge zeigen sich erste Unterschiede:
Deutschland
Deutschland verwendet ein Ordnungssystem für die gesetzliche Erbfolge:
- 1. Ordnung: Kinder des Erblassers und deren Nachkommen
- 2. Ordnung: Eltern des Erblassers und deren Nachkommen
- 3. Ordnung: Großeltern des Erblassers und deren Nachkommen
- 4. Ordnung: Urgroßeltern und deren Nachkommen
- Weitere Ordnungen folgen dem gleichen Prinzip[4]
Innerhalb der 1. Ordnung gilt das Stammesprinzip, wobei jedes Kind einen eigenen Stamm bildet und zu gleichen Teilen erbt. Verstorbene Kinder werden durch ihre Nachkommen vertreten.[4]
Österreich
Österreich nutzt ein Parentelensystem (Liniensystem):
- 1. Parentel: Kinder des Erblassers und deren Nachkommen
- 2. Parentel: Eltern des Erblassers und deren Nachkommen
- 3. Parentel: Großeltern des Erblassers und deren Nachkommen
- 4. Parentel: Urgroßeltern - danach endet die Erbrechtsgrenze[4]
In Österreich gilt die Besonderheit, dass innerhalb einer Linie die Vorfahren vor ihren Nachkommen erben. Das bedeutet: Geschwister des Erblassers erben erst, wenn die Eltern verstorben sind.[4]
Schweiz
Das Schweizer System ist ähnlich aufgebaut:
- 1. Parentel: Kinder des Erblassers und deren Nachkommen
- 2. Parentel: Eltern des Erblassers und deren Nachkommen
- 3. Parentel: Großeltern des Erblassers und deren Nachkommen - danach endet die gesetzliche Erbberechtigung[1][8]
Ein wichtiger Unterschied: In der Schweiz endet die gesetzliche Erbberechtigung bereits mit der 3. Parentel, während sie in Österreich mit der 4. Parentel (Urgroßeltern) endet.[1]
Ehegattenerbrecht im Vergleich
Ein zentraler Unterschied zwischen den drei Ländern betrifft die Erbquote von Ehegatt:innen und eingetragenen Partner:innen:
Deutschland
Die Höhe des Ehegattenerbteils hängt davon ab, welche Verwandten neben dem/der Ehepartner:in erben:
- 1/4 des Nachlasses, wenn Erbende der 1. Ordnung (Kinder/Nachkommen) vorhanden sind
- 1/2 des Nachlasses, wenn Erbende der 2. Ordnung (Eltern/Geschwister) oder Großeltern vorhanden sind
- Gesamter Nachlass, wenn nur entferntere Verwandte vorhanden sind[4]
Zudem spielt der Güterstand eine wichtige Rolle für die endgültige Erbquote.[2]
Österreich
In Österreich erbt der/die Ehegatt:in oder eingetragene Partner:in:
- 1/3 des Nachlasses neben Kindern des Erblassers
- 2/3 des Nachlasses neben Eltern des Erblassers und deren Nachkommen
- Gesamten Nachlass bei entfernteren Verwandten[4]
Beispielsweise erhält bei zwei Kindern und einem Ehepartner jede:r Erb:in ein Drittel der Verlassenschaft.[4]
Schweiz
Im Schweizer Erbrecht erhält der/die Ehegatt:in oder eingetragene Partner:in:
- 50% des Nachlasses neben Nachkommen
- 75% des Nachlasses neben Erbenden im elterlichen Stamm (Eltern, Geschwister etc.)
- 100% des Nachlasses neben Erbenden im großelterlichen Stamm[5][8]
Wichtig zu wissen: Im Gegensatz zu Deutschland und Österreich haben Konkubinatspartner:innen (unverheiratete Lebenspartner:innen) in der Schweiz keinen gesetzlichen Erbanspruch. Möchten Sie, dass Ihr:e Lebenspartner:in etwas erbt, müssen Sie dies ausdrücklich in einem Testament festhalten.[8]
Besonderheiten beim Erwerb der Erbschaft
Ein weiterer grundlegender Unterschied zwischen den drei Ländern betrifft die Art und Weise, wie die Erbschaft erworben wird:
Deutschland und Schweiz: Vonselbsterwerb
In Deutschland und der Schweiz gilt das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge und des Vonselbsterwerbs. Das bedeutet:
- Die Erb:innen erwerben das Erbe automatisch mit dem Tod des Erblassers
- Der Nachlass geht ohne weiteres Zutun auf die Erb:innen über
- Die Erb:innen können das Erbe nachträglich ausschlagen, dies wirkt dann rückwirkend[1][3]
Österreich: Einantwortungssystem
In Österreich funktioniert der Erbschaftserwerb grundlegend anders:
- Die Verlassenschaft ist nach dem Tod des Erblassers zunächst ein eigenes Rechtssubjekt
- Die Erb:innen erwerben das Eigentum erst durch die sogenannte Einantwortung
- Es ist ein besonderes Verlassenschaftsverfahren nötig, das von einem Gerichtskommissär geleitet wird[1][3]
Dieses System bietet mehr Kontrolle über den Erbvorgang, bedeutet aber auch mehr bürokratischen Aufwand und in der Regel eine längere Abwicklungsdauer.
Pflichtteilsrechte in den drei Ländern
Das Pflichtteilsrecht schützt bestimmte Angehörige vor einer vollständigen Enterbung. Auch hier gibt es Unterschiede:
Deutschland
In Deutschland haben folgende Personen einen Pflichtteilsanspruch:
- Nachkommen des Erblassers
- Eltern des Erblassers (nur wenn keine Nachkommen vorhanden sind)
- Ehegatt:in oder eingetragene:r Partner:in
Der Pflichtteil beträgt 50% des gesetzlichen Erbteils.[2][4]
Österreich
Auch in Österreich haben Nachkommen und Ehepartner:innen einen Pflichtteilsanspruch, wobei die genauen Regelungen seit dem neuen Erbrecht 2017 modernisiert wurden.
Schweiz
In der Schweiz wurde das Erbrecht 2023 teilrevidiert mit folgenden Änderungen:
- Der Pflichtteil für Nachkommen wurde von 75% auf 50% ihres gesetzlichen Erbteils reduziert
- Der Pflichtteil der Eltern wurde komplett abgeschafft (bisher 50% ihres gesetzlichen Erbteils)
- Ehegatt:innen und eingetragene Partner:innen behalten einen Pflichtteilsschutz[5]
Diese Reform gibt Erblasser:innen in der Schweiz mehr Freiheit, über ihren Nachlass zu verfügen.
Praktische Auswirkungen und Empfehlungen
Die Unterschiede in der gesetzlichen Erbfolge können erhebliche praktische Auswirkungen haben, besonders wenn Sie:
- Vermögen in mehreren Ländern besitzen
- Internationale Familienbeziehungen haben
- Ihren Wohnsitz zwischen den Ländern wechseln möchten
Empfehlungen für Sie:
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Informieren Sie sich über das anwendbare Recht: Bei grenzüberschreitenden Erbfällen ist es wichtig zu wissen, welches nationale Recht angewendet wird. Die EU-Erbrechtsverordnung regelt dies für Deutschland und Österreich, während die Schweiz eigene Kollisionsnormen hat.[6]
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Erstellen Sie ein Testament oder einen Erbvertrag: Um Unklarheiten zu vermeiden und Ihre eigenen Wünsche durchzusetzen, sollten Sie eine letztwillige Verfügung errichten - besonders bei internationalen Bezügen.
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Berücksichtigen Sie die unterschiedlichen Pflichtteilsrechte: Die verschiedenen Pflichtteilsregelungen können Ihre Gestaltungsmöglichkeiten erweitern oder einschränken, je nachdem, welches Recht anwendbar ist.
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Holen Sie fachkundigen Rat ein: Bei komplexen Erbsituationen mit Bezug zu mehreren Ländern ist eine rechtliche Beratung durch Fachleute für internationales Erbrecht ratsam.
Fazit: Wesentliche Unterschiede auf einen Blick
Trotz der kulturellen und sprachlichen Nähe zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz weisen ihre Erbrechtssysteme bedeutende Unterschiede auf:
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Umfang der gesetzlichen Erbfolge: In der Schweiz endet sie mit der 3. Parentel, in Österreich mit der 4. Parentel, in Deutschland gibt es keine solche Begrenzung.
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Ehegattenerbrecht: Die Erbquote des Ehegatten unterscheidet sich deutlich (DE: 1/4 oder 1/2, AT: 1/3 oder 2/3, CH: 50% oder 75%).
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Erbschaftserwerb: In Deutschland und der Schweiz erfolgt er automatisch (Vonselbsterwerb), in Österreich erst durch ein formelles Verfahren (Einantwortung).
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Pflichtteilsrechte: Die Schweiz hat mit der Reform 2023 den Pflichtteil der Eltern abgeschafft und den der Kinder reduziert, was mehr testamentarische Freiheit ermöglicht.
Diese Unterschiede zeigen, wie wichtig es ist, sich mit den spezifischen Regelungen des jeweils anwendbaren Erbrechts vertraut zu machen, um für sich und Ihre Angehörigen die passende Nachlassregelung zu treffen.