Wie wird die Einwilligungsfähigkeit festgestellt?

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Zusammenfassung

Die Einwilligungsfähigkeit wird anhand der Fähigkeit geprüft, eine medizinische Maßnahme zu verstehen, deren Konsequenzen abzuwägen und den eigenen Willen klar zu äußern. Ärzt:innen beurteilen dies individuell, abhängig von der konkreten Situation und den vier Prüfkriterien: Informationsverständnis, Einsichtsfähigkeit, Urteilsvermögen und Kommunikationsfähigkeit. Bei Unsicherheiten können unterstützende Maßnahmen, eine zweite Meinung oder im Extremfall das Betreuungsgericht hinzugezogen werden.

Die Fähigkeit, in medizinische Maßnahmen einzu­willigen, ist ein zentrales Recht jedes Menschen. Doch wie wird eigentlich geprüft, ob jemand diese Entschei­dungsfähigkeit besitzt? Dieser Artikel erklärt verständlich, welche Kriterien gelten, wer die Einwilligungsfähigkeit beurteilt und was Sie wissen müssen, um in schwie­rigen Situationen handlungs­sicher zu bleiben.

Grundlagen der Einwilligungsfähigkeit

Einwilligungsfähigkeit bedeutet, dass eine Person in der Lage ist, die Tragweite einer medizinischen Entscheidung zu verstehen und bewusst zu treffen[1][2]. Im deutschen Recht gilt: Jeder volljährige Mensch wird grundsätzlich als einwilligungsfähig angesehen - es sei denn, es liegen konkrete Anhaltspunkte für das Gegenteil vor[1][6].

Wichtige rechtliche Rahmenbedingungen

Die vier Prüf­schritte der Einwilligungsfähigkeit

Ärzt:innen und psychologische Fachkräfte orientieren sich an vier zentralen Kriterien, die gemeinsam betrachtet werden müssen[3][4][7][8]:

1. Informations­verständnis

Können Sie erklären, worum es bei der Maßnahme geht? Fachkräfte prüfen, ob Sie verstanden haben:

  • Welches Ziel die Behandlung verfolgt
  • Welche Risiken und Nebenwirkungen möglich sind
  • Welche Alternativen es gibt

Beispiel: Bei einer geplanten Operation wird gefragt: „Können Sie mir in Ihren Worten erklären, warum wir diesen Eingriff vorschlagen?“

2. Einsichts­fähigkeit

Geht es darum, ob Sie erkennen, dass die Entscheidung Ihre eigene Gesundheit betrifft. Menschen mit schwerer Demenz vergessen manchmal, dass sie krank sind - das kann die Einsichtsfähigkeit beeinträchtigen[3][8].

3. Urteils­vermögen

Hier wird geprüft, ob Sie Vor- und Nachteile abwägen können. Können Sie beispielsweise erklären, warum Sie einer Chemotherapie zustimmen oder ablehnen möchten? Wichtig ist, dass die Entscheidung nicht durch Wahnvorstellungen oder akute Angstzustände verzerrt ist[4][7].

4. Kommunikations­fähigkeit

Können Sie Ihren Willen klar äußern? Das kann auch durch nonverbale Signale wie Kopfnicken geschehen. Bei Sprachbarrieren müssen Dolmetscher:innen hinzugezogen werden[7][8].

Wer prüft die Einwilligungsfähigkeit?

Verantwortlich ist immer die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt[1][6]. Dabei gilt:

  • Die Prüfung muss sich auf die konkrete Situation beziehen
  • Ein allgemeiner Intelligenztest reicht nicht aus
  • Auch Menschen mit Demenz oder psychischen Erkrankungen können einwilligungsfähig sein[3][8]

Praxis­tipp: Fordern Sie bei Unsicherheiten immer eine zweite Meinung ein. Bei komplexen Fällen können Neuropsycholog:innen hinzugezogen werden[7].

Besondere Situationen

Bei Minderjährigen

Es gibt keine festen Altersgrenzen. Entscheidend ist, ob das Kind die Reife hat, die konkrete Entscheidung zu verstehen. Ein 14-Jähriger mit Krebserkrankung könnte etwa über eine Chemotherapie selbst entscheiden, während ein Gleichaltriger ohne Krankheitserfahrung dies möglicherweise nicht kann[2][6].

Bei Demenz oder psychischen Erkrankungen

Hier wird die Einwilligungsfähigkeit oft schwankend beurteilt. Wichtig:

  • Die Prüfung muss zum konkreten Zeitpunkt der Entscheidung erfolgen
  • Unterstützende Maßnahmen wie vereinfachte Erklärungen müssen ausgeschöpft werden
  • Tagebuch über gute und schlechte Phasen führen hilft bei der Einschätzung[3][8]

Fall­beispiel: Herr Müller (76) mit mittelschwerer Demenz versteht morgens meist gut, warum sein Herzschrittmacher kontrolliert werden muss. Nachmittags, wenn seine Verwirrtheit zunimmt, ist er oft nicht mehr einwilligungsfähig.

Was passiert bei Zweifeln?

  1. Aufklärungs­gespräch wiederholen
    Manchmal helfen einfachere Erklärungen oder Visualisierungen[7][8].

  2. Unterstützer:innen einbeziehen
    Angehörige oder vertraute Pflegekräfte können helfen, Missverständnisse aufzuklären[6].

  3. Betreuungs­gericht einschalten
    Wenn dauerhafte Einwilligungsunfähigkeit vermutet wird, kann das Gericht eine rechtliche Betreuung anordnen[5][6].

Dokumentation ist entscheidend

Ärzt:innen müssen genau festhalten[3][6]:

  • Welche Aufklärungsinhalte vermittelt wurden
  • Wie die vier Prüfkriterien beurteilt wurden
  • Wer anwesend war (z.B. Angehörige)

Forderung an Fachkräfte: Bitten Sie um eine schriftliche Dokumentation der Einwilligungsfähigkeitsprüfung - das schafft Rechtssicherheit für alle Beteiligten.

Patienten­verfügungen richtig nutzen

Eine gültige Patientenverfügung setzt voraus, dass Sie zum Zeitpunkt der Erstellung einwilligungsfähig waren[2][6]:

  • Formulieren Sie konkret: „Bei Koma ohne zeitnahe Aussicht auf Besserung möchte ich keine invasive Beatmung
  • Überprüfen Sie alle zwei Jahre, ob die Festlegungen noch Ihrem Willen entsprechen
  • Besprechen Sie die Verfügung mit Ihrer Hausärztin oder Ihrem Hausarzt

Ihre Rechte im Überblick

  • Jeder medizinische Eingriff benötigt Ihre Zustimmung - außer in akuten Lebensgefahr-Situationen[1]
  • Sie dürfen Behandlungen auch ohne Angabe von Gründen ablehnen[6]
  • Bei Fehlern in der Aufklärung können Sie Schadenersatz fordern[1]

Praktische Checkliste für Angehörige

  1. Beobachten Sie genau
    Notieren Sie, wann die Person Entscheidungen klar treffen kann.

  2. Unterstützen Sie die Kommunikation
    Verwenden Sie einfache Sprache oder Bildmaterial.

  3. Fordern Sie Transparenz ein
    Lassen Sie sich jeden Schritt der Prüfung erklären.

  4. Widersprechen Sie bei Bedarf
    Wenn Sie Fehler vermuten, verlangen Sie eine zweite Meinung.

Die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit ist kein starres Urteil, sondern ein Prozess, der Einfühlungs­vermögen und Fachwissen erfordert. Als Betroffene:r oder Angehörige:r haben Sie das Recht, auf eine sorgfältige Prüfung zu bestehen. Scheuen Sie nicht davor zurück, Nachfragen zu stellen oder Unterstützung einzufordern - Ihr Wohl steht im Mittelpunkt.