Das Bundesverfassungsgericht stärkt Patientenrechte durch Urteil zur Patientenverfügung
Zusammenfassung
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil die rechtliche Bindungswirkung von Patientenverfügungen gestärkt und das Selbstbestimmungsrecht auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen bekräftigt. Eine wirksame Patientenverfügung muss jedoch konkret formuliert sein, um im Ernstfall verbindlich zu gelten. Das Urteil unterstreicht die Bedeutung klarer Festlegungen und regelmäßiger Aktualisierungen, um den eigenen Willen zuverlässig durchzusetzen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit einer grundlegenden Entscheidung die Rechte von Patient:innen mit psychiatrischen Erkrankungen gestärkt. Die Richter:innen stellten unmissverständlich fest: Menschen mit einer psychiatrischen Erkrankung dürfen nicht zwangsbehandelt werden, wenn sie dem in einer Patientenverfügung ausdrücklich widersprochen haben. Dieses Urteil bekräftigt das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und bietet Schutz für alle Menschen, die ihre medizinische Behandlung vorausschauend regeln möchten.

Die Vorgeschichte zum Urteil
Im Oktober 2015 kam ein Mann mit paranoid-halluzinatorischer Schizophrenie in den Maßregelvollzug, nachdem er seinen Nachbarn mit einem Messer angegriffen hatte. Der Betroffene hatte jedoch bereits im Juni 2005 eine Patientenverfügung erstellt. In einer später hinzugefügten Ergänzung vom Januar 2015 lehnte er ausdrücklich die Verabreichung von Psychopharmaka “gegen seinen Willen” ab. Dennoch beantragten die behandelnden Ärzt:innen im September 2016 eine Zwangsbehandlung mit Neuroleptika. Sie begründeten ihren Antrag mit dem Schutz des Patienten vor “irreversiblen hirnorganischen Gesundheitsschäden”.
Der Mann berief sich vor Gericht auf seine Patientenverfügung, doch das Landgericht Nürnberg-Fürth genehmigte die Zwangsmaßnahme trotzdem. Diese Entscheidung wollte der Betroffene nicht hinnehmen und legte eine Verfassungsbeschwerde ein - mit Erfolg.
Die Entscheidung der Karlsruher Richter:innen
In seiner Entscheidung stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass das Landgericht mit der Genehmigung der Zwangsbehandlung zwei grundlegende Rechte missachtet hatte: Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die Richter:innen betonten, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit vor Maßnahmen gegen den Willen des Patienten schützt. Es gehe um “die körperliche Integrität der Person und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht”, so das Bundesverfassungsgericht.
Das Gericht bekräftigte zudem ein bemerkenswertes Prinzip: Patient:innen haben ein Recht auf “Freiheit zur Krankheit”. Dies bedeutet, dass sie “auf Heilung zielende Eingriffe ablehnen können, selbst wenn diese dringend angezeigt sind und deren Unterlassen zum dauerhaften Verlust der persönlichen Freiheit führen kann”. Diese Aussage unterstreicht die hohe Bedeutung, die das Gericht der persönlichen Autonomie beimisst - auch bei Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Was das Urteil für die Patientenverfügung bedeutet
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat weitreichende Folgen für alle Menschen, die eine Patientenverfügung erstellt haben oder erstellen möchten. Sie stärkt die rechtliche Bindungswirkung von Patientenverfügungen erheblich und bekräftigt, dass eine wirksame Patientenverfügung in jedem Fall verbindlich ist - auch bei Personen im Maßregelvollzug[2]. Damit schützt das Urteil das Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich auch bei psychisch erkrankten Menschen.
Das Gericht unterstreicht mit seiner Entscheidung: Die wirksame Patientenverfügung eines Patienten ist gemäß § 1827 BGB (früher § 1901a BGB) bindend. Eine bloße “Beachtung” reicht dabei nicht aus[2]. Die Wirksamkeit der Patientenverfügung sei allerdings in einem zweistufigen Verfahren zu prüfen, wobei keine überhöhten Anforderungen oder medizinische Kenntnisse der verfügenden Person gefordert werden können[2].
Mit diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die Patientenverfügung als wesentliches Instrument der Selbstbestimmung in unserer Rechtsordnung weiter gestärkt und gefestigt.
Voraussetzungen für eine wirksame Patientenverfügung
Damit Ihre Patientenverfügung die vom Bundesverfassungsgericht bekräftigte Schutzwirkung entfalten kann, muss sie bestimmte Kriterien erfüllen. Zunächst müssen Sie die Verfügung unter freiem Willen verfasst haben. Dieser Aspekt ist besonders bei Menschen mit psychischen Erkrankungen von Bedeutung, da hier genau geprüft werden muss, ob die Person zum Zeitpunkt der Erstellung entscheidungsfähig war.
Zudem muss die Patientenverfügung ausreichend konkret formuliert sein. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren Urteilen die Anforderungen an eine wirksame Patientenverfügung präzisiert. Allgemeine Formulierungen wie “keine lebenserhaltenden Maßnahmen” reichen nicht aus[3][11]. Die Patientenverfügung muss vielmehr konkrete Entscheidungen über bestimmte ärztliche Maßnahmen enthalten[3]. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine präzise Benennung unerwünschter Behandlungsmaßnahmen erforderlich[10].
Das BGH-Urteil vom 14. November 2018 (Aktenzeichen XII ZB 107/18) bestätigte nachdrücklich: Patientenverfügungen müssen “medizinisch genau” sein, um wirksam zu sein[10]. Der BGH stellte fest, dass eine wirksame Patientenverfügung unmittelbare Bindungswirkung für die Ärzt:innen nur dann entfaltet, wenn ihr konkrete Entscheidungen darüber entnommen werden können, in welche bestimmten, noch nicht unmittelbar bevorstehenden ärztlichen Maßnahmen die Person einwilligt oder nicht einwilligt[3].
Grenzen und Ausnahmen der Patientenverfügung
Es gibt Situationen, in denen trotz einer vorhandenen Patientenverfügung eine Zwangsbehandlung möglich sein kann. Dies ist der Fall, wenn die Patientenverfügung nicht wirksam ist, etwa weil sie unter Zwang erstellt wurde oder weil sie nicht konkret genug formuliert ist. Auch wenn die Behandlung zum Schutz Dritter notwendig ist, kann eine Zwangsbehandlung gerechtfertigt sein.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil jedoch klar herausgestellt, dass eine Zwangsbehandlung zum reinen Selbstschutz des Patienten nicht zulässig ist, wenn dieser in einer wirksamen Patientenverfügung solche Maßnahmen untersagt hat. Dies gilt selbst dann, wenn die Verweigerung der Behandlung zu dauerhaften gesundheitlichen Schäden führen könnte.
Es lohnt sich zudem darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht in einem aktuellen Urteil vom 26. November 2024 entschieden hat, dass der sogenannte Krankenhausvorbehalt bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen teilweise verfassungswidrig ist[5]. Bislang mussten solche Maßnahmen ausnahmslos im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchgeführt werden. Diese strenge Regelung hat das Gericht nun teilweise für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung bis Ende 2026 verpflichtet[5].
Praktische Hinweise für eine rechtssichere Patientenverfügung
Für eine Patientenverfügung, die im Ernstfall tatsächlich Ihren Willen durchsetzt, sollten Sie einige wesentliche Punkte beachten. Formulieren Sie Ihre Wünsche so konkret wie möglich. Benennen Sie genau, welche medizinischen Maßnahmen Sie ablehnen oder wünschen. Beschreiben Sie möglichst präzise die medizinischen Situationen, in denen Ihre Verfügung gelten soll.
Eine regelmäßige Prüfung und Aktualisierung Ihrer Patientenverfügung steigert deren Glaubwürdigkeit. Überprüfen Sie das Dokument alle ein bis zwei Jahre und bestätigen Sie mit Datum und Unterschrift, dass Ihre Festlegungen weiterhin gelten. Gespräche mit Ihren Angehörigen und Ihrer Hausärztin oder Ihrem Hausarzt über Ihre Vorstellungen und Wünsche können helfen, Missverständnisse zu vermeiden und sicherzustellen, dass Ihr Wille richtig verstanden wird.
Das Benennen einer Vertrauensperson als Vorsorgebevollmächtigte:n kann sehr hilfreich sein. Diese Person kann Ihren Willen vertreten, wenn Sie selbst nicht mehr entscheiden können. Bei der Auswahl sollten Sie darauf achten, dass diese Person Ihre Wertvorstellungen kennt und bereit ist, Ihren Willen auch gegen mögliche Widerstände durchzusetzen.
Rechtliche Grundlagen und aktuelle Gesetzeslage
Die rechtliche Grundlage der Patientenverfügung findet sich heute in § 1827 BGB. Diese Vorschrift war früher als § 1901a BGB bekannt und wurde im Zuge einer Reform des Betreuungsrechts neu gefasst. Die Patientenverfügung wird dort definiert als “schriftliche Festlegung eines einwilligungsfähigen Volljährigen, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt”.
Für Fragen der Zwangsbehandlung und Unterbringung sind heute die §§ 1829 BGB bis 1831 BGB maßgeblich, die die früheren §§ 1904 bis 1906 BGB ersetzt haben. Diese Normen regeln unter anderem, unter welchen strengen Voraussetzungen eine Zwangsbehandlung überhaupt zulässig sein kann.
Fazit
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Patientenverfügung stellt einen bedeutenden Schritt zur Stärkung der Patientenrechte dar. Es bekräftigt, dass der in einer Patientenverfügung niedergelegte Wille verbindlich ist und respektiert werden muss - auch bei psychisch erkrankten Menschen. Gleichzeitig macht die Rechtsprechung deutlich, wie notwendig eine präzise formulierte Patientenverfügung ist. Nur wenn sie konkret und eindeutig formuliert ist, kann sie im Ernstfall ihre volle Schutzwirkung entfalten.
Die Rechtsentwicklung in diesem Bereich zeigt, dass die Selbstbestimmung der Patient:innen einen hohen Stellenwert in unserem Rechtssystem genießt. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs haben dazu beigetragen, diesen Grundsatz zu stärken und zu konkretisieren. Für alle Menschen, die eine Patientenverfügung erstellen möchten, bedeutet dies: Je klarer und genauer die eigenen Wünsche formuliert sind, desto besser können sie im Ernstfall berücksichtigt werden.