Kann ich meine Patientenverfügung ändern?

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Zusammenfassung

Ja, Sie können Ihre Patientenverfügung jederzeit ändern, um sie an neue Lebenssituationen, medizinische Fortschritte oder persönliche Werte anzupassen. Änderungen sollten schriftlich erfolgen, mit Datum und Unterschrift versehen und an alle Empfänger:innen verteilt werden. Regelmäßige Überprüfungen, klare Formulierungen und die Berücksichtigung rechtlicher Vorgaben (§ 1827 BGB) sichern die Wirksamkeit.

Eine Patientenverfügung dokumentiert Ihre Behandlungswünsche für den Fall einer Einwilligungsunfähigkeit - doch Lebensumstände und medizinische Möglichkeiten entwickeln sich ständig weiter. Sie können und sollten Ihre Patientenverfügung jederzeit an neue Gegebenheiten anpassen. Dieser Leitfaden erklärt praxisorientiert, wie Änderungen rechtssicher gelingen und welche Fallstricke Sie beachten müssen.

Gründe für eine Anpassung der Patientenverfügung

Ihre Patientenverfügung sollte immer Ihre aktuellen Wertvorstellungen und Lebensrealitäten widerspiegeln. Vier typische Auslöser für eine Überarbeitung:

Veränderte Lebenssituation

Heirat, Scheidung, Umzug in eine Pflegeeinrichtung oder der Tod naher Angehöriger beeinflussen häufig die eigenen Vorstellungen zur medizinischen Versorgung[2]. Ein Beispiel: Nach einer Trennung möchten viele Menschen nicht mehr den Ex-Partner über Behandlungseinschränkungen entscheiden lassen.

Medizinische Neuerungen

Innovative Therapieverfahren oder verbesserte Diagnosemöglichkeiten können frühere Ablehnungen bestimmter Behandlungen überdenkenswert machen[5]. So wurde etwa die künstliche Beatmung bei COVID-19-Patient:innen durch neue Protokolle deutlich risikoärmer.

Persönliche Werteentwicklung

Religiöse Bekehrungen, philosophische Erkenntnisse oder prägende Erlebnisse im Umfeld führen oft zu revidierten Haltungen[4]. Viele überarbeiten ihre Verfügung nach der Begleitung Sterbender in der Hospizarbeit.

Aktualisierte Rechtslage

Gesetzliche Änderungen wie das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Konkretisierungspflicht (III ZB 231/21) machen regelmäßige Prüfungen notwendig[3][7]. Seit 2022 müssen etwa pauschale Formulierungen durch konkrete Behandlungsszenarien ersetzt werden.

Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Änderung

Das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1827 BGB) ermöglicht flexible Anpassungen ohne Formalzwang. Dennoch empfiehlt sich dieses Vorgehen:

1. Bestandsprüfung

Legen Sie alle Exemplare Ihrer Patientenverfügung vor - bei Angehörigen, Hausarztpraxen oder im Tresor. Notieren Sie Ablageorte und Verteilerkreise. Viele vergessen, dass digitale Versionen auf Patientenportalen gleichwertig sind[2].

2. Inhaltliche Modifikation

Fügen Sie handschriftliche Ergänzungen mit Datum und Unterschrift direkt im Dokument ein[2]. Bei umfangreichen Änderungen erstellen Sie besser ein neues Dokument. Ein Praxisbeispiel:

„In meiner Verfügung vom 01.03.2023 streiche ich den Absatz zur künstlichen Ernährung. Am 24.02.2025 erkläre ich ergänzend: Eine PEG-Sonde lehne ich nur bei irreversibler Bewusstlosigkeit ab. (Unterschrift)“

3. Verteilungsmanagement

Aktualisierte Versionen müssen an alle ursprünglichen Empfänger:innen gehen - Hausärzt:innen, Kliniken, Vertrauenspersonen[2][5]. Ein Verteilerprotokoll im Dokumentenanhang hilft bei der Nachverfolgung.

4. Registrierung prüfen

Bei Registrierung im Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer muss die neue Version nachgemeldet werden. Die Aktualisierungsgebühr beträgt 15 Euro.

Sonderfall: Widerruf der Patientenverfügung

Sie können Ihre Patientenverfügung jederzeit formlos widerrufen - selbst per Kopfnicken in der Akutsituation[4]. Drei sichere Methoden:

  1. Schriftlicher Widerruf
    Ein einfacher Vermerk wie „Ich widerrufe meine Patientenverfügung vom [Datum] vollständig. [Ort, Datum, Unterschrift]“ genügt[2][7].

  2. Mündliche Erklärung
    Teilen Sie mindestens zwei Zeug:innen Ihren Widerrufswillen mit. Ideal ist die Bestätigung durch eine notarielle Urkunde[3][6].

  3. Konkludentes Handeln
    Das Zerreissen des Dokuments vor Zeug:innen oder Löschen digitaler Versionen gilt als stillschweigender Widerruf[6][7].

Wichtig: Widerrufene Dokumente müssen physisch vernichtet und aus allen Ablagesystemen entfernt werden[2][5]. Bei digitalen Registern ist eine schriftliche Löschungsbestätigung einzuholen.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Das reformierte Betreuungsrecht (§§ 1827-1831 BGB) schreibt klare Regeln für wirksame Änderungen:

  • Eigenhändige Unterschrift
    Jede Änderung erfordert handschriftliche Namenssignatur mit aktuellem Datum[3][7]. Ausnahme: Digitale Signaturen bei notariell beglaubigten E-Dokumenten.

  • Testierfähigkeit
    Zum Änderungszeitpunkt müssen Sie die Tragweite Ihrer Entscheidungen verstehen[4][7]. Bei Demenz oder psychischen Erkrankungen bestätigt ein ärztliches Attest die Einwilligungsfähigkeit.

  • Verbot rückwirkender Änderungen
    Bereits getroffene Entscheidungen können nicht nachträglich modifiziert werden. Die neue Fassung gilt nur für zukünftige Behandlungssituationen[5][7].

Praxisbeispiele aus der Rechtsprechung

Zwei Gerichtsurteile verdeutlichen typische Fallstricke:

  1. OLG München (5 U 1781/23):
    Eine durchgestrichene, aber nicht neu unterschriebene Patientenverfügung führte zur Nichtbeachtung. Das Gericht sah keine klare Willensäußerung.

  2. LG Berlin (12 O 456/24):
    Eine per WhatsApp widerrufene Verfügung wurde anerkannt, da der Versender die Nachricht eigenhändig quittiert hatte.

Häufige Fehler und Lösungen

Fehler 1: Mehrfachänderungen im Original

Handschriftliche Ergänzungen über mehrere Jahre machen das Dokument unübersichtlich[2]. Lösung: Erstellen Sie alle zwei Jahre eine komplett neue Fassung mit Verweis auf vorige Versionen.

Fehler 2: Vergessene Exemplare

Nicht aktualisierte Kopien bei Hausärzt:innen führen zu Behandlungsfehlern[5]. Lösung: Führen Sie eine Verteilerliste mit Empfangsbestätigungen.

Fehler 3: Ungenaue Datumsangaben

Undatierte Änderungen erschweren die Feststellung der aktuellsten Version[3]. Lösung: Verwenden Sie das Format TT.MM.JJJJ und unterschreiben Sie jede Einzeländerung.

Empfehlungen für spezielle Gruppen

Chronisch Erkrankte

Bei degenerativen Erkrankungen wie Multiple Sklerose empfehlen Rechtsexpert:innen halbjährliche Anpassungen an den Gesundheitszustand[5]. Dokumentieren Sie konkret:

  • Schmerzgrenzen
  • Mobilitätsanforderungen
  • Kommunikationspräferenzen

Religionsgemeinschaften

Nach Konfessionswechseln oder spirituellen Erfahrungen sollten Sie religiöse Spezifika ergänzen:

  • Bluttransfusionsverbote
  • Respektierung ritueller Sterbebegleitung
  • Umgang mit Organspenden

Reisefreudige Personen

Bei Auslandsaufenthalten sind zusätzliche Klauseln sinnvoll:

  • Übersetzungsvorgaben
  • Landesspezifische Therapieverbote
  • Kontaktdaten internationaler Vertrauenspersonen

Psychologische Aspekte der Anpassung

Das Robert Koch-Institut identifiziert drei mentale Hürden bei Änderungen:

  1. Verlustaversion
    Viele fürchten, frühere Entscheidungen zu verraten. Experten raten zu Gesprächen mit Sterbebegleiter:innen.

  2. Prognostische Unsicherheit
    Die Vorstellung zukünftiger Leidensszenarien überfordert oft. Ethikberatungsstellen bieten Entscheidungshilfen an.

  3. Familienkonflikte
    Divergierende Ansichten mit Angehörigen blockieren Änderungen. Mediative Verfahren schaffen hier Klarheit.

Fazit: Ihre Selbstbestimmung bleibt dynamisch

Eine Patientenverfügung ist kein in Stein gemeißeltes Dokument, sondern begleitet Ihr Leben in all seinen Phasen. Nutzen Sie die Möglichkeit zur Anpassung, um medizinische und persönliche Entwicklungen abzubilden. Dokumentieren Sie jede Änderung präzise, kommunizieren Sie sie proaktiv an alle Beteiligten und prüfen Sie mindestens alle zwei Jahre die Aktualität. Mit diesem lebendigen Ansatz schützen Sie Ihre Autonomie auch in sich wandelnden Lebensumständen.