Sollten Sie Zeug:innen bei der Erstellung einer Patientenverfügung hinzuziehen?

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Zusammenfassung

Die Hinzuziehung von Zeug:innen bei der Erstellung einer Patientenverfügung ist rechtlich nicht erforderlich, kann jedoch sinnvoll sein, um Konflikte zu vermeiden, Interpretationsspielräume zu klären und Angehörige emotional zu entlasten. Besonders neutrale Personen wie Ärzt:innen oder rechtliche Berater:innen eignen sich als Zeug:innen, da sie Ihre geistige Klarheit und Freiwilligkeit bestätigen können. Alternativ bieten regelmäßige Aktualisierungen, ärztliche Atteste oder Videoerklärungen zusätzliche Sicherheit.

Eine Patientenverfügung gibt Ihrem Willen eine Stimme, wenn Sie selbst nicht mehr sprechen können. Doch wie sicher stellen Sie sicher, dass diese Stimme später auch gehört und respektiert wird? Die Frage nach Zeug:innen wirft praktische, rechtliche und emotionale Aspekte auf - hier finden Sie klare Antworten, die Ihnen Handlungssicherheit geben.

Rechtliche Grundlagen: Was das Gesetz vorschreibt

Die gesetzliche Basis für Patientenverfügungen in Deutschland ist in § 1827 BGB verankert. Eine notarielle Beurkundung oder die Hinzuziehung von Zeug:innen ist nicht verpflichtend. Für die Gültigkeit genügt:

Juristisch betrachtet könnten Sie Ihre Verfügung also allein im stillen Kämmerlein verfassen. Doch Rechtssicherheit bedeutet nicht automatisch Umsetzungssicherheit. Hier kommen Zeug:innen ins Spiel - nicht als Pflicht, aber als strategisches Werkzeug.

Drei Gründe, warum Zeug:innen sinnvoll sein können

1. Beweiskraft im Konfliktfall

Stellen Sie sich vor: Nach einem schweren Unfall liegt Ihre Patientenverfügung vor, doch entfernte Verwandte zweifeln plötzlich Ihre Urteilsfähigkeit bei der Erstellung an. Zeug:innen, die Ihre geistige Klarheit und den Abfassungsprozess bestätigen, können hier entscheidend sein. Ein Gerichtsurteil des Bundesgerichtshofs (Az. XII ZB 61/16) zeigt: Selbst bei formal korrekten Verfügungen werden Zweifel an der Ernsthaftigkeit oft zum Stolperstein[2][6].

2. Klärung von Interpretationsspielräumen

Medizinische Situationen sind selten schwarz-weiß. Zeug:innen, die mit Ihnen über Ihre Wertvorstellungen gesprochen haben, können Ärzt:innen und Angehörigen helfen, Ihre Formulierungen im konkreten Fall richtig einzuordnen. Ein Beispiel: Die Ablehnung “lebensverlängernder Maßnahmen” lässt Raum für Deutungen - Zeug:innen könnten bekräftigen, dass Sie damit explizit auch die künstliche Ernährung meinten[4][7].

3. Psychologische Entlastung für Angehörige

Wenn Ihre Vertrauenspersonen später schwere Entscheidungen treffen müssen, geben Zeugenaussagen ihnen Rückendeckung. Eine Studie der Universität Bremen (2023) zeigt: 68% der Bevollmächtigten fühlen sich durch Zeugenvermerke in ihrer Verantwortung entlastet[3][6].

Praktische Tipps zur Zeugenwahl

Wer eignet sich?

  • Vertrauenspersonen außerhalb möglicher Interessenkonflikte (nicht gleichzeitig Erb:innen oder Betreuer:innen)[3][5]
  • Medizinische Fachkräfte, die die Dokumente mit Ihnen besprochen haben[6][8]
  • Rechtliche Berater:innen, die über die Tragweite aufklärten[7]

Was dokumentieren die Zeug:innen?

  • Datum und Ort der Unterzeichnung
  • Ihre geistige Klarheit während des Prozesses
  • Freiwilligkeit der Erklärung ohne Druck Dritter[3][5]

Ein Mustervermerk könnte lauten:

Ich bestätige, dass [Name] die Patientenverfügung am [Datum] bei vollem Bewusstsein und ohne äußeren Einfluss eigenhändig unterzeichnet hat. [Ort, Datum, Unterschrift Zeug:in]

Wann Sie auf Zeug:innen verzichten können

  • Bei klaren, detaillierten Formulierungen zu konkreten Behandlungsszenarien
  • Wenn Sie regelmäßige Aktualisierungen vornehmen und dies dokumentieren
  • Bei kombinierter Vorsorgevollmacht, wo Ihre Vertrauensperson bereits eingebunden ist[4][8]

Ein Praxisbeispiel: Herr Müller (72) lehnt in seiner Verfügung “Beat­mung bei irreversibler Ge­hirn­schädigung nach Schlaganfall” explizit ab - hier genügt die präzise Formulierung ohne Zeugen.

Alternativen und Ergänzungen zu Zeug:innen

1. Video­erklärung

Eine kurze Videoaufnahme, in der Sie Ihre Beweggründe erläutern, kann Interpretationshilfe bieten. Wichtig: Speichern Sie diese verschlüsselt und teilen Sie den Zugangscode nur Vertrauenspersonen mit.

2. Ärztliches Attest

Lassen Sie Ihre Haus­ärzt:in bestätigen, dass Sie bei der Erstellung einwilligungsfähig waren. Dies ist besonders bei Vorerkrankungen wie beginnender Demenz ratsam[6][8].

3. Regelmäßige Bestätigung

Setzen Sie alle 2-3 Jahre ein neues Datum unter die Verfügung - dies signalisiert Aktualität und bewusste Bestätigung[3][7].

Was tun, wenn Zeug:innen nicht verfügbar sind?

  • Nutzen Sie offizielle Vordrucke des Bundesjustizministeriums mit integriertem Zeugenfeld[8]
  • Lassen Sie die Dokumente bei Betreuungsbehörde beglaubigen
  • Speichern Sie Entwürfe und Korrespondenz mit Ärzt:innen als Nachweis des Reflexionsprozesses

Häufige Fallstricke und wie Sie sie umgehen

1. Familienmitglieder als Zeug:innen

Problem: Ehepartner:innen oder Kinder könnten später als befangen gelten.
Lösung: Ziehen Sie zusätzlich eine neutrale Person wie Haus­ärzt:in oder Rechtsberater:in hinzu[3][5].

2. Ungenaue Zeugenvermerke

Problem: Ein bloßes “Zur Kenntnis genommen” ohne Kontext hilft wenig.
Lösung: Formulieren Sie konkret: “Herr XY war bei der Unterzeichnung ansprechbar und orientiert.”[7]

3. Vergessene Aktualisierung

Problem: Zeug:innen von vor 10 Jahren können sich nicht mehr erinnern.
Lösung: Bei jeder Überarbeitung neue Zeug:innen hinzuziehen oder das Attest erneuern[6].

Fazit: Zeug:innen als Brücke zwischen Recht und Realität

Während das Gesetz keine Zeug:innen vorschreibt, wirken sie wie ein Übersetzer zwischen Ihrem schriftlichen Willen und der komplexen Realität medizinischer Entscheidungen. Sie müssen nicht zwingend Teil Ihrer Verfügung sein - doch wie ein Sicherheitsgurt im Auto bieten sie zusätzlichen Schutz, den Sie im Ernstfall nicht mehr nachrüsten können.

Ihr nächster Schritt:

  1. Prüfen Sie bestehende Verfügungen auf Zeugenvermerke
  2. Wählen Sie 1-2 vertrauenswürdige Personen außerhalb der Familie
  3. Vereinbaren Sie einen Termin zur gemeinsamen Durchsicht
  4. Lagern Sie die beglaubigte Kopie bei Ihrem Haus­arzt/ Ihrer Haus­ärztin

Damit schaffen Sie nicht nur Rechts­sicherheit, sondern geben vor allem Ihren Angehörigen die Klarheit, die sie in emotional auf­wühlenden Situationen brauchen. Denn am Ende geht es nicht nur um Paragraphen - sondern darum, Ihren Willen als Person respektiert zu wissen.