Wer hat das Recht, das Testament nach dem Tod einzusehen?
Das Recht, ein Testament nach dem Tod einzusehen, haben testamentarisch eingesetzte Erb:innen, gesetzliche Erb:innen, Vermächtnisnehmer:innen und andere Begünstigte sowie Personen mit einem rechtlichen Interesse, wie Gläubiger:innen oder enterbte Angehörige. Die Einsicht erfolgt über das Nachlassgericht, das den Inhalt des Testaments im Rahmen der Testamentseröffnung offenlegt. Einschränkungen bestehen, wenn schutzwürdige Interessen Dritter betroffen sind oder nur bestimmte Teile des Testaments relevant sind.
- Der Weg des Testaments zum Nachlassgericht
- Die Testamentseröffnung durch das Nachlassgericht
- Wer erhält automatisch Einblick in das Testament?
- Einsichtsrecht für enterbte Angehörige
- Weitere Personen mit Einsichtsrecht
- Grenzen des Einsichtsrechts
- Praktische Tipps: So erhalten Sie Zugang zum Testament
- Besondere Fälle und höchstrichterliche Entscheidungen
- Fristen beachten: Ausschlagung der Erbschaft
- Fazit: Transparenz im Erbfall
Ein Testament gibt Aufschluss darüber, wie das Vermögen einer verstorbenen Person verteilt werden soll. Doch wer darf dieses wichtige Dokument nach dem Tod einsehen? Diese Frage beschäftigt viele Angehörige und potenziell Erbberechtigte in einer ohnehin emotional belastenden Zeit. Nicht jede Person hat automatisch das Recht, in ein Testament Einblick zu nehmen. Die gesetzlichen Regelungen definieren genau, wer unter welchen Umständen Zugang zu diesen vertraulichen Informationen erhält.
Der Weg des Testaments zum Nachlassgericht
Nach dem Tod einer Person muss ihr Testament dem Nachlassgericht vorgelegt werden. Dieses Gericht ist eine spezielle Abteilung des Amtsgerichts am letzten Wohnsitz der verstorbenen Person (in Baden-Württemberg übernimmt das Notariat diese Aufgabe)[6]. Hier unterscheidet man zwei verschiedene Szenarien:
Amtlich verwahrte Testamente
Wurde das Testament bereits zu Lebzeiten amtlich verwahrt, erfolgt die sogenannte Testamentseröffnung automatisch. Das Nachlassgericht wird nach Kenntnisnahme vom Todesfall tätig, ohne dass ein gesonderter Antrag gestellt werden muss[12].
Private Testamente
Finden Angehörige ein privates Testament, beispielsweise in der Wohnung der verstorbenen Person, besteht nach § 2259 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Pflicht, dieses Dokument unverzüglich beim Nachlassgericht einzureichen[12]. Wichtig: Wer dieser Ablieferungspflicht nicht nachkommt, macht sich strafbar (Urkundenunterdrückung)[4].
Die Testamentseröffnung durch das Nachlassgericht
Die Testamentseröffnung ist ein formeller Vorgang, bei dem der Inhalt des Testaments offiziell bekannt gemacht wird. Dies geschieht in der Regel auf einem von zwei Wegen:
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Schriftliche Benachrichtigung: In den meisten Fällen öffnet ein zuständiger Rechtspfleger das Testament und informiert alle Beteiligten per Brief. Diesem Schreiben wird eine Kopie des Testaments beigelegt[6].
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Eröffnungstermin: In selteneren Fällen lädt das Nachlassgericht zu einem Eröffnungstermin ein, bei dem der Inhalt des Testaments mündlich mitgeteilt wird. Auf Verlangen eines Beteiligten kann das Testament auch persönlich vorgelegt werden[1][5].
Der gesamte Vorgang dauert in der Regel etwa einen Monat, kann in seltenen Fällen aber auch bis zu einem halben Jahr in Anspruch nehmen[6].
Wer erhält automatisch Einblick in das Testament?
Folgende Personengruppen werden vom Nachlassgericht aktiv über den Testamentsinhalt informiert:
Testamentarisch eingesetzte Erb:innen
Personen, die im Testament als Erb:innen benannt sind, erhalten automatisch ein Eröffnungsprotokoll mit einer Kopie des Testaments[1]. Dies gilt auch für Personen, die als Ersatzerb:innen benannt wurden.
Gesetzliche Erb:innen
Auch wenn sie durch das Testament von der Erbschaft ausgeschlossen sein sollten, werden die gesetzlichen Erb:innen (nahe Verwandte wie Kinder, Ehepartner:innen oder Eltern) über den Inhalt des Testaments informiert[1]. Dies ist wichtig, damit sie ihre rechtlichen Möglichkeiten (wie etwa Pflichtteilsansprüche) prüfen können.
Vermächtnisnehmer:innen und sonstige Begünstigte
Personen, denen im Testament bestimmte Vermögensgegenstände zugedacht wurden (Vermächtnis), sowie andere im Testament Begünstigte erhalten ebenfalls Nachricht vom Nachlassgericht[1][4].
Testamentsvollstrecker:innen
Falls im Testament eine Person als Testamentsvollstrecker:in benannt wurde, erhält auch diese Kenntnis vom Testamentsinhalt, um ihre Aufgabe wahrnehmen zu können.
Einsichtsrecht für enterbte Angehörige
Ein wichtiger Punkt, der durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt wurde: Auch enterbte Angehörige haben ein Recht auf Einsichtnahme in das Testament[2][3]. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 20. Juli 2020 klargestellt, dass mit dem Tod das Interesse des Erblassers an der Geheimhaltung seines letzten Willens gegenüber den gesetzlichen Erb:innen entfällt[2].
Dies gilt nicht nur für die Einsichtnahme in die beim Nachlassgericht geführte Akte, sondern auch für die beim Notar hinterlegte beglaubigte Abschrift, wenn ein notarielles Testament vorliegt[3].
Weitere Personen mit Einsichtsrecht
Grundsätzlich gilt: Jede Person, die ein rechtliches Interesse glaubhaft machen kann, darf das Testament einsehen[5][6][11]. Ein rechtliches Interesse liegt vor, wenn die Person:
- eigene Rechte am Nachlass geltend machen möchte
- Pflichtteilsansprüche prüfen will
- als Gläubiger:in der verstorbenen Person Forderungen hat
- Zweifel an der Echtheit des Testaments hegt (z.B. bei Verdacht auf Fälschung oder Manipulation)[3][5]
Das bloße Interesse aus Neugier reicht hingegen nicht aus.
Grenzen des Einsichtsrechts
Das Einsichtsrecht ist nicht unbegrenzt. Es unterliegt bestimmten Einschränkungen:
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Schutzwürdige Interessen Dritter: Die Einsicht ist nur insoweit möglich, als schutzwürdige Interessen aller anderen Beteiligten oder Dritter gewahrt bleiben[5].
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Beschränkung auf relevante Teile: In manchen Fällen gewährt das Nachlassgericht nur Einsicht in die Teile des Testaments, die die anfragende Person direkt betreffen. Beispiel: Eine Person, die nur mit einem Geldbetrag bedacht wurde, erhält möglicherweise nur Einsicht in die entsprechende Vermächtnisanordnung, nicht aber in weitere Verfügungen des Testaments[5].
Praktische Tipps: So erhalten Sie Zugang zum Testament
Wenn Sie Zugang zum Testament einer verstorbenen Person erhalten möchten, gehen Sie wie folgt vor:
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Kontakt zum Nachlassgericht aufnehmen: Wenden Sie sich an das Nachlassgericht am letzten Wohnsitz der verstorbenen Person.
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Rechtliches Interesse darlegen: Erklären Sie schriftlich, warum Sie ein rechtliches Interesse an der Einsicht haben.
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Nachweis der Identität: Legen Sie Ihren Personalausweis vor und bei Bedarf Dokumente, die Ihre Beziehung zur verstorbenen Person belegen (z.B. Geburtsurkunde bei Verwandtschaft).
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Bei notariellen Testamenten: Falls das Testament notariell beurkundet wurde und Sie Einsicht in die beim Notar verbliebene Abschrift wünschen, können Sie einen Antrag auf Entbindung des Notars von der Schweigepflicht stellen[2][3].
Besondere Fälle und höchstrichterliche Entscheidungen
In Zweifelsfällen haben Gerichte wichtige Klarstellungen getroffen:
Einsicht bei Verdacht auf Manipulation
Der BGH hat entschieden, dass enterbte Angehörige ein Recht auf Einsicht in notarielle Testamentsabschriften haben, wenn sie vermuten, dass das Original manipuliert wurde. In einem Fall hatte ein enterbter Sohn angegeben, es gebe Anzeichen dafür, dass Seiten des Originals ausgetauscht worden seien[3].
Einsicht in gemeinschaftliche Testamente
Bei gemeinschaftlichen Testamenten von Eheleuten oder eingetragenen Lebenspartner:innen gelten besondere Regeln für die Einsichtnahme. Hier kann die Einsicht in bestimmte Verfügungen unter Umständen erst nach dem Tod beider Partner:innen möglich sein[1].
Fristen beachten: Ausschlagung der Erbschaft
Mit der Testamentseröffnung beginnt eine wichtige Frist zu laufen: Ab diesem Zeitpunkt haben Erb:innen sechs Wochen Zeit, die Erbschaft auszuschlagen[4][9]. Diese Möglichkeit sollten Sie in Betracht ziehen, wenn der Nachlass überschuldet ist, also die geerbten Schulden und Verbindlichkeiten höher sind als die Vermögenswerte[9].
Fazit: Transparenz im Erbfall
Die deutsche Rechtsordnung stellt sicher, dass alle Personen, die ein berechtigtes Interesse haben, Einblick in den letzten Willen eines Menschen erhalten können. Dies dient der Transparenz und ermöglicht es den Betroffenen, ihre Rechte wahrzunehmen. Gleichzeitig wird durch die Einschränkungen des Einsichtsrechts ein angemessener Ausgleich zwischen Transparenzinteressen und Persönlichkeitsschutz geschaffen.
Wenn Sie unsicher sind, ob Sie ein Recht auf Einsicht in ein Testament haben, empfiehlt sich die Beratung durch eine:n Fachanwält:in für Erbrecht.