Was passiert, wenn ein widerrufenes Testament versehentlich nicht vernichtet wurde?

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Zusammenfassung

Wenn ein widerrufenes Testament versehentlich nicht vernichtet wurde, hat ein neueres Testament Vorrang, sofern es widersprüchliche Regelungen enthält. Das ältere Testament bleibt in den nicht widersprüchlichen Teilen wirksam. Wird ein neueres Testament widerrufen, lebt das ältere nur dann wieder auf, wenn dies ausdrücklich erklärt wird; andernfalls greift die gesetzliche Erbfolge.

In der Welt der Erb­angelegenheiten sorgt kaum etwas für mehr Unsi­cherheit als der Umgang mit Testa­menten, die widerrufen, aber nicht vernichtet wurden. Hat in solchen Fällen das neuere Testament Vorrang oder gilt die gesetz­liche Erbfolge? Dieser Artikel klärt die rechtlichen Folgen unvoll­ständiger Testaments­widerrufe und gibt prak­tische Hand­lungs­emp­fehlungen für Betroffene.

Die verschiedenen Wege, ein Testament zu widerrufen

Bevor wir die Kernfrage beantworten, sollten Sie die unter­schiedlichen Möglich­keiten kennen, wie ein Testament wirksam widerrufen werden kann:

1. Widerruf durch ein neues Testament

Wenn Sie ein neues Testament erstellen, wird Ihr früheres Testament automatisch insoweit aufge­hoben, als das spätere Testament mit dem früheren in Wider­spruch steht. Dies ist in § 2258 Abs. 1 BGB geregelt[1]. Sie müssen in Ihrem neuen Testament nicht ausdrücklich erwähnen, dass Sie das alte widerrufen - der Wider­spruch zwischen beiden Doku­menten reicht aus.

Beispiel: In Ihrem ersten Testament setzen Sie Ihre Schwester als Allein­erbin ein. In einem späteren Testament bestimmen Sie Ihren Bruder zum Allein­erben. Das zweite Testament hebt die Erb­ein­setzung im ersten Testament automatisch auf.

2. Widerruf durch Vernichtung oder Veränderung

Sie können Ihr Testament auch widerrufen, indem Sie die Testa­ments­urkunde in der Absicht vernichten oder verändern, sie aufzu­heben (§ 2255 BGB)[1]. Als Vernichtung gelten zum Beispiel:

  • Zerreißen des Testaments
  • Durch­streichen des Textes
  • Zerknüllen der Urkunde
  • Heraus­schneiden von Textteilen

Wichtig zu wissen: Das bloße Wegwerfen des Testaments, ohne die Urkunde zu vernichten oder mindestens zu zerknüllen, reicht nicht aus[1].

3. Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung

Ein notarielles Testament gilt als widerrufen, wenn Sie es aus der amtlichen Verwahrung zurück­nehmen (§ 2256 BGB)[1].

Was geschieht, wenn ein widerrufenes Testament nicht vernichtet wurde?

Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie Sie Ihr Testament widerrufen haben.

Widerruf durch ein neues Testament - das alte Dokument existiert noch

Haben Sie ein neues Testament errichtet, das mit dem alten Testament in Wider­spruch steht, gilt Folgendes:

  • Das neue Testament hebt das ältere Testament automatisch insoweit auf, als beide sich wider­sprechen[1].
  • Die physische Existenz des älteren Testaments ist rechtlich ohne Belang - es ist in den wider­sprüchlichen Teilen unwirksam.
  • Es ist nicht notwendig, das alte Testament zu vernichten, obwohl dies zur Vermeidung von Miss­verständnissen ratsam ist.

Beispiel: Sie haben in einem Testament von 2020 Ihre Nichte als Allein­erbin eingesetzt. 2023 verfassen Sie ein neues Testament, in dem Sie Ihren Neffen als Allein­erben bestimmen. Auch wenn das Testament von 2020 noch existiert, gilt die Erb­ein­setzung aus dem Testament von 2023.

Auftrag zur Vernichtung nicht ausgeführt

Was passiert, wenn Sie jemanden beauftragen, Ihr Testament zu vernichten, und diese Person führt den Auftrag nicht aus?

Das Ober­landes­gericht München hat in einem Fall entschieden: Ein Testament wird nicht wirksam widerrufen, wenn der Erblasser einem Dritten den Auftrag zur Vernichtung erteilt, dieser Auftrag aber nicht ausgeführt wird[2].

Ein Widerruf durch einen Dritten ist nur wirksam, wenn dieser als “unselbst­ständiges Werkzeug” des Erblassers handelt und keinen eigenen Entschei­dungs­spielraum hat[2][5]. Das bedeutet: Der Dritte muss die Handlung quasi als “verlängerter Arm” des Erblassers ausführen, ohne eigene Entscheidungen zu treffen.

Widerruf eines neueren Testaments - lebt das alte wieder auf?

Eine besondere Situation entsteht, wenn Sie ein neueres Testament widerrufen, zum Beispiel durch Vernichtung. Lebt dann Ihr älteres Testament wieder auf?

Das Bundes­gericht hat hierzu entschieden: Der Widerruf eines neuen Testaments lässt das alte Testament nicht automatisch wieder­aufleben[3]. Ein Wieder­aufleben ist nur möglich, wenn Sie als Erblasser dies ausdrücklich erklären.

Praxis­beispiel: Ein Erblasser verfasste 2008 ein Testament, in dem er seiner Lebens­partnerin 10 Millionen Franken vermachte. 2010 errichtete er ein neues Testament, in dem er seiner Lebens­partnerin nur noch für fünf Jahre monatlich 15.000 Franken zusprach. Später vernichtete er das Testament von 2010. Das Bundes­gericht entschied, dass dadurch das Testament von 2008 nicht wieder auflebte. Da keine ausdrückliche Erklärung zum Wieder­aufleben des älteren Testaments vorlag, kam die gesetz­liche Erbfolge zur Anwendung[3].

Rechtliche Grundlage: Nach § 2258 Abs. 2 BGB gilt zwar grundsätzlich: “Wird das spätere Testament widerrufen, so ist im Zweifel das frühere Testament in gleicher Weise wirksam, wie wenn es nicht aufge­hoben worden wäre.”[1][9] Die Recht­sprechung hat dies jedoch einge­schränkt: Es bedarf einer eindeutigen Willens­äußerung des Erblassers für das Wieder­aufleben.

Mehrere Ausfertigungen eines Testaments

Bei mehreren Ausfertigungen desselben Testaments gilt eine besondere Regel: Die Vernichtung nur einer von mehreren Testaments­urschriften führt nur dann zum Widerruf, wenn Ihr Wille zur Testaments­aufhebung zweifels­frei erkennbar ist[1][6].

Praktische Handlungs­empfehlungen

Um Unsicher­heiten und mögliche Erb­streitigkeiten zu vermeiden, empfehlen wir Ihnen:

  1. Vernichten Sie alle Exemplare eines Testaments, wenn Sie es widerrufen möchten.

  2. Erstellen Sie nach dem Widerruf ein neues Testament. Legen Sie darin eindeutig fest, wer erben soll, und erwähnen Sie ausdrücklich, dass alle früheren Verfügungen aufge­hoben werden.

  3. Bewahren Sie Ihr Testament an einem sicheren Ort auf, wo es nach Ihrem Tod gefunden werden kann, aber nicht von unbefugten Personen verändert oder vernichtet werden kann. Ideal ist die amtliche Verwahrung beim Amts­gericht.

  4. Informieren Sie Vertrauens­personen über den Aufbewahrungs­ort Ihres aktuellen Testaments.

  5. Holen Sie bei komplexen Erb­situationen rechtlichen Rat von einer Fach­person für Erbrecht ein.

Besondere Erb­situationen beachten

In manchen Lebens­lagen ist besondere Vorsicht geboten:

Geschiedene oder getrennt lebende Ehepaare

Eine letzt­willige Verfügung, durch die Sie Ihren Ehe­partner bedacht haben, wird automatisch unwirksam, wenn die Ehe vor Ihrem Tod aufgelöst wurde (§ 2077 Abs. 1 Satz 1 BGB)[1].

Gemeinschaftliches Testament von Ehe­partnern

Bei einem gemein­schaftlichen Testament von Ehe­partnern gelten besondere Regeln für den Widerruf. Nach dem Tod eines Ehe­partners kann der überlebende Partner wechsel­bezügliche Verfügungen in der Regel nicht mehr widerrufen[1].

Rechtslage bei internationalen Bezügen

Hat ein Testaments­widerruf Bezüge zum Ausland, bestimmt die Europäische Erb­rechts­verordnung (EuErbVO), welches Recht anzuwenden ist[1]. Die formelle Wirksam­keit des Widerrufs richtet sich nach dem Recht, das für die Errichtung des Testaments maßgeblich war.

Zusammenfassung: Was gilt bei versehentlich nicht vernichteten Testamenten?

  1. Bei Widerruf durch ein neues Testament: Das neue Testament hat Vorrang, auch wenn das alte noch existiert.

  2. Bei Auftrag zur Vernichtung, der nicht ausgeführt wurde: Das Testament bleibt wirksam.

  3. Bei Widerruf eines neueren Testaments: Das ältere Testament lebt nicht automatisch wieder auf. Ohne ausdrückliche Erklärung greift die gesetzliche Erbfolge.

  4. Bei mehreren Testaments­ausfertigungen: Die Vernichtung nur eines Exemplars führt nur dann zum Widerruf, wenn der Wille zur Testaments­aufhebung zweifels­frei erkennbar ist.

Die Testaments­gestaltung ist ein persönliches Recht, das Ihnen bis zum letzten Atemzug zusteht. Nehmen Sie sich die Zeit, Ihre Nachlass­planung sorgfältig zu überdenken und rechts­sicher zu gestalten, um Ihren Angehörigen Klarheit zu verschaffen und mögliche Streitig­keiten zu vermeiden.