Rechtliche Betreuung in Deutschland: Ein umfassender Überblick

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Zusammenfassung

  • Gesamtanzahl der Betreuungen:

    • 1995: 625.000 Betreuungen
    • 2016: ca. 1.260.000 Betreuungen
    • Heute: ca. 1,3 Millionen Betreuungen
  • Anteile ehrenamtlicher und beruflicher Betreuungen:

    • 2016: ca. 53% ehrenamtlich, ca. 47% beruflich
    • Rückgang ehrenamtlicher Betreuungen:
      • 2012: 60,49%
      • 2013: 59,06%
      • 2014: 56,98%
  • Ehrenamtliche Betreuer:innen:

    • Rund 57% aller Betreuungen werden ehrenamtlich geführt (Stand 2014).
    • Etwa 85% der ehrenamtlichen Betreuer:innen sind Familienangehörige.
  • Berufliche Betreuer:innen:

    • Ca. 17.000 Berufsbetreuer:innen führen rund 400.000 Betreuungen.
  • Erstbestellungen von Betreuer:innen: (ohne Schleswig-Holstein)

    • Rückgang bis 2015 auf ca. 176.204 Erstbestellungen.
    • Anstieg im Jahr 2016 auf ca. 192.014 Erstbestellungen.
  • Regionale Unterschiede bei Unterbringungen (pro 10.000 Einwohner:innen):

    • Niedrigste Quote (2015): Brandenburg mit 1,87 Unterbringungen.
    • Höchste Quote (2015): Bayern mit 14,58 Unterbringungen.
  • Freiheitsentziehende Maßnahmen (§1906 BGB):

    • Freiheitsentziehende Unterbringungen:

      • 2015: ca. 56.646 Fälle.
      • 2016: ca. 56.048 Fälle.
    • Unterbringungsähnliche Maßnahmen (z.B. Fixierungen):

      • 2015: ca. 51.734 Fälle.
      • 2016: ca. 51.097 Fälle.

Die rechtliche Betreuung stellt ein zentrales Element der sozialen Absicherung in Deutschland dar. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Anzahl der Betreuungsverhältnisse deutlich angestiegen, was die wachsende Bedeutung dieses Rechtsinstituts unterstreicht. Diese Entwicklung wirft Fragen nach Strukturen, Verantwortlichkeiten und Zukunftsperspektiven auf. Der folgende Artikel beleuchtet die aktuellen Daten und Statistiken zur rechtlichen Betreuung und gibt Ihnen einen fundierten Einblick in dieses komplexe Thema.

Älteres Paar bespricht Dokumente an einem Tisch in einem sonnendurchfluteten Raum mit Pflanzen im Hintergrund.

Was rechtliche Betreuung bedeutet und wann sie notwendig wird

Rechtliche Betreuung kommt dann zum Tragen, wenn Menschen aufgrund von Krankheit, Unfall, Behinderung oder nachlassenden geistigen Kräften nicht mehr selbständig entscheiden können. In solchen Fällen wird ein:e Betreuer:in eingesetzt, der oder die im Namen der betreuten Person Entscheidungen trifft[6]. Die Betreuung erstreckt sich grundsätzlich nur auf Bereiche, in denen die betroffene Person nicht mehr selbst entscheiden kann.

Tipp: Sie können eine rechtliche Betreuung durch eine Vorsorgevollmacht oder eine Betreuungsverfügung vermeiden. Mit diesen Dokumenten legen Sie selbst fest, wer in Ihrem Namen Entscheidungen treffen soll, wenn Sie dazu nicht mehr in der Lage sind[6].

Die Einrichtung einer Betreuung kann von der betroffenen Person selbst, von Angehörigen oder auch von Dritten wie Ärzt:innen oder Freund:innen veranlasst werden. Das Betreuungsgericht prüft dann durch Befragung und ein medizinisches Gutachten, ob und in welchem Umfang eine Betreuung erforderlich ist[6].

Anzahl der Betreuungen und demografische Entwicklung

Gesamtzahlen und Trends

Die Gesamtanzahl der Betreuungsverfahren in Deutschland betrug Ende 2016 schätzungsweise 1.260.000 Betreuungen[1]. Im Vergleich zu 1995, als noch 625.000 Menschen betreut wurden, ist das eine Steigerung auf mehr als das Doppelte. Heute sind es bereits etwa 1,3 Millionen betreute Personen[1].

Diese Entwicklung verlief jedoch nicht linear. Bis 2012 stiegen die Zahlen stark an, in den Folgejahren verringerten sie sich leicht. So gab es 2015 einen Rückgang um mehr als 30.000 auf 1.276.538 Betreuungen (ohne Schleswig-Holstein). Für 2016 ist in den erfassten Bundesländern ein weiterer Fallzahlenrückgang von fast 15.000 Fällen festzustellen, was einem Rückgang von etwa 1,2% entspricht[1].

Gründe für den steigenden Betreuungsbedarf

Trotz der leichten Rückgänge in einzelnen Jahren bleibt der langfristige Trend eines steigenden Betreuungsbedarfs bestehen. Hierfür gibt es verschiedene Ursachen:

  • Das durchschnittliche Alter der Bevölkerung steigt kontinuierlich
  • Familienstrukturen lösen sich zunehmend auf
  • Soziale Einrichtungen können aufgrund finanzieller Einschränkungen weniger Unterstützung leisten
  • Die Beantragung sozialer Unterstützungsleistungen wird komplexer
  • Die Zahl der Menschen mit Behinderungen und komplexen Problemlagen nimmt zu[1]

Ehrenamtliche und berufliche Betreuung im Vergleich

Anteile und Entwicklung

Das deutsche Betreuungsrecht sieht vor, dass die rechtliche Betreuung grundsätzlich ein unentgeltliches Ehrenamt ist. Daher sollen in erster Linie Einzelpersonen ehrenamtlich die Betreuungen übernehmen[4]. In der Praxis zeigt sich jedoch ein kontinuierlicher Rückgang des Anteils ehrenamtlicher Betreuungen.

Im Jahr 2016 betrug der Anteil ehrenamtlich geführter Betreuungen etwa 53%, während berufliche Betreuer:innen etwa 47,2% der Betreuungen übernahmen[1]. Diese Zahlen verdeutlichen einen anhaltenden Trend: 2014 lag der Gesamtanteil ehrenamtlicher Betreuer:innen noch bei 56,98%, 2013 bei 59,06% und 2012 bei 60,49%[3].

Bei den beruflichen Betreuungen wurde 2014 zum zweiten Mal die 40-Prozent-Marke überschritten (2014: 43,02%; 2013: 40,94%; 2012: 39,51%)[3]. Der Anteil der Vereinsbetreuungen stieg leicht an (2014: 6,47%; 2013: 6,37%)[3].

Wer sind die ehrenamtlichen Betreuer:innen?

Rund 70% aller Betreuungen (800.000 Fälle im Jahr 2004) wurden ehrenamtlich geführt. Davon waren etwa 85% Familienangehörige der betreuten Person[4]. Es handelt sich bei ehrenamtlichen Betreuer:innen oft um Angehörige, Freund:innen, Nachbar:innen oder Berufskolleg:innen von Betroffenen, teilweise aber auch um Menschen, die diesen Dienst für Personen übernehmen, zu denen sie zuvor keine Kontakte hatten[4].

Insgesamt kann man davon ausgehen, dass in Deutschland mehr als 750.000 Menschen als ehrenamtliche Betreuer:innen bestellt sind. Ihnen gegenüber stehen rund 17.000 Berufsbetreuer:innen, die selbständig oder als Beschäftigte in Betreuungsvereinen und Betreuungsbehörden tätig sind und die ihrerseits rund 400.000 Betreuungen beruflich führen[4].

Erstbestellungen

Bei den Erstbestellungen von Betreuer:innen gab es bis 2015 einen Rückgang. Im Jahr 2015 betrugen die Erstbetreuerbestellungen 209.664 (ohne Schleswig-Holstein)[1]. In den Bundesländern, für die Daten vorliegen, stiegen die Erstbestellungszahlen 2016 wieder von 176.204 auf 192.014[1].

Bereiche der rechtlichen Betreuung

Das Betreuungsgericht legt fest, für welche Lebensbereiche die Betreuung gilt. Diese kann sich auf verschiedene Aufgabenkreise erstrecken:

  • Vermögenssorge: Verwaltung von Geld, Konten und Vermögenswerten
  • Aufenthaltsbestimmungsrecht: Entscheidungen über den Wohnort
  • Regelung von Wohnungsangelegenheiten: Mietverträge, Wohnungskündigung
  • Gesundheitsfürsorge: Entscheidungen über medizinische Behandlungen
  • Rechtsangelegenheiten: Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten
  • Postangelegenheiten: Verwaltung der eingehenden Post[6]

Der genaue Umfang der Betreuung wird in einer Betreuungsurkunde festgehalten, die der oder die Betreuer:in ausgehändigt bekommt. Ist keine rechtliche Betreuung mehr erforderlich, zum Beispiel aufgrund einer deutlichen Verbesserung des Gesundheitszustands, hebt das Gericht sie wieder auf[6].

Regionale Unterschiede in der Betreuungslandschaft

Die Betreuungslandschaft in Deutschland weist erhebliche regionale Unterschiede auf. Ein Beispiel dafür ist Baden-Württemberg, wo die Gruppe der Berufsbetreuer:innen anteilig immer mehr Betreuungen übernimmt, obwohl das Bürgerliche Gesetzbuch in § 1897 der familiären und sonstigen ehrenamtlichen Betreuung den Vorrang einräumt[5].

Auch bei freiheitsentziehenden Maßnahmen zeigen sich deutliche regionale Unterschiede. Die Unterbringungsquote je 10.000 Einwohner:innen lag 2015 am niedrigsten in Brandenburg mit 1,87 und am höchsten in Bayern mit 14,58[1]. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Betreuungspraxis in den verschiedenen Bundesländern sehr unterschiedlich gestaltet wird.

Freiheitsentziehende Maßnahmen und ihre Genehmigung

Zahlen und Entwicklung

Freiheitsentziehende Maßnahmen sind ein besonders sensibler Bereich der rechtlichen Betreuung. Im Jahr 2015 wurden insgesamt 56.646 freiheitsentziehende Unterbringungen (§ 1906, Abs. 1 BGB) genehmigt, 2016 waren es 56.048 - damit bewegte sich der Wert auf einem ähnlichen Niveau wie in den Vorjahren[1].

Unterbringungsähnliche Maßnahmen wie Fixierungen und Bettgitter (§ 1906 Abs. 4 BGB) erfolgten im Jahr 2015 51.734 Mal, im Jahr 2016 51.097 Mal[1].

Genehmigungspflicht bei Minderjährigen

Bei Kindern und Jugendlichen können Bettgitter, Fixierungen und sedierende Arzneimittel freiheitsentziehende Maßnahmen darstellen. Für deren Anwendung in Einrichtungen der Jugend- oder Behindertenhilfe sowie der Psychiatrie ist inzwischen eine Genehmigung des Familiengerichts erforderlich[7].

Diese Erweiterung der Genehmigungspflicht soll helfen, freiheitsentziehende Maßnahmen zu vermeiden und neben dem Schutz der Kinder und Jugendlichen auch die Eltern entlasten, die sich in der Vergangenheit oft genötigt sahen, pauschal in solche Maßnahmen einzuwilligen[7].

Wichtig zu wissen: Freiheitsentziehende Maßnahmen werden in der Regel nur für sechs Monate genehmigt. Für eine familiengerichtliche Genehmigung muss ein entsprechendes ärztliches Zeugnis eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie beziehungsweise -psychologie vorgelegt werden[7].

Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Finanzierung des Betreuungswesens

Eine aktuelle Herausforderung stellt die Finanzierung des Betreuungswesens dar. Der Bundestag hat das Kosten- und Betreuervergütungsrechtsänderungsgesetz 2025 beschlossen, das die Finanzierung über das Jahr 2025 hinaus sichern soll. Ohne dieses Gesetz würden Betreuungsvereine und Berufsbetreuer:innen ab 2026 auf ein Vergütungsniveau von 2019 zurückfallen, da Ende 2025 die Inflationsausgleichssonderzahlung endet[8].

Sollte dies geschehen, müssten Betreuungsvereine, Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuer ihre Arbeit möglicherweise einstellen. Gerade Betreuungsvereine leisten eine unverzichtbare Arbeit, da ehrenamtliche Betreuer:innen auf ihre Unterstützung, Begleitung und Beratung dringend angewiesen sind[8].

Demografischer Wandel und seine Auswirkungen

Der demografische Wandel wird den Bedarf an rechtlicher Betreuung in den kommenden Jahren weiter erhöhen. Mit der steigenden Lebenserwartung nimmt auch die Zahl älterer Menschen zu, die möglicherweise auf rechtliche Betreuung angewiesen sein werden.

Gleichzeitig lösen sich traditionelle Familienstrukturen immer mehr auf, wodurch weniger Angehörige für die ehrenamtliche Betreuung zur Verfügung stehen. Diese Entwicklung könnte den Trend zu mehr beruflichen Betreuungen weiter verstärken.

Vorsorgemöglichkeiten und Handlungsempfehlungen

Um selbst zu bestimmen, wer im Fall einer Entscheidungsunfähigkeit für Sie handelt, sollten Sie frühzeitig Vorsorge treffen. Eine Vorsorgevollmacht ermöglicht es Ihnen, eine Person Ihres Vertrauens zu bevollmächtigen, in Ihrem Namen zu handeln, wenn Sie selbst dazu nicht mehr in der Lage sind.

Mit einer Betreuungsverfügung können Sie festlegen, wer als Betreuer:in bestellt werden soll, falls eine rechtliche Betreuung notwendig wird. Sie können auch Wünsche zur Durchführung der Betreuung äußern.

Fazit: Die Bedeutung der rechtlichen Betreuung in unserer Gesellschaft

Die rechtliche Betreuung hat sich zu einem wesentlichen Bestandteil unseres sozialen Sicherungssystems entwickelt. Mit derzeit etwa 1,3 Millionen Betreuungsverhältnissen betrifft sie einen erheblichen Teil der Bevölkerung - Tendenz steigend.

Die Zahlen zeigen einen kontinuierlichen Rückgang der ehrenamtlichen zugunsten beruflicher Betreuungen. Diese Entwicklung steht im Spannungsverhältnis zum gesetzlichen Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung und stellt das Betreuungswesen vor finanzielle Herausforderungen.

Durch den demografischen Wandel und die Auflösung traditioneller Familienstrukturen wird der Bedarf an rechtlicher Betreuung in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter steigen. Umso wichtiger erscheint es, die Strukturen des Betreuungswesens nachhaltig zu stärken und gleichzeitig das ehrenamtliche Engagement zu fördern.

Für jeden Einzelnen bleibt die persönliche Vorsorge durch Vollmachten und Verfügungen der beste Weg, um selbstbestimmt zu bleiben - auch für den Fall, dass man einmal nicht mehr selbst entscheiden kann.