Ist es besser, mehrere Vertrauenspersonen zu bestellen?

veröffentlicht am
aktualisiert am
Zusammenfassung

Die Benennung mehrerer Vertrauenspersonen in einer Patientenverfügung bietet Vorteile wie Erreichbarkeit, Arbeitsteilung und gegenseitige Kontrolle, birgt jedoch Risiken wie Konflikte oder rechtliche Komplexitäten. Klare Zuständigkeiten und schriftliche Regelungen sind entscheidend, um Missverständnisse zu vermeiden. Eine Kombination aus Einzel- und Ersatzbevollmächtigung oder bereichsbezogenen Vollmachten kann eine sinnvolle Lösung sein, abhängig von individuellen Lebensumständen.

Die Entscheidung, wer im Ernstfall über medizinische Maßnahmen entscheiden soll, gehört zu den persönlichsten und wichtigsten Vorsorgeschritten. Viele Menschen fragen sich: Soll ich eine oder mehrere Vertrauenspersonen benennen? Die Antwort hängt von Ihren individuellen Lebensumständen ab - doch es gibt klare rechtliche und praktische Rahmenbedingungen, die Sie kennen sollten[1][2].

Warum die Anzahl der Vertrauenspersonen über Selbstbestimmung entscheidet

Das deutsche Recht sieht vor, dass Bevollmächtigte in Gesundheitsfragen nur handeln dürfen, wenn sie durch eine Vorsorgevollmacht ausdrücklich autorisiert wurden[3][4]. Ohne diese Vollmacht hat selbst der engste Familienangehörige kein Mitspracherecht - Ärzt:innen müssen dann einen gesetzlichen Betreuer bestellen lassen[2][5].

Vorteile mehrerer Vertrauenspersonen

Durch die Bevollmächtigung mehrerer Personen schaffen Sie ein Sicherheitsnetz, das in Krisensituationen entscheidend sein kann:

  • Kontinuierliche Erreichbarkeit: Wenn eine Vertrauensperson verreist, erkrankt oder selbst handlungsunfähig wird, springt eine andere ein[1].
  • Arbeitsteilung: Unterschiedliche Kompetenzen lassen sich gezielt nutzen - etwa finanzielle Entscheidungen durch ein Familienmitglied, medizinische Fragen durch eine langjährige Freund:in[6][8].
  • Gegenseitige Kontrolle: Das Risiko von Fehlentscheidungen oder Missbrauch verringert sich, wenn mehrere Personen Verantwortung tragen[1].

Ein Praxisbeispiel: Herr Berger, 68, benennt seine Tochter und seinen Neffen gemeinsam. Während die Tochter als Ärztin medizinische Aspekte übernimmt, kümmert sich der Neffe um die Koordination mit Pflegediensten. Durch klare Aufgabenteilung in der Vollmacht vermeiden sie Doppelentscheidungen[6][8].

Risiken und typische Fallstricke

Trotz der Vorteile bergen Mehrfach­bevollmächtigungen rechtliche Komplexitäten, die häufig unterschätzt werden:

1. Konflikte durch unklare Zuständigkeiten

Das Oberlandesgericht Kassel urteilte 2010, dass Bevollmächtigte sich nicht gegenseitig entmachten dürfen[1]. Fehlt eine interne Regelung zur Streitbeilegung, kann dies zu handlungsunfähigen Situationen führen - etwa wenn zwei Geschwister unterschiedliche Auffassungen zur Dialyse haben[7].

2. Formale Anforderungen an die Vollmacht

Rechtssichere Formulierungen sind entscheidend:

  • Außenwirksame Handlungsfähigkeit: Jede Vertrauensperson muss gegenüber Dritten (Krankenhäusern, Banken) allein handeln können, selbst wenn intern eine Absprachepflicht besteht[1][8].
  • Konkrete Aufgabenverteilung: Allgemeine Formulierungen wie „meine Kinder entscheiden gemeinsam“ reichen nicht aus. Benennen Sie exakt, wer welche Befugnisse hat[6][10].

3. Psychologische Belastung

Eine Studie der Bundesärztekammer zeigt, dass Bevollmächtigte sich oft mit lebensentscheidenden Fragen überfordert fühlen[4][7]. Bei mehreren Personen kommt es häufig zu Schuldzuweisungen - besonders wenn Behandlungswünsche des Patienten nicht detailliert dokumentiert sind[5].

Rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten im Detail

Das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1827 BGB) erlaubt flexible Lösungen, die Sie kombinieren können:

a) Einzelvertretung mit Ersatzregelung

Sie bevollmächtigen primär eine Person, benennen aber schriftlich Nachrückende für den Verhinderungsfall. Beispiel:
„Meine Tochter Anna Müller vertritt mich in allen Gesundheitsfragen. Falls sie verhindert ist, übernimmt mein Bruder Peter Schmidt.“
Vorteil: Klare Hierarchie ohne Abstimmungsbedarf[8][10].

b) Gemeinsame Vertretung

Beide Personen müssen sich einigen - ideal für komplexe Vermögensfragen. In der Praxis riskant bei medizinischen Notfällen, da keine Einzelentscheidungen möglich sind[6].

c) Bereichsbezogene Vollmachten

Sie teilen Zuständigkeiten nach Themen auf:
„Mein Ehemann entscheidet über Klinikeinweisungen, meine Schwester über schmerztherapeutische Maßnahmen.“
Wichtig: Definieren Sie Schnittstellen und Notfallkompetenzen[1][6].

Praktische Checkliste für Ihre Entscheidung

  1. Vertrauensbasis prüfen
    Stehen die Kandidat:innen in regelmäßigem Kontakt? Gibt es historische Konflikte, die Kooperationen gefährden?

  2. Räumliche Nähe sicherstellen
    Mindestens eine Person sollte innerhalb von 2 Stunden erreichbar sein - relevant für OP-Einwilligungen[8].

  3. Regelmäßige Updates
    Besprechen Sie mindestens jährlich Ihre Behandlungswünsche - etwa bei neuen Diagnosen oder Therapieoptionen[4][5].

  4. Kombination mit Betreuungsverfügung
    Legen Sie schriftlich fest, wer als gerichtliche Betreuer:in vorgeschlagen wird, falls alle Bevollmächtigten ausfallen[3][7].

  5. Notfallpass erstellen
    Tragen Sie eine Kurzfassung der Vollmacht mit Kontaktdaten aller Vertrauenspersonen bei sich - digital und in Papierform[2][5].

Wann eine einzelne Vertrauensperson sinnvoll ist

Trotz aller Vorteile gibt es Situationen, in denen Einzel­bevollmächtigungen vorzuziehen sind:

  • Bei sehr persönlichen oder intimmedizinischen Entscheidungen
  • Wenn potenzielle Kandidat:innen in unterschiedlichen Ländern leben
  • Bei Vorgeschichte von familiären Erbstreits oder Kommunikationsproblemen

Ein Beispiel: Frau Schneider, 81, vertraut ausschließlich ihrer Hausärztin, da ihre Kinder seit Jahren zerstritten sind. Durch eine klare Vollmacht mit Untervollmachtsrecht ermöglicht sie der Ärztin, im Bedarfsfall eine Pflegefachkraft hinzuzuziehen[7].

Rechtssichere Umsetzung: So gehen Sie vor

  1. Formularwahl
    Nutzen Sie anerkannte Muster der Bundesärztekammer oder des Justizministeriums - keine selbst entworfenen Texte[3][4].

  2. Beglaubigung
    Obwohl nicht gesetzlich vorgeschrieben, empfiehlt sich die notarielle Beurkundung bei komplexen Regelungen[8][10].

  3. Verteilung
    Hinterlegen Sie Kopien bei Hausarzt:innen, Krankenkasse und allen Bevollmächtigten. Digitale Speicherung in Patientenakten prüfen[5][7].

  4. Testlauf
    Simulieren Sie mit Ihren Vertrauenspersonen einen Notfall - etwa durch Rollenspiele zu Demenzszenarien[4].

Ihre nächsten Schritte

  1. Persönliche Prioritäten klären
    Nehmen Sie sich 30 Minuten Zeit, um schriftlich festzuhalten:

    • Welche medizinischen Maßnahmen lehne ich grundsätzlich ab?
    • Wer kennt meine Wertvorstellungen am besten?
  2. Offene Gespräche führen
    Laden Sie potenzielle Vertrauenspersonen zu einem Gespräch ein - viele Konflikte entstehen durch unausgesprochene Erwartungen.

  3. Regelmäßige Überprüfung
    Passen Sie die Vollmacht nach Lebensveränderungen an: Heirat, Scheidung, Geburt von Enkelkindern oder Diagnosen.

Die Entscheidung für mehrere Vertrauenspersonen bietet mehr Sicherheit, erfordert aber auch mehr Vorbereitung. Durch klare Regelungen und offene Kommunikation schaffen Sie ein verlässliches Netzwerk - für den Fall, dass Sie selbst nicht mehr sprechen können[1][7].

Zögern Sie nicht, professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen. Viele Betreuungsvereine und Notar:innen bieten kostenlose Ersteinschätzungen an, um Ihren individuellen Weg zu finden[3][8].