Welche Folgen hat es, wenn das Testament erst spät nach dem Tod gefunden wird?
Wird ein Testament erst nach der vorläufigen Erbregelung durch die gesetzliche Erbfolge gefunden, hat dies rechtliche Konsequenzen: Die testamentarische Erbfolge hat Vorrang, und bereits ausgestellte Erbscheine werden ungültig. Der tatsächliche Erbe kann den Nachlass vom Scheinerben zurückfordern, was oft zu Streitigkeiten führt. Um solche Probleme zu vermeiden, sollten Testamente sicher aufbewahrt und rechtzeitig beim Nachlassgericht abgeliefert werden.
- Die gesetzliche Erbfolge als vorläufige Regelung
- Rechtliche Folgen eines später gefundenen Testaments
- Ansprüche des tatsächlichen Erben gegenüber dem Scheinerben
- Probleme und Streitigkeiten bei später gefundenen Testamenten
- Pflicht zur Ablieferung von Testamenten
- Praktische Schritte bei Auffinden eines Testaments nach Erbscheinerteilung
- Vorbeugende Maßnahmen
- Fazit: Handlungssicherheit im Erbfall
Das spätere Auffinden eines Testaments kann erhebliche rechtliche Konsequenzen haben und Erbschaftsangelegenheiten komplizieren. Wenn Sie als Angehörige:r mit diesem Szenario konfrontiert sind, ist es wichtig, die rechtlichen Zusammenhänge zu verstehen. Dieser Artikel erklärt, was passiert, wenn ein Testament erst nach der vorläufigen Regelung durch die gesetzliche Erbfolge entdeckt wird.
Die gesetzliche Erbfolge als vorläufige Regelung
Wird nach dem Tod einer Person zunächst kein Testament gefunden, greift automatisch die gesetzliche Erbfolge. Diese ist in den §§ 1924 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) festgelegt[3]. Die gesetzliche Erbfolge bestimmt, wer in welcher Reihenfolge und mit welchem Anteil erbt:
- Erben erster Ordnung: Kinder (eheliche und nicht eheliche) der verstorbenen Person[3]
- Erben zweiter Ordnung: Eltern der verstorbenen Person und deren Nachkommen[4]
- Erben dritter und weiterer Ordnungen: Großeltern und deren Nachkommen, Urgroßeltern usw.[4]
Daneben hat der:die überlebende Ehepartner:in oder eingetragene Lebenspartner:in ein eigenes gesetzliches Erbrecht[3].
Wichtig: Die Angehörigen einer vorhergehenden Ordnung schließen alle Verwandten der späteren Ordnungen aus. Leben also zum Zeitpunkt des Erbfalls Kinder der verstorbenen Person, sind deren Eltern von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen[4].
Rechtliche Folgen eines später gefundenen Testaments
Taucht ein wirksames Testament erst nachträglich auf, ändert sich die rechtliche Situation grundlegend:
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Vorrang der testamentarischen Erbfolge: Ein Testament hat grundsätzlich Vorrang vor der gesetzlichen Erbfolge[7]. Sobald ein wirksames Testament vorliegt, gilt die darin festgelegte Erbfolge.
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Erbschein wird unrichtig: Wurde bereits ein Erbschein auf Basis der gesetzlichen Erbfolge ausgestellt, wird dieser durch das Auffinden eines gültigen Testaments unrichtig[6].
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Entstehung eines Scheinerben: Die Person, die zunächst durch die gesetzliche Erbfolge zum Erben wurde, aber laut Testament nicht erben sollte, wird zum sogenannten “Scheinerben” und besitzt den Nachlass nun unrechtmäßig[1].
Ansprüche des tatsächlichen Erben gegenüber dem Scheinerben
Der im nachträglich gefundenen Testament eingesetzte, tatsächliche Erbe hat mehrere rechtliche Möglichkeiten:
- Erbschaftsanspruch nach § 2018 BGB: Herausgabe des Nachlasses vom Scheinerben[1][5]
- Auskunftsanspruch nach § 2362 Abs. 2 BGB: Information über den Bestand der Erbschaft und den Verbleib von Nachlassgegenständen[6]
- Anspruch auf Herausgabe des unrichtigen Erbscheins an das Nachlassgericht gemäß § 2362 Abs. 1 BGB[6]
Beispiel: Eine verwitwete Frau verstirbt. Ihre beiden Kinder erben nach gesetzlicher Erbfolge und erhalten einen Erbschein. Später findet die Nachbarin ein Testament, in dem die Verstorbene ihre Enkelin als Alleinerbin eingesetzt hat. Die Enkelin kann nun die Herausgabe des Nachlasses und Auskunft über bereits verkaufte Gegenstände verlangen.
Probleme und Streitigkeiten bei später gefundenen Testamenten
Häufig entstehen in solchen Situationen Konflikte:
- Anzweiflung der Echtheit: Die Echtheit des später gefundenen Testaments wird oft angezweifelt, besonders bei handschriftlichen Testamenten[5]
- Bereits verkaufte Nachlassgegenstände: Was passiert, wenn der Scheinerbe bereits Nachlassgegenstände verkauft hat?
- Gutgläubiger Dritterwerb: Bei gutgläubigem Erwerb durch Dritte muss der Erlös an den wahren Erben herausgegeben werden[1]
In diesen Fällen kann ein Erbschaftsstreit vor Gericht landen, was zu langwierigen und kostenintensiven Verfahren führen kann[5].
Pflicht zur Ablieferung von Testamenten
Um solche Komplikationen zu vermeiden, besteht eine gesetzliche Pflicht:
Jede Person, die ein Testament findet, muss dieses unverzüglich beim Nachlassgericht abliefern, sobald sie vom Tod der testierenden Person erfährt[2]. Diese Verpflichtung gilt auch für Personen, die ein Testament verwahren.
Bei Nichteinhaltung dieser Pflicht drohen ernsthafte Konsequenzen:
- Das Nachlassgericht kann eine Ablieferungsanordnung erlassen
- Bei Nichtbefolgung drohen Zwangsgeld oder sogar die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch Gerichtsvollzieher:innen oder die Polizei[2]
- Mögliche Schadenersatzansprüche der rechtmäßigen Erb:innen
Praktische Schritte bei Auffinden eines Testaments nach Erbscheinerteilung
Wenn Sie ein Testament nach bereits erfolgter Erbfolge finden:
- Sofortige Ablieferung beim zuständigen Nachlassgericht
- Information an möglicherweise im Testament begünstigte Personen
- Einziehung des unrichtigen Erbscheins: Das Nachlassgericht muss von Amts wegen den unrichtigen Erbschein einziehen, kann dies aber auch auf Anregung des wahren Erben tun[6]
- Erteilung eines neuen Erbscheins gemäß dem Testament
Vorbeugende Maßnahmen
Um solche Situationen zu vermeiden, können Sie bereits zu Lebzeiten Vorkehrungen treffen:
- Notarielles Testament errichten lassen: Wird automatisch in amtliche Verwahrung genommen
- Hinterlegung eines privatschriftlichen Testaments bei einem Amtsgericht
- Information von Vertrauenspersonen über den Aufbewahrungsort des Testaments
- Vermerk in wichtigen persönlichen Unterlagen, wo sich das Testament befindet
Fazit: Handlungssicherheit im Erbfall
Ein später gefundenes Testament kann erhebliche rechtliche Komplikationen nach sich ziehen. Für alle Beteiligten - sowohl die zunächst eingesetzten als auch die testamentarisch bestimmten Erb:innen - entstehen dadurch Unsicherheiten und mögliche finanzielle Nachteile.
Für Erblasser:innen ist es daher ratsam, für eine sichere Aufbewahrung des Testaments zu sorgen und Angehörige über dessen Existenz zu informieren.
Für Angehörige gilt: Wenn Sie ein Testament finden, liefern Sie es umgehend beim Nachlassgericht ab. Als im Testament bedachte Person sollten Sie Ihre Rechte kennen und bei Bedarf rechtliche Beratung in Anspruch nehmen.
Für Scheinerb:innen: Wenn Sie bereits als Erbe:Erbin eingesetzt wurden und später ein Testament auftaucht, kooperieren Sie mit den tatsächlichen Erb:innen, um langwierige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.
Der respektvolle Umgang mit dem letzten Willen der verstorbenen Person sollte bei allen Beteiligten im Vordergrund stehen - unabhängig davon, wann dieser entdeckt wird.