Beeinflussen religiöse Überzeugungen die Festlegungen in der Patientenverfügung?

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Zusammenfassung

Religiöse Überzeugungen beeinflussen häufig die Inhalte von Patientenverfügungen, insbesondere bei der Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen oder der Einbindung spiritueller Begleitung. Wichtig ist, dass persönliche Werte klar und konkret formuliert werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Eine gut durchdachte Verfügung, die religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen berücksichtigt, kann sowohl rechtliche Sicherheit als auch inneren Frieden schaffen.

Religiöse Überzeugungen können eine zentrale Rolle bei der Gestaltung von Patientenverfügungen spielen. In Deutschland zeigt sich dies besonders deutlich am Beispiel der christlichen Patientenvorsorge, die seit 1999 von den Kirchen angeboten wird. Diese Form der Vorsorge betont den Schutz der Menschenwürde und lehnt aktive Sterbehilfe ab, während sie gleichzeitig natürliches Sterben akzeptiert[2][6]. Wie Studien belegen, verfassen insbesondere intrinsisch religiöse Menschen - also jene, deren Glaube tief im persönlichen Wertesystem verankert ist - häufiger eine Pati­ent:innenverfügung als weniger gläubige Personen[1]. Doch nicht nur christliche Werte prägen solche Dokumente. Auch andere religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen beeinflussen, welche medizinischen Maßnahmen befürwortet oder abgelehnt werden.

Religiöse Werte als Grundlage medizinischer Entscheidungen

Die christliche Ethik betont die Unantastbarkeit des Lebens als Gottesgeschenk. Dies spiegelt sich in vielen Pati­ent:innenverfügungen wider, die explizit lebensverlängernde Maßnahmen ablehnen, sobald diese nicht mehr dem Wohl des Menschen dienen[3][6]. Ein typischer Satz lautet: „Ich wünsche keine Therapien, die lediglich den Tod hinauszögern, ohne Heilung oder Linderung zu bringen.“ Solche Formulierungen stehen im Einklang mit der kirchlichen Lehre, die zwischen aktiver Sterbehilfe und passivem Sterbenlernen unterscheidet[4].

Doch religiöse Prägung zeigt sich nicht nur in Ablehnungsklauseln. Viele Gläubige legen Wert auf spirituelle Begleitung - etwa den Beistand einer Seelsorger:in oder bestimmte Rituale im Sterbeprozess. Diese Bedürfnisse können in der Pati­ent:innenverfügung verbindlich festgehalten werden.

Unterschiede zwischen christlicher und allgemeiner Pati­ent:innenverfügung

Obwohl die christliche Pati­ent:innenverfügung rechtlich genauso bindend ist wie andere Formulare, gibt es inhaltliche Besonderheiten:

  • Fokus auf Lebensqualität statt Lebensverlängerung: Während viele Standardformulare technische Behandlungen auflisten, betont die kirchliche Version die „sorgsame Pflege zur Linderung von Schmerzen und Angst“[6].
  • Ablehnung aktiver Sterbehilfe: In Übereinstimmung mit dem Strafgesetzbuch wird jede Form der Tötung auf Verlangen ausgeschlossen[1][4].
  • Integration spiritueller Werte: Das Dokument ermutigt dazu, über existenzielle Fragen nachzudenken und den Glauben als Entscheidungshilfe zu nutzen[2].

Kritiker:innen wie der Medizinethiker Prof. Hans-Martin Sass bemängeln jedoch, dass kirchliche Vorlagen zu pauschal seien und individuelle Krankheitsszenarien wie Demenz oder Schlaganfälle vernachlässigen[7].

Rechtliche Sicherheit und religiöse Überzeugungen

In Deutschland sind Pati­ent:innenverfügungen durch § 1827 BGB geschützt. Dieser Paragraph verpflichtet Ärzt:innen und Betreuungspersonen, die schriftlich fixierten Wünsche zu respektieren - unabhängig davon, ob diese auf religiösen oder säkularen Überzeugungen beruhen. Wichtig ist jedoch, dass die Formulierungen konkret genug sind.

Ein Beispiel aus der Praxis: Eine gläubige Katholikin lehnte in ihrer Verfügung „jede Form der Euthanasie“ ab. Als sie ins Koma fiel, entstand ein Streit darüber, ob dies auch die Absetzung einer künstlichen Ernährung umfasste. Das Gericht entschied, dass der Begriff „Euthanasie“ im juristischen Sinn nur aktive Sterbehilfe meint - die Ernährung konnte daher eingestellt werden[3].

Konflikte zwischen Religion und Medizin

Trotz klarer Gesetze kommt es immer wieder zu Spannungen:

  • Bluttransfusionen bei Zeugen Jehovas: Obwohl diese Gruppe Blutübertragungen aus Glaubensgründen ablehnt, können Gerichte im Notfall eine Behandlung anordnen - es sei denn, die Pati­ent:in hat dies in einer klar formulierten Verfügung ausgeschlossen[3].
  • Künstliche Ernährung in islamischen Gemeinschaften: Einige Muslim:innen befürworten lebenserhaltende Maßnahmen auch im Endstadium, da der genaue Todeszeitpunkt als gottgegeben gilt. Hier ist eine präzise Dokumentation essenziell[3].

Praktische Tipps für die Erstellung

  1. Reflektieren Sie Ihre Werte
    Nehmen Sie sich Zeit, um über Ihre religiösen oder ethischen Überzeugungen nachzudenken. Fragen wie „Welche Rolle spielt Lebensqualität für mich?“ oder „Wie wichtig sind spirituelle Rituale im Sterbeprozess?“ helfen bei der Klärung.

  2. Kombinieren Sie Vorlagen mit individuellen Anpassungen
    Nutzen Sie kirchliche Muster als Inspiration, ergänzen Sie diese aber um persönliche Aussagen. Beispiel: „Als Christin vertraue ich auf Gottes Führung. Ich wünsche mir, dass meine Angehörigen und Ärzt:innen dieses Vertrauen achten.“

  3. Benennen Sie eine Vertrauensperson
    In der Vorsorgevollmacht sollten Sie jemanden einsetzen, der Ihre religiösen Überzeugungen teilt oder zumindest respektiert. Besprechen Sie mit dieser Person konkrete Szenarien - etwa den Umgang mit Schmerzmitteln, die das Bewusstsein trüben könnten.

  4. Aktualisieren Sie regelmäßig
    Glaubensüberzeugungen können sich wandeln. Überprüfen Sie Ihre Verfügung daher alle zwei Jahre oder nach einschneidenden Erlebnissen wie einer schweren Krankheit.

Umgang mit Widerständen in der Familie

Auch wenn Ihre Angehörigen Ihre Entscheidungen nicht nachvollziehen können, sind sie rechtlich an Ihre Verfügung gebunden. Um Konflikte zu vermeiden:

  • Führen Sie frühzeitig Gespräche über Ihre Motive.
  • Hinterlegen Sie ein Begleitschreiben, in dem Sie Ihren Glauben als Entscheidungsgrundlage erläutern.
  • Beziehen Sie bei Bedarf eine Seelsorger:in oder Mediati­on­s­stelle ein.

Fazit: Glaube als Kompass in der Vorsorge

Religiöse Überzeugungen geben vielen Menschen Halt, wenn es um existenzielle Fragen geht. Eine Pati­ent:innenverfügung, die diese Werte abbildet, kann nicht nur rechtliche Sicherheit schaffen, sondern auch spirituellen Frieden stiften. Wichtig ist, dass das Dokument individuelle Überzeugungen konkret und nachvollziehbar formuliert - egal, ob es sich um eine kirchliche Vorlage oder eine eigenständig verfasste Erklärung handelt.

Die Erfahrung zeigt: Wer sich rechtzeitig mit diesen Themen auseinandersetzt, entlastet nicht nur Angehörige, sondern gewinnt auch Klarheit über das eigene Leben­sverständnis. Wie eine Teilnehmerin der HAW-Studie es ausdrückte: „Meine Verfügung ist kein Abschiedsbrief, sondern ein Bekenntnis zum vertrauensvollen Umgang mit dem Leben - bis zum letzten Atemzug.“[1][6].