Was ist eine psychiatrische Patientenverfügung?

veröffentlicht am
aktualisiert am
Zusammenfassung

Eine psychiatrische Patientenverfügung ermöglicht es Ihnen, Behandlungswünsche für psychische Krisen im Voraus festzulegen, um Ihre Selbstbestimmung auch in Phasen eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit zu wahren. Sie können darin konkrete Therapieansätze, abgelehnte Maßnahmen und persönliche Bedürfnisse festhalten sowie eine Vertrauensperson bevollmächtigen. Dieses Dokument ist rechtlich bindend, sofern es präzise formuliert und aktuell ist, und bietet sowohl Betroffenen als auch Angehörigen Klarheit und Sicherheit.

Eine psychiatrische Patientenverfügung ermöglicht es Ihnen, Behandlungswünsche für psychische Krisen im Voraus festzulegen - auch wenn Sie später vorübergehend nicht mehr in der Lage sein sollten, eigene Entscheidungen zu treffen. Dieser Artikel erklärt, wie Sie mit diesem Instrument Ihre Selbstbestimmung wahren und worauf Sie bei der Erstellung achten sollten.

Was genau regelt eine psychiatrische Patientenverfügung?

In einer psychiatrischen Patientenverfügung legen Sie schriftlich fest:

  • Welche Behandlungsmethoden Sie in einer psychischen Krise akzeptieren oder ablehnen
  • Wer Sie im Fall der Einwilligungsunfähigkeit vertreten soll
  • Welche persönlichen Bedürfnisse und Gewohnheiten bei der Unterbringung beachtet werden müssen

Beispiel: Sie könnten festhalten, dass Sie bei einer manischen Episode eine bestimmte Medikation wünschen, aber Zwangsmaßnahmen wie Fixierung ablehnen[7][8].

Rechtliche Grundlagen in Deutschland

Die gesetzliche Basis bildet § 1827 BGB. Demnach sind Ärzt:innen und Betreuer:innen verpflichtet, Ihre schriftlich festgelegten Wünsche zu beachten, sofern diese:

  • Konkrete Behandlungssituationen beschreiben
  • In einwilligungsfähigem Zustand verfasst wurden
  • Die aktuelle Lebenssituation treffend abbilden

Ein Rechtsgutachten der DGPPN bestätigt: Auch bei psychischen Erkrankungen sind solche Verfügungen bindend, sofern sie fachgerecht formuliert sind[4][6].

Aufbau und essentielle Bestandteile

1. Persönliche Behandlungswünsche

Beschreiben Sie möglichst genau:

  • Typische Krisensituationen (z.B. “bei schwerer depressiver Episode mit Suizidgedanken”)
  • Gewünschte Therapieansätze (Gesprächstherapie, spezifische Medikamente)
  • Abgelehnte Maßnahmen (Elektrokrampftherapie, Isolierung)

2. Bevollmächtigung einer Vertrauensperson

Benennen Sie mindestens eine Person, die:

  • Mit dem Behandlungsteam kommuniziert
  • Über notwendige Maßnahmen entscheidet
  • Ihre dokumentierten Wünsche durchsetzt

Tipp: Besprechen Sie Ihre Vorstellungen im Vorfeld mit der bevollmächtigten Person[2][4].

3. Persönliche Bedürfnisse und Gewohnheiten

Halten Sie fest, was Ihren Genesungsprozess unterstützt:

  • Tagesstruktur (Schlafenszeiten, Mahlzeiten)
  • Kontaktregelungen (Besuchszeiten, Telefonate)
  • Therapeutische Präferenzen (Einzel- vs. Gruppentherapie)

Vorteile im Überblick

Mehr Autonomie: Sie behalten die Kontrolle über medizinische Entscheidungen - selbst in Phasen eingeschränkter Urteilsfähigkeit[5][7].

Präventiver Schutz: Durch frühzeitige Festlegungen können schwere Krisen und deren Folgen (finanzielle Schäden, soziale Konflikte) verhindert werden[7].

Rechtssicherheit: Klare Anweisungen reduzieren Konflikte zwischen Angehörigen, Ärzt:innen und Betreuer:innen[8][9].

Häufige Fragen zur Umsetzung

Wie unterscheidet sich die Odysseus-Verfügung?

Diese Sonderform bleibt auch bei aktuellem Widerstand während der Krise verbindlich. Sie ermöglicht beispielsweise eine vorbeugende Einweisung bei ersten Warnzeichen[5].

Können Behandlungen komplett abgelehnt werden?

Ja, allerdings nicht die Unterbringung zur Gefahrenabwehr bei Eigen- oder Fremdgefährdung. Die Behandlung selbst können Sie aber unter bestimmten Bedingungen ablehnen[6].

Wer hilft bei der Erstellung?

Nutzen Sie:

  • Vorlagen der DGPPN (§ 1827 BGB)
  • Kostenlose Beratungsangebote wie PsyWill[2]
  • Unabhängige Patient:innenberatungsstellen

Praktische Tipps für die Erstellung

  1. Konkret formulieren
    Vermeiden Sie allgemeine Aussagen wie “Ich lehne Zwangsmaßnahmen ab”. Beschreiben Sie stattdessen genau: “Ich untersage die Gabe von Haloperidol in jeder Dosierung”[3][6].

  2. Regelmäßig aktualisieren
    Überprüfen Sie die Verfügung mindestens alle zwei Jahre oder bei wesentlichen Lebensveränderungen.

  3. Mehrere Kopien hinterlegen
    Bewahren Sie Exemplare auf bei:

  • Ihrer Hausärzt:in
  • Der bevollmächtigten Person
  • Im persönlichen Wohnumfeld
  1. Notfallhinweis erstellen
    Tragen Sie einen Vermerk im Portemonnaie: “Psychiatrische Patientenverfügung vorhanden - bitte informieren Sie [Name der Vertrauensperson]”.

Mögliche Risiken und Lösungsansätze

Missinterpretation der Wünsche

Gegenmaßnahme: Ergänzen Sie eine persönliche Stellungnahme mit:

  • Gründe für bestimmte Entscheidungen
  • Religiöse/ethische Überzeugungen
  • Bisherige Behandlungserfahrungen[6][9]

Widerruf während der Krise

Rechtliche Klarheit: Ein aktueller Widerruf hat Vorrang. Dokumentieren Sie daher jede Änderung schriftlich mit Datum und Unterschrift[8][9].

Nichtbeachtung durch Klinikpersonal

Handlungsoption: Die bevollmächtigte Person kann sich direkt an das Vormundschaftsgericht wenden, um die Durchsetzung zu erwirken[1][4].

Rechtliche Grenzen der Verfügung

Trotz umfassender Gestaltungsmöglichkeiten gelten Einschränkungen:

  • Kein Ausschluss betreuungsrechtlicher Unterbringung
  • Keine Verfügung über Rechte Dritter (z.B. Umgangsregelungen für Kinder)
  • Keine Festlegung nicht-medizinischer Maßnahmen (Schuldentilgung, Vertragskündigungen)[6]

Historische Entwicklung und aktuelle Debatten

Seit der gesetzlichen Verankerung 2009 (§ 1827 BGB) wird kontrovers diskutiert:

  • Wie weit reicht die Einwilligungsfähigkeit bei psychischen Erkrankungen?
  • Ab wann überwiegt die Fürsorgepflicht der Ärzt:innen?

Ein Meilenstein war das Bundesverfassungsgerichtsurteil 2021, das die Verbindlichkeit solcher Verfügungen im Maßregelvollzug bestätigte[6].

Erfahrungsberichte und Studienlage

Untersuchungen zeigen:

  • 68% der Nutzer:innen berichten von verbessertem Sicherheitsgefühl
  • Klinikeinweisungen konnten in 42% der Fälle verkürzt werden
  • Konflikte mit Angehörigen reduzierten sich um 57%[5][7]

Betroffenenstimme: “Dank meiner Verfügung wird mein Wunsch nach trauma­sensitiver Pflege jetzt respektiert - selbst wenn ich gerade nicht für mich sprechen kann.”

Kosten und Formalitäten

  • Erstellung: Kostenfrei durch gemeinnützige Anbieter wie PsyWill[2]
  • Beglaubigung: Nicht erforderlich, aber freiwillig möglich
  • Speicherung: Elektronische Archivierung über Gesundheits-Apps möglich (z.B. Vorsorge­portale)

Internationale Perspektive

Während Deutschland die Odysseus-Verfügung noch diskutiert, sind ähnliche Modelle in:

  • Niederlanden: Ulysses-Vereinbarung seit 2008
  • Schweiz: Patientenverfügung mit bindender Wirkung
  • USA: Psychiatric Advance Directives in 25 Bundesstaaten

Handlungsempfehlung für Angehörige

  1. Respektvoll thematisieren
    Bringen Sie das Thema behutsam in ruhigen Phasen zur Sprache.

  2. Unterstützung anbieten
    Begleiten Sie zur Beratungsstelle oder helfen Sie beim Ausfüllen der Formulare.

  3. Kopien verwalten
    Führen Sie eine Liste aller Hinterlegungsorte der Verfügung.

  4. Krisenplan erstellen
    Halten Sie Notfallkontakte und Handlungsschritte schriftlich fest.

Zukunftsperspektiven

Experten fordern:

  • Einheitliche Standards für psychiatrische Patientenverfügungen
  • Verpflichtende Schulungen für Klinikpersonal
  • Digitales Register für schnellen Zugriff im Notfall

Fazit: Eine psychiatrische Patientenverfügung ist kein Allheilmittel, aber ein wertvolles Instrument, um Selbstbestimmung und Fremdfürsorge in Einklang zu bringen. Durch klare Formulierungen und regelmäßige Anpassungen schaffen Sie rechtliche Sicherheit - für sich selbst und Ihre Angehörigen.