Was ist eine Reerdigung?
Die Reerdigung ist eine umweltfreundliche Bestattungsform, bei der der Körper eines verstorbenen Menschen innerhalb von etwa 40 Tagen durch natürliche Mikroorganismen in fruchtbare Erde umgewandelt wird. Sie ist aktuell in Deutschland nur in Schleswig-Holstein als Pilotprojekt zugelassen und bietet eine nachhaltige Alternative zu klassischen Bestattungen, indem sie den natürlichen Kreislauf des Lebens unterstützt. Trotz ökologischer Vorteile gibt es rechtliche und gesellschaftliche Diskussionen über ihre Akzeptanz.
Die Reerdigung ist eine moderne Bestattungsform, bei der der Körper eines verstorbenen Menschen in fruchtbare Erde verwandelt wird. Anders als bei einer klassischen Erdbestattung oder Einäscherung nutzt die Reerdigung einen natürlichen Prozess, der unseren Körper in etwa 40 Tagen vollständig zu nahrhaftem Humus transformiert. Diese Bestattungsart verbindet ökologische Nachhaltigkeit mit der Rückkehr in den natürlichen Kreislauf des Lebens.
Wie funktioniert die Reerdigung im Detail?
Bei der Reerdigung wird der Körper des verstorbenen Menschen in einen speziellen, sargähnlichen Behälter - den sogenannten “Kokon” - gelegt. Der Kokon wird mit einer Mischung aus Stroh, Heu und Grünschnitt befüllt, die als Grundlage für den natürlichen Zersetzungsprozess dient. Angehörige können bei dieser Einbettung anwesend sein und dem verstorbenen Menschen Blumen oder andere organische Materialien beigeben.
Der gefüllte Kokon wird anschließend verschlossen und in einer sogenannten Wabe platziert. Diese Vorrichtung sorgt dafür, dass der Behälter regelmäßig sanft bewegt wird, was eine gleichmäßige Verteilung der entstehenden Feuchtigkeit ermöglicht. Die körpereigenen Mikroorganismen beginnen nun ihre Arbeit und verwandeln unter idealen Bedingungen - bei Temperaturen von etwa 70 Grad Celsius - den Körper innerhalb von 40 Tagen in humusreiche Erde.
Nach Abschluss dieses Prozesses bleiben, ähnlich wie bei einer Feuerbestattung, Knochenfragmente zurück. Diese werden gemahlen und der entstandenen Erde beigefügt. Auch chirurgische Metallteile werden entfernt und je nach geltender Gesetzgebung recycelt oder mit beigesetzt. Das Endprodukt ist ein nährstoffreiches Erdsubstrat, das zur Beisetzung auf einem Friedhof genutzt werden kann.
Rechtliche Situation in Deutschland
Die Reerdigung befindet sich in Deutschland noch in der Erprobungsphase. Derzeit ist diese Bestattungsform nur in Schleswig-Holstein offiziell zugelassen, wo sie seit 2022 als Pilotprojekt erprobt wird. Die aus der Reerdigung gewonnene Erde darf aktuell nur auf bestimmten Friedhöfen beigesetzt werden:
- Auf Friedhöfen in Schleswig-Holstein
- Auf Friedhöfen in Mecklenburg-Vorpommern
- Auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf
In anderen Bundesländern steht man der Reerdigung teilweise kritisch gegenüber. So haben Nordrhein-Westfalen und Bayern die Reerdigung ausdrücklich untersagt, da sie nach dem jeweiligen Bestattungsgesetz nicht als zulässige Bestattungsart angesehen wird. Stand März 2024 erlauben insgesamt 25 Friedhöfe in Deutschland die Beisetzung von Erde aus Reerdigungen, und über 200 Bestattungsinstitute begleiten Trauernde bei diesem Prozess[5].
Die Vorteile der Reerdigung
Die Reerdigung bietet mehrere Vorzüge, die sie für umweltbewusste Menschen interessant machen:
Natürlichkeit und Ökologie
Bei der Reerdigung werden keine fossilen Brennstoffe verbraucht, wie es bei einer Feuerbestattung der Fall ist. Der Prozess nutzt ausschließlich natürliche Mikroorganismen und benötigt nur Sauerstoffzufuhr von außen. Dies macht die Reerdigung zu einer besonders umweltschonenden Alternative[4].
Schaffung neuer fruchtbarer Erde
Die entstehende humusreiche Erde enthält wertvolle Nährstoffe und Mineralien, die den Boden verbessern können. Nach der Beisetzung auf einem Friedhof kann diese Erde bepflanzt werden und neues Leben unterstützen - ein symbolischer Aspekt, der vielen Menschen Trost spenden kann[3].
Zeit für den Trauerprozess
Der 40-tägige Transformationsprozess gibt Angehörigen Zeit, ihre Trauer zu verarbeiten und sich auf den Abschied vorzubereiten. Diese Zeitspanne zwischen Tod und endgültiger Beisetzung kann für die Trauerarbeit und persönliche Verabschiedungswünsche wertvoll sein[3].
Kritische Stimmen zur Reerdigung
Trotz der ökologischen Vorteile gibt es auch Bedenken und Kritik an der Reerdigung:
Ethische und rechtliche Fragen
Kritiker:innen sehen in der Reerdigung eine mögliche Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes nach Artikel 1 des Grundgesetzes. Diese Bedenken betreffen den Umgang mit dem menschlichen Körper und dessen Würde nach dem Tod[4].
Hygienische Aspekte
Es werden Fragen zur “biologischen Sicherheit” des Verwesungsprozesses aufgeworfen. Einige Mediziner:innen haben Skepsis bezüglich möglicher hygienischer Risiken geäußert, obwohl die hohen Temperaturen während des Prozesses für eine Sterilisation der entstehenden Erde sorgen sollen[1][4].
Akzeptanz in der Gesellschaft
Die Reerdigung wird manchmal abwertend als “Kompostierung von Verstorbenen” bezeichnet. Diese Bezeichnung kann emotionale Reaktionen hervorrufen und zeigt, dass neue Bestattungsformen Zeit brauchen, um in der Gesellschaft akzeptiert zu werden[4].
Praktische Informationen zur Reerdigung
Kosten und Organisation
Die Kosten für eine Reerdigung liegen aktuell bei etwa 10.000 Euro, wenn eine Überführung von Berlin aus erfolgen muss. Grundsätzlich kostet das Verfahren beim Anbieter “Meine Erde” etwa 3.200 Euro, hinzu kommen Transportkosten und die Kosten für die Beisetzung auf einem Friedhof[8][6].
Einschränkungen
Derzeit gelten für die Reerdigung noch einige Einschränkungen:
- Gewichtsbegrenzung: Der Leichnam darf maximal 100 kg wiegen[7].
- Ausschluss bei bestimmten Erkrankungen: Bei Infektionskrankheiten wie Ebola oder bei Prionenerkrankungen ist eine Reerdigung nicht möglich[7].
- Regionale Beschränkung: Da die Reerdigung nur in Schleswig-Holstein als Pilotprojekt zugelassen ist, müssen Verstorbene dorthin überführt werden[8].
Die Geschichte der Reerdigung
Die Idee der Reerdigung stammt ursprünglich aus den USA. Die amerikanische Architektin Katrina Spade entwickelte das Konzept 2014 mit ihrer gemeinnützigen Organisation “Urban Death Project” und gründete 2017 die Gesellschaft “Recompose”[1]. In den USA ist die Methode, die dort als “natürliche organische Reduktion” bezeichnet wird, mittlerweile in mehreren Bundesstaaten legal[2].
In Deutschland wird die Reerdigung seit 2022 angeboten, nachdem Schleswig-Holstein als erstes und bisher einziges Bundesland eine gesetzliche Grundlage für dieses Verfahren geschaffen hat[3].
Zukunftsaussichten der Reerdigung in Deutschland
Die Reerdigung steht in Deutschland noch am Anfang ihrer Entwicklung. Das Pilotprojekt in Schleswig-Holstein läuft bis 2025 und wird zeigen, ob und wie sich diese Bestattungsform in Deutschland etablieren kann[8]. Befürworter:innen setzen sich dafür ein, dass auch andere Bundesländer ihre Bestattungsgesetze anpassen und die Reerdigung zulassen.
Für Menschen, die sich für diese Bestattungsform interessieren, besteht die Möglichkeit, mit Landtagsabgeordneten ihres Wahlkreises über das Thema zu sprechen und so zur gesellschaftlichen Diskussion beizutragen[3].
Die Reerdigung zeigt, dass sich unser Umgang mit dem Tod und unsere Bestattungskultur weiterentwickeln. Sie bietet eine Alternative für Menschen, die nach ihrem Tod auf natürliche Weise in den Kreislauf des Lebens zurückkehren möchten.