Wie kann ich meine Patientenverfügung widerrufen?

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Zusammenfassung

Der Widerruf einer Patientenverfügung ist in Deutschland jederzeit möglich, solange Sie einwilligungsfähig sind, und kann schriftlich, mündlich oder durch eindeutiges Verhalten erfolgen. Es ist ratsam, den Widerruf schriftlich festzuhalten, alle betroffenen Stellen zu informieren und vorhandene Exemplare zu vernichten, um Missverständnisse zu vermeiden. Klare Kommunikation und Dokumentation sichern Ihre Selbstbestimmung und schaffen Sicherheit für Sie und Ihr Umfeld.

Eine Patientenverfügung gibt Ihnen die Kontrolle über medizinische Entscheidungen - doch Lebensumstände und Einstellungen können sich ändern. Der Widerruf dieser Verfügung ist ein ebenso wichtiger Akt der Selbstbestimmung wie ihre Erstellung. Dieser Artikel führt Sie durch alle relevanten Aspekte, um Ihre Entscheidung rechtssicher und praxisnah umzusetzen.

Rechtsgrundlagen des Widerrufs

Die gesetzliche Basis für den Widerruf findet sich im § 1827 BGB. Demnach können Sie Ihre Patientenverfügung jederzeit ohne Formalitäten widerrufen, solange Sie einwilligungsfähig sind[3][6]. Ein­willigungs­fähig­keit bedeutet, dass Sie die Tragweite Ihrer Entscheidung verstehen und frei entscheiden können[3][5].

Wichtige gesetzliche Eckpunkte:

  • Formfreiheit: Schriftlich, mündlich oder durch eindeutiges Verhalten möglich[2][4]
  • Sofortige Wirkung: Der Widerruf gilt ab dem Zeitpunkt der Erklärung[3][6]
  • Vollständige Rücknahme: Die ursprüngliche Verfügung verliert ihre Gültigkeit komplett[1][5]

Praxis­tipp: Auch wenn mündliche Widerrufe rechtlich zulässig sind, raten Expert:innen aus Beweisgründen zur Schriftform[1][4].

Drei Wege zum Widerruf

1. Schriftliche Widerrufserklärung

Die sicherste Methode schafft klare Nachweisbarkeit. Eine wirksame Erklärung enthält:

  • Persönliche Daten: Vollständiger Name, Anschrift, Kontaktinformationen
  • Explizite Widerrufserklärung: „Hiermit widerrufe ich meine Patientenverfügung vom [Datum]“
  • Ort, Datum, Unterschrift: Handschriftliche Signatur zur Authentifizierung

Beispielformulierung:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit erkläre ich, [Name], wohnhaft [Adresse], den vollständigen Widerruf meiner Patientenverfügung vom [Datum]. Bitte bestätigen Sie den Erhalt dieser Erklärung schriftlich.“
[1][4]

2. Mündlicher Widerruf

In akuten Situationen genügt eine klare verbale Äußerung gegenüber:

  • Ärzt:innen oder Pflegepersonal
  • Bevollmächtigten oder gesetzlichen Betreuer:innen
  • Angehörigen oder Vertrauenspersonen

Wichtig: Zeug:innen sollten die Äußerung zeitnah dokumentieren[2][3].

3. Konkludentes Handeln

Nonverbale Signale können ausreichen, wenn sie eindeutig und bewusst erfolgen:

  • Vernichten der Originalverfügung vor Zeug:innen
  • Entsorgung aller Kopien in Ihrer Verfügungsgewalt
  • Deutliches Kopfschütteln bei Nennung der Verfügung[3]

Achtung: Bei nonverbalen Widerrufen müssen Sie aktuell einwilligungsfähig sein. Ein Widerstreben ohne Entscheidungsfähigkeit reicht nicht aus[3][6].

Praktische Umsetzung: Schritt-für-Schritt

1. Alle Exemplare lokalisieren

  • Eigenes Exemplar
  • Hinterlegte Kopien (Hausarztpraxis, Kranken­haus, Vertrauenspersonen)
  • Digital gespeicherte Versionen[4]

2. Widerruf dokumentieren

  • Schriftliche Erstellung mit Unterschrift
  • Verteilen an alle Stellen, die die Original­verfügung erhalten haben
  • Eingeschriebenen Versand für Nachweisbarkeit[1][4]

3. Vernichtung durchführen

  • Physische Dokumente zerreißen oder schreddern
  • Digitale Dateien unwiderruflich löschen
  • Bestätigung der Vernichtung von Dritten einholen

4. Betroffene informieren

  • Mündliche oder schriftliche Benachrichtigung an:
    • Medizinisches Personal
    • Bevollmächtigte oder Betreuer:innen
    • Angehörige und Vertrauenspersonen[2][5]

Check­liste:
□ Alle Exemplare identifiziert
□ Schriftlicher Widerruf erstellt
□ Dokumente physisch/digital vernichtet
□ Relevanten Personenkreis informiert

Besondere Situationen

Bei Bevollmächtigung

Eine bevollmächtigte Person darf nur widerrufen, wenn dies ausdrücklich in der Vollmacht geregelt ist[2]. Andernfalls bleibt das Widerrufsrecht allein bei Ihnen.

Im Pflegefall oder Krankenhaus

Auch hier gilt: Solange Sie einwilligungsfähig sind, können Sie durch Kopfnicken/-schütteln oder klare verbale Äußerungen widerrufen[3]. Pflegekräfte sind verpflichtet, solche Willensäußerungen zu dokumentieren.

Nach Verlust der Entscheidungsfähigkeit

Ein Widerruf ist nur möglich, wenn Sie vorher entsprechende Regelungen getroffen haben. Expert:innen empfehlen:

  • Regelmäßige Überprüfung der Verfügung
  • Festlegung von Widerrufs­kriterien in der Originalverfügung
  • Benennung einer Vertrauensperson für mutmaßliche Willens­änderungen[5][6]

Häufige Fragen

Muss ich Gründe für den Widerruf angeben?

Nein. Das Gesetz verlangt keine Begründung[1][4]. Allerdings kann eine Erklärung Konflikte vermeiden, besonders bei familiären Spannungen.

Was passiert nach dem Widerruf?

  • Medizinische Entscheidungen orientieren sich an:
    • Aktuellen mündlichen Äußerungen
    • Mutmaßlichem Willen (frühere Aussagen, Wertvorstellungen)
    • Entscheidungen von Bevollmächtigten/Betreuer:innen[2][6]

Kann ich eine widerrufene Verfügung reaktivieren?

Nein. Sie müssen eine komplett neue Verfügung erstellen. Alte Dokumente gelten auch bei ähnlichem Inhalt nicht mehr[4].

Psychologische Aspekte

Der Widerruf einer Patientenverfügung berührt existenzielle Fragen. Diese Strategien helfen bei der Entscheidungsfindung:

Gesprächsangebote nutzen

  • Ethikberatung in Kranken­häusern
  • Patienten­verfügungs­gespräche bei Hausärzt:innen
  • Seelsorge oder psychosoziale Beratung[5][6]

Emotionale Konflikte klären

  • Familienkonferenzen zur Meinungsbildung
  • Advance Care Planning-Prozesse
  • Biografiearbeit zur Werte­klärung

Praxis­beispiel:
Herr M. (78) widerrief seine Verfügung nach einem Schlaganfall-Reha-Programm: „Meine Heilungserfahrungen ließen mich Lebenserhaltung neu bewerten. Das Gespräch mit der Palliativ­ärztin gab mir Sicherheit für die neue Entscheidung.“

Internationale Besonderheiten

Bei Auslandsaufenthalten beachten:

  • EU-Länder erkennen deutsche Verfügungen meist an
  • Notarielle Beglaubigung mit Übersetzung empfohlen
  • Länder­spezifische Formvorschriften prüfen (z.B. Witness-Regeln in Common-Law-Staaten)

Fazit: Selbstbestimmung als Prozess

Der Widerruf Ihrer Patientenverfügung ist keine Schwäche, sondern Ausdruck verantwortungsvoller Lebensplanung. Nutzen Sie die gesetzlichen Möglichkeiten, um Ihre aktuelle Haltung verbindlich zu machen. Durch klare Kommunikation und dokumentierte Schritte schaffen Sie Sicherheit für sich und Ihr Umfeld.

Bei Unsicherheiten helfen Ihnen:

  • Bundesministerium der Justiz: Mustertexte und Rechtsauskünfte
  • Betreuungs­behörden: Lokale Unterstützung bei der Umsetzung
  • Fachanwält:innen für Medizinrecht: Individuelle Gestaltungs­beratung

Ihr Wille zählt - in jeder Lebensphase. Mit diesem Wissen können Sie Veränderungen rechtssicher gestalten und Ihre Autonomie wahren.