Können gemeinschaftliche Testamente teilweise angefochten werden?

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Zusammenfassung

Gemeinschaftliche Testamente können teilweise angefochten werden, wobei zwischen einseitigen und wechsel­bezüglichen Verfügungen unterschieden wird. Während bei einseitigen Verfügungen nur die angefochtene Regelung entfällt, führt die Anfechtung einer wechsel­bezüglichen Verfügung oft dazu, dass auch die korrespondierende Verfügung des anderen Ehegatten unwirksam wird. Die Anfechtung ist an gesetzliche Gründe wie Irrtum, Drohung oder das Übergehen von Pflichtteils­berechtigten gebunden und meist erst nach dem Erbfall möglich.

Ein gemeinschaftliches Testament ist für viele Ehepaare ein wichtiges Instrument, um ihre Nachlass­planung gemeinsam zu regeln. Doch was geschieht, wenn später Zweifel an einzelnen Verfügungen entstehen? Die Frage der Teil­anfechtung von gemeinschaftlichen Testamenten - besonders bei wechsel­bezüglichen Verfügungen - ist rechtlich komplex. Dieser Artikel erklärt Ihnen, unter welchen Bedingungen eine Anfechtung möglich ist, welche besonderen Regelungen für wechsel­bezügliche Verfügungen gelten und was Sie bei der Gestaltung Ihres Testaments beachten sollten.

Was ist ein gemeinschaftliches Testament und was sind wechsel­bezügliche Verfügungen?

Bevor wir über die Anfechtung sprechen, ist es wichtig, die Grundlagen zu verstehen:

Gemeinschaftliches Testament (Ehegattentestament)

Ein gemeinschaftliches Testament, oft auch als Ehegattentestament oder Berliner Testament bezeichnet, ist eine gemeinsame letztwillige Verfügung von Eheleuten oder eingetragenen Lebenspartner:innen. Die häufigste Form ist das “Berliner Testament”, bei dem sich die Ehepartner gegenseitig als Alleinerben einsetzen und die Kinder erst nach dem Tod des länger lebenden Partners erben.[8]

Wechsel­bezügliche Verfügungen

Eine wechsel­bezügliche Verfügung ist eine testamentarische Regelung, die so eng mit der Verfügung des anderen Partners verbunden ist, dass anzunehmen ist, sie wäre ohne diese nicht getroffen worden. Das Gesetz definiert sie in § 2270 Abs. 1 BGB. Die Wechsel­bezüglichkeit schafft eine besondere Bindung zwischen den Verfügungen beider Partner.[3][6]

Beispiel: Wenn Eheleute sich gegenseitig zu Erben einsetzen und festlegen, dass die gemeinsamen Kinder nach dem Tod des länger lebenden Ehegatten erben sollen, sind diese Verfügungen typischerweise wechsel­bezüglich.

Grundsätzliches zur Anfechtung gemeinschaftlicher Testamente

Ein Testament anzufechten bedeutet, es aufgrund bestimmter gesetzlicher Gründe für unwirksam erklären zu lassen. Bei gemeinschaftlichen Testamenten gelten dabei besondere Regeln:

Wichtig: Eine Anfechtung ist nur notwendig, wenn das Testament wirksam ist. Ist ein Testament aus anderen Gründen (z.B. wegen Form­fehlern oder fehlender Testier­fähigkeit) unwirksam, muss es nicht angefochten werden.[2]

Die Anfechtung eines gemeinschaftlichen Testaments hat im Vergleich zum Einzel­testament einige Besonderheiten, insbesondere bei wechsel­bezüglichen Verfügungen.[1]

Teilanfechtung: Unterschiede zwischen einseitigen und wechsel­bezüglichen Verfügungen

Ja, gemeinschaftliche Testamente können teilweise angefochten werden. Allerdings müssen Sie dabei einen entscheidenden Unterschied beachten:

Bei einseitigen Verfügungen:

Handelt es sich um eine einseitige Verfügung (also nicht wechsel­bezüglich), bleibt bei einer erfolgreichen Anfechtung der Rest des Testaments in der Regel wirksam. Die Anfechtung betrifft nur die angegriffene Verfügung.[1][4]

Bei wechsel­bezüglichen Verfügungen:

Wird eine wechsel­bezügliche Verfügung erfolgreich angefochten, wird im Zweifel auch die ihr gegenüberstehende Verfügung des anderen Ehegatten unwirksam. Diese Kettenreaktion ist eine direkte Folge der Wechsel­bezüglichkeit.[1]

Beispiel: Wenn in einem Berliner Testament die Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten und die Nach­erbeinsetzung der Kinder wechsel­bezüglich sind, und die Erbeinsetzung erfolgreich angefochten wird, fällt auch die Nach­erbeinsetzung weg.

Anfechtungsgründe für gemeinschaftliche Testamente

Um ein Testament anfechten zu können, muss ein gesetzlicher Anfechtungs­grund vorliegen. Diese sind für gemeinschaftliche Testamente die gleichen wie für Einzel­testamente:

  1. Irrtum - Der Erblasser oder die Erblasserin war über den Inhalt der eigenen Erklärung im Irrtum oder wollte eine solche Erklärung nicht abgeben (z.B. Verschreiben).[4]

  2. Fehlvorstellung - Eine Verfügung wurde getroffen, weil der Erblasser oder die Erblasserin irrig von der Erwartung oder Annahme des Ein- oder Nichteintritts eines Umstandes ausging.[4]

  3. Drohung - Die Verfügung wurde unter widerrechtlicher Drohung getroffen.[4]

  4. Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten - Ein Pflichtteilsberechtigter wurde übergangen, dessen Existenz dem Erblasser nicht bekannt war oder der erst nach der Testament­errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt wurde.[5]

Wer darf anfechten und wann?

Die Anfechtungs­berechtigung und der Zeitpunkt der Anfechtung sind gesetzlich genau geregelt:

Anfechtungsberechtigte Personen

Anfechtungsberechtigt ist, wem die Aufhebung der testamentarischen Verfügung unmittelbar zugutekommen würde. Dies sind in der Regel:

  • Gesetzliche Erben
  • Vorerben (im Hinblick auf die Nach­erbeinsetzung)
  • Übergangene Pflichtteils­berechtigte[1]

Zeitpunkt der Anfechtung

Die Anfechtung kann grundsätzlich erst nach dem Erbfall erfolgen. Genauer:

  • Bei nicht wechsel­bezüglichen Verfügungen können diese zu Lebzeiten jederzeit widerrufen werden, daher ist eine Anfechtung zu Lebzeiten nicht notwendig.[4]
  • Bei wechsel­bezüglichen Verfügungen: Nach dem Tod eines Ehegatten sind die wechsel­bezüglichen Verfügungen grundsätzlich nicht mehr widerrufbar, können aber unter Umständen vom überlebenden Ehegatten angefochten werden (Selbst­anfechtungsrecht).[1]

Besondere Regelungen für den überlebenden Ehegatten

Für den überlebenden Ehegatten gelten bei der Anfechtung besondere Regeln:

Anfechtungsrecht des überlebenden Ehegatten

  • Einseitige Verfügungen: Der überlebende Ehegatte hat bezüglich seiner eigenen, einseitigen Verfügungen kein Anfechtungs­recht, sondern kann diese jederzeit widerrufen.[1]

  • Wechsel­bezügliche Verfügungen: Eigene wechsel­bezügliche Verfügungen sind nach dem ersten Erbfall nicht mehr widerruflich, können aber unter bestimmten Voraussetzungen von dem überlebenden Ehegatten angefochten werden (Selbst­anfechtungsrecht).[1]

Besondere Situationen

Wiederheirat des überlebenden Ehegatten

Eine besondere Situation entsteht bei der Wiederheirat des überlebenden Ehegatten. Ehegattentestamente können gefährdet sein, wenn der länger lebende Ehegatte erneut heiratet, da neue Pflichtteils­ansprüche entstehen können.[5] In solchen Fällen kann eine Anfechtung des Testaments durch neu entstandene Pflichtteils­berechtigte möglich sein.

Betreuung des überlebenden Ehegatten

Wichtig: Ein Betreuer kann ein gemeinschaftliches Testament nicht im Namen des betreuten Ehegatten anfechten. Im Gegensatz zum Erbvertrag, bei dem das Gesetz in § 2282 Abs. 2 BGB ein solches Anfechtungs­recht des Betreuers ausdrücklich anerkennt, gibt es für das gemeinschaftliche Testament keine entsprechende Regelung.[7]

Praktische Empfehlungen für Ihre Testament­gestaltung

Aus den rechtlichen Gegebenheiten ergeben sich wichtige Hinweise für die Gestaltung Ihres gemeinschaftlichen Testaments:

  1. Klare Festlegung der Wechsel­bezüglichkeit: Legen Sie in Ihrem Testament ausdrücklich fest, welche Verfügungen wechsel­bezüglich sein sollen und welche nicht. Das verhindert Unklarheiten und gibt dem überlebenden Ehegatten mehr Flexibilität.[6]

    Beispiel für eine klare Formulierung: “Die in unserem gemeinsamen Testament getroffenen Verfügungen für den ersten Todesfall sind wechsel­bezüglich und bindend. Die Verfügungen für den zweiten Todesfall sind nicht wechsel­bezüglich und nicht bindend. Dies bedeutet, dass der länger lebende Ehegatte die Schlusserbfolge in vollem Umfang nochmals ändern kann.”[6]

  2. Vorsorge für veränderte Lebensumstände: Denken Sie an mögliche Veränderungen wie eine Wiederheirat und treffen Sie entsprechende Vorkehrungen in Ihrem Testament.

  3. Professionelle Beratung: Lassen Sie sich bei der Erstellung eines gemeinschaftlichen Testaments von Fachleuten beraten - Rechts­anwält:innen mit Schwerpunkt Erbrecht oder Notar:innen können Sie umfassend zu den rechtlichen Auswirkungen Ihrer Regelungen informieren.

Praxisbeispiel: Erfolgreiche Teilanfechtung eines Ehegattentestaments

Fall: Ein Ehepaar hatte in einem gemeinschaftlichen Testament die gegenseitige Erbeinsetzung als wechsel­bezüglich festgelegt, die Nach­erbeinsetzung der Kinder jedoch ausdrücklich als nicht wechsel­bezüglich bezeichnet. Nach dem Tod des Mannes kommt der überlebende Ehefrau zu der Erkenntnis, dass einer der als Schlusserben eingesetzten Söhne sich über Jahre hinweg respektlos verhalten hat.

Lösung: Da die Nach­erbeinsetzung nicht als wechsel­bezüglich festgelegt wurde, konnte die Ehefrau diese Verfügung zu ihren Lebzeiten ohne Anfechtung durch ein neues Testament ändern und eine andere Aufteilung unter den Kindern festlegen.

Die wichtigsten Punkte auf einen Blick:

  • Gemeinschaftliche Testamente können teilweise angefochten werden
  • Bei Anfechtung einer einseitigen Verfügung bleibt der Rest des Testaments wirksam
  • Bei Anfechtung einer wechsel­bezüglichen Verfügung wird auch die gegenüberstehende Verfügung unwirksam
  • Anfechtungsgründe sind Irrtum, Fehlvorstellung, Drohung oder Übergehen eines Pflichtteils­berechtigten
  • Anfechten kann nur, wem die Aufhebung unmittelbar zugutekommen würde
  • Die Anfechtung ist grundsätzlich erst nach dem Erbfall möglich
  • Betreuer:innen können ein gemeinschaftliches Testament nicht anfechten
  • Legen Sie in Ihrem Testament klar fest, welche Verfügungen wechsel­bezüglich sein sollen

Wenn Sie unsicher sind, ob und wie Sie ein gemeinschaftliches Testament anfechten können oder wie Sie Ihr Testament gestalten sollten, um spätere Anfechtungen zu vermeiden, sollten Sie rechtliche Beratung in Anspruch nehmen. Eine sorgfältige Testaments­gestaltung kann viele Probleme von vornherein vermeiden.