Welche Risiken bestehen bei internationalen Erbfällen mit Streitpotenzial?
Internationale Erbfälle bergen Risiken wie die Anwendung unterschiedlicher Rechtsordnungen, Streitigkeiten über die zuständige Gerichtsbarkeit und Probleme bei der Anerkennung ausländischer Testamente. Die EU-Erbrechtsverordnung schafft innerhalb Europas mehr Klarheit, doch bei Nicht-EU-Staaten bleiben Herausforderungen bestehen. Durch eine klare Rechtswahl, fachkundige Beratung und sorgfältige Dokumentation lassen sich viele Konflikte vermeiden.
Internationale Erbfälle bergen besondere rechtliche Herausforderungen und Konfliktpotenzial. Wenn Erblasser:innen Vermögen in verschiedenen Ländern besitzen, im Ausland leben oder ausländische Staatsangehörige sind, können sich komplexe Rechtsfragen ergeben. Die Klärung, welches Recht gilt und welche Gerichte zuständig sind, ist entscheidend für eine reibungslose Abwicklung des Nachlasses. Dieser Artikel beleuchtet die wichtigsten Risiken bei grenzüberschreitenden Erbangelegenheiten und gibt praktische Hinweise.
Wann liegt ein internationaler Erbfall vor?
Von internationalen Erbfällen spricht man, wenn das Recht verschiedener Staaten Anwendung finden könnte. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn:
- Eine Person mit deutscher Staatsangehörigkeit im Ausland lebt und dort verstirbt
- Vermögenswerte wie Immobilien oder Konten in unterschiedlichen Ländern liegen
- Die verstorbene Person eine ausländische Staatsangehörigkeit besaß
- Die Ehe nach ausländischem Recht geschlossen wurde[1]
Beispiel: Eine deutsche Staatsangehörige lebt dauerhaft in Spanien und besitzt dort eine Ferienimmobilie sowie ein Bankkonto in Deutschland. Nach ihrem Tod stellt sich die Frage, ob deutsches oder spanisches Erbrecht gilt.
Das Kollisionsrecht: Welches Erbrecht kommt zur Anwendung?
Das Kollisionsrecht entscheidet darüber, welche nationale Rechtsordnung bei einem Erbfall mit Auslandsbezug anzuwenden ist. Hier liegt eine der größten Herausforderungen, da die verschiedenen Länder unterschiedliche Regeln haben.
Die EU-Erbrechtsverordnung als wichtiger Meilenstein
Seit dem 17. August 2015 gilt die EU-Erbrechtsverordnung für alle Erbfälle in den meisten EU-Mitgliedstaaten (Ausnahmen: Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich). Diese Verordnung hat die Regeln erheblich vereinfacht und bringt mehr Rechtssicherheit[2][5].
Die wichtigsten Grundsätze der EU-Erbrechtsverordnung:
- Es gilt grundsätzlich das Recht des Staates, in dem der oder die Verstorbene zum Zeitpunkt des Todes den gewöhnlichen Aufenthalt hatte[1][2][4]
- Der Nachlass wird einheitlich behandelt (keine Nachlassspaltung)
- Durch Testament kann eine Rechtswahl getroffen werden: Erblasser:innen können das Recht ihres Heimatlandes wählen[1][2]
Vor Einführung der EU-Erbrechtsverordnung war die Situation deutlich komplizierter: In Deutschland, Polen, Portugal und Spanien war das Recht der Staatsangehörigkeit maßgeblich, während in Belgien, Frankreich und Luxemburg häufig eine Nachlassspaltung eintrat. Das bedeutete: Für Immobilien galt das Recht des Lageorts, für bewegliches Vermögen das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts[2].
Risiken außerhalb der EU
Bei Erbfällen mit Bezug zu Nicht-EU-Staaten können weiterhin erhebliche Komplikationen auftreten:
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Nachlassspaltung: Manche Länder wenden unterschiedliches Recht auf verschiedene Vermögenswerte an. In Südafrika etwa wird zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterschieden[4].
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Islamisches Erbrecht: In Ländern wie Dubai gilt das islamische Erbrecht (Scharia), das sich grundlegend vom deutschen Recht unterscheidet. Ein wesentlicher Unterschied: Die fehlende Testierfreiheit, da die Scharia feste Erbquoten für Familienangehörige vorsieht[4].
Anerkennung ausländischer Testamente
Ein weiteres Risiko bei internationalen Erbfällen betrifft die Anerkennung ausländischer Testamente.
Formelle Anerkennung
Deutschland erkennt die Formgültigkeit ausländischer Testamente relativ großzügig an. Ein Testament wird als formgültig anerkannt, wenn es folgenden Regelungen entspricht:
- Dem Recht des Staates, dem der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung oder seines Todes angehört hat
- Dem Recht des Ortes, an dem das Testament errichtet wurde
- Dem Recht des Ortes, an dem der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte
- Dem Recht des Ortes, an dem sich Nachlass-Immobilien befinden, soweit solche betroffen sind[3][6]
Beispiel: Ein in England errichtetes Zwei-Zeugen-Testament, das nach deutschem Recht nicht formgültig wäre, wird in Deutschland trotzdem anerkannt, wenn es der Form des englischen Rechts genügt[6].
Inhaltliche Prüfung
Achtung: Die formelle Anerkennung bedeutet nicht automatisch, dass das Testament inhaltlich in vollem Umfang umzusetzen ist. Die inhaltliche Wirksamkeit richtet sich nach dem anwendbaren Erbrecht, das nach den Regeln des Kollisionsrechts bestimmt wird[3].
Bei der inhaltlichen Prüfung können erhebliche Unterschiede zwischen den Rechtssystemen auftreten, zum Beispiel:
- Unterschiedliche Pflichtteilsrechte
- Güterrechtliche Besonderheiten
- Spezielle Formvorschriften für bestimmte Verfügungen
Die Frage der zuständigen Gerichtsbarkeit
Bei Streitigkeiten in internationalen Erbfällen stellt sich immer die Frage: Welches Gericht ist zuständig?
Zuständigkeit nach der EU-Erbrechtsverordnung
Nach der EU-Erbrechtsverordnung sind grundsätzlich die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Hat der Erblasser jedoch eine Rechtswahl getroffen, können unter bestimmten Voraussetzungen auch die Gerichte des gewählten Rechts zuständig sein[5].
“Forum Shopping” als Risiko
Vor der EU-Erbrechtsverordnung bestand das Risiko des sogenannten “Forum Shopping”: Erben konnten versuchen, Nachlassverfahren in dem Mitgliedstaat zu eröffnen, dessen Kollisionsrecht für sie vorteilhafter war[2]. Die EU-Erbrechtsverordnung hat diesen Missstand weitgehend beseitigt.
Praktische Tipps zur Vermeidung von Konflikten
Um Streitigkeiten und rechtliche Komplikationen bei internationalen Erbfällen zu vermeiden, sollten Sie folgende Maßnahmen in Betracht ziehen:
1. Rechtswahl treffen und dokumentieren
Wenn Sie in einem anderen Land leben als dem Land Ihrer Staatsangehörigkeit, sollten Sie von der Möglichkeit der Rechtswahl Gebrauch machen. Durch eine ausdrückliche Rechtswahl in Ihrem Testament können Sie Klarheit schaffen, welches Recht auf Ihren Erbfall anwendbar sein soll.
2. Fachkundige Beratung einholen
Lassen Sie sich von Fachleuten beraten, die Erfahrung mit internationalem Erbrecht haben. Eine frühzeitige Beratung kann teure und langwierige Rechtsstreitigkeiten vermeiden.
3. Testamente an verschiedenen Rechtsordnungen ausrichten
Bei Vermögen in verschiedenen Ländern kann es sinnvoll sein, für jedes Land ein separates Testament zu errichten, das die jeweiligen lokalen Anforderungen erfüllt. Achten Sie dabei unbedingt darauf, dass sich die verschiedenen Testamente nicht widersprechen!
4. Europäisches Nachlasszeugnis nutzen
Für Erbfälle innerhalb der EU bietet das Europäische Nachlasszeugnis eine vereinfachte Möglichkeit, die Erbenstellung nachzuweisen. Es wird in allen teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten anerkannt und erleichtert die Abwicklung des Nachlasses[6].
5. Klare Dokumentation und Kommunikation
Informieren Sie Ihre Angehörigen über vorhandenes Vermögen im Ausland und hinterlegen Sie wichtige Dokumente an einem zugänglichen Ort.
Fazit
Internationale Erbfälle bergen durch unterschiedliche Rechtssysteme und Zuständigkeiten ein erhöhtes Konfliktpotenzial. Die EU-Erbrechtsverordnung hat innerhalb Europas für mehr Rechtssicherheit gesorgt, doch besonders bei Bezug zu Nicht-EU-Staaten bleiben zahlreiche Herausforderungen bestehen.
Durch vorausschauende Planung, fachkundige Beratung und klare rechtliche Regelungen können Sie jedoch viele Risiken minimieren. Je früher Sie sich mit der Nachlassplanung bei internationalen Bezügen befassen, desto besser können Sie Ihre persönlichen Wünsche absichern und Ihren Angehörigen komplizierte rechtliche Auseinandersetzungen ersparen.