Welche spezifischen Situationen sollte ich in meiner Patientenverfügung beschreiben?
In Ihrer Patientenverfügung sollten Sie konkrete Situationen wie fortgeschrittene Demenz, unheilbare Erkrankungen im Endstadium, Koma oder schwere Hirnschäden detailliert beschreiben. Nutzen Sie präzise medizinische Kriterien, Zeitrahmen und klare Entscheidungsprozesse, um Missverständnisse zu vermeiden. So stellen Sie sicher, dass Ihre Wünsche in schwierigen medizinischen Situationen respektiert werden.
Eine Patientenverfügung ist kein allgemeines Dokument - sie wird erst dann wirksam, wenn Sie konkrete Behandlungssituationen benennen, in denen Ihre Anweisungen gelten sollen. Dieser Artikel zeigt Ihnen anhand praxisnaher Beispiele, wie Sie lebensbedrohliche Szenarien präzise beschreiben und rechtliche Fallstricke vermeiden.
Warum konkrete Situationen entscheidend sind
Ihre Patientenverfügung ist wie ein Navigationssystem für medizinische Notfälle: Je genauer Sie Zielorte und Umleitungen definieren, desto sicherer erreichen Ärzt:innen und Angehörige die gewünschte Entscheidung. Allgemeine Formulierungen wie „in aussichtslosen Fällen“ sind rechtlich unwirksam, da sie zu viel Interpretationsspielraum lassen[1][3].
Beispiel aus der Praxis:
Eine 82-jährige Person mit fortgeschrittener Demenz lehnte in ihrer Verfügung „lebensverlängernde Maßnahmen“ ab. Als eine Schluckstörung auftrat, diskutierte das Behandlungsteam, ob eine Magensonde darunter fällt. Ohne präzise Beschreibung der Demenzphase blieb die Situation unklar[11].
Kernsituationen für Ihre Patientenverfügung
1. Fortgeschrittene Demenz oder Alzheimer
Beschreiben Sie genau, ab welchem Stadium Ihre Verfügung greift:
- Wenn Sie Personen aus dem engsten Familienkreis nicht mehr erkennen
- Bei Verlust der Fähigkeit, grundlegende Bedürfnisse wie Hunger/Durst zu äußern
- Wenn Sie dauerhaft auf Hilfe bei der Körperpflege angewiesen sind
Formulierungsbeispiel:
„Diese Anweisungen gelten, wenn zwei unabhängige Fachärzt:innen für Neurologie feststellen, dass ich aufgrund von Demenz dauerhaft nicht mehr in der Lage bin, Entscheidungen zu treffen oder mich verbal zu äußern.“[9][12]
2. Unheilbare Erkrankungen im Endstadium
Definieren Sie medizinische Kriterien für Krankheitsphasen:
- Bei Krebs: Metastasierung trotz mehrerer Therapieversuche
- Bei Organversagen: Wenn Transplantation nicht möglich ist
- Bei degenerativen Erkrankungen: Fortschreiten trotz palliativer Behandlung
Wichtiger Hinweis: Beziehen Sie sich auf diagnostizierbare Zustände wie „FEV1-Wert unter 30% bei COPD“ statt allgemeiner Begriffe wie „schwere Atemnot“.
3. Koma und apallisches Syndrom
Unterscheiden Sie zwischen vorübergehender Bewusstlosigkeit und dauerhaften Zuständen:
- Zeitrahmen festlegen (z.B. „nach 4 Wochen ohne Besserung“)
- Apparatebehandlung konkret benennen (Künstliche Beatmung, Dialyse, PEG-Sonde)
- Reanimationswünsche bei Komplikationen klären
Praxistipp: Fügen Sie eine Klausel ein wie: „Bei unklarer Prognose soll zunächst alle 72 Stunden neu evaluiert werden.“
4. Schwere Hirnschäden nach Unfall/Schlaganfall
Machen Sie bildgebende Befunde zum Auslöser:
- „Bei Nachweis von Hirnstammschäden im MRT“
- „Wenn Glasgow-Coma-Scale unter 5 Punkte für mehr als 14 Tage“
- „Bei diagnostiziertem Locked-in-Syndrom“
Rechtlicher Hintergrund: Der Bundesgerichtshof fordert seit 2016 konkrete Zuordnungen zwischen Schädigungsmuster und Behandlungswünschen[3][14].
5. Altersbedingte Multimorbidität
Definieren Sie Grenzen bei gleichzeitigem Vorliegen mehrerer Erkrankungen:
- „Bei gleichzeitigem Nierenversagen und Herzinsuffizienz NYHA IV“
- „Wenn drei Organsysteme dauerhaft dekompensiert sind“
- „Bei therapierefraktären Schmerzen trotz palliativer Maßnahmen“
Fallbeispiel: Eine 75-jährige Person legte fest, dass bei gleichzeitigem Nierenversagen und Herzinfarkt keine Dialyse eingeleitet werden soll[10].
Wie Sie Situationen rechtssicher beschreiben
Medizinische Kriterien verwenden
- Labowerte (z.B. „GFR unter 15 ml/min“)
- Bildgebende Befunde (z.B. „CT-Nachweis von Hirnödem“)
- Klassifikationssysteme (z.B. „TNM-Stadium IV“)
Zeitkomponenten festlegen
- „Nach drei erfolglosen Reanimationsversuchen“
- „Wenn der Zustand sich über vier Wochen nicht bessert“
- „Bei siebentägiger Bewusstlosigkeit mit Pupillenstarre“
Entscheidungsprozesse definieren
- „Zwei unabhängige Fachärzt:innen müssen den Zustand bestätigen“
- „Ein Ethikkomitee soll bei Unklarheiten hinzugezogen werden“
- „Meine Vertrauensperson muss allen Maßnahmen zustimmen“
Häufige Fehler und wie Sie sie vermeiden
❌ Zu allgemein: „In aussichtslosen Fällen“
✅ Konkret: „Bei dauerhaftem Verlust der Sprechfähigkeit und Lähmung aller Gliedmaßen“
❌ Widersprüchlich: „Maximale Schmerztherapie, aber keine Medikamentennebenwirkungen“
✅ Klar: „Opioide auch bei möglicher Verkürzung der Lebenszeit“
❌ Veraltete Begriffe: „Hirntod“
✅ Aktuell: „Irreversibler Ausfall aller Hirnfunktionen nach festgelegten Kriterien“
Sondersituationen besonderer Lebensumstände
Bei psychischen Erkrankungen
- „Bei schwerer therapieresistenter Depression mit Suizidversuchen“
- „Wenn Demenz mit aggressiven Verhaltensmustern einhergeht“
Für Eltern chronisch kranker Kinder
- „Bei Progredienz der spinalen Muskelatrophie trotz Gentherapie“
- „Wenn bei Trisomie 21 eine schwere Demenz einsetzt“
Bei religiösen/ethischen Überzeugungen
- „Keine Bluttransfusionen bei Zeugen Jehovas“
- „Verzicht auf Schweineprodukte in der Ernährung“
Praktische Umsetzungshilfen
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Checkliste für konkrete Formulierungen:
- [ ] Medizinische Fachbegriffe mit Erklärung
- [ ] Zeitangaben für Behandlungsversuche
- [ ] Konkrete Abbruchkriterien
- [ ] Benennung von Entscheidungsträger:innen
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Musterformulierung für Krebserkrankungen:
„Im Falle einer metastasierten Krebserkrankung, bei der nach drei verschiedenen Systemtherapien (Chemo-, Strahlen-, Immuntherapie) keine Remission mehr erreicht wird, lehne ich weitere zytostatische Behandlungen ab. Schmerz- und Symptomlinderung haben Vorrang.“ -
Digitaler Notfallpass:
Speichern Sie einen QR-Code mit Kurzversion Ihrer Verfügung im Portemonnaie - viele Rettungsdienste scannen diesen standardmäßig[6].
Rechtliche Rahmenbedingungen
Ihre Patientenverfügung muss sich an § 1827 BGB orientieren. Wichtige Punkte:
- Schriftform mit Datum und Unterschrift
- Regelmäßige Aktualisierung (mindestens alle 2 Jahre)
- Keine pauschalen Sterbehilfeanweisungen
- Benennung einer Vertrauensperson
Neue Rechtsprechung: Seit 2023 müssen Ärzt:innen bei Konflikten zwischen Verfügung und mutmaßlichem Willen ein Betreuungsgericht einschalten[7][8].
Ihr nächster Schritt
Setzen Sie sich mit Ihrem Hausarzt/Ihrer Hausärztin zusammen und:
- Besprechen Sie typische Notfallszenarien Ihrer Krankheitsgeschichte
- Lassen Sie medizinische Fachbegriffe erklären
- Vereinbaren Sie einen jährlichen Überprüfungstermin
Eine präzise Patientenverfügung ist das wirkungsvollste Mittel, um Ihre Selbstbestimmung bis zuletzt zu wahren. Nehmen Sie sich die Zeit, Ihre persönlichen Grenzen klar zu definieren - es ist eines der wichtigsten Dokumente Ihres Lebens.