Was ist eine Odysseus-Verfügung?

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Zusammenfassung

Eine Odys­seus-Ver­fü­gung ist eine schriftliche Vorausplanung für Menschen mit psychischen Erkrankungen, die in stabilen Phasen festlegen, wie sie in zukünftigen Krisensituationen behandelt werden möchten - auch gegen ihren aktuellen Willen. Sie dient der Selbstbestimmung, Schadensprävention und gibt Angehörigen sowie Behand­lungs­teams klare Orientierung. Rechtlich kann sie durch eine Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht oder Therapievereinbarungen umgesetzt werden.

Eine Odys­seus-Ver­fü­gung ermöglicht es Menschen mit psychischen Erkrankungen, frühzeitig über ihre Behandlung in zukünftigen Krisen zu entscheiden - selbst wenn sie in der akuten Phase anders handeln würden. Diese Form der Vorausplanung gibt Kontrolle zurück und schützt vor langfristigen Folgen.

Wie eine Odys­seus-Ver­fü­gung funktioniert

Benannt nach dem griechischen Helden, der sich an den Mast binden ließ, um Versuchungen zu widerstehen, dient die Odys­seus-Ver­fü­gung als „Selbstschutzvertrag“. Betroffene legen schriftlich fest, unter welchen Bedingungen sie gegen ihren aktuellen Willen in eine Klinik eingewiesen oder behandelt werden möchten[1][3].

Für wen sich diese Verfügung eignet

  • Menschen mit bipolarer Störung, die in manischen Phasen riskante Entscheidungen treffen
  • Personen mit schweren Depressionen, bei denen Suizidgedanken auftreten
  • Patient:innen mit psychotischen Erkrankungen, die in akuten Phasen die Krankheitseinsicht verlieren

Praxisbeispiel: Eine Person mit bipolarer Störung vereinbart in der stab­i­len Phase, bei bestimmten Frühwarnzeichen (z.B. Schlafentzug, exzessive Ausgaben) durch eine Vertrauensperson in die Klinik eingewiesen zu werden - selbst wenn sie dies in der Manie ablehnt[2][6].

Rechtliche Situation in Deutschland

Anders als in den Niederlanden existiert hierzulande keine explizite gesetzliche Grundlage für psychiatrische Vorausverfügungen[7][8]. Dennoch können Elemente einer Odys­seus-Ver­fü­gung über folgende Instrumente umgesetzt werden:

  1. Allgemeine Patientenverfügung (§ 1827 BGB)
    • Kann Behandlungspräferenzen für psychische Krisen enthalten
  2. Vorsorgevollmacht
    • Benennt konkret beauftragte Personen für Entscheidungen
  3. Therapievereinbarungen
    • Dokumentiert mit Ärzt:innen abgestimmte Notfallpläne

Vorteile dieser Vorausplanung

Mehr Selbstbestimmung
Durch frühzeitige Festlegung bleibt der Wille aus gesunden Phasen maßgeblich[4][6].

Schadensprävention
Finanzielle Verluste, Beziehungskonflikte oder berufliche Konsequenzen lassen sich begrenzen[2][5].

Vertrauensaufbau
Angehörige und Behand­lun­gsteams erhalten klare Handlungs­si­cher­heit[1][6].

Mögliche Risiken und Lösungen

Einflussnahme Dritter

Problem: Druck durch Familie oder Ärzt:innen bei der Erstellung
Lösung: Neutrale Beratungsstellen einbeziehen (z.B. Betreuungs­behör­den)[2][6].

Umsetzungs­hürden

Problem: Die Verfügung wird im Notfall nicht gefunden
Lösung: Digitale Register mit Zugriff für Notfalldienste nutzen[2].

Widerstreitende Willensäußerungen

Problem: Konflikt zwischen früherem und aktuellem Willen
Lösung: Regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Dokumente[6].

Schritt-für-Schritt zur eigenen Verfügung

  1. Phasen der Stabilität nutzen
    Entscheidungen nur bei voller Einwilligungs­fä­hig­keit treffen

  2. Frühwarnzeichen definieren

    • Körperliche Symptome (Schlafstörungen, Appetit­ver­ände­rung)
    • Verhaltensänderungen (Reizbarkeit, Sozialer Rückzug)
  3. Konkrete Maßnahmen festlegen

    • Welche Klinik?
    • Welche Medikamente?
    • Welche Behandlungs­meth­oden?
  4. Vertrauens­per­so­nen benennen

    • Klare Kriterien für deren Einschreiten formulieren
  5. Regelmäßig aktualisieren

    • Mindestens jährlich oder nach Erkrankungs­ver­läufen

Was Angehörige wissen müssen

  • Verfügungen respektieren
    Auch wenn die erkrankte Person aktuell anders handelt - der vorab geäußerte Wille hat Vorrang[4][6].

  • Grenzen akzeptieren
    Keine Zwangsmaßnahmen außerhalb der vereinbarten Kriterien

  • Dokumente griffbereit halten
    Kopien bei Hausärzt:innen, in der Brieftasche und digital speichern

Aktuelle Entwicklungen

Seit 2023 drängen Fachver­bän­de wie die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie auf eine gesetzliche Verankerung. Geplante Neuerungen:

  • Standardisiertes Formular
    Mit Checklisten für häufige Erkrankungs­bil­der
  • Bundesweites Register
    Datenschutz­kon­former Zugriff für Rettungs­dienste
  • Schulungs­pflicht
    Für Ärzt:innen und Pflegekräfte im Umgang mit Vorausverfügungen[5][8]

Wo Sie Unterstützung finden

  • Betreuungs­behör­den
    Kostenlose Beratung zur Ausgestaltung

  • Psychosoziale Beratungs­stel­len
    Hilfe bei Formulierungen

  • Selbsthilfe­ver­ein­igungen
    Erfahrungs­aus­tausch mit anderen Betroffenen

Wichtig: Lassen Sie jede Verfügung von einer unabhängigen Stelle (z.B. Rechtsanwält:in) prüfen, um spätere Anfechtungen zu vermeiden[6].

Ihr Recht im Krisenfall

Auch mit Odys­seus-Ver­fü­gung gilt: Zwangs­maß­nahmen müssen immer

  • Verhältnis­mäßig
  • Zum frühestmöglichen Zeitpunkt beendet
  • Dokumentiert und evaluiert

werden[7][8]. Bei Verstößen können Sie sich an die zuständige Aufsichts­behör­de wenden.