Welche Rolle spielen Gutachten zur Testierfähigkeit in Streitfällen?
Gutachten zur Testierfähigkeit sind in Erbstreitfällen entscheidend, um festzustellen, ob der:die Erblasser:in zum Zeitpunkt der Testamenterstellung geistig in der Lage war, die Bedeutung und Konsequenzen seiner:ihrer Entscheidungen zu verstehen. Sie werden von Fachärzt:innen für Psychiatrie erstellt und prüfen sowohl das Vorliegen einer psychischen Störung als auch deren Einfluss auf die freie Willensbildung. Solche Gutachten können dazu führen, dass ein Testament für unwirksam erklärt wird, wodurch die gesetzliche Erbfolge oder frühere Testamente wieder gelten.
- Was bedeutet Testierfähigkeit im rechtlichen Sinn?
- Wann werden Gutachten zur Testierfähigkeit notwendig?
- Wer ist qualifiziert, ein Gutachten zur Testierfähigkeit zu erstellen?
- Wie wird ein Gutachten zur Testierfähigkeit erstellt?
- Ablauf einer gutachterlichen Untersuchung
- Welche Beweiskraft hat ein Gutachten vor Gericht?
- Rechtliche Konsequenzen eines Gutachtens
- Praktische Tipps für Testamenterstellende
- Die Kosten eines Gutachtens
- Häufige Fragen zur Testierfähigkeit
- Fazit
Die Frage nach der Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamenterstellung kann bei Erbstreitigkeiten entscheidend sein. Ein medizinisches oder psychologisches Gutachten kann in solchen Fällen maßgeblich darüber entscheiden, ob ein Testament rechtswirksam ist oder nicht. Dieser Artikel erklärt, wann solche Gutachten relevant werden, wer sie erstellen darf und welche Folgen sie haben können.
Was bedeutet Testierfähigkeit im rechtlichen Sinn?
Die Testierfähigkeit beschreibt die Fähigkeit einer Person, ein rechtsgültiges Testament zu erstellen. Nach § 2229 Abs. 4 BGB ist testierunfähig, wer wegen krankhafter Störungen der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung seiner letztwilligen Verfügung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln[1].
Wichtig: Die Testierfähigkeit wird gesetzlich vorausgesetzt! Das bedeutet: Nicht die Testierfähigkeit muss bewiesen werden, sondern ihre Abwesenheit. Die Beweislast für mangelnde Testierfähigkeit trägt also die Person, die diese anzweifelt[1].
Wann werden Gutachten zur Testierfähigkeit notwendig?
Ein Gutachten wird relevant, wenn ernsthafte Zweifel an der geistigen Verfassung des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamenterrichtung bestehen. Solche Zweifel können aufkommen bei:
- Diagnostizierten psychischen Erkrankungen (wie Demenz, Alzheimer)
- Auffälligem Verhalten des Erblassers während der Testamenterstellung
- Plötzlicher Änderung des Testaments ohne erkennbaren Grund
Bloße Behauptungen reichen nicht aus. Nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf müssen “objektivierbare Tatsachen oder Hilfstatsachen” vorliegen, die auf eine Einschränkung der Testierfähigkeit hindeuten - nicht bloße Vermutungen oder Wahrscheinlichkeitsurteile[1].
Wer ist qualifiziert, ein Gutachten zur Testierfähigkeit zu erstellen?
Die Auswahl des:der richtigen Gutachter:in ist entscheidend:
- Nach ständiger Rechtsprechung kann die fehlende Testierfähigkeit grundsätzlich nur mit Hilfe eines psychiatrischen Sachverständigen ermittelt werden[7]
- Die besonderen Schwierigkeiten bei der Feststellung kann nur ein:e Facharzt:in für Psychiatrie bewältigen, der:die eine mindestens 5-jährige Weiterbildung und eine Facharztprüfung absolviert hat[7]
- Ein:e Allgemeinmediziner:in wäre dafür nicht ausreichend qualifiziert[7]
Die Auswahl eines ungeeigneten Sachverständigen stellt einen Verfahrensfehler dar, der die Gewährung des rechtlichen Gehörs beeinträchtigt[7].
Wie wird ein Gutachten zur Testierfähigkeit erstellt?
Die Beurteilung der Testierfähigkeit erfolgt auf zwei Ebenen:
1. Diagnostische Ebene
Hier prüft der:die Gutachter:in, ob zum Zeitpunkt der Testamenterrichtung eine krankhafte psychische Störung beim Erblasser vorlag. Darunter fallen nicht nur Demenzen wie Alzheimer, sondern auch andere psychische Störungen wie Psychosen oder wahnhafte Symptome[6].
2. Symptomatische Ebene
Anschließend wird geprüft, ob diese Störung psychische Funktionsdefizite verursachte, die den Erblasser in seiner freien Willensbestimmung beeinträchtigten[6].
Entscheidend ist nicht die Diagnose an sich, sondern ihre Auswirkung auf die Entscheidungsfähigkeit des Erblassers. Folgende Funktionsstörungen können die Freiheit der Willensbildung ausschließen:
- Ausgeprägte Gedächtnisstörungen
- Mangelnder Überblick über entscheidungserhebliche Gesichtspunkte
- Veränderter Realitätsbezug
- Krankheitsbedingte Fremdbeeinflussbarkeit
- Mangelnde Kritik- und Urteilsfähigkeit[6]
Ablauf einer gutachterlichen Untersuchung
Das Nachlassgericht kann von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Einholung eines Gutachtens anordnen[8]. Der:Die Gutachter:in:
- Analysiert medizinische Unterlagen und Krankenakten des Erblassers[5]
- Befragt Zeug:innen zum Verhalten des Erblassers[5]
- Untersucht, ob eine unbeeinflusste Willensbildung bestand[3]
- Bewertet, ob rational begründete Entscheidungen möglich waren[3]
Da der Erblasser meist bereits verstorben ist, erfolgt die Begutachtung anhand der verfügbaren Dokumente und Zeug:innenaussagen - eine direkte Untersuchung ist nicht mehr möglich.
Welche Beweiskraft hat ein Gutachten vor Gericht?
Das Gericht entscheidet “nach freier Überzeugung” über das Ergebnis des Gutachtens, muss aber alle geeigneten Beweismittel berücksichtigen und darf nicht unkritisch nur das Gutachten übernehmen[10].
Die Parteien können auch selbst “Gegengutachten” vorlegen, die das Gericht berücksichtigen muss. Bei widersprüchlichen Gutachten versucht das Gericht, die Unterschiede in den Grundlagen und Wertungen aufzuklären[10].
In besonderen Fällen kann das Gericht ein Obergutachten anordnen, etwa wenn:
- Das erste Gutachten grobe Mängel aufweist
- Von unrichtigen Feststellungen ausgegangen wurde
- Das Gutachten widersprüchlich ist
- Der:Die Gutachter:in nicht sachkundig ist[10]
Rechtliche Konsequenzen eines Gutachtens
Wird durch ein Gutachten die Testierunfähigkeit festgestellt, ist das Testament unwirksam[8]. Dies kann weitreichende Folgen haben:
- Die gesetzliche Erbfolge tritt an die Stelle der testamentarischen Regelung
- Frühere Testamente können wieder aufleben
- Alle im unwirksamen Testament enthaltenen Verfügungen werden nichtig
Bei notariellen Testamenten besteht eine gewisse Vermutung für die Testierfähigkeit, da der:die Notar:in diese bei der Beurkundung prüft und im Protokoll festhält. Diese Vermutung ist jedoch widerlegbar[2].
Praktische Tipps für Testamenterstellende
Wenn Sie gesundheitliche Einschränkungen haben:
- Ziehen Sie ein notarielles Testament in Betracht: Ein:e Notar:in prüft Ihre Testierfähigkeit und dokumentiert sie im Beurkundungsprotokoll[2]
- Holen Sie ein ärztliches Attest ein: Lassen Sie sich vor der Testamenterrichtung von einem:einer Facharzt:in bescheinigen, dass Sie testierfähig sind
- Dokumentieren Sie Ihre Beweggründe: Erklären Sie schriftlich, warum Sie bestimmte Entscheidungen getroffen haben
- Errichten Sie Ihr Testament frühzeitig: Je früher Sie Ihr Testament erstellen, desto geringer ist das Risiko späterer Zweifel
Für Angehörige bei Zweifeln an der Testierfähigkeit:
- Sichern Sie medizinische Dokumentation: Krankenakten und Arztberichte können wichtige Hinweise geben[5]
- Dokumentieren Sie Zeug:innenaussagen: Bitten Sie Personen, die den Erblasser kannten, ihre Beobachtungen schriftlich festzuhalten
- Bewahren Sie Vergleichsschriftmaterial auf: Bei handschriftlichen Testamenten können andere Schriftstücke des Erblassers zum Vergleich wichtig sein[10]
- Konsultieren Sie eine:n Fachanwält:in für Erbrecht: Fachkundige rechtliche Beratung ist bei Zweifeln an der Testierfähigkeit unerlässlich
Die Kosten eines Gutachtens
Die Kosten für ein fachpsychiatrisches Gutachten können beträchtlich sein. Grundsätzlich trägt zunächst das Nachlassgericht die Kosten, wenn es die Begutachtung anordnet. Je nach Ausgang des Verfahrens können die Kosten jedoch den Beteiligten auferlegt werden[12].
In einem vom OLG München entschiedenen Fall mussten beispielsweise die Erb:innen die Kosten des Gutachtens tragen, da das Gutachten in ihrem Interesse lag[12].
Häufige Fragen zur Testierfähigkeit
Bedeutet eine Depression automatisch Testierunfähigkeit?
Nein. Psychische Erkrankungen führen nicht automatisch zur Testierunfähigkeit. Entscheidend ist, ob die Person trotz Erkrankung die Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidungen erkennen und nach dieser Einsicht handeln kann[9].
Wer trägt die Beweislast für fehlende Testierfähigkeit?
Die Person, die sich auf die Testierunfähigkeit beruft, muss diese beweisen[1].
Kann ein Testament wegen fehlender Testierfähigkeit angefochten werden?
Ja, ein Testament kann angefochten werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Testamenterrichtung vorliegen und diese durch ein Gutachten bestätigt wird.
Fazit
Gutachten zur Testierfähigkeit spielen eine zentrale Rolle in Erbstreitigkeiten, wenn Zweifel am geistigen Zustand des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamenterrichtung bestehen. Sie müssen von qualifizierten Fachärzt:innen für Psychiatrie erstellt werden und auf zwei Ebenen prüfen: ob eine psychische Störung vorlag und ob diese die freie Willensbildung beeinträchtigte.
Für Testamenterstellende mit gesundheitlichen Einschränkungen empfiehlt sich die notarielle Testamenterrichtung sowie die Dokumentation der eigenen Testierfähigkeit. Bei Zweifeln an der Testierfähigkeit eines Erblassers sollten Angehörige frühzeitig fachkundigen rechtlichen Rat einholen und relevante Unterlagen sichern.