Patientenverfügung und Defibrillatoren am Lebensende
Zusammenfassung
Ein implantierter Defibrillator kann Leben retten, aber am Lebensende den Sterbeprozess erschweren, da er durch schmerzhafte Schocks ein friedliches Sterben verhindert. Mit einer klar formulierten Patientenverfügung können Betroffene festlegen, dass der Defibrillator in der Sterbephase deaktiviert wird, um unnötiges Leiden zu vermeiden. Eine frühzeitige Aufklärung und offene Gespräche mit Ärzt:innen sind dabei entscheidend.
Implantierbare Defibrillatoren retten Leben - können aber am Lebensende zu unnötigem Leiden führen. Eine sorgfältige Regelung in der Patientenverfügung kann Betroffenen helfen, selbstbestimmt und würdevoll zu sterben. Medizinische Fachkräfte empfehlen dringend, das Thema frühzeitig anzusprechen und in der Vorsorge zu berücksichtigen.

Wie Defibrillatoren funktionieren und Leben retten
Ein Defibrillator ist ein medizinisches Gerät, das bei lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen eingesetzt wird. Diese Geräte überwachen kontinuierlich den Herzrhythmus und geben bei Störungen elektrische Schocks ab, um das Herz in seinen normalen Takt zurückzubringen. Besonders verbreitet sind implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren (ICD), die direkt unter die Haut eingesetzt werden[2].
ICDs kommen bei Patient:innen nach erfolgreicher Wiederbelebung, nach einem plötzlichen Herztod oder bei Menschen mit schweren Herzrhythmusstörungen zum Einsatz. Sie können lebensrettend wirken und schenken vielen herzkranken Personen wertvolle Lebensjahre und mehr Lebensqualität[2]. Die Implantation erfolgt in spezialisierten kardiologischen Zentren und ist für die Ärzt:innen ein Routineeingriff - etwa 100 Eingriffe werden jährlich allein im Rotenburger Herz- und Kreislaufzentrum durchgeführt[5].
Wenn der Lebensretter zum Problem wird
Obwohl Defibrillatoren Leben retten können, entsteht am Lebensende ein schwieriges Dilemma. Wenn Menschen mit einem ICD aus anderen Gründen - etwa durch Altersschwäche oder fortschreitende Krankheiten - sterben, kann der Defibrillator den Sterbeprozess erheblich erschweren[1][2].
Prof. Dr. Georg Ertl, Direktor der Medizinischen Klinik in der Uniklinik Würzburg, erklärt: “Beim natürlichen Sterben setzt das Kammerflimmern als Teil des Sterbeprozesses ein. Ein Defibrillator versucht dann automatisch, das Herz wieder in den Rhythmus zu bringen, was ein friedliches Sterben verhindert.”[1]
Die Elektroschocks, die der Defibrillator abgibt, können äußerst schmerzhaft sein und führen zu einem verlängerten, qualvollen Sterben[2][4]. Statt eines friedlichen Abschieds erleben Betroffene möglicherweise mehrfache schmerzhafte Schocks[3]. Dies geschieht, weil der Defibrillator nicht zwischen einem plötzlichen Herztod, den er verhindern soll, und dem natürlichen Sterben unterscheiden kann[1].
Die Rolle der Patientenverfügung bei implantierten Defibrillatoren
Für Menschen mit einem ICD ist eine Patientenverfügung besonders wichtig. Darin können Sie festlegen, dass der Defibrillator in der Sterbephase abgeschaltet werden soll[1]. Ohne eine solche Regelung in der Patientenverfügung kann die Deaktivierung für Ärzt:innen rechtlich schwierig sein[1][3].
Ein besonderes Problem entsteht, wenn der ICD gleichzeitig als Herzschrittmacher fungiert: Dann wäre ein Abschalten ohne Patientenverfügung möglicherweise als aktive Sterbehilfe zu werten, die in Deutschland verboten ist. Eine ausdrückliche Regelung in der Patientenverfügung bietet hier Rechtssicherheit für alle Beteiligten[3].
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie
Die Projektgruppe Ethik in der Kardiologie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) hat Empfehlungen zum Umgang mit Defibrillatoren am Lebensende veröffentlicht[2]. Eine Umfrage unter 286 kardiologischen und 82 herzchirurgischen Chefärzt:innen zeigte: 94% der Befragten sehen in der Deaktivierung eines ICDs am Lebensende einen sinnvollen Therapieabbruch[2][3].
Die DGK empfiehlt folgende Maßnahmen:
Frühzeitige Aufklärung: Das Thema Deaktivierung sollte bereits vor der Implantation besprochen werden[3]. “Die mangelhafte oder zu späte Patientenaufklärung ist eines der größten ethischen Probleme”, betont Prof. Waltenberger, Leiter der Projektgruppe[3].
Einbeziehung von Angehörigen: Bei Gesprächen zur Deaktivierung sollten nach Möglichkeit auch Angehörige eingebunden werden[3].
Regelmäßige Thematisierung: Bei Kontrolluntersuchungen sollte das Thema immer wieder angesprochen werden, besonders bei älteren Patient:innen[3][4].
Schriftliche Dokumentation: Die Entscheidung zur Deaktivierung sollte in einer Patientenverfügung festgehalten werden[2][3].
Rechtliche Grundlagen und Verpflichtungen
Aus rechtlicher Sicht sind Ärzt:innen verpflichtet, den Defibrillator zu deaktivieren, wenn Patient:innen dies fordern oder es in der Patientenverfügung festgehalten ist[3]. Bei nicht mehr einwilligungsfähigen Patient:innen muss der mutmaßliche Wille ermittelt werden[3].
In der unmittelbaren Sterbephase gilt eine Besonderheit: Hier darf der Patientenwille zur Deaktivierung auch dann vermutet werden, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die individuelle Einstellung vorhanden sind[3]. Diese Regelung berücksichtigt, dass das Sterben mit wiederholten Elektroschocks als unzumutbar angesehen wird.
Die rechtliche Grundlage für Patientenverfügungen ist in § 1827 BGB verankert. Hier wird festgelegt, dass der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille für medizinische Behandlungen verbindlich ist.
Praktische Hinweise für Betroffene und Angehörige
Wenn Sie oder Ihre Angehörigen einen implantierten Defibrillator haben, sollten Sie folgende Schritte beachten:
Gesprächsinitiative ergreifen: Sprechen Sie das Thema Deaktivierung am Lebensende bei Ihrem nächsten Arztbesuch an. Falls Ihre behandelnden Ärzt:innen es nicht selbst ansprechen, fragen Sie aktiv nach[4].
Patientenverfügung erstellen oder anpassen: Lassen Sie in Ihre Patientenverfügung einen Passus zur Deaktivierung des Defibrillators aufnehmen. Formulieren Sie klar, unter welchen Umständen der ICD abgeschaltet werden soll[1].
Angehörige informieren: Teilen Sie Ihren nächsten Angehörigen mit, wo Ihre Patientenverfügung aufbewahrt wird und dass Sie eine Regelung zum Defibrillator getroffen haben[3].
Notfallhinweis mitführen: Tragen Sie einen Hinweis auf Ihren Defibrillator und Ihre Patientenverfügung bei sich, etwa in Form eines Notfallausweises[4].
Die technische Umsetzung der Deaktivierung
Das Abschalten eines Defibrillators ist technisch unkompliziert und erfordert keine Operation[5]. Es gibt zwei Möglichkeiten:
Programmierung: Die Deaktivierung erfolgt durch eine externe Umprogrammierung des Geräts durch Fachpersonal[4].
Magnetmethode: In Notfallsituationen kann ein spezieller Magnet auf die Haut über dem Defibrillator gelegt werden, was die Schockfunktion vorübergehend deaktiviert[5].
Wichtig: Die Deaktivierung betrifft in der Regel nur die Schockfunktion. Falls der Defibrillator auch als Herzschrittmacher dient, kann diese Funktion weiterlaufen, um Symptome wie Atemnot zu lindern[4].
Gespräche mit medizinischen Fachkräften führen
Viele Betroffene und Ärzt:innen meiden das Thema Deaktivierung, weil es mit dem Lebensende verbunden ist. Studien zeigen, dass das Gespräch häufig bis zum “letzten Moment” aufgeschoben wird, wenn Patient:innen oft nicht mehr einwilligungsfähig sind[4].
Für ein konstruktives Gespräch können Sie diese Fragen stellen:
- “Welche Funktionen hat mein Defibrillator und was passiert in der Sterbephase?”
- “Wie kann der Defibrillator deaktiviert werden, wenn ich im Sterben liege?”
- “Welche Formulierung empfehlen Sie für meine Patientenverfügung?”
- “Wer kann den Defibrillator im Notfall deaktivieren?”
Es ist vollkommen in Ordnung, solche Fragen zu stellen. Medizinische Fachkräfte haben die Pflicht, Sie umfassend aufzuklären[3][4].
Erfahrungen aus der Praxis
Eine Familie aus dem Landkreis Rotenburg berichtete von ihrer Erfahrung mit dem Sterbeprozess ihres hochbetagten Vaters. Der Vater war Träger eines implantierten Defibrillators, der im Sterbeprozess Schocks auslöste. Die Familie fühlte sich vom medizinischen Personal nicht ausreichend informiert. Erst nach intensiver Recherche und mit Unterstützung eines Facharztes gelang es ihnen, ihrem Vater zu helfen[5].
Solche Erfahrungen zeigen, wie wichtig eine frühzeitige Aufklärung und klare Regelungen in der Patientenverfügung sind.
Fazit: Selbstbestimmung bis zuletzt
Ein implantierter Defibrillator kann Leben retten - aber auch den Sterbeprozess erschweren. Mit einer gut vorbereiteten Patientenverfügung behalten Sie die Kontrolle über Ihre medizinische Behandlung bis zum Lebensende.
Das Thema mag unangenehm erscheinen, doch eine offene Auseinandersetzung damit schützt Sie und Ihre Angehörigen vor schwierigen Situationen. Sprechen Sie mit Ihren Ärzt:innen über dieses Thema und treffen Sie eine selbstbestimmte Entscheidung.
Die Deaktivierung eines Defibrillators am Lebensende ist keine Aufgabe, sondern ein Akt der Barmherzigkeit, der einen würdevollen und friedlichen Abschied ermöglicht.