Welche Vor- und Nachteile hat ein Behindertentestament oder ein Behinderten-Vermächtnis?

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Zusammenfassung

Ein Behindertentestament schützt das Erbe eines Menschen mit Behinderung davor, vollständig für Sozialleistungen aufgebraucht zu werden, und sichert ihm zusätzliche finanzielle Mittel für einen besseren Lebensstandard. Die Vor- und Nacherbenlösung bietet rechtliche Sicherheit, während die Vermächtnislösung flexibler ist, aber rechtlich weniger etabliert. Fachkundige Beratung ist entscheidend, um die komplexen Regelungen korrekt umzusetzen und die Versorgung langfristig zu gewährleisten.

Ein Behindertentestament ermöglicht es Eltern und Angehörigen, für Menschen mit Behin­derung auch über den eigenen Tod hinaus finanziell vorzusorgen. Ohne diese besondere testamentarische Regelung würde ein geerbtes Vermögen meist vollständig für Sozial­leistungen aufgebraucht werden. Dieser Artikel erklärt, welche Vorteile ein Behin­derten­testament bietet, welche Nachteile zu beachten sind und wie Sie zwischen den verschiedenen Gestaltungs­möglichkeiten auswählen können.

Was ist ein Behindertentestament?

Ein Behindertentestament ist eine spezielle Form des Testaments, bei der mindestens ein:e Erb:in eine Behinderung hat[1][10]. Der Kern­gedanke: Das ererbte Vermögen soll dem Menschen mit Behinderung tatsächlich zugutekommen, statt für Sozial­leistungen oder Eingliederungs­hilfe aufgebraucht zu werden[1].

Die Rechtsprechung erkennt Behinderten­testamente grundsätzlich an[3]. Sie gelten als rechtlich zulässig und nicht sitten­widrig, wenn sie rechtzeitig und korrekt gestaltet werden.

Warum ist ein Behindertentestament notwendig?

Ohne ein Behinderten­testament entsteht folgendes Problem: Menschen mit Behinderung, die Sozial­leistungen oder Eingliederungs­hilfe beziehen, müssen zunächst ihr eigenes Vermögen einsetzen, bevor der Staat für Kosten aufkommt[1][4]. Dies bedeutet:

  • Erbt ein Mensch mit Behinderung Vermögen, muss er dieses zunächst für Pflege, Heim­kosten oder andere Unter­stützungs­leistungen verwenden[1][7]
  • Erst wenn das Erbe aufgebraucht ist, zahlen die Träger der Sozial­hilfe wieder[8]
  • Der Mensch mit Behinderung hätte somit keinen tatsächlichen Vorteil durch das Erbe[1]

Beispiel: Die Eltern von Tim, der eine geistige Behinderung hat und in einer betreuten Wohn­einrichtung lebt, versterben und hinterlassen ihm 50.000 Euro. Ohne Behinderten­testament müsste Tim diese 50.000 Euro für seine Unter­bringung und Betreuung einsetzen, bis das Vermögen aufgebraucht ist. Danach würde der Sozial­hilfe­träger die Kosten wieder übernehmen - als hätte Tim nie geerbt.

Die zwei Grundformen des Behinderten­testaments

Es gibt zwei Haupt­gestaltungs­formen des Behinderten­testaments, die jeweils ihre eigenen Vorzüge und Nach­teile haben:

1. Die Vor- und Nacherben­lösung

Dies ist die klassische und am häufigsten verwendete Form[5][6]. Hierbei:

  • Wird der Mensch mit Behinderung als Vorerbe eingesetzt[5]
  • Das Erbe wird unter lebens­lange Testaments­vollstreckung gestellt[4][5]
  • Nach dem Tod des Vorerben geht das Vermögen an festgelegte Nach­erben über (z.B. Geschwister)[5][6]

Der Bundes­gerichtshof hat diese Lösung bereits 1990 als rechtmäßig bestätigt[5].

2. Die Vermächtnis­lösung

Bei dieser Alternative:

  • Wird der Mensch mit Behinderung nicht Erbe, sondern Vermächtnis­nehmer[5][6]
  • Das Vermächtnis wird als Vor- und Nach­vermächtnis ausgestaltet[5][6]
  • Ebenfalls wird eine Testaments­vollstreckung angeordnet[5][6]

Vorteile des Behinderten­testaments

Ein richtig gestaltetes Behinderten­testament bietet zahlreiche Vorteile:

Finanzielle Vorteile für den Menschen mit Behinderung

  • Erhalt des Anspruchs auf staat­liche Leistungen: Der Mensch mit Behinderung kann weiterhin Sozial­leistungen beziehen, obwohl er geerbt hat[1][12]
  • Verbesserung des Lebens­standards: Mit dem ererbten Vermögen können zusätzliche Ausgaben finanziert werden, die über das hinaus­gehen, was die Sozial­hilfe abdeckt[7][11]
  • Persönliche Wünsche erfüllen: Das Erbe kann für Hobbys, Urlaubs­reisen, nicht erstattungs­fähige Therapien oder Hilfs­mittel verwendet werden[7]
  • Keine Beschränkung auf Taschen­geld: Menschen mit Behinderung müssen nicht von Taschen­geld­zahlungen des Sozial­amtes leben (2023 unter 150 Euro pro Monat)[7]

Vorteile für die gesamte Familie

  • Erhalt des Familien­vermögens: Das Vermögen bleibt in der Familie und fällt nicht an den Sozial­hilfe­träger[11][12]
  • Vermeidung von Konflikten: Es entstehen keine Aus­einander­setzungen mit dem Sozial­hilfe­träger um den Pflicht­teil des Kindes mit Behinderung[7]
  • Klare Regelung für die Zukunft: Die Versorgung des Menschen mit Behinderung ist auch nach dem Tod der Eltern sicher­gestellt[7]
  • Entlastung des über­lebenden Ehe­partners: Die finanziellen Belastungen des über­lebenden Ehe­gatten werden verringert[7]

Nachteile und Heraus­forderungen

Trotz der vielen Vorteile gibt es auch einige Heraus­forderungen und potenzielle Nach­teile:

Komplexität und Kosten

  • Rechtlich anspruchs­volle Gestaltung: Die Erstellung eines Behinderten­testaments ist juristisch komplex und sollte durch Fach­anwält:innen für Erbrecht oder Notär:innen erfolgen[4][12]
  • Kosten für Rechts­beratung: Eine anwaltliche Erst­beratung kostet bereits rund 226 Euro zuzüglich Mehrwert­steuer[4]
  • Notwendige Testaments­vollstreckung: Die lebenslange Testaments­vollstreckung verursacht zusätzliche Kosten[4]

Rechtliche Unsicherheiten bei der Vermächtnis­lösung

  • Fehlende höchst­richterliche Recht­sprechung: Bei der Vermächtnis­lösung gibt es bisher keine end­gültige höchst­richterliche Bestätigung[2][6]
  • Rang­verhältnis der Ansprüche: Mögliche Probleme beim Rang­verhältnis zwischen Kosten­ersatz­pflicht des Erben und dem schuld­rechtlichen Anspruch des Nach­vermächtnis­nehmers[2]

Praktische Heraus­forderungen

  • Auswahl eines geeigneten Testaments­vollstreckers: Diese Person muss vertrauens­würdig sein und die Interessen des Menschen mit Behinderung vertreten können
  • Mögliche Interessen­konflikte: Zwischen den Bedürfnissen verschiedener Erben können Spannungen entstehen[3]
  • Einschränkung der Verfügungs­gewalt: Der Vorerbe kann nur bedingt über das Erbe verfügen[12]

Vergleich: Vor- und Nacherben­lösung vs. Vermächtnis­lösung

Um Ihnen die Entscheidung zwischen den beiden Gestaltungs­formen zu erleichtern, hier ein direkter Vergleich:

Vor- und Nacherben­lösung

Vorteile:

  • Rechtlich sicherer durch höchst­richterliche Bestätigung[5]
  • Etablierte Praxis mit umfangreicher Erfahrung
  • Funktioniert auch bei kleineren bis mittleren Nachlässen[6]

Nachteile:

  • Der Mensch mit Behinderung wird Mit­erbe und Teil einer Erben­gemeinschaft[5]
  • Mögliche Komplexität bei der Auseinander­setzung der Erben­gemeinschaft

Vermächtnis­lösung

Vorteile:

  • Vermeidet die Bildung einer Erben­gemeinschaft[5]
  • Besonders geeignet bei Unternehmens­nachfolgen[6]
  • Erbe und Vermächtnis können getrennt behandelt werden

Nachteile:

  • Weniger rechtliche Sicherheit mangels höchst­richterlicher Bestätigung[2][6]
  • Komplexere rechtliche Konstruktion
  • Mögliche Probleme beim Rang­verhältnis verschiedener Ansprüche[2]

Praktische Empfehlungen

Basierend auf den Erkenntnissen aus den Quellen, hier einige praktische Tipps für Ihre Planung:

Checkliste für Ihr Behinderten­testament

  1. Offene Motivlage klären: Überlegen Sie genau, welche Ziele Sie mit dem Testament verfolgen - neben der Absicherung des Kindes mit Behinderung auch die Versorgung des Ehe­partners und weiterer Kinder[3]

  2. Nicht enterben: Eine Enterbung des Kindes mit Behinderung ist keine Lösung, da ihm dann immer noch der Pflicht­teil zusteht, auf den der Sozial­hilfe­träger zugreifen kann[4]

  3. Testaments­vollstreckung anordnen: Eine lebens­lange Testaments­vollstreckung ist entscheidend, um das Vermögen zu schützen und richtig zu verwalten[4]

  4. Geeignete Gestaltungs­form wählen: Entscheiden Sie zwischen Vor-/Nacherben­lösung und Vermächtnis­lösung je nach Ihrer familiären und vermögens­mäßigen Situation[5][6]

  5. Fach­kundige Beratung einholen: Die Gestaltung eines Behinderten­testaments gehört in die Hände von Expert:innen für Erbrecht[4]

  6. Testaments­vollstrecker sorgfältig auswählen: Diese Person trägt große Verantwortung für die Verwaltung des Vermögens im Sinne des Menschen mit Behinderung

Fazit

Ein Behinderten­testament bietet für Familien mit Angehörigen mit Behinderung eine wert­volle Möglichkeit, deren finanzielle Zukunft abzusichern. Es verhindert, dass das Erbe komplett für Sozial­leistungen aufgebraucht wird, und ermöglicht dem Menschen mit Behinderung einen höheren Lebens­standard.

Trotz der Komplexität und der Kosten für die rechtliche Beratung überwiegen die Vorteile deutlich. Besonders die klassische Vor- und Nacherben­lösung hat sich in der Praxis bewährt und bietet rechtliche Sicherheit.

Nehmen Sie sich Zeit für eine gründliche Planung und holen Sie fach­kundige Beratung ein. Mit einem gut gestalteten Behinderten­testament können Sie sicher­stellen, dass Ihr Kind mit Behinderung auch nach Ihrem Tod gut versorgt ist und tatsächlich von seinem Erbe profitieren kann.