Patientenverfügung aus ethischer Perspektive
Zusammenfassung
Die Patientenverfügung ist ein wichtiges Instrument der Selbstbestimmung, das ethische und rechtliche Aspekte berücksichtigt. Sie ermöglicht es, persönliche Wünsche zu medizinischen Behandlungen präzise festzulegen, um Angehörige und Ärzt:innen in schwierigen Situationen zu entlasten und Konflikte zu vermeiden. Eine sorgfältige Erstellung, die persönliche Werte und konkrete Situationen einbezieht, ist entscheidend für ihre Wirksamkeit.
- Kernaussagen
- Das ethische Spannungsfeld: Selbstbestimmung und ärztliche Fürsorge
- Die rechtlichen Grundlagen der Patientenverfügung
- Ethische Herausforderungen in der Praxis
- Praktische Hinweise zur Erstellung einer ethisch fundierten Patientenverfügung
- Die ethische Patientenverfügung als Teil eines Gesamtkonzepts
- Grenzen der Patientenverfügung
- Die Patientenverfügung als Ausdruck persönlicher Autonomie
Die Patientenverfügung stellt ein zentrales Instrument der gesundheitlichen Selbstbestimmung dar. Sie ermöglicht Menschen, ihren Willen bezüglich medizinischer Behandlungen für Situationen festzulegen, in denen sie nicht mehr selbst entscheiden können. Dieser Artikel beleuchtet die ethischen Dimensionen der Patientenverfügung und gibt praktische Hinweise für deren Erstellung. Die Grundspannung zwischen Selbstbestimmungsrecht und ärztlicher Fürsorgepflicht bildet dabei den Ausgangspunkt. Eine wirksame Patientenverfügung muss präzise formuliert sein und persönliche Werte berücksichtigen. Nur dann kann sie im Ernstfall Angehörige und medizinisches Personal tatsächlich anleiten und ethische Konflikte minimieren.

- Eine Patientenverfügung gibt Ihnen die Chance, vorab festzulegen, welche Behandlungen Sie in bestimmten Situationen wünschen oder ablehnen, damit Ihr Wille gilt, wenn Sie nicht mehr sprechfähig sind.
- Rechtsgrundlage ist § 1827 BGB: Die Verfügung muss schriftlich vorliegen, eigenhändig unterschrieben und kann jederzeit formlos widerrufen werden, sogar mit einem Kopfnicken oder ‑schütteln.
- Verbindlich wird die Verfügung nur, wenn Sie die Szenarien (Sterbephase, dauerhafte Bewusstlosigkeit, fortgeschrittene Demenz …) und die jeweiligen Maßnahmen (künstliche Beatmung, Reanimation, Dialyse, Ernährung) klar benennen, da pauschale Sätze laut Bundesgerichtshof nicht genügen.
- Ärztinnen und Ärzte dürfen nur behandeln, wenn eine medizinische Indikation vorliegt und Sie zugestimmt haben; wer Ihren ausdrücklich abgelehnten Wunsch ignoriert, riskiert strafrechtliche Folgen.
- Notfallteams starten bei Bewusstlosigkeit zunächst lebensrettende Maßnahmen, solange keine Verfügung vorliegt, deshalb hilft ein Hinweis im Portemonnaie oder eine Karte hinter dem Ausweis.
- Personale Werte, religiöse oder kulturelle Überzeugungen dürfen Sie schriftlich erläutern, damit Betreuer:innen und Ärzt:innen Ihren mutmaßlichen Willen leichter erkennen, falls neue Situationen auftreten.
- Entsteht Streit zwischen Bevollmächtigten und Behandelnden, kann ein Ethikteam vermitteln, und gegebenenfalls entscheidet das Betreuungsgericht.
- Ergänzen Sie die Patientenverfügung durch eine Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung, damit vertraute Personen Entscheidungen treffen dürfen, wenn Sie nicht mehr einwilligungsfähig sind.
- Aktive Sterbehilfe bleibt in Deutschland verboten, sie kann durch keine Verfügung erlaubt werden.
- Niemand darf Sie zur Erstellung zwingen, Pflegeeinrichtungen dürfen eine Verfügung weder verlangen noch als Aufnahmebedingung setzen.
- Bewahren Sie das Original daheim griffbereit, geben Sie Kopien an Vertrauenspersonen und Hausärzt:innen und registrieren Sie Ihre Verfügung optional im zentralen Vorsorgeregister.
- Prüfen Sie das Dokument regelmäßig, etwa alle zwei Jahre oder nach einschneidenden Gesundheitsveränderungen, und passen Sie Formulierungen an neue Wünsche oder Therapieoptionen an.
- Formulieren Sie in klarer Alltagssprache, vermeiden Sie Fachkürzel, und holen Sie bei Unsicherheit Rat von Pflegefachkräften, Palliativteams oder Hospizdiensten.
- Eine sorgfältig erarbeitete Verfügung entlastet Angehörige emotional und gibt dem medizinischen Team eine klare Orientierung, sodass Behandlungen im Einklang mit Ihrem Selbstbestimmungsrecht erfolgen.
Das ethische Spannungsfeld: Selbstbestimmung und ärztliche Fürsorge
Selbstbestimmung gehört zu den Grundrechten des Menschen und ist verfassungsrechtlich in der Menschenwürde verankert. Die ethische Diskussion über die Patientenverfügung konzentriert sich vor allem auf den moralischen und rechtlichen Anspruch der Patient:innen auf Selbstbestimmung - und die ärztliche Fürsorgepflicht, die mit dieser Selbstbestimmung nicht immer vereinbar erscheint. Dieser Gegensatz kann in der Praxis zu schwierigen Entscheidungen führen - besonders wenn der Patientenwille nicht eindeutig formuliert ist.
Im medizinischen Kontext hat sich das Verhältnis zwischen Ärzteschaft und Patient:innen in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Während bis ins 20. Jahrhundert Ärzt:innen weitgehend für Patient:innen Entscheidungen über Behandlungsmaßnahmen trafen, steht heute das Recht auf Selbstbestimmung im Mittelpunkt. Der Patientenwille hat Vorrang vor ärztlichen Empfehlungen, was ein Paradigmenwechsel in der medizinischen Ethik darstellt.
Die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung endet, wenn der Patient diese nicht mehr wünscht. Eine medizinische Maßnahme benötigt stets zwei Voraussetzungen: eine klare medizinische Indikation und die Einwilligung des Patienten. Fehlt eine dieser Komponenten, darf eine Behandlung nicht durchgeführt werden. Führt ein:e Ärzt:in dennoch eine vom Patienten ausdrücklich abgelehnte Maßnahme durch, kann dies unter deutschem Recht sogar strafbar sein[8].
Die rechtlichen Grundlagen der Patientenverfügung
Die gesetzliche Grundlage der Patientenverfügung in Deutschland ist in § 1827 BGB verankert. Der Gesetzgeber hat 2009 mit der Erweiterung des Betreuungsrechts den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen als verbindlich erklärt, wenn die bezeichnete Behandlungssituation eingetreten ist[8][3].
Laut Gesetz muss der Betreuer oder Bevollmächtigte eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten prüfen, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat er dem Willen des Patienten Geltung zu verschaffen[3]. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden, also auch mündlich oder durch Gesten, die einen entsprechenden Willen erkennen lassen[3].
Die formalen Anforderungen an eine wirksame Patientenverfügung sind klar definiert: Sie muss schriftlich erstellt werden und die Unterschrift des Patienten tragen. Ob das Dokument handschriftlich, am Computer oder mit der Schreibmaschine erstellt wurde, spielt dabei keine Rolle[2]. Als vorteilhaft gilt, wenn jemand bestätigen kann, dass der Verfasser zum Zeitpunkt der Unterschrift im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, was die Beweiskraft des Dokuments stärkt[2].
Ethische Herausforderungen in der Praxis
Der nicht eindeutige Patientenwille
Unklare Patientenverfügungen stellen Ärzt:innen vor große Herausforderungen. Wenn der Patientenwille nicht eindeutig aus der Verfügung hervorgeht, müssen Ärzt:innen und/oder Angehörige den mutmaßlichen Patientenwillen bestimmen. Dies gestaltet sich in vielen Fällen außerordentlich schwierig.
Der Bundesgerichtshof hat in einem wegweisenden Urteil (Az.: XII 61/16) festgestellt, dass allgemeine Formulierungen nicht ausreichen. Ein pauschaler Wunsch, dass “keine lebensverlängernden Maßnahmen” erfolgen sollen, erfüllt nicht die rechtlichen Anforderungen an eine bindende Patientenverfügung[2]. Dies unterstreicht die Notwendigkeit präziser und situationsbezogener Formulierungen.
Notfallsituationen und Zeitdruck
In akuten Notfallsituationen beginnen Rettungskräfte zunächst mit lebensrettenden Maßnahmen, wenn keine Zeit bleibt, nach einer Patientenverfügung zu suchen oder diese zu prüfen. Ein Fallbeispiel aus der Praxis verdeutlicht das ethische Dilemma: Rettungskräfte werden zu einem bewusstlosen Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand gerufen und beginnen mit der Reanimation. Als die Tochter des Patienten eintrifft, drängt sie auf Einstellung der Maßnahmen und verweist auf eine bestehende Patientenverfügung. Sie berichtet von einer unheilbaren Krebserkrankung und dem Wunsch ihres Vaters, keine lebenserhaltenden Maßnahmen zu erhalten[10].
In solchen Situationen müssen die Rettungskräfte abwägen, ob die Patientenverfügung tatsächlich auf die aktuelle Situation zutrifft und wie sie vorgehen sollen. Dies zeigt, wie komplex die Anwendung einer Patientenverfügung in der Akutsituation sein kann.
Konflikte zwischen Beteiligten
Falls zwischen Betreuer:innen bzw. Bevollmächtigten einerseits und behandelnden Ärzt:innen andererseits keine Einigkeit bezüglich des Patientenwillens besteht, sieht das Gesetz klare Schritte vor: In diesem Fall muss das Betreuungsgericht eingeschaltet werden[1]. Eine Ethikberatung kann bei der Ermittlung des Patientenwillens unterstützen. Viele Krankenhäuser bieten solche Beratungen durch ein interdisziplinäres Team an, das bei ethischen Konflikten vermitteln kann[1][5].
Praktische Hinweise zur Erstellung einer ethisch fundierten Patientenverfügung
Präzise und situationsbezogene Formulierungen
Die Wünsche in einer Patientenverfügung müssen möglichst exakt beschrieben werden. Ein paar vage Vorgaben reichen in der Regel nicht aus, wie auch der Bundesgerichtshof bestätigt hat[2]. Da Ärzt:innen unter Umständen über Leben und Tod entscheiden, ist Präzision unerlässlich.
Konkrete Situationen benennen: Eine Checkliste kann bei der Erstellung helfen. Legen Sie fest, ob Ihre Patientenverfügung in folgenden Situationen gelten soll[4]:
- Wenn Sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befinden
- Bei irreversiblen Gehirnschädigungen mit Verlust der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen
- Bei fortgeschrittenen Hirnabbauprozessen wie Demenzerkrankungen
- Bei Bewusstlosigkeit ohne Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins
- Bei dauerhaftem Ausfall lebenswichtiger Körperfunktionen
Maßnahmen konkret benennen: Statt allgemein “keine lebensverlängernden Maßnahmen” zu fordern, sollten Sie spezifisch angeben, welche Maßnahmen Sie in welchen Situationen ablehnen oder wünschen, etwa[4]:
- Künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr
- Wiederbelebungsversuche
- Dialyse
- Künstliche Beatmung
- Gabe von Antibiotika
Persönliche Werte und Überzeugungen dokumentieren
Eine ethisch fundierte Patientenverfügung sollte auch Ihre persönlichen Wertvorstellungen und Überzeugungen widerspiegeln. Diese können bei der Interpretation Ihrer Wünsche helfen, wenn die konkrete Situation nicht genau beschrieben ist[8].
Der mutmaßliche Wille eines Patienten ist laut Gesetz “aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten.”[3] Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, neben konkreten Behandlungswünschen auch grundlegende Lebenseinstellungen zu dokumentieren.
In einer multireligiösen Gesellschaft spielen auch religiöse und kulturelle Überzeugungen eine wesentliche Rolle bei medizinischen Entscheidungen am Lebensende[11]. Wenn Ihnen bestimmte religiöse Rituale oder kulturelle Praktiken am Herzen liegen, sollten Sie diese in Ihrer Patientenverfügung festhalten. Dies könnten Wünsche nach seelsorgerischer Begleitung oder nach bestimmten Ritualen sein.
Zugänglichkeit sicherstellen
Die beste Patientenverfügung nutzt nichts, wenn sie im Ernstfall nicht gefunden wird. Bewahren Sie das Dokument zu Hause zusammen mit anderen wichtigen Unterlagen auf und informieren Sie Ihre Angehörigen darüber[2]. Zusätzlich können Sie die Verfügung beim zentralen Vorsorgeregister hinterlegen[2].
Praktische Aufbewahrungstipps:
- Tragen Sie einen Hinweis auf Ihre Patientenverfügung im Portemonnaie mit sich
- Hinterlegen Sie eine Kopie bei Ihrem Hausarzt
- Geben Sie Ihren Bevollmächtigten oder nahen Angehörigen eine Kopie
- Bewahren Sie das Original an einem gut auffindbaren Ort zu Hause auf
Die ethische Patientenverfügung als Teil eines Gesamtkonzepts
Um den Sinn einer Patientenverfügung nicht zu gefährden, ist eine ausreichende Information, Beratung und Dokumentation dringend notwendig[8]. Die Patientenverfügung ist nur ein Bestandteil des gesamthaften Konzepts einer gesundheitlichen Vorsorgeplanung.
Neben der Patientenverfügung sollten Sie auch eine Vorsorgevollmacht und/oder Betreuungsverfügung in Betracht ziehen. Diese Dokumente ergänzen sich gegenseitig und stellen sicher, dass Ihre Wünsche und Bedürfnisse in verschiedenen Situationen berücksichtigt werden.
Die ethische Dimension der Patientenverfügung zeigt sich besonders in der Spannung zwischen der Selbstbestimmung des Einzelnen und der Fürsorgepflicht der Gesellschaft. Weder das Vorhandensein noch das Fehlen einer Patientenverfügung darf einen Automatismus nach sich ziehen: Stets bedarf es einer gründlichen Bestandsaufnahme relevanter Äußerungen des Patienten und einer sorgfältigen Interpretation[1].
Grenzen der Patientenverfügung
Trotz des hohen Wertes der Selbstbestimmung stoßen manche Wünsche an Grenzen. So ist beispielsweise die aktive Sterbehilfe in Deutschland gesetzlich verboten und kann auch durch eine Patientenverfügung nicht legalisiert werden[1]. Die Grenze der Patientenverfügung liegt dort, wo sie gegen geltendes Recht verstößt.
Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden. Auch darf die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden, etwa bei der Aufnahme in ein Pflegeheim[3]. Dies unterstreicht den freiwilligen Charakter dieses Instruments.
Die Patientenverfügung als Ausdruck persönlicher Autonomie
Eine Patientenverfügung ist ein wertvolles Instrument zur Wahrung Ihrer Selbstbestimmung, auch wenn Sie selbst nicht mehr entscheidungsfähig sein sollten. Sie entlastet zudem Ihre Angehörigen und das medizinische Personal von schwierigen Entscheidungen in emotional belastenden Situationen.
Mit oder ohne Patientenverfügung: Gerade bei bewusstlosen Patient:innen und am Lebensende muss der Respekt vor der Person gewahrt werden[1]. Die Patientenverfügung kann dazu beitragen, dass Ihre persönlichen Werte und Wünsche auch in vulnerablen Lebensphasen respektiert werden.
Die ethische Dimension der Patientenverfügung liegt letztlich in der Anerkennung der menschlichen Würde und Autonomie - auch und gerade dann, wenn ein Mensch nicht mehr für sich selbst sprechen kann. Eine gut durchdachte Patientenverfügung ermöglicht es, diese Autonomie über die Grenzen der eigenen Kommunikationsfähigkeit hinaus zu wahren.