Sterbehilfe in der Schweiz: Rechtslage, Voraussetzungen und Perspektiven

Zusammenfassung

Die Schweiz ermöglicht durch eine liberale Gesetzgebung den assistierten Suizid, wobei Organisationen wie Exit und Dignitas umfassende Unterstützung bieten. Die rechtlichen Voraussetzungen umfassen Urteilsfähigkeit, freien Willen und eine medizinische Indikation, wobei das Medikament selbstständig eingenommen werden muss. Diese Regelung bietet Menschen mit schwerem Leid eine selbstbestimmte Option am Lebensende und ist gesellschaftlich breit akzeptiert.

In der Schweiz ist der assistierte Suizid seit langem als legitime Option am Lebensende anerkannt. Für viele Menschen in Deutschland, die mit unheilbaren Krankheiten und schwerem Leid konfrontiert sind, stellt sich die Frage nach Möglichkeiten der Sterbehilfe im Nachbarland. Dieser Artikel gibt Ihnen einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Grundlagen, praktischen Voraussetzungen und gesellschaftlichen Aspekte der Sterbehilfe in der Schweiz.

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Rechtliche Grundlagen der Sterbehilfe in der Schweiz

Die Schweiz verfügt über ein facettenreiches Regelwerk zur Sterbehilfe, das sich deutlich von der deutschen Gesetzgebung unterscheidet. Während in Deutschland lange Zeit strenge Regeln galten, bietet die Schweiz seit Jahrzehnten einen liberaleren rechtlichen Rahmen.

Verschiedene Formen der Sterbehilfe

Im Schweizer Recht werden verschiedene Formen der Sterbehilfe unterschieden:

Aktive Sterbehilfe: Die gezielte Tötung zur Verkürzung der Leiden eines Menschen ist in der Schweiz verboten und nach Artikel 111 (vorsätzliche Tötung), Artikel 114 (Tötung auf Verlangen) oder Artikel 113 (Totschlag) des Schweizerischen Strafgesetzbuches strafbar[2].

Indirekte Sterbehilfe: Der Einsatz von Mitteln, deren Neben­wirkungen die Lebens­dauer herab­setzen können, ist unter bestimmten Voraussetzungen straflos, obwohl dies nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist[2].

Passive Sterbehilfe: Der Verzicht auf die Einleitung lebens­erhaltender Maßnahmen oder der Abbruch solcher Maßnahmen ist ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen straflos[2].

Beihilfe zum Suizid (Suizid­hilfe): Nach Artikel 115 des Schweizer Strafgesetzbuches wird nur bestraft, wer “aus selbst­süchtigen Beweggründen” jemandem zum Selbst­mord Hilfe leistet[2]. Dies bildet die rechtliche Grund­lage für die Tätig­keit von Sterbehilfe­organisationen.

Rechtliche Begründung

Ausgangspunkt und grund­legende Rechtfertigung der Suizid­hilfe in der Schweiz ist das Recht auf persönliche Freiheit und Selbst­bestimmung, das in der Schweizerischen Bundes­verfassung und der Recht­sprechung zur Europäischen Menschen­rechtskonvention verankert ist. Es umfasst neben dem Recht, über das eigene Leben zu bestimmen, auch das Recht, dieses freiwillig zu beenden[5].

Sterbehilfe­organisationen in der Schweiz

In der Schweiz gibt es mehrere Organisationen, die Beihilfe zum Suizid anbieten. Die bekanntesten sind:

Exit

Exit ist die größte und älteste Sterbehilfe­organisation der Schweiz, gegründet 1982. Im Jahr 2023 hatte Exit mehr als 167.000 Mitglieder[12]. Die Organisation bietet Beratung, Begleitung und praktische Hilfe für Menschen, die ihr Leben selbst­bestimmt beenden möchten.

Exit beschränkt ihre Dienst­leistungen auf Menschen mit “hoffnungsloser Prognose”, “unerträglichen Schmerzen” oder “unzumutbarer Behinderung”[6]. Im Jahr 2022 begleitete Exit 1.125 Menschen in den Suizid, das Durchschnitts­alter betrug 79,6 Jahre[11].

Dignitas

Im Gegensatz zu Exit bietet Dignitas ihre Dienst­leistungen auch ausländischen Staats­bürger:innen an[11]. Dies hat zur Entstehung des sogenannten “Sterbe­tourismus” beigetragen, bei dem Menschen aus Ländern mit strikterer Gesetz­gebung in die Schweiz reisen, um dort Suizid­hilfe in Anspruch zu nehmen.

Lifecircle und andere Organisationen

Neben Exit und Dignitas gibt es weitere Organisationen wie Lifecircle, die Sterbehilfe anbieten. Insgesamt sind in der Schweiz mehr als fünf Organisationen in diesem Bereich tätig, die unter­schiedliche Kriterien bezüglich Alter und Grund­erkrankung anlegen[3].

Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Sterbehilfe

Um in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:

Urteilsfähigkeit

Ein zentrales Kriterium ist die Urteils­fähigkeit der sterbewilligen Person. Diese muss in der Lage sein, die Konsequenzen ihrer Entscheidung zu verstehen und entsprechend zu handeln[5].

Medizinische Diagnose

Die Sterbehilfe­organisationen verlangen in der Regel eine medizinische Diagnose. Exit begleitet beispielsweise nur Menschen mit “hoffnungsloser Prognose”, “unerträglichen Schmerzen” oder “unzumutbarer Behinderung”[6].

Freier Wille

Die Entscheidung muss aus freiem Willen getroffen werden, ohne äußeren Druck oder Zwang[5].

Selbst­ständige Einnahme des Sterbe­mittels

Bei der Suizid­hilfe ist es entscheidend, dass die sterbewillige Person das tödliche Medikament selbst­ständig einnimmt. In der Regel handelt es sich dabei um Natrium-Pento­barbital, das ärztlich verschrieben wird[5].

Der Ablauf einer Freitod­begleitung

Der Prozess der Freitod­begleitung umfasst mehrere Schritte:

  1. Beratung und Antrag­stellung: Die sterbewillige Person nimmt Kontakt mit einer Sterbehilfe­organisation auf und stellt einen Antrag.

  2. Prüfung der Voraussetzungen: Die Organisation prüft, ob alle Voraussetzungen erfüllt sind, insbesondere die Urteils­fähigkeit und das Vorliegen einer schweren Erkrankung.

  3. Ärztliches Rezept: Ein Arzt oder eine Ärztin muss das tödliche Medikament verschreiben, nachdem er/sie sich von der Urteils­fähigkeit und der medizinischen Indikation überzeugt hat.

  4. Durchführung: Die sterbewillige Person nimmt das Medikament selbst­ständig ein, in der Regel in Anwesenheit von Vertreter:innen der Sterbehilfe­organisation und gegebenenfalls Angehörigen.

Die Kosten für die Sterbehilfe variieren je nach Organisation und können zwischen einer freiwilligen Spende und mehreren tausend Euro oder Schweizer Franken liegen[3].

Sterbehilfe für Ausländer:innen

Ein besonderes Merkmal der Schweizer Regelung ist, dass sie auch Ausländer:innen offen­steht. Organisationen wie Dignitas und Lifecircle bieten ihre Dienst­leistungen auch Menschen aus anderen Ländern an, was zum Phänomen des “Sterbe­tourismus” geführt hat[11][12].

Im Sommer 2021 beispiels­weise nahm sich ein Mann aus Japan mit Hilfe der Sterbehilfe­organisation Lifecircle in der Schweiz das Leben[12]. Solche Fälle haben inter­nationale Aufmerksamkeit erregt und Diskussionen über die ethischen Implika­tionen des “Sterbe­tourismus” ausgelöst.

Gesellschaftliche Akzeptanz und ethische Aspekte

Die Sterbehilfe genießt in der Schweiz breite gesellschaftliche Akzeptanz. Volks­abstimmungen und Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung hinter der Suizid­beihilfe steht[12].

Nach einer deutlichen Ablehnung von Einschränkungen der Suizid­hilfe durch die Zürcher Bevölkerung im Jahr 2011 verzichtete die Schweizer Regierung darauf, die organisierte Suizid­hilfe neu zu regeln[12].

Die Ethik-Professorin Samia Hurst-Majno von der Universität Genf erklärt diese Akzeptanz: “In der Schweiz wissen wir, dass uns diese Möglichkeit offen­steht, wenn wir sie brauchen. Viele Menschen beruhigt das, auch wenn sie nie davon Gebrauch machen werden.”[12]

Die Freitod-Begleitung ist in der Schweiz zum Beruf geworden. Freitod-Begleiter:innen unter­stützen Sterbewillige, indem sie ihnen auch die tödlichen Medikamente reichen. Bei Exit sind oft Rentner:innen in dieser Funktion tätig[12].

Kritische Stimmen und Bedenken

Trotz der breiten Akzeptanz gibt es auch kritische Stimmen zur Sterbehilfe in der Schweiz. Einige befürchten eine Ausweitung der Kriterien für den assistierten Suizid und sehen die Gefahr, dass die Sterbehilfe außer Kontrolle geraten könnte[6].

Besonders umstritten ist die Frage, ob auch Menschen mit psychischen Erkrankungen Zugang zur Sterbehilfe haben sollten. Eine Studie von Calati et al. legt nahe, dass die Möglichkeit zu assistiertem Suizid insbesondere bei Frauen zu vermehrten Suiziden führen könnte, die ansonsten verhinderbar gewesen wären[3].

Bemerkenswert ist jedoch, dass in dieser Studie auch festgestellt wurde, dass fast 40% der Personen, die sich für assistierten Suizid angemeldet hatten, ihre Entscheidung später revidierten[3].

Vergleich mit der Rechtslage in Deutschland

Im Gegensatz zur Schweiz war die Rechtslage in Deutschland lange Zeit restriktiver. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in einer Entscheidung vom 26. Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) für verfassungswidrig erklärt und damit den Weg für eine liberalere Regelung geebnet.

Dennoch bestehen weiterhin wesentliche Unterschiede zur Schweizer Regelung, insbesondere was die organisierte Suizidhilfe betrifft. In Deutschland fehlt bislang eine umfassende gesetzliche Regelung, die den assistierten Suizid klar definiert und regelt.

Fazit

Die Sterbehilfe in der Schweiz bietet Menschen mit schweren Erkrankungen und unerträglichem Leid eine Möglichkeit, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die gesellschaftliche Akzeptanz und die etablierten Strukturen der Sterbehilfeorganisationen haben dazu beigetragen, dass der assistierte Suizid in der Schweiz als legitime Option am Lebensende angesehen wird.

Für Menschen aus Deutschland, die diese Option in Betracht ziehen, ist es wichtig, sich umfassend über die Voraussetzungen, den Ablauf und die ethischen Implikationen zu informieren. Die Entscheidung für einen assistierten Suizid sollte nie leichtfertig getroffen werden, sondern stets das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Situation, den verfügbaren Alternativen und den persönlichen Werten sein.

Gleichzeitig zeigt die Schweizer Erfahrung, dass eine liberale Regelung der Sterbehilfe nicht zwangsläufig zu Missbrauch führen muss, sondern im Gegenteil dazu beitragen kann, dass Menschen am Lebensende mehr Selbstbestimmung und Würde erfahren.