Welche Rolle spielen Gutachten zur Testierfähigkeit in Streitfällen?

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Zusammenfassung

Gutachten zur Testier­fähigkeit sind in Erb­streit­fällen entscheidend, um festzustellen, ob der:die Erblasser:in zum Zeitpunkt der Testament­erstellung geistig in der Lage war, die Bedeutung und Konsequenzen seiner:ihrer Entscheidungen zu verstehen. Sie werden von Fach­ärzt:innen für Psychiatrie erstellt und prüfen sowohl das Vorliegen einer psychischen Störung als auch deren Einfluss auf die freie Willens­bildung. Solche Gutachten können dazu führen, dass ein Testament für unwirksam erklärt wird, wodurch die gesetzliche Erbfolge oder frühere Testamente wieder gelten.

Die Frage nach der Testier­fähigkeit des Erb­lassers zum Zeit­punkt der Testament­erstellung kann bei Erb­streitigkeiten ent­scheidend sein. Ein medizinisches oder psycho­logisches Gut­achten kann in solchen Fällen maß­geblich darüber ent­scheiden, ob ein Testament rechts­wirksam ist oder nicht. Dieser Artikel erklärt, wann solche Gut­achten relevant werden, wer sie erstellen darf und welche Folgen sie haben können.

Was bedeutet Testier­fähigkeit im recht­lichen Sinn?

Die Testier­fähigkeit beschreibt die Fähigkeit einer Person, ein rechts­gültiges Testament zu erstellen. Nach § 2229 Abs. 4 BGB ist testier­unfähig, wer wegen krank­hafter Störungen der Geistes­tätigkeit, wegen Geistes­schwäche oder Bewusstseins­störungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung seiner letzt­willigen Verfügung einzu­sehen und nach dieser Einsicht zu handeln[1].

Wichtig: Die Testier­fähigkeit wird gesetz­lich voraus­gesetzt! Das bedeutet: Nicht die Testier­fähigkeit muss bewiesen werden, sondern ihre Ab­wesenheit. Die Beweis­last für mangelnde Testier­fähigkeit trägt also die Person, die diese anzweifelt[1].

Wann werden Gut­achten zur Testier­fähigkeit not­wendig?

Ein Gut­achten wird relevant, wenn ernst­hafte Zweifel an der geistigen Verfassung des Erb­lassers zum Zeit­punkt der Testament­errichtung bestehen. Solche Zweifel können auf­kommen bei:

  • Diagnostizierten psychischen Erkrankungen (wie Demenz, Alzheimer)
  • Auffälligem Verhalten des Erb­lassers während der Testament­erstellung
  • Plötz­licher Änderung des Testaments ohne erkenn­baren Grund

Bloße Behauptungen reichen nicht aus. Nach der Recht­sprechung des OLG Düsseldorf müssen “objektivier­bare Tat­sachen oder Hilfs­tatsachen” vor­liegen, die auf eine Ein­schränkung der Testier­fähigkeit hin­deuten - nicht bloße Ver­mutungen oder Wahr­scheinlichkeits­urteile[1].

Wer ist qualifiziert, ein Gut­achten zur Testier­fähigkeit zu erstellen?

Die Auswahl des:der richtigen Gut­achter:in ist entscheidend:

  • Nach ständiger Recht­sprechung kann die fehlende Testier­fähigkeit grund­sätzlich nur mit Hilfe eines psychi­atrischen Sach­verständigen ermittelt werden[7]
  • Die besonderen Schwierig­keiten bei der Fest­stellung kann nur ein:e Fach­arzt:in für Psychiatrie bewältigen, der:die eine mindestens 5-jährige Weiter­bildung und eine Fach­arzt­prüfung absolviert hat[7]
  • Ein:e All­gemein­mediziner:in wäre dafür nicht aus­reichend qualifiziert[7]

Die Auswahl eines ungeeigneten Sach­verständigen stellt einen Verfahrens­fehler dar, der die Gewährung des recht­lichen Gehörs beein­trächtigt[7].

Wie wird ein Gut­achten zur Testier­fähigkeit erstellt?

Die Beurteilung der Testier­fähigkeit erfolgt auf zwei Ebenen:

1. Diagnostische Ebene

Hier prüft der:die Gut­achter:in, ob zum Zeit­punkt der Testament­errichtung eine krank­hafte psychische Störung beim Erb­lasser vorlag. Darunter fallen nicht nur Demenzen wie Alzheimer, sondern auch andere psychische Störungen wie Psychosen oder wahn­hafte Symptome[6].

2. Symptomatische Ebene

Anschließend wird geprüft, ob diese Störung psychische Funktions­defizite verursachte, die den Erb­lasser in seiner freien Willens­bestimmung beein­trächtigten[6].

Entscheidend ist nicht die Diagnose an sich, sondern ihre Aus­wirkung auf die Entscheidungs­fähigkeit des Erb­lassers. Folgende Funktions­störungen können die Freiheit der Willens­bildung aus­schließen:

  • Ausgeprägte Gedächtnis­störungen
  • Mangelnder Überblick über entscheidungs­erhebliche Gesichts­punkte
  • Veränderter Realitäts­bezug
  • Krankheits­bedingte Fremd­beeinflussbarkeit
  • Mangelnde Kritik- und Urteils­fähigkeit[6]

Ablauf einer gut­achterlichen Unter­suchung

Das Nachlass­gericht kann von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Einholung eines Gut­achtens anordnen[8]. Der:Die Gut­achter:in:

  1. Analysiert medizinische Unterlagen und Kranken­akten des Erb­lassers[5]
  2. Befragt Zeug:innen zum Verhalten des Erb­lassers[5]
  3. Untersucht, ob eine unbeeinflusste Willens­bildung bestand[3]
  4. Bewertet, ob rational begründete Entscheidungen möglich waren[3]

Da der Erb­lasser meist bereits verstorben ist, erfolgt die Begutachtung anhand der verfüg­baren Dokumente und Zeug:innen­aussagen - eine direkte Unter­suchung ist nicht mehr möglich.

Welche Beweis­kraft hat ein Gut­achten vor Gericht?

Das Gericht entscheidet “nach freier Überzeugung” über das Ergebnis des Gut­achtens, muss aber alle geeigneten Beweis­mittel berücksichtigen und darf nicht unkritisch nur das Gut­achten über­nehmen[10].

Die Parteien können auch selbst “Gegen­gutachten” vorlegen, die das Gericht berücksichtigen muss. Bei wider­sprüchlichen Gut­achten versucht das Gericht, die Unter­schiede in den Grund­lagen und Wertungen aufzu­klären[10].

In besonderen Fällen kann das Gericht ein Ober­gutachten anordnen, etwa wenn:

  • Das erste Gut­achten grobe Mängel aufweist
  • Von un­richtigen Fest­stellungen ausgegangen wurde
  • Das Gut­achten wider­sprüchlich ist
  • Der:Die Gut­achter:in nicht sach­kundig ist[10]

Recht­liche Konsequenzen eines Gut­achtens

Wird durch ein Gut­achten die Testier­unfähigkeit fest­gestellt, ist das Testament unwirksam[8]. Dies kann weit­reichende Folgen haben:

  • Die gesetz­liche Erb­folge tritt an die Stelle der testament­arischen Regelung
  • Frühere Testamente können wieder auf­leben
  • Alle im unwirksamen Testament enthaltenen Verfügungen werden nichtig

Bei notariellen Testamenten besteht eine gewisse Vermutung für die Testier­fähigkeit, da der:die Notar:in diese bei der Beur­kundung prüft und im Protokoll festhält. Diese Vermutung ist jedoch wider­legbar[2].

Praktische Tipps für Testament­erstellende

Wenn Sie gesund­heitliche Ein­schränkungen haben:

  • Ziehen Sie ein notarielles Testament in Betracht: Ein:e Notar:in prüft Ihre Testier­fähigkeit und dokumentiert sie im Beurkundungs­protokoll[2]
  • Holen Sie ein ärztliches Attest ein: Lassen Sie sich vor der Testament­errichtung von einem:einer Fach­arzt:in bescheinigen, dass Sie testier­fähig sind
  • Dokumentieren Sie Ihre Beweggründe: Erklären Sie schriftlich, warum Sie bestimmte Entscheidungen getroffen haben
  • Errichten Sie Ihr Testament frühzeitig: Je früher Sie Ihr Testament erstellen, desto geringer ist das Risiko späterer Zweifel

Für Angehörige bei Zweifeln an der Testier­fähigkeit:

  • Sichern Sie medizinische Dokumentation: Kranken­akten und Arzt­berichte können wichtige Hinweise geben[5]
  • Dokumentieren Sie Zeug:innen­aussagen: Bitten Sie Personen, die den Erb­lasser kannten, ihre Beobachtungen schriftlich festzuhalten
  • Bewahren Sie Vergleichs­schrift­material auf: Bei hand­schriftlichen Testamenten können andere Schrift­stücke des Erb­lassers zum Vergleich wichtig sein[10]
  • Konsultieren Sie eine:n Fach­anwält:in für Erb­recht: Fach­kundige recht­liche Beratung ist bei Zweifeln an der Testier­fähigkeit unerlässlich

Die Kosten eines Gut­achtens

Die Kosten für ein fach­psychiatrisches Gut­achten können beträchtlich sein. Grundsätzlich trägt zunächst das Nachlass­gericht die Kosten, wenn es die Begutachtung anordnet. Je nach Ausgang des Verfahrens können die Kosten jedoch den Beteiligten auferlegt werden[12].

In einem vom OLG München entschiedenen Fall mussten beispielsweise die Erb:innen die Kosten des Gut­achtens tragen, da das Gut­achten in ihrem Interesse lag[12].

Häufige Fragen zur Testier­fähigkeit

Bedeutet eine Depression automatisch Testier­unfähigkeit?

Nein. Psychische Erkrankungen führen nicht automatisch zur Testier­unfähigkeit. Entscheidend ist, ob die Person trotz Erkrankung die Bedeutung und Trag­weite ihrer Entscheidungen erkennen und nach dieser Einsicht handeln kann[9].

Wer trägt die Beweis­last für fehlende Testier­fähigkeit?

Die Person, die sich auf die Testier­unfähigkeit beruft, muss diese beweisen[1].

Kann ein Testament wegen fehlender Testier­fähigkeit angefochten werden?

Ja, ein Testament kann angefochten werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Testier­unfähigkeit zum Zeit­punkt der Testament­errichtung vorliegen und diese durch ein Gut­achten bestätigt wird.

Fazit

Gut­achten zur Testier­fähigkeit spielen eine zentrale Rolle in Erb­streitigkeiten, wenn Zweifel am geistigen Zustand des Erb­lassers zum Zeit­punkt der Testament­errichtung bestehen. Sie müssen von qualifizierten Fach­ärzt:innen für Psychiatrie erstellt werden und auf zwei Ebenen prüfen: ob eine psychische Störung vorlag und ob diese die freie Willens­bildung beein­trächtigte.

Für Testament­erstellende mit gesund­heitlichen Ein­schränkungen empfiehlt sich die notarielle Testament­errichtung sowie die Dokumentation der eigenen Testier­fähigkeit. Bei Zweifeln an der Testier­fähigkeit eines Erb­lassers sollten Angehörige frühzeitig fach­kundigen rechtlichen Rat einholen und relevante Unterlagen sichern.