Was geschieht, wenn keine Patientenverfügung existiert?
Ohne Patientenverfügung müssen Ärzt:innen und Betreuer:innen den mutmaßlichen Willen der betroffenen Person ermitteln, was oft zu Unsicherheiten und Konflikten führt. Angehörige haben kein automatisches Entscheidungsrecht, und das Betreuungsgericht kann eine rechtliche Vertretung bestellen. Eine Patientenverfügung schafft Klarheit, entlastet alle Beteiligten und stellt sicher, dass medizinische Maßnahmen den eigenen Wünschen entsprechen.
- Die rechtliche Grundlage im Überblick
- Wer trifft die Entscheidungen?
- Praktische Herausforderungen im Klinikalltag
- Patientenverfügung vs. Vorsorgevollmacht: Unterschiede klären
- So schaffen Sie Handlungssicherheit
- Wenn bereits ein Notfall eingetreten ist
- Rechtliche Entwicklungen und Reformen
- Fazit: Warum Jetzt der richtige Zeitpunkt ist
Eine Patientenverfügung gibt Sicherheit - doch was passiert, wenn dieses Dokument fehlt? In Deutschland müssen jedes Jahr tausende Menschen medizinische Entscheidungen treffen, ohne selbst dazu in der Lage zu sein. Ohne schriftliche Vorsorge entsteht eine Situation, die für alle Beteiligten emotional belastend und rechtlich komplex sein kann. Dieser Artikel zeigt auf, welche Mechanismen greifen, wie der mutmaßliche Wille ermittelt wird und welche praktischen Schritte Sie jetzt ergreifen können.
Die rechtliche Grundlage im Überblick
Die gesetzliche Grundlage der Patientenverfügung in Deutschland ist in § 1827 BGB verankert. Fehlt diese, gilt der mutmaßliche Wille als entscheidend. Das bedeutet: Ärzt:innen und gesetzliche Vertreter:innen müssen anhand konkreter Anhaltspunkte rekonstruieren, was die betroffene Person in der aktuellen Situation gewollt hätte[1][2].
Der Entscheidungsprozess ohne Vorsorgedokument
Ohne Patientenverfügung durchläuft die Entscheidungsfindung drei Stufen:
- Ermittlung des mutmaßlichen Willens durch Gespräche mit Angehörigen, Freunden oder Hausärzt:innen.
- Bestellung einer gesetzlichen Vertretung, falls keine Vorsorgevollmacht vorliegt.
- Gerichtliche Überprüfung bei Konflikten oder unklarer Sachlage[4][6].
Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht die Tragweite: In einem Fall vor dem Bundesverfassungsgericht (1 BvR 1187/19) musste geklärt werden, ob Ärzt:innen haftbar gemacht werden können, wenn sie lebenserhaltende Maßnahmen gegen den mutmaßlichen Willen des Patienten fortsetzen. Das Gericht betonte, dass auch ohne Patientenverfügung der individuelle Leidensdruck und frühere Äußerungen berücksichtigt werden müssen[7].
Wer trifft die Entscheidungen?
Die Rolle der Angehörigen
Nahe Familienmitglieder sind oft erste Ansprechpartner:innen für Ärzt:innen. Allerdings haben sie kein automatisches Entscheidungsrecht. Ihre Aussagen dienen lediglich dazu, den mutmaßlichen Willen zu rekonstruieren. Erst mit einer Vorsorgevollmacht erhalten sie verbindliche Handlungsbefugnis[3][6].
Das Betreuungsgericht als letzte Instanz
Fehlt sowohl Patientenverfügung als auch Vorsorgevollmacht, bestellt das Betreuungsgericht eine:n rechtliche:n Betreuer:in. Diese Person muss:
- Mit den behandelnden Ärzt:innen kooperieren
- Den mutmaßlichen Willen ermitteln
- Entscheidungen ausschließlich am Patientenwohl ausrichten[4][6]
Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (XII ZB 148/23) unterstreicht, dass Betreuer:innen verpflichtet sind, sämtliche verfügbaren Quellen auszuwerten - etwa frühere Briefe, religiöse Überzeugungen oder dokumentierte Gespräche[5].
Praktische Herausforderungen im Klinikalltag
Dokumentationspflichten des medizinischen Personals
Ärzt:innen müssen jeden Schritt der Willensermittlung detailliert festhalten. Dazu gehören:
- Gesprächsprotokolle mit Angehörigen
- Medizinische Indikationen
- Abgewogene Behandlungsalternativen
- Begründung der finalen Entscheidung[4]
Ethische Dilemmata
Besonders kontrovers ist die Frage nach lebensverlängernden Maßnahmen. Ohne klare Patientenverfügung tendieren Mediziner:innen oft zur „Maximaltherapie“ - selbst wenn diese dem mutmaßlichen Willen widerspricht. Grund hierfür ist die strafrechtliche Relevanz von Unterlassungen nach § 1831 BGB[3][7].
Patientenverfügung vs. Vorsorgevollmacht: Unterschiede klären
Viele Menschen verwechseln diese beiden Dokumente:
- Patientenverfügung
Direkte Anweisungen an Ärzt:innen für konkrete Behandlungssituationen - Vorsorgevollmacht
Überträgt Entscheidungsbefugnis an eine Vertrauensperson
Ohne Patientenverfügung kann eine Vorsorgevollmacht zwar helfen, ersetzt aber keine detaillierten medizinischen Anweisungen. Ideal ist die Kombination beider Dokumente[8].
So schaffen Sie Handlungssicherheit
Schritt 1: Dokumente erstellen
Nutzen Sie Vorlagen des Bundesjustizministeriums oder seriöser Anbieter. Wichtig:
Schritt 2: Vertrauenspersonen einbinden
Besprechen Sie Ihre Wünsche offen mit:
- Bevollmächtigten
- Familienmitgliedern
- Hausärzt:innen
Schritt 3: Verfügbarkeit sicherstellen
Hinterlegen Sie die Dokumente:
- Bei Hausarzt:in
- Im Zentralen Vorsorgeregister
- Bei vertrauenswürdigen Angehörigen[6][8]
Wenn bereits ein Notfall eingetreten ist
Als Angehörige:r handeln
- Alle verfügbaren schriftlichen Äußerungen zusammentragen
- Frühere Gespräche dokumentieren
- Behandlungsoptionen kritisch hinterfragen
- Ethikberatung der Klinik einbeziehen
Als Betreuer:in agieren
Das Betreuungsgericht überprüft regelmäßig, ob:
Rechtliche Entwicklungen und Reformen
Seit 2025 gilt das Gesetz zur Stärkung der Patientenautonomie, das:
- Die Bindungswirkung von Patientenverfügungen stärkt
- Schulungen für Betreuer:innen vorschreibt
- Elektronische Signaturen ermöglicht
Aktuelle Reformdebatten fordern:
Fazit: Warum Jetzt der richtige Zeitpunkt ist
Ohne Patientenverfügung überlassen Sie Entscheidungen über Ihr Leben Dritten. Die aktuelle Gesetzeslage bietet zwar Schutzmechanismen, doch diese sind zeitaufwändig und emotional belastend für alle Beteiligten.
Konkrete Empfehlungen:
- Nutzen Sie kostenlose Vorlagen des BMJV
- Besprechen Sie Ihre Werte mit Angehörigen
- Kombinieren Sie Verfügung mit Vorsorgevollmacht
- Hinterlegen Sie Dokumente mehrfach
Eine Patientenverfügung ist kein Ausdruck von Pessimismus, sondern ein Akt der Selbstbestimmung. Sie entlastet Angehörige, gibt Ärzt:innen Klarheit und sichert Ihnen ein würdevolles Leben bis zuletzt - nach Ihren eigenen Vorstellungen.