Pflichtteilsergänzungsanspruch - Erbrechtlicher Schutz für Pflichtteilsberechtigte

Zusammenfassung

Der Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch schützt enterbte Pflicht­teils­berechtigte, indem Schenkungen des Erblassers innerhalb der letzten zehn Jahre vor dessen Tod bei der Berechnung des Pflicht­teils berücksichtigt werden. Dabei gilt ein Abschmelzungs­modell, das den Wert der Schenkung jährlich um 10 Prozent reduziert. Dieser Anspruch muss aktiv geltend gemacht werden und kann bei Streitigkeiten auch gerichtlich durchgesetzt werden.

Der Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch bildet eine zentrale Komponente des deutschen Erbrechts und schützt Angehörige vor Ent­erbung durch lebzeitige Schenkungen. Dieses rechtliche Instrument verhindert, dass durch Vermögens­übertragungen vor dem Tod der gesetzliche Pflichtteil geschmälert wird. Der folgende Artikel erklärt anschaulich, wann ein solcher Anspruch entsteht, wer berechtigt ist, diesen geltend zu machen, und welche zeitlichen Grenzen dabei zu beachten sind.

Ein Mann im Anzug schreibt mit einem Stift auf ein Dokument, umgeben von Büchern, Notizblock und Taschenrechner.

Was genau ist ein Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Wenn eine verstorbene Person (Erblasser:in) zu Lebzeiten Vermögens­werte verschenkt hat, können enterbte Pflicht­teils­berechtigte die Höhe dieser Schenkungen als Pflicht­teils­ergänzung geltend machen. Dieser Anspruch ist in § 2325 BGB gesetzlich verankert. Der Pflichtteil wird dann so berechnet, als wären die verschenkten Gegen­stände noch Teil des Nachlasses - Fach­leute sprechen hier von einem fiktiven Nachlass.[1][2]

Wichtig: Der Pflicht­teils­anspruch entsteht grundsätzlich nur, wenn gesetzliche Erb:innen (beispielsweise Kinder, Ehe­gatt:innen oder Eltern) durch ein Testament oder einen Erbvertrag enterbt wurden. Der Gesetzgeber möchte damit verhindern, dass nahe Angehörige vollständig leer ausgehen können.

Rechtlicher Hintergrund des Pflichtteilsergänzungsanspruchs

Der Gesetzgeber hat den Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch geschaffen, um zu verhindern, dass Erblasser:innen den Pflichtteil ihrer Angehörigen durch gezielte Schenkungen vor dem Tod aushöhlen oder sogar komplett auf null reduzieren. Es handelt sich um einen rechtlichen Schutz­mechanismus zugunsten der Pflicht­teils­berechtigten.[9]

In § 2325 BGB heißt es wörtlich: “Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, so kann der Pflicht­teils­berechtigte als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzu­gerechnet wird.”

Definition einer Schenkung im rechtlichen Kontext

Das Bürgerliche Gesetzbuch definiert eine Schenkung als Vermögens­übertragung, bei der eine Person eine andere ohne Gegen­leistung bereichert. Beide Parteien müssen sich einig sein, dass die Zuwendung unent­geltlich erfolgt. Wenn Sie also jemandem aus Ihrem Vermögen etwas überlassen, ohne dafür eine entsprechende Gegen­leistung zu erhalten, handelt es sich rechtlich um eine Schenkung.

Bei einer gemischten Schenkung erhält die schenkende Person zwar eine Gegen­leistung, diese entspricht jedoch nicht dem vollen Wert des übertragenen Vermögens. Beispielsweise könnte jemand eine Immobilie im Wert von 300.000 Euro an ein Kind übertragen und dafür nur 100.000 Euro erhalten. In diesem Fall besteht ein Schenkungsanteil von 200.000 Euro, der für den Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch relevant sein kann.

Zeitliche Berücksichtigung von Schenkungen

Nicht alle Vermögens­übertragungen werden für den Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch berücksichtigt. Grundsätzlich werden nur Schenkungen innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Tod der erblassenden Person in die Berechnung einbezogen.[2][9][10] Bei bestimmten Konstellationen gibt es jedoch Ausnahmen von dieser Zehnjahres­frist.

Bei Schenkungen an den eigenen Ehegatten gilt keine zeitliche Begrenzung - hier werden sämtliche Zuwendungen während der gesamten Ehezeit bei der Berechnung des Pflicht­teils­ergänzungs­anspruchs berücksichtigt.[9][10] Auch bei Vermögens­übertragungen mit Vorbehalt eines Nießbrauchs­rechts oder in manchen Fällen eines Wohnrechts kommt die Zehnjahres­frist nicht zur Anwendung.[2][10]

Besonderheit seit 2010: Nach einer Reform des Erbrechts gilt seit dem 1. Januar 2010 ein sogenanntes Abschmelzungs­modell. Eine Schenkung wird im ersten Jahr vor dem Erbfall zu 100 Prozent berücksichtigt. Für jedes weitere zurück­liegende Jahr verringert sich der anzurechnende Wert um jeweils 10 Prozent. Eine Schenkung, die beispielsweise acht Jahre vor dem Tod erfolgte, wird nur noch zu 30 Prozent berücksichtigt. Diese Regelung gilt allerdings nicht für Schenkungen unter Ehegatten oder bei Zuwendungen mit Nießbrauchs­vorbehalt.[2][10]

Berechtigter Personenkreis für den Pflichtteilsergänzungsanspruch

Den Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch können ausschließlich Personen geltend machen, die auch pflicht­teils­berechtigt sind. Zu diesem eng begrenzten Kreis gehören die direkten Nachkommen des Erblassers (Kinder und bei deren Vorversterben die Enkel­kinder), der Ehepartner oder die Ehepartnerin sowie bei kinder­losen Personen auch deren Eltern.[2][4][9]

Andere Verwandte wie Geschwister, Nichten oder Neffen haben keinen gesetzlichen Anspruch auf einen Pflichtteil und somit auch keinen Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch. Der Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch setzt außerdem voraus, dass die berechtigte Person tatsächlich enterbt wurde oder das Erbe ausgeschlagen hat.

Durchsetzung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs

Der Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch wird nicht automatisch ausgezahlt. Die berechtigte Person muss aktiv werden und den Anspruch eigenständig einfordern. Als erster Schritt empfiehlt sich ein Auskunfts­ersuchen an die Erben oder die Erben­gemeinschaft, um Informationen über den Nachlass sowie über mögliche Schenkungen in den letzten zehn Jahren vor dem Tod zu erhalten.

Nach Ermittlung des Nachlasswertes und der relevanten Schenkungen kann der Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch berechnet und gegenüber den Erb:innen geltend gemacht werden. Verweigern diese die Zahlung, bleibt der enterbten Person nur der Weg einer gerichtlichen Klage.

Der Anspruch richtet sich in erster Linie gegen die Erb:innen als Gesamt­schuldner:innen. Nur wenn der Nachlass für die Erfüllung nicht ausreicht, kann unter bestimmten Umständen auch die beschenkte Person herangezogen werden.[2][10]

Zu beachten: Der Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch verjährt nach drei Jahren. Die Verjährungs­frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und die berechtigte Person von den relevanten Umständen erfahren hat.[10]

Praktisches Beispiel zur Veranschaulichung

Frau Weber verstirbt im Jahr 2025. In ihrem Testament hat sie ihre Tochter Sarah enterbt und ihren Sohn Markus als Allein­erben eingesetzt. Vier Jahre vor ihrem Tod hat Frau Weber ihrem Sohn eine Eigen­tums­wohnung im Wert von 200.000 Euro geschenkt.

Sarah kann nun nicht nur ihren regulären Pflichtteil aus dem vorhandenen Nachlass beanspruchen, sondern auch einen Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch für die verschenkte Wohnung geltend machen. Da die Schenkung vier Jahre vor dem Tod erfolgte, werden nach dem Abschmelzungs­modell noch 60 Prozent des Wertes berücksichtigt (100 Prozent abzüglich 4 × 10 Prozent). Der zu berücksichtigende Wert beträgt somit 120.000 Euro.

Als Kind beträgt Sarahs Pflicht­teils­quote ein Viertel (die Hälfte des gesetzlichen Erbteils). Ihr Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch errechnet sich demnach auf 30.000 Euro (120.000 Euro × 1/4). Diesen Betrag kann sie zusätzlich zu ihrem regulären Pflichtteil von ihrem Bruder als Erben fordern.

Gestaltungsmöglichkeiten für Erblasser:innen

Für Personen, die ihre Nachlass­regelung planen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit potenziellen Pflicht­teils­ergänzungs­ansprüchen umzugehen. Eine früh­zeitige Vermögens­übertragung kann sinnvoll sein, da mit jedem Jahr die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Zehnjahres­frist abläuft. Mit potenziell Berechtigten lässt sich auch ein notarieller Pflicht­teils­verzicht vereinbaren, wodurch diese auf ihre Ansprüche verzichten.

Bei Vermögens­übertragungen kann die Vereinbarung einer angemessenen Gegen­leistung den Schenkungsanteil reduzieren. Dadurch verringert sich auch ein möglicher Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch. In manchen Fällen kann auch die Einrichtung einer Stiftung oder andere erbrechtliche Gestaltungen sinnvoll sein.

Abschließende Betrachtung

Der Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch stellt ein wichtiges Instrument dar, um die Rechte naher Angehöriger im Erbfall zu schützen. Er verhindert, dass durch lebzeitige Schenkungen der gesetzliche Mindest­anspruch am Nachlass umgangen werden kann. Gleichzeitig bietet das Gesetz durch die zeitliche Begrenzung auf zehn Jahre und das Abschmelzungs­modell einen Ausgleich zwischen den Interessen der Erblasser:innen und denen der Pflicht­teils­berechtigten.

Sowohl für potenziell Berechtigte als auch für Personen, die ihre Nachlass­regelung planen, empfiehlt sich eine frühzeitige rechtliche Beratung. Die Materie ist komplex und hängt stark vom Einzelfall ab. Eine fach­kundige Beratung kann helfen, die eigenen Rechte zu wahren oder die Nachlass­planung optimal zu gestalten.