Wie werden Patientenverfügungen bei psychischen Erkrankungen behandelt?
Patientenverfügungen bei psychischen Erkrankungen ermöglichen es, Behandlungswünsche für Krisenzeiten verbindlich festzulegen, solange diese konkret formuliert und regelmäßig aktualisiert werden. Sie können Zwangsmaßnahmen einschränken, bleiben jedoch bei Fremdgefährdung oder unklaren Formulierungen begrenzt. Ergänzende Vorsorgevollmachten und Beratungen erhöhen die Wirksamkeit und Handlungssicherheit.
- Rechtliche Grundlagen: Wo Ihre Selbstbestimmung beginnt und endet
- Praktische Umsetzung: So gestalten Sie eine wirksame Verfügung
- Grenzen der Selbstbestimmung: Wann Zwangsmaßnahmen möglich bleiben
- Aktuelle Rechtsprechung: Bundesverfassungsgericht stärkt Patientenrechte
- Handlungsempfehlungen: So schützen Sie sich optimal
- Zukunftstrend: Behandlungsvereinbarungen als Alternative
Eine Patientenverfügung ermöglicht es Ihnen, medizinische Entscheidungen für Zeiten vorwegzunehmen, in denen Sie aufgrund einer psychischen Krise nicht mehr selbst entscheiden können. Diese Form der Vorsorge gibt Ihnen Kontrolle zurück - selbst wenn Ärzt:innen oder Betreuer:innen später Ihren Willen infrage stellen. Der folgende Artikel erklärt, wie psychiatrische Patientenverfügungen funktionieren, welche rechtlichen Grenzen gelten und wie Sie Ihre Wünsche wirksam festhalten.
Rechtliche Grundlagen: Wo Ihre Selbstbestimmung beginnt und endet
Die gesetzliche Basis für Patientenverfügungen in Deutschland findet sich in § 1827 BGB. Dieser Paragraph bestätigt, dass jede volljährige Person verbindlich festlegen kann, welche Behandlungen sie in Zukunft ablehnt oder wünscht - unabhängig davon, ob eine körperliche oder psychische Erkrankung vorliegt[3][6].
Drei Kernprinzipien für die Gültigkeit
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Einwilligungsfähigkeit zum Erstellungszeitpunkt
Sie müssen die Tragweite Ihrer Entscheidung verstehen können. Eine bestehende psychische Erkrankung allein macht die Verfügung nicht unwirksam, solange Sie bei der Abfassung urteilsfähig sind[3][12]. -
Konkrete Beschreibung der Behandlungssituation
Formulierungen wie „Ich lehne alle Zwangsmaßnahmen ab“ genügen nicht. Benennen Sie genau, bei welchen Symptomen oder Diagnosen welche Therapien unterbleiben sollen - beispielsweise: „Bei einer manischen Episode lehne ich die Gabe von Lithium ab“[4][6]. -
Aktualität
Überprüfen Sie die Verfügung alle 2-3 Jahre oder nach wesentlichen gesundheitlichen Veränderungen. Eine handschriftliche Bestätigung wie „Diese Verfügung gilt weiterhin“ mit Datum und Unterschrift erhöht die Verbindlichkeit[2][5].
Praktische Umsetzung: So gestalten Sie eine wirksame Verfügung
Schritt 1: Behandlungserfahrungen dokumentieren
Notieren Sie, welche Therapien Ihnen in der Vergangenheit geholfen oder geschadet haben. Beispiel: „Während meiner letzten depressiven Phase habe ich die Nebenwirkungen von Medikament XY als unerträglich empfunden. Deshalb lehne ich diese Substanz kategorisch ab.“ Solche persönlichen Begründungen helfen später bei der Interpretation[1][8].
Schritt 2: Bevollmächtigte benennen
Bestimmen Sie eine Vertrauensperson, die im Krisenfall Ihre Wünsche durchsetzt. Ideal ist jemand, der:die
- Ihre Krankheitsgeschichte kennt
- Konflikte mit Ärzt:innen konstruktiv austrägt
- Zeit hat, im Ernstfall Präsenz zu zeigen
Tipp: Hinterlegen Sie eine Kopie der Verfügung bei dieser Person und Ihrer Hausarztpraxis[1][5].
Schritt 3: Formular nutzen oder individuell erstellen
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN) bietet ein kostenloses Musterformular mit Erklärtexten an. Es enthält spezifische Optionen für psychische Krisen - etwa Ablehnung von Fixierungen oder Elektrokrampftherapie[2].
Grenzen der Selbstbestimmung: Wann Zwangsmaßnahmen möglich bleiben
Trotz Patientenverfügung können Behandlungen gegen Ihren Willen durchgeführt werden, wenn
- Fremdgefährdung vorliegt (z. B. akute Suizidankündigungen mit geplanten Gewalttaten gegen Dritte)
- die Verfügung unklare Formulierungen enthält
- sich die tatsächliche Situation von der beschriebenen unterscheidet
Ein Landgericht lehnte beispielsweise eine Verfügung ab, die „jede Zwangsbehandlung“ pauschal verbot - weil nicht zwischen körperlichen und psychischen Maßnahmen differenziert wurde[10].
Aktuelle Rechtsprechung: Bundesverfassungsgericht stärkt Patientenrechte
Das höchste deutsche Gericht entschied 2021 grundlegend:
Eine Zwangsbehandlung ist unzulässig, wenn der Betroffene diese im einwilligungsfähigen Zustand per Patientenverfügung ausgeschlossen hat - selbst wenn die Behandlung medizinisch indiziert erscheint.[20]
Diese Entscheidung gilt jedoch nur, wenn keine Fremdgefährdung vorliegt. In solchen Fällen dürfen Gerichte weiterhin Zwangsmaßnahmen anordnen - allerdings nur nach strenger Prüfung der Verhältnismäßigkeit[12][13].
Handlungsempfehlungen: So schützen Sie sich optimal
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Kombinieren Sie Verfügungen
Ergänzen Sie die psychiatrische Verfügung durch- eine Vorsorgevollmacht zur Klärung finanzieller Fragen
- eine Betreuungsverfügung zur Personalfestlegung
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Nutzen Sie Beratungsangebote
Rechtliche Unterstützung bieten- der Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen (BPE)
- lokale Betreuungsvereine
- spezialisierte Rechtsanwält:innen für Medizinrecht
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Bleiben Sie flexibel
Formulieren Sie Ausnahmen: „Eine Zwangsmedikation akzeptiere ich nur, wenn ich durch Halluzinationen andere Menschen aktiv bedrohe.“ Solche Differenzierungen erhöhen die Akzeptanz bei Behandler:innen[4][7].
Zukunftstrend: Behandlungsvereinbarungen als Alternative
Immer mehr Kliniken bieten therapiebegleitende Verträge an. Darin legen Sie gemeinsam mit Ihrem Behandlungsteam fest,
- welche Frühwarnzeichen für Krisen gelten
- welche Deeskalationsstrategien bevorzugt werden
- wer im Notfall kontaktiert werden soll
Vorteil: Diese dynamischen Absprachen lassen mehr Spielraum für situative Anpassungen als starre Verfügungen[5][11].
Ihre Patientenverfügung ist kein Garantieschein - aber ein machtvolles Instrument, um im psychiatrischen Versorgungssystem Gehör zu finden. Indem Sie klare Grenzen setzen und zugleich Kooperationsbereitschaft signalisieren, schaffen Sie die Basis für respektvolle Behandlung - auch in Krisenzeiten.