Patientenverfügung aus ethischer Perspektive

Zusammenfassung

Die Patienten­verfügung ist ein wichtiges Instrument der Selbst­bestimmung, das ethische und rechtliche Aspekte berücksichtigt. Sie ermöglicht es, persönliche Wünsche zu medizinischen Behandlungen präzise festzulegen, um Angehörige und Ärzt:innen in schwierigen Situationen zu entlasten und Konflikte zu vermeiden. Eine sorgfältige Erstellung, die persönliche Werte und konkrete Situationen einbezieht, ist entscheidend für ihre Wirksamkeit.

Die Patienten­verfügung stellt ein zentrales Instrument der gesundheitlichen Selbst­bestimmung dar. Sie ermöglicht Menschen, ihren Willen bezüglich medizinischer Behandlungen für Situationen festzulegen, in denen sie nicht mehr selbst entscheiden können. Dieser Artikel beleuchtet die ethischen Dimensionen der Patienten­verfügung und gibt praktische Hinweise für deren Erstellung. Die Grund­spannung zwischen Selbst­bestimmungsrecht und ärztlicher Fürsorge­pflicht bildet dabei den Ausgangs­punkt. Eine wirksame Patienten­verfügung muss präzise formuliert sein und persönliche Werte berücksichtigen. Nur dann kann sie im Ernstfall Angehörige und medizinisches Personal tatsächlich anleiten und ethische Konflikte minimieren.

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Das ethische Spannungsfeld: Selbstbestimmung und ärztliche Fürsorge

Selbst­bestimmung gehört zu den Grund­rechten des Menschen und ist verfassungs­rechtlich in der Menschen­würde verankert. Die ethische Diskussion über die Patienten­verfügung konzentriert sich vor allem auf den moralischen und rechtlichen Anspruch der Patient:innen auf Selbst­bestimmung - und die ärztliche Fürsorge­pflicht, die mit dieser Selbst­bestimmung nicht immer vereinbar erscheint. Dieser Gegensatz kann in der Praxis zu schwierigen Entscheidungen führen - besonders wenn der Patienten­wille nicht eindeutig formuliert ist.

Im medizinischen Kontext hat sich das Verhältnis zwischen Ärzteschaft und Patient:innen in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Während bis ins 20. Jahrhundert Ärzt:innen weitgehend für Patient:innen Entscheidungen über Behandlungs­maßnahmen trafen, steht heute das Recht auf Selbst­bestimmung im Mittelpunkt. Der Patienten­wille hat Vorrang vor ärztlichen Empfehlungen, was ein Paradigmen­wechsel in der medizinischen Ethik darstellt.

Die ärztliche Verpflichtung zur Lebens­erhaltung endet, wenn der Patient diese nicht mehr wünscht. Eine medizinische Maßnahme benötigt stets zwei Voraussetzungen: eine klare medizinische Indikation und die Einwilligung des Patienten. Fehlt eine dieser Komponenten, darf eine Behandlung nicht durchgeführt werden. Führt ein:e Ärzt:in dennoch eine vom Patienten ausdrücklich abgelehnte Maßnahme durch, kann dies unter deutschem Recht sogar strafbar sein[8].

Die rechtlichen Grundlagen der Patientenverfügung

Die gesetzliche Grundlage der Patienten­verfügung in Deutschland ist in § 1827 BGB verankert. Der Gesetzgeber hat 2009 mit der Erweiterung des Betreuungs­rechts den in einer Patienten­verfügung geäußerten Willen als verbindlich erklärt, wenn die bezeichnete Behandlungs­situation eingetreten ist[8][3].

Laut Gesetz muss der Betreuer oder Bevollmächtigte eines nicht mehr einwilligungs­fähigen Patienten prüfen, ob die Festlegungen in der Patienten­verfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungs­situation zutreffen. Ist dies der Fall, hat er dem Willen des Patienten Geltung zu verschaffen[3]. Eine Patienten­verfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden, also auch mündlich oder durch Gesten, die einen entsprechenden Willen erkennen lassen[3].

Die formalen Anforderungen an eine wirksame Patienten­verfügung sind klar definiert: Sie muss schriftlich erstellt werden und die Unterschrift des Patienten tragen. Ob das Dokument handschriftlich, am Computer oder mit der Schreib­maschine erstellt wurde, spielt dabei keine Rolle[2]. Als vorteilhaft gilt, wenn jemand bestätigen kann, dass der Verfasser zum Zeitpunkt der Unterschrift im Voll­besitz seiner geistigen Kräfte war, was die Beweis­kraft des Dokuments stärkt[2].

Ethische Herausforderungen in der Praxis

Der nicht eindeutige Patientenwille

Unklare Patienten­verfügungen stellen Ärzt:innen vor große Herausforderungen. Wenn der Patienten­wille nicht eindeutig aus der Verfügung hervorgeht, müssen Ärzt:innen und/oder Angehörige den mutmaßlichen Patienten­willen bestimmen. Dies gestaltet sich in vielen Fällen außerordentlich schwierig.

Der Bundes­gerichtshof hat in einem wegweisenden Urteil (Az.: XII 61/16) festgestellt, dass allgemeine Formulierungen nicht ausreichen. Ein pauschaler Wunsch, dass “keine lebens­verlängernden Maßnahmen” erfolgen sollen, erfüllt nicht die rechtlichen Anforderungen an eine bindende Patienten­verfügung[2]. Dies unterstreicht die Notwendigkeit präziser und situations­bezogener Formulierungen.

Notfallsituationen und Zeitdruck

In akuten Notfall­situationen beginnen Rettungs­kräfte zunächst mit lebens­rettenden Maßnahmen, wenn keine Zeit bleibt, nach einer Patienten­verfügung zu suchen oder diese zu prüfen. Ein Fallbeispiel aus der Praxis verdeutlicht das ethische Dilemma: Rettungs­kräfte werden zu einem bewusstlosen Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand gerufen und beginnen mit der Reanimation. Als die Tochter des Patienten eintrifft, drängt sie auf Einstellung der Maßnahmen und verweist auf eine bestehende Patienten­verfügung. Sie berichtet von einer unheilbaren Krebs­erkrankung und dem Wunsch ihres Vaters, keine lebens­erhaltenden Maßnahmen zu erhalten[10].

In solchen Situationen müssen die Rettungs­kräfte abwägen, ob die Patienten­verfügung tatsächlich auf die aktuelle Situation zutrifft und wie sie vorgehen sollen. Dies zeigt, wie komplex die Anwendung einer Patienten­verfügung in der Akut­situation sein kann.

Konflikte zwischen Beteiligten

Falls zwischen Betreuer:innen bzw. Bevollmächtigten einerseits und behandelnden Ärzt:innen andererseits keine Einigkeit bezüglich des Patienten­willens besteht, sieht das Gesetz klare Schritte vor: In diesem Fall muss das Betreuungs­gericht eingeschaltet werden[1]. Eine Ethik­beratung kann bei der Ermittlung des Patienten­willens unterstützen. Viele Kranken­häuser bieten solche Beratungen durch ein interdisziplinäres Team an, das bei ethischen Konflikten vermitteln kann[1][5].

Praktische Hinweise zur Erstellung einer ethisch fundierten Patientenverfügung

Präzise und situationsbezogene Formulierungen

Die Wünsche in einer Patienten­verfügung müssen möglichst exakt beschrieben werden. Ein paar vage Vorgaben reichen in der Regel nicht aus, wie auch der Bundes­gerichtshof bestätigt hat[2]. Da Ärzt:innen unter Umständen über Leben und Tod entscheiden, ist Präzision unerlässlich.

Konkrete Situationen benennen: Eine Checkliste kann bei der Erstellung helfen. Legen Sie fest, ob Ihre Patienten­verfügung in folgenden Situationen gelten soll[4]:

  • Wenn Sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach unabwendbar im unmittelbaren Sterbe­prozess befinden
  • Bei irreversiblen Gehirn­schädigungen mit Verlust der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen
  • Bei fortgeschrittenen Hirnabbau­prozessen wie Demenz­erkrankungen
  • Bei Bewusstlosigkeit ohne Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins
  • Bei dauerhaftem Ausfall lebenswichtiger Körper­funktionen

Maßnahmen konkret benennen: Statt allgemein “keine lebens­verlängernden Maßnahmen” zu fordern, sollten Sie spezifisch angeben, welche Maßnahmen Sie in welchen Situationen ablehnen oder wünschen, etwa[4]:

Persönliche Werte und Überzeugungen dokumentieren

Eine ethisch fundierte Patienten­verfügung sollte auch Ihre persönlichen Wert­vorstellungen und Überzeugungen widerspiegeln. Diese können bei der Interpretation Ihrer Wünsche helfen, wenn die konkrete Situation nicht genau beschrieben ist[8].

Der mutmaßliche Wille eines Patienten ist laut Gesetz “aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wert­vorstellungen des Betreuten.”[3] Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, neben konkreten Behandlungs­wünschen auch grundlegende Lebens­einstellungen zu dokumentieren.

In einer multi­religiösen Gesellschaft spielen auch religiöse und kulturelle Überzeugungen eine wesentliche Rolle bei medizinischen Entscheidungen am Lebens­ende[11]. Wenn Ihnen bestimmte religiöse Rituale oder kulturelle Praktiken am Herzen liegen, sollten Sie diese in Ihrer Patienten­verfügung festhalten. Dies könnten Wünsche nach seelsorgerischer Begleitung oder nach bestimmten Ritualen sein.

Zugänglichkeit sicherstellen

Die beste Patienten­verfügung nutzt nichts, wenn sie im Ernstfall nicht gefunden wird. Bewahren Sie das Dokument zu Hause zusammen mit anderen wichtigen Unterlagen auf und informieren Sie Ihre Angehörigen darüber[2]. Zusätzlich können Sie die Verfügung beim zentralen Vorsorge­register hinterlegen[2].

Praktische Aufbewahrungs­tipps:

  • Tragen Sie einen Hinweis auf Ihre Patienten­verfügung im Porte­monnaie mit sich
  • Hinterlegen Sie eine Kopie bei Ihrem Hausarzt
  • Geben Sie Ihren Bevollmächtigten oder nahen Angehörigen eine Kopie
  • Bewahren Sie das Original an einem gut auffindbaren Ort zu Hause auf

Die ethische Patientenverfügung als Teil eines Gesamtkonzepts

Um den Sinn einer Patienten­verfügung nicht zu gefährden, ist eine ausreichende Information, Beratung und Dokumentation dringend notwendig[8]. Die Patienten­verfügung ist nur ein Bestandteil des gesamt­haften Konzepts einer gesundheitlichen Vorsorge­planung.

Neben der Patienten­verfügung sollten Sie auch eine Vorsorge­vollmacht und/oder Betreuungs­verfügung in Betracht ziehen. Diese Dokumente ergänzen sich gegenseitig und stellen sicher, dass Ihre Wünsche und Bedürfnisse in verschiedenen Situationen berücksichtigt werden.

Die ethische Dimension der Patienten­verfügung zeigt sich besonders in der Spannung zwischen der Selbst­bestimmung des Einzelnen und der Fürsorge­pflicht der Gesellschaft. Weder das Vorhandensein noch das Fehlen einer Patienten­verfügung darf einen Automatismus nach sich ziehen: Stets bedarf es einer gründlichen Bestandsaufnahme relevanter Äußerungen des Patienten und einer sorgfältigen Interpretation[1].

Grenzen der Patientenverfügung

Trotz des hohen Wertes der Selbst­bestimmung stoßen manche Wünsche an Grenzen. So ist beispielsweise die aktive Sterbehilfe in Deutschland gesetzlich verboten und kann auch durch eine Patienten­verfügung nicht legalisiert werden[1]. Die Grenze der Patienten­verfügung liegt dort, wo sie gegen geltendes Recht verstößt.

Niemand kann zur Errichtung einer Patienten­verfügung verpflichtet werden. Auch darf die Errichtung oder Vorlage einer Patienten­verfügung nicht zur Bedingung eines Vertrags­schlusses gemacht werden, etwa bei der Aufnahme in ein Pflege­heim[3]. Dies unterstreicht den freiwilligen Charakter dieses Instruments.

Die Patientenverfügung als Ausdruck persönlicher Autonomie

Eine Patienten­verfügung ist ein wertvolles Instrument zur Wahrung Ihrer Selbst­bestimmung, auch wenn Sie selbst nicht mehr entscheidungs­fähig sein sollten. Sie entlastet zudem Ihre Angehörigen und das medizinische Personal von schwierigen Entscheidungen in emotional belastenden Situationen.

Mit oder ohne Patienten­verfügung: Gerade bei bewusstlosen Patient:innen und am Lebens­ende muss der Respekt vor der Person gewahrt werden[1]. Die Patienten­verfügung kann dazu beitragen, dass Ihre persönlichen Werte und Wünsche auch in vulnerablen Lebensphasen respektiert werden.

Die ethische Dimension der Patienten­verfügung liegt letztlich in der Anerkennung der menschlichen Würde und Autonomie - auch und gerade dann, wenn ein Mensch nicht mehr für sich selbst sprechen kann. Eine gut durchdachte Patienten­verfügung ermöglicht es, diese Autonomie über die Grenzen der eigenen Kommunikations­fähigkeit hinaus zu wahren.