Patientenverfügung für Kinder und Jugendliche: Rechtliche Möglichkeiten und praktische Lösungen

Zusammenfassung

Obwohl Minderjährige in Deutschland keine rechtsverbindliche Patientenverfügung erstellen können, gibt es Möglichkeiten, ihre Behandlungswünsche zu dokumentieren und zu berücksichtigen. Durch gemeinsame Vorausverfügungen im Rahmen des “Advance Care Planning” können Eltern, Behandlungsteam und - wenn möglich - das betroffene Kind zusammen einen Plan für zukünftige medizinische Entscheidungen erarbeiten. Regelmäßige Gespräche, sorgfältige Dokumentation und die Einbindung von Unterstützungsangeboten helfen dabei, das Selbstbestimmungsrecht des Kindes zu respektieren und gleichzeitig dem Kindeswohl gerecht zu werden.

Nach aktuellem deutschen Recht können Minderjährige keine rechtsverbindliche Patientenverfügung erstellen. Dennoch haben auch Kinder und Jugendliche ein gesetzlich anerkanntes Selbstbestimmungsrecht bei medizinischen Entscheidungen. Dieser scheinbare Widerspruch stellt Eltern schwerkranker Kinder vor besondere Herausforderungen. Die gute Nachricht: Es gibt praktische Wege, wie der Wille eines minderjährigen Kindes dokumentiert und in Behandlungsentscheidungen einbezogen werden kann. Der folgende Artikel zeigt auf, welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten und wie Eltern und medizinisches Fachpersonal gemeinsam den Willen eines Kindes berücksichtigen können.

Familiengespräch mit einem Arzt in einem hellen Raum, Fokus auf Dokumente und Beratung für ein Kind.

Die rechtliche Situation in Deutschland

Nach deutschem Recht können ausschließlich volljährige Personen eine rechtsverbindliche Patientenverfügung erstellen. Die gesetzliche Grundlage findet sich in § 1827 BGB, der klar festlegt, dass der Verfasser einer Patientenverfügung volljährig sein muss[2]. Dies steht jedoch im Kontrast zu einer grundsätzlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1958, wonach auch Minderjährige einem medizinischen Eingriff zustimmen oder diesen ablehnen können, sofern sie “nach ihrer geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermögen”[10].

Diese Diskrepanz wirft mehrere Fragen auf, mit denen sich Eltern schwerkranker Kinder auseinandersetzen müssen:

  • Wie können schwerkranke und einwilligungsfähige Minderjährige verbindliche Entscheidungen über ihre Behandlung am Lebensende treffen?
  • Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn medizinisches Personal sich an den dokumentierten Wünschen eines minderjährigen Patienten orientiert?
  • Wie lässt sich das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht von Minderjährigen in diesem Kontext umsetzen?

Ein Blick in die Nachbarländer zeigt alternative Ansätze: In Österreich beispielsweise können normal entwickelte Minderjährige ab 14 Jahren eine Patientenverfügung erstellen. Die Schweiz koppelt die Möglichkeit einer Patientenverfügung nicht an das Alter, sondern an die Urteilsfähigkeit der betreffenden Person[10].

Alternative Wege zur Berücksichtigung des Kindeswillens

Auch wenn Minderjährige in Deutschland keine rechtsverbindliche Patientenverfügung erstellen können, gibt es Möglichkeiten, ihre Wünsche zu dokumentieren und in Behandlungsentscheidungen einzubeziehen.

Schriftliche Behandlungswünsche einwilligungsfähiger Minderjähriger

Wenn Minderjährige einwilligungsfähig sind, können sie ihre Behandlungswünsche schriftlich festhalten. Zwar handelt es sich dabei nicht um eine gesetzlich bindende Patientenverfügung, dennoch können diese Dokumente eine wichtige Orientierung für das Behandlungsteam bieten[10].

Nach rechtlicher Einschätzung spielen die Wünsche eines einwilligungsfähigen Minderjährigen eine bedeutende Rolle. Gemäß Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes kann diese Einwilligung sogar Vorrang vor dem Sorge- und Stellvertretungsrecht der Eltern haben[10]. Die schriftliche Dokumentation sollte ähnlich wie bei einer Patientenverfügung konkrete Wünsche zur medizinischen Behandlung enthalten.

Gemeinsame Vorausverfügungen im Rahmen des “Advance Care Planning”

In der pädiatrischen Palliativ­medizin hat sich das Konzept des “Advance Care Planning” (vorausschauende Behandlungsplanung) etabliert. Hierbei erarbeiten Eltern, das Behandlungs­team und - wenn möglich - das betroffene Kind gemeinsam einen Plan für zukünftige Behandlungs­entscheidungen[11].

Privatdozent Jochen Meyburg vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg beschreibt diesen Prozess als “ein ständiges gemeinsames Ringen der behandelnden Ärzt:innen mit den Eltern, um vorausschauend festzulegen, was im Falle eines lebensbedrohlichen Verlaufes im Interesse des Kindes noch an medizinischen Maßnahmen getan werden könne beziehungsweise was medizinisch sinnvoll für das Kind ist”[11].

Praktische Umsetzung für Eltern

Für Eltern schwerkranker Kinder ergeben sich hieraus konkrete Handlungs­möglichkeiten:

Regelmäßige Gespräche mit dem Behandlungsteam

Eltern sollten regelmäßige Gespräche mit dem medizinischen Fachpersonal führen, um über den möglichen Krankheits­verlauf und die Behandlungs­optionen informiert zu sein. Expertin­nen und Experten empfehlen, solche Gespräche etwa alle sechs Monate zu führen, da sich sowohl die Wünsche des Kindes als auch die Behandlungs­methoden ändern können[10].

Dokumentation der Behandlungswünsche

Bei schwerkranken, einwilligungsfähigen Kindern ist eine sorgfältige Dokumentation der Wünsche besonders wichtig. Diese sollte folgende Elemente enthalten:

  • Grundsätzliche Überlegungen zum Behandlungsort (z.B. Krankenhaus oder zu Hause)
  • Persönliche Werte und was dem Kind in seiner Situation wichtig ist
  • Konkrete Festlegungen zu diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen

Ein Beispiel für eine solche Formulierung könnte sein: “Meine Eltern und ich haben verstanden, dass die Erkrankung nicht mehr geheilt werden kann. Für den Fall, dass meine Eltern nicht erreichbar sind, gilt diese Verfügung.”[5]

Einbindung von Unterstützungsangeboten

Hilfreich kann auch die Einbindung speziell ausgebildeter Hospizdienste sein, die auf die Betreuung von Kindern ausgerichtet sind[5]. Auch der Beistand durch eine Glaubens­gemeinschaft kann für manche Familien eine wichtige Stütze darstellen.

Umgang mit Konfliktsituationen

Was geschieht, wenn Eltern und Kind unterschiedliche Ansichten zur Behandlung haben? In solchen Konfliktfällen kann ein Gericht eingeschaltet werden, um zu entscheiden, welche Maßnahmen dem Kindeswohl am besten entsprechen.

Das Gericht bemüht sich in der Regel um eine Ausgewogenheit zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Kindes und dem elterlichen Sorgerecht. In vielen Fällen kann das Gericht dem Willen des einwilligungsfähigen Minderjährigen Geltung verschaffen, wenn dieser dem Kindeswohl entspricht[10].

Die ärztliche Verantwortung

Die behandelnden Ärzt:innen befinden sich bei minderjährigen Patient:innen oft in einer schwierigen Situation. Einerseits müssen sie die elterliche Sorge respektieren, andererseits sind sie auch dem Willen und dem Wohl des Kindes verpflichtet.

Für eine rechtlich abgesicherte Entscheidungsfindung ist eine sorgfältige Dokumentation durch das medizinische Personal unerlässlich. Diese sollte beinhalten:

  • Eine Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit des minderjährigen Patienten oder der Patientin
  • Den Inhalt der durchgeführten Aufklärung
  • Die Zustimmung der Eltern bzw. der Sorgeberechtigten[5]

Praktische Empfehlungen für Eltern schwerkranker Kinder

Aus den rechtlichen und medizinischen Gegebenheiten lassen sich folgende praktische Empfehlungen ableiten:

Information und Beratung

Machen Sie sich umfassend kundig über die Erkrankung Ihres Kindes und die damit verbundenen Behandlungs­möglichkeiten. Scheuen Sie sich nicht, den behandelnden Ärzt:innen Fragen zu stellen und um verständliche Erklärungen zu bitten[2].

Gemeinsame Willensbildung

Beziehen Sie - je nach Alter und Entwicklungsstand - Ihr Kind in Gespräche über seine Behandlung ein. Versuchen Sie herauszufinden, welche Wünsche und Ängste Ihr Kind hat. Bei älteren Kindern und Jugendlichen sollten Sie deren Selbstbestimmungsrecht respektieren und nach Möglichkeit unterstützen[2].

Schriftliche Dokumentation

Halten Sie die Ergebnisse von Gesprächen mit dem Behandlungsteam schriftlich fest. Dies kann in Form einer gemeinsamen Vorausverfügung geschehen, die von allen Beteiligten - einschließlich der behandelnden Ärzt:innen - unterzeichnet wird[5][11].

Regelmäßige Aktualisierung

Überprüfen Sie die getroffenen Vereinbarungen regelmäßig und passen Sie sie bei Bedarf an. Die Wünsche und Bedürfnisse Ihres Kindes können sich im Verlauf der Erkrankung ändern, ebenso wie die medizinischen Möglichkeiten[10].

Zugänglichkeit der Dokumente

Sorgen Sie dafür, dass die schriftlich festgehaltenen Wünsche im Notfall zugänglich sind. Informieren Sie Angehörige und Freunde darüber, dass solche Dokumente existieren und wo sie aufbewahrt werden. Für Notfälle kann es hilfreich sein, einen entsprechenden Hinweis im Geldbeutel oder in der Brieftasche Ihres Kindes aufzubewahren[2].

Ausblick und Fazit

Die rechtliche Situation in Deutschland schließt derzeit eine formale Patientenverfügung für Minderjährige aus. Dennoch gibt es Wege, den Willen eines einwilligungsfähigen Kindes zu dokumentieren und in medizinische Entscheidungen einzubeziehen.

Besonders im Bereich der pädiatrischen Palliativ­medizin wurden Verfahren entwickelt, die eine vorausschauende Behandlungs­planung ermöglichen und dabei die Wünsche des Kindes, die Verantwortung der Eltern und die medizinische Expertise des Behandlungs­teams berücksichtigen.

In anderen europäischen Ländern gibt es bereits rechtliche Regelungen, die auch Minderjährigen - unter bestimmten Voraussetzungen - die Möglichkeit einer Patientenverfügung einräumen. Ob sich die deutsche Gesetzgebung in Zukunft in eine ähnliche Richtung entwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Für Eltern schwerkranker Kinder bleibt es eine Herausforderung, den Spagat zwischen der Fürsorge für ihr Kind und der Respektierung seines Selbstbestimmungsrechts zu meistern. Eine offene Kommunikation mit dem Kind und dem Behandlungs­team sowie eine sorgfältige Dokumentation können dabei helfen, im Sinne des Kindeswohls zu handeln.