Was ist ein Behindertentestament?

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Zusammenfassung

Ein Behindertentestament ist eine besondere testamentarische Regelung, die es ermöglicht, das Erbe von Menschen mit Behinderung vor der Anrechnung auf Sozialleistungen zu schützen. Es stellt sicher, dass das Vermögen für zusätzliche Bedürfnisse und die Lebensqualität der erbenden Person genutzt wird, während ein:e Testamentsvollstrecker:in das Erbe verwaltet. Diese Gestaltung erfordert rechtliche Expertise und ist besonders sinnvoll, um Angehörige mit Behinderung langfristig abzusichern.

Ein Behindertentestament ist eine spezielle Form der letztwilligen Verfügung, die verhindert, dass geerbtes Vermögen von Menschen mit Behinderung auf Sozialleistungen angerechnet wird. Es ermöglicht so, dass das Erbe tatsächlich für zusätzliche Annehmlichkeiten und persönliche Bedürfnisse der erbenden Person mit Behinderung genutzt werden kann. Diese testamentarische Gestaltung bietet Eltern und Angehörigen die Möglichkeit, ihre rechtlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen, um die Lebensqualität ihrer Angehörigen mit Behinderung auch über den eigenen Tod hinaus zu verbessern.

Warum braucht es ein Behindertentestament?

Menschen mit Behinderung erhalten häufig Sozial­leistungen wie die Eingliederungs­hilfe oder Grund­sicherung. Diese Leistungen werden jedoch nur dann gewährt, wenn die betreffende Person nicht über ausreichend eigenes Vermögen oder Einkommen verfügt. Hier gilt das sogenannte Nachrangigkeits­prinzip: Erst wenn das eigene Vermögen für den Lebens­unterhalt nicht mehr ausreicht, springt der Staat ein.

Erbt nun ein Mensch mit Behinderung Geld oder andere Vermögens­werte, muss dieses Erbe zunächst für den eigenen Lebens­unterhalt eingesetzt werden. Das bedeutet:

  • Die Sozial­leistungen werden gekürzt oder eingestellt
  • Das geerbte Vermögen wird für die alltäglichen Kosten aufgebraucht
  • Nach Aufbrauch des Erbes werden die Sozial­leistungen wieder gewährt

Die Folge: Das Erbe kommt praktisch dem Sozial­hilfe­träger zugute und nicht der Person mit Behinderung selbst. Die zusätzliche Lebens­qualität, die die Erblasser:innen eigentlich ermöglichen wollten, bleibt aus.

Ein Beispiel: Lisa hat eine geistige Behinderung und lebt in einer betreuten Wohn­einrichtung. Die Kosten hierfür trägt der Sozial­hilfe­träger. Als ihre Eltern sterben, erbt Lisa 100.000 Euro. Ohne Behinderten­testament müsste Lisa dieses Geld für ihre Unterkunft und ihren Lebens­unterhalt einsetzen, bis es aufgebraucht ist. Erst dann würde der Sozial­hilfe­träger wieder die Kosten übernehmen.

Wie funktioniert ein Behindertentestament?

Ein Behinderten­testament basiert auf drei rechtlichen Säulen, die zusammen­wirken:

1. Einsetzung als Vorerbe

Die Person mit Behinderung wird als nicht befreiter Vorerbe eingesetzt. Das bedeutet:

  • Sie erhält zwar das Erbe, darf aber nicht frei darüber verfügen
  • Sie kann das Erbe nicht verkaufen oder verschenken
  • Sie darf die Erträge des Erbes (z.B. Zinsen) nutzen

Es muss mindestens ein Betrag in Höhe des gesetzlichen Pflicht­teils zugewendet werden, damit das Testament nicht rechtlich angreifbar wird.

2. Bestimmung von Nacherben

Im Testament wird festgelegt, wer nach dem Tod der Person mit Behinderung das verbleibende Vermögen erhalten soll. Diese Nacherben können Geschwister, andere Verwandte oder auch gemeinnützige Organisationen sein.

3. Anordnung einer Testaments­vollstreckung

Ein:e Testaments­vollstrecker:in wird eingesetzt, der/die das geerbte Vermögen verwaltet. Diese Person sorgt dafür, dass:

  • Das Erbe im Sinne des/der Erblasser:in verwendet wird
  • Die Person mit Behinderung Zuwendungen erhält, die nicht auf Sozial­leistungen angerechnet werden
  • Das Vermögen vom Zugriff des Sozial­hilfe­trägers geschützt bleibt

Der/die Testaments­vollstrecker:in kann beispielsweise folgende Anschaffungen für die Person mit Behinderung tätigen:

  • Möbel oder Kleidung
  • Urlaubs­reisen
  • Musik­unterricht oder andere Freizeit­aktivitäten
  • Zusätzliche medizinische Behandlungen, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden
  • Erhöhtes Taschengeld für persönliche Wünsche

Rechtliche Grundlagen und Urteile

Das Behinderten­testament wurde von Eltern­verbänden entwickelt und vom Bundes­gerichtshof als rechtlich zulässig bestätigt. Es ist nicht sitten­widrig und wird von den Sozial­ämtern respektiert[7].

Wichtig: Damit ein Behinderten­testament wirksam ist, muss die Person mit Behinderung mindestens ihren Pflicht­teil erhalten. In der Praxis wird oft ein etwas höherer Anteil (z.B. das 1,1-fache des Pflicht­teils) zugewendet[7].

Im Testament sollte ausdrücklich festgehalten werden:

  • Dass der/die Testaments­vollstrecker:in dafür sorgen soll, dass das Erbe erhalten bleibt
  • Dass die Person mit Behinderung in den Genuss der Erträge kommen soll
  • Dass dies geschehen soll, ohne dass staatliche Leistungen verloren gehen
  • Dass die Zuwendungen einzustellen sind, wenn sie gegen den Willen des/der Testaments­vollstrecker:in auf staatliche Leistungen angerechnet werden[7]

Praktische Beispiele: Wie das Behindertentestament im Alltag wirkt

Das Behinderten­testament ermöglicht es, die Lebens­qualität der Person mit Behinderung über das Sozial­hilfe­niveau hinaus zu verbessern. Hier einige konkrete Beispiele:

Martin hat das Down-Syndrom und lebt in einer betreuten Wohn­gemeinschaft. Seine Eltern haben ein Behinderten­testament errichtet. Nach ihrem Tod verwaltet sein Onkel als Testaments­vollstrecker das Erbe. Er ermöglicht Martin:

  • Jährliche Urlaubs­reisen ans Meer
  • Den Besuch von Konzerten seiner Lieblings­bands
  • Neue elektronische Geräte wie ein Tablet
  • Reit­therapie, die vom Sozial­hilfe­träger nicht übernommen wird

Petra sitzt im Rollstuhl und hat eine geistige Beeinträchtigung. Durch das Behinderten­testament ihrer Eltern kann die Testaments­vollstreckerin:

  • Eine bessere Rollstuhl­ausstattung finanzieren
  • Regelmäßige Physio­therapie bezahlen, die über das Maß der Krankenkasse hinausgeht
  • Petra mit neuester Kommunikations­technologie ausstatten
  • Zusätzliche persönliche Assistenz für Freizeit­aktivitäten ermöglichen

So erstellen Sie ein Behindertentestament

Ein Behinderten­testament sollte aufgrund seiner Komplexität mit fachkundiger Unter­stützung erstellt werden. Folgende Schritte sind dabei zu beachten:

  1. Fachliche Beratung suchen
    Wenden Sie sich an eine:n Rechts­anwält:in für Erb- und Sozialrecht, der/die Erfahrung mit Behinderten­testamenten hat.

  2. Vermögens­situation klären
    Verschaffen Sie sich einen Überblick über Ihr Vermögen und Ihre Wünsche für die Versorgung Ihres Angehörigen mit Behinderung.

  3. Testaments­vollstrecker:in auswählen
    Wählen Sie eine vertrauens­würdige Person, die bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Sprechen Sie auch über eine mögliche Nachfolge, falls diese Person ausfällt.

  4. Nacherben bestimmen
    Legen Sie fest, wer nach dem Tod der Person mit Behinderung das verbliebene Vermögen erhalten soll.

  5. Testament erstellen lassen
    Lassen Sie das Testament von Fach­leuten formulieren, um rechtliche Fehler zu vermeiden. Eine notarielle Beurkundung ist empfehlens­wert.

Häufig gestellte Fragen zum Behindertentestament

Wer kann ein Behindertentestament errichten?

Jede Person, die ein Testament errichten kann und einen Angehörigen mit Behinderung hat. Meist sind es Eltern, die für ihr Kind mit Behinderung vorsorgen möchten.

Ist ein Behindertentestament rechtlich sicher?

Ja, der Bundes­gerichtshof hat die Rechtmäßigkeit bestätigt. Es ist nicht sitten­widrig, wenn der Erbe mit Behinderung mindestens seinen Pflicht­teil erhält[7].

Welche Anforderungen gibt es an den/die Testaments­vollstrecker:in?

Die Person sollte vertrauens­würdig und zuverlässig sein. Häufig werden Geschwister ohne Behinderung, andere Verwandte oder Freund:innen gewählt. Auch Anwält:innen oder Steuer­berater:innen können diese Aufgabe übernehmen.

Können Ehepartner:innen ein gemeinsames Behindertentestament errichten?

Ja, ein gemein­schaftliches Testament (Berliner Testament) kann mit den Elementen eines Behinderten­testaments kombiniert werden[7].

Was passiert, wenn kein Behindertentestament vorliegt?

Ohne Behinderten­testament muss die Person mit Behinderung ihr geerbtes Vermögen für ihren Lebens­unterhalt und die Pflege­kosten einsetzen, bevor sie wieder Sozial­leistungen erhält. Das Erbe kommt ihr nicht als zusätzliche Lebens­qualität zugute.

Fazit

Ein Behinderten­testament ist ein sinnvolles Instrument, um Menschen mit Behinderung abzusichern und ihnen Vorteile zu verschaffen, die über das reine Existenz­minimum hinausgehen. Es sorgt dafür, dass das Erbe tatsächlich der Person mit Behinderung zugutekommt und nicht vom Sozial­hilfe­träger vereinnahmt wird.

Die rechtliche Gestaltung ist zwar komplex, aber mit fachkundiger Hilfe gut umsetzbar. Der zusätzliche Aufwand lohnt sich, um die Lebens­qualität des Angehörigen mit Behinderung nachhaltig zu verbessern und gleichzeitig das Familien­vermögen zu schützen.

Wenn Sie einen Angehörigen mit Behinderung haben, sollten Sie sich frühzeitig mit dem Thema Behinderten­testament auseinander­setzen. Eine voraus­schauende Planung gibt Ihnen die Gewissheit, dass Ihr Angehöriger auch nach Ihrem Tod gut versorgt sein wird.