Welchen Einfluss hat das gesetzliche Erbrecht auf den Pflichtteil entfernterer Angehöriger?

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Zusammenfassung

Das Pflicht­teils­recht schützt nur enge Angehörige wie Kinder, Ehepartner:innen und Eltern des Erb­lassers, während ent­ferntere Verwandte wie Geschwister oder Enkel nur unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. wenn das eigene Elternteil verstorben ist) berechtigt sind. Der Pflicht­teil beträgt stets die Hälfte des gesetz­lichen Erb­teils und ist ein Geld­anspruch. Eine rechtliche Beratung kann helfen, individuelle Ansprüche oder Gestaltungsmöglichkeiten zu klären.

Die deutsche Gesetz­gebung schützt nahe Familien­mitglieder vor vollständiger Enterbung durch das Pflicht­teils­recht. Während ein Erblasser grund­sätz­lich frei bestimmen kann, wer erben soll, haben bestimmte Personen einen recht­lichen Anspruch auf einen Mindest­anteil am Nachlass. Doch wie verhält es sich bei ent­fern­teren Ange­hörigen? Wer hat Anspruch auf einen Pflicht­teil und wie hoch ist dieser? Dieser Artikel erklärt, welchen Einfluss das gesetz­liche Erb­recht auf den Pflicht­teils­anspruch ent­fern­terer Familien­mit­glieder hat.

Wer zählt zu den pflicht­teils­berechtigten Personen?

Das deutsche Erb­recht beschränkt den Kreis der Pflicht­teils­berechtigten auf die engsten Fami­lien­mit­glieder. Nach § 2303 BGB sind dies:

  • Die Abkömm­linge (Kinder, Enkel, Urenkel) des Erb­lassers
  • Der Ehe­partner oder einge­tragene Lebens­partner
  • Die Eltern des Erb­lassers, aber nur, wenn keine Abkömm­linge vorhanden sind[3][6]

Nicht pflicht­teils­berechtigt sind hingegen:

  • Geschwister
  • Groß­eltern
  • Onkel und Tanten
  • Nichten und Neffen
  • Stief­kinder
  • Nicht verheiratete Lebens­partner:innen[2][6][10]

Der Sonder­fall der ent­fernteren Abkömm­linge

Für ent­ferntere Abkömm­linge wie Enkel­kinder gelten be­son­dere Regeln. Sie sind grund­sätz­lich nur dann pflicht­teils­berechtigt, wenn ihr eigenes Eltern­teil - das vom Erb­lasser direkt ab­stammt - zum Zeit­punkt des Erb­falls nicht mehr lebt oder aus anderen Gründen nicht erben kann[7][9].

§ 2309 BGB: Ausschluss vom Pflicht­teil

Der gesetz­liche Aus­schluss vom Pflicht­teil ist in § 2309 BGB geregelt. Dieser besagt:

“Entferntere Abkömm­linge und die Eltern des Erb­lassers sind insoweit nicht pflicht­teils­berechtigt, als ein Abkömm­ling, der sie im Erbfall aus­schließen würde, den Pflicht­teil verlangen kann oder das ihm Hinter­lassene annimmt.”[1]

Das bedeutet: Wenn Ihr Kind noch lebt und seinen Pflicht­teils­anspruch geltend machen kann oder ein Erbe ange­nommen hat, haben Ihre Enkel­kinder keinen Anspruch auf einen Pflicht­teil.

Wie berechnet sich der Pflicht­teil?

Der Pflicht­teil beträgt immer die Hälfte des gesetz­lichen Erb­teils[2][3][4][5][8]. Um die Höhe zu berechnen, müssen Sie also zuerst fest­stellen, wie hoch der gesetz­liche Erb­teil wäre.

Der gesetz­liche Erb­teil als Grund­lage

Das Bürger­liche Gesetz­buch regelt in § 1924 BGB und folgenden Para­graphen die gesetz­liche Erb­folge. Abhängig vom Verwandt­schafts­grad und der Anzahl der Erben ergeben sich unter­schied­liche Erb­quoten:

  • Ein Kind eines allein­stehenden Erb­lassers: 100% Erb­quote → 50% Pflicht­teil
  • Zwei Kinder eines allein­stehenden Erb­lassers: je 50% Erb­quote → je 25% Pflicht­teil
  • Ehe­partner mit einem Kind: Ehe­partner 50%, Kind 50% → je 25% Pflicht­teil[7]

Beispiele zur Ver­anschaulichung

Beispiel 1: Michael verstirbt und hinter­lässt seine Ehefrau Anna und seinen Sohn Tom.

  • Gesetz­liche Erb­quote: Anna 50%, Tom 50%
  • Pflicht­teils­quote: Anna 25%, Tom 25%
  • Wenn Michael seine Frau zur Allein­erbin ein­gesetzt hätte, stünde Tom ein Pflicht­teil in Höhe von 25% des Nach­lass­wertes zu.

Beispiel 2: Elisabeth verstirbt ohne Testament. Sie hinter­lässt ihren Sohn Max, der vor ihr ver­storben ist. Max hat zwei Kinder, Lisa und Ben.

  • Elisabeths Enkel­kinder Lisa und Ben sind als Ersatz­erben berufen und teilen sich den gesetz­lichen Erb­teil ihres Vaters
  • Gesetz­liche Erb­quote: Lisa 50%, Ben 50%
  • Pflicht­teils­quote: Lisa 25%, Ben 25%

Beispiel 3: Karl verstirbt und hat seinen Sohn Simon enterbt. Simon lebt noch und könnte seinen Pflicht­teil fordern. Simons Tochter Julia ist Karls Enkelin.

  • Julia hat keinen Pflicht­teils­anspruch, solange ihr Vater Simon noch lebt und seinen Pflicht­teil fordern kann[1]

Der Erb­verzicht und seine Folgen für ent­ferntere Abkömm­linge

Hat ein näherer Abkömm­ling (z.B. das Kind des Erb­lassers) einen Erb­verzicht erklärt, kann ein ent­fernterer Abkömm­ling (z.B. das Enkel­kind) in die gesetz­liche Erb- und Pflicht­teils­folge auf­rücken. Der Bundes­gerichts­hof hat in einem Urteil vom 27.6.2012 (IV ZR 239/10) wichtige Hin­weise dazu gegeben[1].

Es ist zu unter­scheiden zwischen:

  • Erb­verzicht: Führt dazu, dass ent­ferntere Abkömm­linge in die Erb­folge ein­rücken können
  • Pflicht­teils­verzicht: Wirkt sich in der Regel nur auf die ver­zich­tende Person aus, nicht auf deren Abkömm­linge, sofern der Verzicht nicht aus­drück­lich auf diese aus­gedehnt wurde[1]

Der Pflicht­teils­anspruch in der Praxis

Durch­setzung des Pflicht­teils

Um Ihren Pflicht­teil einzu­fordern, müssen Sie:

  1. Ihren Anspruch frist­gerecht geltend machen
  2. Von den Erb:innen ein Nach­lass­verzeichnis verlangen
  3. Eine Nach­lass­bewertung durch­führen lassen
  4. Den Pflicht­teil berechnen und fordern[5]

Verjährung beachten

Der Pflicht­teils­anspruch verjährt grund­sätz­lich nach drei Jahren. Die Frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem Sie vom Tod des Erb­lassers und Ihrer Enterbung Kenntnis erlangt haben. Spätestens nach 30 Jahren ab dem Tod des Erb­lassers ist der Anspruch in jedem Fall verjährt[2][3].

Hand­lungs­empfehlungen

Für Erb­lasser:innen

  • Beraten lassen: Ziehen Sie rechtlichen Rat hinzu, wenn Sie Personen enterben möchten
  • Pflicht­teils­verzicht erwägen: Ein notariell be­glaubigter Pflicht­teils­verzicht kann eine Option sein
  • Testament sorg­fältig gestalten: Um Pflicht­teils­ansprüche zu mini­mieren, können Zu­wendungen zu Lebzeiten sinnvoll sein

Für pflicht­teils­berechtigte Personen

  • Prüfen Sie Ihren Anspruch: Klären Sie, ob Sie zum Kreis der Pflicht­teils­berechtigten gehören
  • Frist beachten: Fordern Sie Ihren Pflicht­teil inner­halb der Verjährungs­frist
  • Aus­kunft verlangen: Sie haben das Recht, ein voll­ständiges Nach­lass­verzeichnis zu fordern

Für ent­ferntere Angehörige

  • Verwandt­schafts­grad prüfen: Als Geschwister oder entferntere Verwandte haben Sie keinen Pflicht­teils­anspruch
  • Als Enkel­kind: Prüfen Sie, ob Ihr Eltern­teil, das mit dem Erb­lasser verwandt war, noch lebt
  • Erb­recht klären: Wenn Sie als ent­ferntere:r Ab­kömmling in die gesetz­liche Erb­folge auf­rücken, können Sie auch pflicht­teils­berechtigt sein

Fazit

Das deutsche Erb­recht gewährt nur einem eng be­grenzten Personen­kreis einen Pflicht­teils­anspruch. Ent­ferntere Angehörige wie Enkel oder Eltern des Erb­lassers sind nur unter be­son­deren Umständen pflicht­teils­berechtigt. Der Pflicht­teil beträgt immer die Hälfte des gesetz­lichen Erb­teils und ist ein reiner Geld­anspruch.

Wenn Sie als ent­ferntere:r Ange­hörige:r einen Pflicht­teils­anspruch ver­muten, sollten Sie recht­liche Beratung in Anspruch nehmen, um Ihre persön­liche Situation prüfen zu lassen.