Können Erben die gesetzliche Erbfolge durch Vereinbarungen untereinander umgehen?
Ja, Erb:innen können die gesetzliche Erbfolge durch Vereinbarungen wie einen Erbverzicht, Erbvertrag oder Erbauseinandersetzungsvertrag umgehen. Diese ermöglichen es, die Nachlassverteilung individuell zu regeln, Streitigkeiten zu vermeiden und besondere familiäre oder wirtschaftliche Situationen zu berücksichtigen. Eine notarielle Beurkundung und professionelle Beratung sind dabei oft unerlässlich, um rechtliche und steuerliche Aspekte sicher zu gestalten.
- Die gesetzliche Erbfolge - ein kurzer Überblick
- Erbverzicht - Verzicht auf das künftige Erbe
- Erbvertrag - gemeinsame Nachlassplanung
- Erbauseinandersetzungsvertrag - die Erbengemeinschaft auflösen
- Erbausgleich - Gerechtigkeit unter Geschwistern
- Praktische Beispiele
- Rechtliche und steuerliche Aspekte
- Empfehlungen für verschiedene Situationen
- Zusammenfassung
Die Frage, wie Vermögen nach dem Tod verteilt wird, betrifft viele Familien. Die gesetzliche Erbfolge legt fest, wer erbberechtigt ist, wenn keine andere Regelung getroffen wurde. Doch manchmal möchten Erbenberechtigte von dieser Regelung abweichen. Dieser Artikel erklärt, wie Sie durch Vereinbarungen die gesetzliche Erbfolge anpassen können.
Die gesetzliche Erbfolge - ein kurzer Überblick
Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, wenn keine wirksame Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) vorliegt. Sie ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt und bestimmt, wer in welcher Reihenfolge erbt:
- Erben erster Ordnung: Kinder des Erblassers und deren Nachkommen
- Erben zweiter Ordnung: Eltern des Erblassers und deren Nachkommen (Geschwister)
- Erben dritter Ordnung: Großeltern und deren Nachkommen
Der Ehepartner oder die Ehepartnerin hat ein gesondertes Erbrecht neben den Verwandten. Ohne Testament wird der Nachlass nach diesen Regeln verteilt - oft nicht im Sinne aller Beteiligten.[5]
Erbverzicht - Verzicht auf das künftige Erbe
Was ist ein Erbverzicht?
Ein Erbverzicht ist eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem künftigen Erblasser und einem gesetzlichen Erben. Der potenzielle Erbe verzichtet dabei auf sein gesetzliches Erbrecht. Der Verzicht erfolgt zu Lebzeiten des Erblassers und unterscheidet sich damit von der Erbausschlagung, die erst nach dem Tod des Erblassers erklärt werden kann.[1][6]
Wann ist ein Erbverzicht sinnvoll?
Ein Erbverzicht kann in verschiedenen Situationen sinnvoll sein:
- Wenn Sie als Erblasser Ihr Vermögen gezielt bestimmten Personen zukommen lassen möchten
- Bei Unternehmensnachfolgen, um den Betrieb ungeteilt zu erhalten
- Wenn ein Erbe bereits zu Lebzeiten eine finanzielle Zuwendung erhalten hat
- Um Pflichtteilsansprüche auszuschließen und spätere Streitigkeiten zu vermeiden[1][10]
Wie wird ein Erbverzicht rechtswirksam?
Für einen rechtswirksamen Erbverzicht gelten strenge Formvorschriften:
- Er muss notariell beurkundet werden
- Beide Parteien (Erblasser und Verzichtender) müssen zustimmen
- Der Erblasser muss persönlich anwesend sein und unbeschränkt geschäftsfähig sein
- Der Verzichtende kann sich vertreten lassen[1][6]
Welche Folgen hat ein Erbverzicht?
Der Verzichtende wird so behandelt, als wäre er zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr am Leben. Das bedeutet:
Erbvertrag - gemeinsame Nachlassplanung
Was ist ein Erbvertrag?
Ein Erbvertrag ist eine verbindliche Regelung über die künftige Erbfolge. Im Gegensatz zum Testament, das einseitig und jederzeit änderbar ist, bindet der Erbvertrag beide Vertragsparteien.[2]
Voraussetzungen für einen Erbvertrag
- Notarielle Beurkundung ist zwingend erforderlich
- Gleichzeitige Anwesenheit aller Vertragsparteien
- Der Erblasser muss unbeschränkt geschäftsfähig sein und persönlich handeln[2]
Anwendungsbereiche
Der Erbvertrag eignet sich besonders für:
- Nichteheliche Lebenspartnerschaften, da gemeinschaftliche Testamente nur Eheleuten vorbehalten sind
- Regelungen mit Gegenleistungen (z.B. Pflege gegen Erbeinsetzung)
- Verbindliche Nachlassplanung, die nicht einseitig geändert werden kann[2]
Erbauseinandersetzungsvertrag - die Erbengemeinschaft auflösen
Was regelt ein Erbauseinandersetzungsvertrag?
Ein Erbauseinandersetzungsvertrag ist eine Vereinbarung zwischen allen Miterben über die Verteilung des Nachlasses. Er dient dazu, die Erbengemeinschaft aufzulösen, die automatisch entsteht, wenn mehrere Personen erben.[4][15]
Wann kommt er zur Anwendung?
- Nach Eintritt des Erbfalls, wenn mehrere Erben vorhanden sind
- Wenn die Erbengemeinschaft aufgelöst werden soll
- Bei Uneinigkeit über die Verwaltung oder Aufteilung des Nachlasses[4][15]
Inhalt und Form
- Regelungen zur Verteilung aller Nachlassgegenstände
- Klare Zuordnung von Vermögenswerten zu bestimmten Erben
- Ausgleichszahlungen bei ungleicher Verteilung
- Keine strenge Formvorschrift, aber schriftliche Dokumentation ist empfehlenswert
- Bei Immobilien ist die notarielle Beurkundung notwendig[4][11][15]
Erbausgleich - Gerechtigkeit unter Geschwistern
Was bedeutet Erbausgleich?
Der Erbausgleich soll Gerechtigkeit unter Geschwistern herstellen, wenn der Erblasser zu Lebzeiten einem Kind mehr zugewendet hat als anderen. Diese Ausgleichungspflicht entsteht erst mit dem Erbfall und betrifft nur Zuwendungen, die über das übliche Maß hinausgehen.[7][9]
Wann besteht eine Ausgleichungspflicht?
- Bei größeren finanziellen Zuwendungen an ein Kind
- Bei Ausbildungskosten, die das übliche Maß übersteigen
- Bei Ausstattungen (z.B. Unterstützung bei Hausbauten)
- Bei besonderen Leistungen eines Kindes (z.B. Pflege, Mitarbeit im Familienbetrieb)[7][9]
Der vorzeitige Erbausgleich
Ein vorzeitiger Erbausgleich ermöglicht es, bereits zu Lebzeiten Teile des Vermögens an die künftigen Erben zu übertragen und dabei festzulegen, wie diese Zuwendungen bei der späteren Erbschaft berücksichtigt werden sollen.[8]
Vorteile des vorzeitigen Erbausgleichs:
- Vermeidung späterer Streitigkeiten
- Klare Verhältnisse zu Lebzeiten
- Nutzung steuerlicher Freibeträge
- Einbeziehung aller Erben in die Entscheidungen[8]
Praktische Beispiele
Beispiel 1: Erbverzicht bei Unternehmensnachfolge
Familie Müller betreibt ein mittelständisches Unternehmen. Tochter Lisa arbeitet bereits im Betrieb mit, während Sohn Max eine künstlerische Laufbahn eingeschlagen hat. Die Eltern möchten das Unternehmen ungeteilt an Lisa übergeben. Max verzichtet gegen eine Abfindung auf seinen Erbteil und Pflichtteil bezüglich des Unternehmens.
In diesem Fall sichert der Erbverzicht die ungeteilte Unternehmensnachfolge und verhindert später mögliche Pflichtteilsansprüche, die das Unternehmen belasten könnten.
Beispiel 2: Erbauseinandersetzungsvertrag bei Immobilienerbe
Nach dem Tod der Eltern erben die drei Geschwister Schmidt gemeinsam ein Einfamilienhaus. Schwester Anna möchte dort einziehen, die Brüder haben kein Interesse. Im Erbauseinandersetzungsvertrag vereinbaren sie, dass Anna das Haus erhält und ihre Brüder mit Geld auszahlt.
Der Vertrag löst die Erbengemeinschaft auf und schafft klare Verhältnisse. Ohne ihn müssten alle Erben gemeinsam über die Immobilie entscheiden.
Beispiel 3: Ausgleichungspflicht bei früheren Zuwendungen
Vater Weber hat seinem Sohn Jan 80.000 Euro für den Hauskauf geschenkt. Seiner Tochter Paula hat er keine vergleichbare Summe zukommen lassen. Nach seinem Tod entsteht eine Ausgleichungspflicht, sofern der Vater nichts anderes bestimmt hat.
Bei der Erbauseinandersetzung muss Jan sich die 80.000 Euro auf seinen Erbteil anrechnen lassen, wodurch Paula verhältnismäßig mehr vom restlichen Nachlass erhält.
Rechtliche und steuerliche Aspekte
Empfehlungen für verschiedene Situationen
Für Erblasser:innen
- Frühzeitig planen: Sprechen Sie offen mit Ihren Angehörigen über Ihre Vorstellungen
- Fachliche Beratung einholen: Lassen Sie sich von Notar:innen oder Fachanwält:innen für Erbrecht beraten
- Alle Beteiligten einbeziehen: So vermeiden Sie spätere Konflikte
- Schriftliche Dokumentation: Halten Sie alle Vereinbarungen und deren Zweck schriftlich fest[8]
Für Erb:innen
- Rechtliche Folgen abwägen: Ein Erbverzicht ist unwiderruflich
- Angemessene Abfindung aushandeln: Bei einem Erbverzicht sollte die Abfindung dem Wert des Erbteils entsprechen
- Steuerliche Beratung einholen: Besonders bei größeren Vermögen wichtig
- Klar kommunizieren: Offene Gespräche können spätere Streitigkeiten vermeiden[10]
Zusammenfassung
Die gesetzliche Erbfolge kann durch verschiedene Vereinbarungen angepasst oder umgangen werden:
- Erbverzicht: Verzicht auf das künftige Erbe zu Lebzeiten des Erblassers
- Erbvertrag: Verbindliche vertragliche Regelung der Erbfolge
- Erbauseinandersetzungsvertrag: Aufteilung des Nachlasses unter mehreren Erben
- Erbausgleich: Berücksichtigung früherer Zuwendungen bei der Erbverteilung
Alle diese Instrumente erfordern sorgfältige Planung und meist professionelle Beratung. Sie bieten jedoch die Chance, den Nachlass nach den individuellen Wünschen und Bedürfnissen zu gestalten und Streitigkeiten unter Erb:innen zu vermeiden.[1][2][4][7]
Mit gut durchdachten Vereinbarungen können Sie sicherstellen, dass Ihr Nachlass so verteilt wird, wie Sie es sich wünschen, und gleichzeitig die familiären Beziehungen schützen. Handeln Sie rechtzeitig - klare Regelungen zu Lebzeiten schaffen Sicherheit für alle Beteiligten.