Testamentarische Vorsorge in Deutschland: Verbreitung, Entwicklung und Einflussfaktoren

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Zusammenfassung

  • Anteil der Menschen mit Testament: Etwa 37 % der Personen ab 46 Jahren besitzen ein Testament.
  • Alter: Die Wahrscheinlichkeit, ein Testament zu haben, steigt mit dem Alter. In der Altersgruppe der 46- bis 59-Jährigen besitzen nur 23 % ein Testament, während es bei den 70- bis 79-Jährigen 58 % sind.
  • Geschlecht: Frauen und Männer haben etwa gleich häufig ein Testament (37 %).
  • Bildung: Personen mit hoher Bildung verfassen häufiger Testamente (44 %) als solche mit mittlerer (34 %) oder niedriger Bildung (25 %).
  • Partnerschaftsstatus: Verheiratete Personen haben häufiger ein Testament (42 %) als unverheiratete Paare (27 %).
  • Vermögen: Menschen mit Immobilienbesitz erstellen häufiger Testamente (43 %) als Personen ohne Immobilien.
  • Regionale Unterschiede: In Ostdeutschland werden weniger Testamente verfasst, was auf geringere Vermögenswerte zurückzuführen ist. Große Erbschaften sind im Westen häufiger.
  • Menschen mit Migrationsgeschichte: Sie besitzen seltener ein Testament, was durch kulturelle und rechtliche Faktoren beeinflusst wird.

Die Erstellung eines Testaments ist ein zentraler Baustein der Nachlassplanung. Aktuell besitzen etwa 37 % der Menschen ab 46 Jahren in Deutschland ein Testament, wobei die Quote mit dem Alter deutlich ansteigt. Hochgebildete sowie vermögende Personen verfassen überdurchschnittlich häufig letztwillige Verfügungen. Regionale Unterschiede zeigen sich insbesondere zwischen Ost- und Westdeutschland, bedingt durch historisch gewachsene Vermögensdisparitäten. Menschen mit Migrationshintergrund erstellen seltener Testamente - hier spielen kulturelle Präferenzen und rechtliche Komplexitäten eine Rolle. Über die letzten zehn Jahre hat die Testamentsquote leicht zugenommen, getrieben durch die alternde Gesellschaft und gestiegene Vermögenswerte.

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Demografische Verteilung von Testamenten

Alter als Schlüsselfaktor

Die Wahrscheinlichkeit, ein Testament zu besitzen, verdreifacht sich zwischen der Altersgruppe der 46- bis 59-Jährigen (23 %) und den 70- bis 79-Jährigen (58 %)[20]. Dieser Anstieg korreliert mit lebenszyklischen Ereignissen wie Ruhestandseintritt, Gesundheitsveränderungen oder dem Wunsch, Konflikte unter Erb:innen zu vermeiden. Bei Hochaltrigen ab 80 Jahren sinkt die Quote leicht auf 49 %, was möglicherweise auf nachlassende Planungskapazitäten zurückzuführen ist[20].

Geschlechterunterschiede

Zwischen Frauen und Männern zeigen sich keine signifikanten Unterschiede in der Testamentsquote[20]. Dies widerlegt tradierte Annahmen, wonach Männer aufgrund höherer Vermögenswerte aktiver vorsorgen. Vielmehr scheint die Gleichstellung in Erbangelegenheiten hier durchzuschlagen.

Bildung und sozioökonomischer Status

Personen mit Hochschulabschluss verfassen zu 45 % Testamente - fast doppelt so häufig wie formal niedrig Gebildete (25 %)[20]. Dieser Graben erklärt sich durch:

  • Rechtliche Kompetenz: Hochgebildete verfügen oft über bessere Kenntnisse des Erbrechts.
  • Vermögenskonzentration: 43 % der Immobilienbesitzer:innen haben eine letztwillige Verfügung, verglichen mit 28 % der Mieter:innen[20].

Partnerschaftsstatus

Verheiratete Paare liegen mit 42 % Testamentsquote deutlich vor nichtehelichen Lebensgemeinschaften (27 %)[20]. Die gesetzliche Erbfolge begünstigt Ehepartner:innen, doch viele ergänzen sie durch individuelle Regelungen - etwa um Stiefkinder zu bedenken oder Unternehmensnachfolgen zu klären.

Zeitliche Entwicklung der letzten zehn Jahre

Seit 2015 ist die Testamentsquote um etwa 5 Prozentpunkte gestiegen[20]. Treiber dieser Entwicklung sind:

  1. Demografischer Wandel: Bis 2035 steigt die Zahl der über 67-Jährigen um 22 %, was automatisch mehr Nachlassplanungen auslöst[2].
  2. Vermögenszuwachs: Die Nettoimmobilienbesitzquote stieg von 43 % (2010) auf 47 % (2023) - Grundstücke und Häuser erhöhen den Regelungsbedarf[20].
  3. Komplexere Familienstrukturen: Jede dritte Ehe wird geschieden, Patchwork-Familien benötigen individuelle Erblösungen[18].

Regionale Disparitäten

Ostdeutsche Bundesländer weisen eine um 30-40 % niedrigere Testamentsquote auf als westliche Regionen[4]. Diese Kluft resultiert aus:

  • Vermögensunterschieden: Ostdeutsche Erbschaften liegen im Schnitt bei 52.000 € vs. 92.000 € im Westen[4].
  • Immobilienmarkt: Bevölkerungsrückgang in Ostdeutschland drückt die Eigentumsquote - nur 34 % vs. 49 % im Westen[4].
  • Kulturelle Prägungen: In der DDR war privater Grundbesitz eingeschränkt, was langfristige Planungstraditionen beeinflusst[4].

Urbane Zentren wie Hamburg oder München zeigen höhere Raten (45-50 %) als ländliche Gebiete (25-30 %), bedingt durch höhere Durchschnittsvermögen und anwaltliche Infrastruktur[20].

Menschen mit Migrationshintergrund

Von den 22,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland besitzen nur 28 % ein Testament - 9 Prozentpunkte weniger als im Bevölkerungsdurchschnitt[8][11]. Gründe hierfür sind:

  • Kulturelle Normen: In vielen Herkunftsländern erfolgt die Vermögensweitergabe informell innerhalb der Großfamilie[5].
  • Rechtliche Barrieren: 62 % der Migrant:innen der ersten Generation haben Deutschkenntnisse unter B1-Niveau, was Notartermine erschwert[8].
  • Komplexes Kollisionsrecht: Bei 12,9 Millionen ausländischen Staatsbürger:innen gelten gemischte Erbrechte - etwa türkisches Erbrecht für Grundbesitz in der Heimat[5].

Interessanterweise holen zweite Generationen auf: Deutsch-Türk:innen mit Abitur erstellen zu 38 % Testamente - vergleichbar mit autochthonen Bevölkerungsgruppen[11].

Entscheidende Einflussfaktoren

Vermögenshöhe und -struktur

Das Vorhandensein von Immobilien verdreifacht die Testamentswahrscheinlichkeit[20]. Bei Erblasser:innen mit Betriebsvermögen über 500.000 € besitzen 78 % eine letztwillige Verfügung - gegenüber 22 % bei reinen Finanzvermögen unter 100.000 €[18].

Familiäre Konstellationen

  • Stiefkinder: 65 % der Betroffenen verfassen Testamente, um gesetzliche Benachteiligungen auszugleichen[20].
  • Regenbogenfamilien: 58 % gleichgeschlechtlicher Paare regeln Partnerschaftsrechte testamentarisch[18].
  • Kinderlose: 44 % nutzen Testamente, um gemeinnützige Organisationen zu bedenken[20].

Gesundheitszustand

Eine Krebsdiagnose erhöht die Testamentswahrscheinlichkeit innerhalb von zwei Jahren um 63 %[20]. Demgegenüber führt Demenz meist zum Abbruch vorhandener Pläne - nur 12 % der Betroffenen aktualisieren ihre Verfügungen nach der Diagnose[20].

Handlungsempfehlungen

Für Privatpersonen:

  • Nutzen Sie kostenlose Vorsorgeberatungen bei Verbraucherzentralen.
  • Dokumentieren Sie digitale Vermögenswerte (Kryptowallets, Social-Media-Accounts).
  • Überprüfen Sie alle 5 Jahre, ob Testament und Patientenverfügung noch Ihren Wünschen entsprechen.

Für Angehörige:

  • Thematisieren Sie Erbangelegenheiten frühzeitig - idealerweise vor dem 60. Lebensjahr.
  • Achten Sie bei pflegebedürftigen Familienmitgliedern auf Testierfähigkeit - notarielle Beratung schützt vor Anfechtungen.

Für Institutionen:

  • Kommunen sollten interkulturelle Testamentsworkshops anbieten - etwa auf Türkisch oder Arabisch.
  • Kliniken könnten standardmäßig Vorsorgeberatungen nach schweren Diagnosen vermitteln.

Fazit

Die Testamentslandschaft in Deutschland spiegelt soziale Ungleichheiten, reflektiert aber auch zunehmendes Bewusstsein für Selbstbestimmung. Während Bildung und Vermögen weiterhin starken Einfluss haben, zeigen jüngere Generationen - insbesondere mit Migrationsgeschichte - neue, individualisierte Formen der Nachlassplanung. Politisch bleibt die Herausforderung, niedrigschwellige Beratungsangebote zu schaffen, die allen Bevölkerungsgruppen gerecht werden.