Pflichtteil bei Immobilien: Wertermittlung, Auszahlung und Lösungen für Erben

Zusammenfassung

Der Pflichtteil bei Immobilien berechnet sich aus dem halben gesetzlichen Erbteil und wird als Geldanspruch geltend gemacht, basierend auf dem Immobilienwert zum Todeszeitpunkt. Erben können den Pflichtteil durch Stundung, Kredite, Vermietung oder Einigungen erfüllen, ohne die Immobilie verkaufen zu müssen. Eine rechtzeitige Bewertung, offene Kommunikation und fachliche Beratung helfen, Konflikte zu vermeiden.

Der erbrecht­liche Pflichtteil sorgt bei Immobilien oft für Konflikte. Gerade wenn ein Haus oder eine Wohnung den Haupt­teil eines Nach­lasses bildet, stehen Erben vor der Heraus­forderung, Pflicht­teils­ansprüche zu erfüllen, ohne die Immobilie verkaufen zu müssen. Dieser Artikel erklärt, wie der Pflicht­teil bei Immobilien berechnet wird, welche Rechte Pflicht­teils­berechtigte haben und welche Möglich­keiten Erben haben, wenn sie das geerbte Haus behalten möchten.

Familie sitzt gemeinsam an einem Tisch, arbeitet mit Dokumenten, Taschenrechner und Laptop in einem hellen Raum.

Der Pflicht­teil und seine gesetz­lichen Grund­lagen

Wenn Personen durch Testament oder Erb­vertrag enterbt wurden, haben sie unter bestimmten Voraus­setzungen Anspruch auf den Pflicht­teil. Dieser steht nahen Angehörigen wie Kindern, Enkel­kindern (falls ihre Eltern bereits verstorben sind), Ehe­gatten und in manchen Fällen auch den Eltern des Erb­lassers zu. Der Pflicht­teil entspricht der Hälfte des gesetz­lichen Erb­teils und wird als Geld­anspruch gegen die Erben geltend gemacht.

Wichtig zu wissen: Pflicht­teils­berechtigte haben keinen Anspruch auf die Immobilie selbst, sondern nur auf einen entsprechenden Geld­betrag. Dieser Anspruch richtet sich ausschließlich gegen die Erben, nicht gegen das Nachlassvermögen direkt.

Bewertung von Immobilien für den Pflicht­teil

Für die Berech­nung des Pflicht­teils muss zunächst der Wert des gesamten Nach­lasses ermittelt werden. Bei Immobilien gilt das Stich­tags­prinzip: Der Verkehrs­wert am Todes­tag ist maß­geblich[2][9]. Der Pflicht­teils­berechtigte ist wirtschaft­lich so zu stellen, als hätte der Erbe den Nachlass sofort, also am Tag des Todes des Erb­lassers, in Geld umgesetzt[9].

Die Bewertung einer Immobilie erfolgt auf Basis ihres Verkehrs­werts, also des Preises, der bei einem Verkauf zum Todes­zeitpunkt hätte erzielt werden können[5]. Faktoren wie Lage, Zustand, Größe und aktuelle Markt­situation fließen in diese Bewertung ein.

Der Wert­ermittlungs­anspruch des Pflicht­teils­berechtigten

Können sich Erben und Pflicht­teils­berechtigte nicht auf einen Wert einigen, hat der Pflicht­teils­berechtigte nach § 2314 BGB einen Wert­ermittlungs­anspruch[5][6]. Dies bedeutet:

  • Der Erbe muss auf Kosten des Nach­lasses ein Sach­verständigen­gutachten in Auftrag geben[5]
  • Die Wahl des Sach­verständigen liegt beim Erben, der Gutachter muss jedoch un­parteiisch sein[6]
  • Die Kosten für das Gutachten werden vom Nachlass­vermögen getragen[6]

Für die Wert­ermittlung müssen Erben auch relevante Unter­lagen wie Grund­buch­auszüge, Grund­risse, Wohn­flächen­berechnungen oder Miet­verträge zur Verfügung stellen[5]. Dies soll dem Pflicht­teils­berechtigten ermöglichen, seinen Anspruch korrekt zu berechnen.

Heraus­forderungen für Erben: Liquiditäts­engpässe durch Pflicht­teils­ansprüche

Erben stehen bei Immobilien vor einem Dilemma: Sie haben das Haus oder die Wohnung geerbt, verfügen aber oft nicht über ausreichend flüssige Mittel, um den Pflicht­teil auszu­zahlen[7][8]. Dies kann zu einer schwierigen Situation führen, in der Erben gegen ihren Willen zum Verkauf der Immobilie gezwungen sein könnten.

Die gute Nachricht: Erben haben keine automa­tische Pflicht, den Pflicht­teil sofort auszu­zahlen. Der Pflicht­teils­berechtigte muss seinen Anspruch aktiv geltend machen[7]. Zudem gibt es verschiedene Möglich­keiten, wie Sie als Erbe:in die Auszahlung gestalten können, ohne die Immobilie verkaufen zu müssen.

Lösungs­möglichkeiten: Pflicht­teil auszahlen ohne Immobilien­verkauf

Wenn Sie als Erbe:in eine Immobilie behalten möchten, aber Pflicht­teils­ansprüche bedienen müssen, können folgende Optionen hilfreich sein:

Stundung des Pflicht­teils

Sie können mit den Pflicht­teils­berechtigten über eine Stundung des Anspruchs verhandeln. Dies bedeutet, dass der Anspruch zwar anerkannt, die Auszahlung aber zeitlich aufge­schoben wird[7]. Oft lassen sich Verein­barungen über Raten­zahlungen oder spätere Einmal­zahlungen treffen.

Finanzierung über Kredite oder Hypotheken

Eine weitere Möglich­keit besteht darin, einen Kredit aufzu­nehmen oder eine Hypothek auf die geerbte Immobilie einzu­tragen[7]. Die Zins­belastung sollten Sie dabei sorg­fältig kalkulieren, um nicht in finan­zielle Schwierig­keiten zu geraten.

Vermietung der Immobilie

Wenn Sie die Immobilie nicht selbst bewohnen möchten, kann die Vermietung eine Lösung sein. Mit den regel­mäßigen Miet­einnahmen können Sie den Pflicht­teil nach und nach auszahlen oder einen Kredit bedienen[7].

Einigung über Auszahlung in Sachwerten

In manchen Fällen kann auch eine Einigung erreicht werden, wonach anstelle einer Geld­zahlung andere Vermögens­werte aus dem Nachlass an die Pflicht­teils­berechtigten übertragen werden.

Immobilien­schenkungen zu Leb­zeiten und ihre Folgen

Viele Menschen verschenken Immobilien bereits zu Leb­zeiten, um Nach­lass­planungen zu treffen. Hierbei ist Vorsicht geboten, denn solche Schenkungen können zu Pflicht­teils­ergänzungs­ansprüchen führen[10].

Verschenkt der Erblasser eine Immobilie innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tod, wird der Wert der Immobilie anteilig zum Nachlass hinzu­gerechnet[5][10]. Je länger die Schenkung zurück­liegt, desto geringer ist der anzu­rechnende Anteil (pro vollendetem Jahr um 10% abnehmend).

Praktische Hinweise für Erben und Pflicht­teils­berechtigte

Für Erben:

  • Nachlassverzeichnis erstellen: Verschaffen Sie sich früh­zeitig einen Überblick über den gesamten Nachlass[8]
  • Professionelle Bewertung: Lassen Sie eine Immobilie möglichst früh von neutraler Stelle bewerten
  • Kommunikation mit Berechtigten: Offene Gespräche können teure Rechts­streitigkeiten vermeiden
  • Rechtzeitige Beratung: Ziehen Sie bei komplexen Fällen eine:n Fachanwält:in für Erbrecht hinzu

Für Pflichtteilsberechtigte:

  • Ansprüche geltend machen: Der Pflicht­teil muss aktiv eingefordert werden - dies sollte schriftlich geschehen
  • Wertermittlung prüfen: Bei Zweifel am angegebenen Immobilien­wert können Sie ein Gutachten verlangen
  • Schenkungen recherchieren: Prüfen Sie, ob der Erblasser zu Leb­zeiten relevante Schenkungen getätigt hat

Fazit: Pflicht­teil bei Immobilien mit Bedacht regeln

Die Auseinander­setzung mit Pflicht­teils­ansprüchen bei Immobilien erfordert von allen Beteiligten Finger­spitzen­gefühl. Für Erben steht oft der Erhalt eines Familien­hauses im Vorder­grund, während Pflicht­teils­berechtigte auf ihren gesetz­lichen Anspruch pochen. Mit guter Planung, offener Kommunikation und recht­zeitiger fach­licher Beratung lassen sich jedoch meist Lösungen finden, die alle Interessen berück­sichtigen.

Denken Sie daran, dass der Wert einer Immobilie zum Todes­zeitpunkt maß­geblich ist und Pflicht­teils­berechtigte einen Anspruch auf ein Sach­verständigen­gutachten haben. Erben sollten sich früh­zeitig mit Möglich­keiten zur Finanzierung des Pflicht­teils befassen, wenn sie die geerbte Immobilie behalten möchten.