Patientenverfügung und Organ­spende: Wann können medizinische Wünsche in Konflikt geraten?

Zusammenfassung

Die Vereinbarkeit von Patienten­verfügung und Organ­spende­wunsch erfordert eine klare Formulierung, da für eine Organ­spende intensiv­medizinische Maßnahmen wie künstliche Beatmung notwendig sind, die in einer Patienten­verfügung oft abgelehnt werden. Um Konflikte zu vermeiden, sollte ausdrücklich festgehalten werden, dass solche Maßnahmen im Fall einer Organ­spende vorübergehend erlaubt sind. Eine regelmäßige Überprüfung der Dokumente und offene Gespräche mit Angehörigen helfen, den eigenen Willen eindeutig zu kommunizieren.

Die Vereinbarkeit von Patientenverfügung und Organ­spendewunsch stellt viele Menschen vor Heraus­forderungen. Der folgende Bericht erläutert die medizinischen Voraus­setzungen für eine Organ­spende nach dem Tod, den recht­lichen Rahmen in Deutschland und zeigt praxis­orientierte Lösungen für mögliche Konflikte zwischen beiden Vorsorge­dokumenten auf. Besonders wichtig: Für eine Organ­spende muss der irreversible Hirn­funktions­ausfall (Hirntod) fest­gestellt werden, wofür intensiv­medizinische Maßnahmen wie künstliche Beatmung vorüber­gehend fort­geführt werden müssen - auch wenn die Patienten­verfügung lebens­erhaltende Maßnahmen eigentlich ablehnt.

 Zwei Ärzte in weißen Kitteln prüfen Dokumente, ein Stethoskop liegt auf einem weißen Tisch im Vordergrund.

Der medizinische Hintergrund: Hirntod als Voraus­setzung für Organ­spende

Die post­mortale Organ­spende unterliegt in Deutschland strengen Kriterien. Eine grund­legende medizinische Voraus­setzung ist der nach­gewiesene irreversible Hirn­funktions­ausfall, häufig als “Hirntod” bezeichnet. Dieser Zustand ist definiert als der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamt­funktion des Groß­hirns, des Klein­hirns und des Hirn­stamms. Mit der Fest­stellung dieses Zustands gilt aus natur­wissenschaftlich-medizinischer Sicht der Tod des Menschen als ein­getreten.

Die Diagnostik des Hirntods erfolgt auf der Intensiv­station und dient zunächst der Prognose­einschätzung, ist aber auch Grund­voraussetzung für eine mögliche post­mortale Organ­spende. Wichtig zu verstehen ist, dass der Hirntod ein seltenes Phänomen darstellt, sodass nur wenige Verstorbene über­haupt für eine Organ­spende in Frage kommen[10]. Der Zustand tritt typischer­weise nach schweren Hirn­schädigungen auf, beispiels­weise durch Hirn­blutungen oder Hirn­tumoren[10].

Entscheidend für eine erfolg­reiche Organ­spende ist, dass nach Fest­stellung des Hirntods die Organe weiterhin durchblutet werden. Dies geschieht durch die vorüber­gehende Aufrecht­erhaltung des Herz-Kreislauf-Systems mithilfe intensiv­medizinischer Maßnahmen[10]. Ohne diese künstliche Aufrecht­erhaltung der Vitalfunktionen wäre eine Organ­entnahme und spätere Transplantation nicht möglich.

Die Fest­stellung des Hirntods erfolgt in Deutschland nach strengen Richtlinien, die von der Bundes­ärztekammer fest­gelegt werden. Aktuell gilt die fünfte Fort­schreibung dieser Richtlinien seit September 2022. Diese Verfahrens­regeln sind im Transplantations­gesetz verankert und werden regel­mäßig aktualisiert, um den neuesten medizinischen Erkennt­nissen zu entsprechen und höchste Standards zu gewähr­leisten.

Der recht­liche Rahmen der Organ­spende in Deutschland

In Deutschland basiert die Regelung der Organ­spende auf der sogenannten “Entscheidungs­lösung”. Diese stellt eine Abwandlung der Zustimmungs­lösung dar und bedeutet: Organe dürfen nur dann nach dem Tod entnommen werden, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten einer Organ­spende zugestimmt hat oder - falls keine Entscheidung bekannt ist - die Angehörigen im Sinne der verstorbenen Person einer Spende zustimmen[11].

Für die Zustimmung zur Organ­spende gibt es verschiedene Möglich­keiten. Diese kann auf einem Organ­spende­ausweis, im Organ­spende-Register oder in einer Patienten­verfügung dokumentiert werden[10]. Die Entscheidungs­freiheit des Einzelnen steht dabei im Mittel­punkt - niemand ist verpflichtet, sich für oder gegen eine Organ­spende zu entscheiden.

Um Menschen bei ihrer Entscheidungs­findung zu unter­stützen, sieht das Gesetz eine umfassende und ergebnis­offene Aufklärung vor. Diese Aufgabe wird insbesondere von der Bundes­zentrale für gesundheit­liche Aufklärung (BZgA) wahr­genommen[11]. Zudem erhalten alle bei einer deutschen Kranken­versicherung versicherten Personen ab dem vollendeten 16. Lebens­jahr regel­mäßig Informations­materialien und einen Organ­spende­ausweis mit ihrer elektronischen Gesundheits­karte[11].

Die post­mortale Organ­spende ist in Deutschland streng geregelt. Nach dem deutschen Transplantations­gesetz ist eine Organ­spende nur zulässig, wenn bei der spendenden Person zuvor der Hirntod fest­gestellt wurde und entweder die Person selbst oder stellvertretend ihre Angehörigen in die Organ­entnahme ein­gewilligt haben[9]. Diese klaren recht­lichen Vorgaben schaffen Rechts­sicherheit und schützen sowohl die Autonomie der potentiellen Spender:innen als auch die Interessen der Organ­empfänger:innen.

Wenn Patienten­verfügung und Organ­spende­wunsch in Konflikt geraten

Ein besonderes Problem kann entstehen, wenn eine Person in ihrer Patienten­verfügung intensiv­medizinische Maßnahmen ablehnt, gleich­zeitig aber den Wunsch nach einer Organ­spende äußert. Diese scheinbar wider­sprüchlichen Willens­äußerungen müssen sorg­fältig betrachtet werden, da für die Fest­stellung des Hirntods und die anschließende Organ­entnahme zeitweise intensiv­medizinische Maßnahmen wie künstliche Beatmung und Aufrecht­erhaltung des Kreislauf­systems unerlässlich sind[8].

In der medizinischen Praxis kann ein solcher Wider­spruch dazu führen, dass eine Organ­entnahme oft gar nicht in Betracht gezogen wird, da für die behandelnden Ärzt:innen nicht eindeutig erkennbar ist, wie sie handeln sollen[8]. Es stellt sich die Frage: Sollen die intensiv­medizinischen Maßnahmen eingestellt und damit die Fest­stellung des Hirntods und eine Organ­entnahme ausgeschlossen werden, oder sollen die Maßnahmen fort­gesetzt werden, damit die Hirntod­diagnostik durch­geführt werden kann?

Die Bundes­ärztekammer hat in einem Arbeits­papier zum Verhältnis von Patienten­verfügung und Organ­spende verschiedene Fall­konstellationen unter­schieden[9]. Besonders relevant ist die Situation, in der Patient:innen intensiv­medizinisch behandelt werden und ein Hirntod vermutet wird. In diesem Fall kann die vorüber­gehende Fort­führung intensiv­medizinischer Maßnahmen zur Ermöglichung der Hirntod­fest­stellung und einer anschließenden Organ­spende als vereinbar mit dem Patienten­willen angesehen werden, sofern ein klarer Organ­spende­wunsch dokumentiert ist[9].

Anders verhält es sich, wenn der Hirntod erst in einigen Tagen erwartet wird. Hier würde die Fort­führung intensiv­medizinischer Maßnahmen den Sterbe­prozess nicht nur um den Zeitraum verlängern, der für die Fest­stellung des Hirntods und die Durch­führung der Organ­spende notwendig ist, sondern auch um den schwer zu prognostizierenden Zeitraum bis zum Eintritt des Hirntods[9]. In solchen Fällen muss eine Entscheidung gemeinsam mit dem Patienten­vertreter (Bevollmäch­tigter oder Betreuer) und den Angehörigen getroffen werden.

Praktische Lösungen: Die richtige Formulierung in der Patienten­verfügung

Um mögliche Konflikte zwischen dem Wunsch nach Behandlungs­begrenzung und dem Wunsch nach Organ­spende zu vermeiden, ist eine klare und eindeutige Formulierung in der Patienten­verfügung wichtig. Die Deutsche Stiftung Organ­transplantation (DSO) empfiehlt, dass in einer Patienten­verfügung auch die Entscheidung über eine mögliche Organ­spende geregelt werden sollte[7].

Eine geeignete Formulierung, die der Bundes­ärztekammer in einem Arbeits­papier vorschlägt, könnte lauten: “Ich stimme einer Entnahme meiner Organe nach meinem Tod zu Transplantations­zwecken zu. Es ist mir bewusst, dass Organe nur nach Fest­stellung des Hirntodes bei aufrecht­erhaltenem Kreislauf entnommen werden können. Deshalb gestatte ich ausnahms­weise für den Fall, dass bei mir eine Organ­spende medizinisch in Frage kommt, die kurz­fristige (Stunden bis höchstens wenige Tage umfassende) Durch­führung intensiv­medizinischer Maßnahmen zur Bestimmung des Hirntodes nach den Richtlinien der Bundes­ärztekammer und zur anschließenden Entnahme der Organe.”[7]

Die Bundes­ärztekammer bietet Text­bausteine für die Patienten­verfügung an, die eine klare Erklärung zur Organ­spende beinhalten[12]. Diese können je nach persönlicher Präferenz angepasst werden. Beispiels­weise können Sie festlegen, ob Sie uneingeschränkt Organe und Gewebe spenden möchten oder bestimmte Organe von der Entnahme ausschließen wollen[12].

Wichtig ist auch, eine zeitliche Begrenzung der intensiv­medizinischen Maßnahmen fest­zulegen, wenn dies gewünscht ist. Ein entsprechender Passus könnte lauten: “Die intensiv­medizinischen Maßnahmen sollen nicht länger als [Anzahl] Stunden fort­gesetzt werden.”[12] Diese klare zeitliche Vorgabe gibt den behandelnden Ärzt:innen eine konkrete Hand­lungs­anweisung und wahrt gleich­zeitig Ihren Wunsch nach Behandlungs­begrenzung.

Die formalen Anforderungen an Ihre Patienten­verfügung

Eine Patienten­verfügung muss bestimmte formale Anforderungen erfüllen, um rechts­wirksam zu sein. Sie muss schriftlich verfasst und eigenhändig unterschrieben oder notariell beglaubigt sein[12]. Es gibt in Deutschland keine Pflicht, eine Patienten­verfügung zu erstellen, jedoch kann sie im Ernstfall eine große Hilfe für Angehörige und medizinisches Personal sein.

Wenn Sie neben Ihrer Patienten­verfügung auch einen Organ­spende­ausweis besitzen, ist es wichtig, dass beide Dokumente inhaltlich über­einstimmen und keine Wider­sprüche enthalten[12]. Um sicher­zustellen, dass Ihr Wille für Ärzt:innen eindeutig dokumentiert ist, sollten Sie in Ihrer Patienten­verfügung explizit auf Ihren Organ­spende­ausweis hinweisen und angeben, wo dieser zu finden ist.

Informationen zu Patienten­verfügungen erhalten Sie beispiels­weise beim Bundes­ministerium für Justiz und Verbraucher­schutz oder bei der Bundes­ärztekammer[7]. Diese Stellen bieten umfassende Beratung und stellen Muster­formulare zur Verfügung, die Ihnen bei der Erstellung Ihrer persönlichen Patienten­verfügung helfen können.

Es empfiehlt sich, Ihre Patienten­verfügung regel­mäßig zu überprüfen und gegebenen­falls an veränderte Lebens­umstände oder medizinische Entwicklungen anzupassen. Eine regel­mäßige Aktualisierung, etwa alle zwei Jahre, mit erneuter Datierung und Unterschrift verdeutlicht, dass Sie sich mit dem Inhalt Ihrer Verfügung auseinander­gesetzt haben und dieser nach wie vor Ihrem Willen entspricht.

Medizinische Voraus­setzungen für die Organ­spende im Detail

Die Zustimmung zur Organ­spende allein reicht für eine tatsächliche Organ­entnahme nicht aus. Neben der rechtlichen Voraus­setzung - der Zustimmung der verstorbenen Person oder ihrer Angehörigen - muss auch die medizinische Voraus­setzung erfüllt sein: der unumkehrbare Ausfall der gesamten Hirn­funktionen, der Hirntod[10].

Der Hirntod ist ein seltenes Phänomen und tritt nur bei bestimmten medizinischen Konstellationen auf. Typischer­weise handelt es sich um schwere Hirn­schädigungen, etwa durch Hirn­blutungen, Schädel-Hirn-Traumata oder Hirn­tumoren[10]. Daher kommen nur wenige verstorbene Personen überhaupt für eine Organ­spende in Frage.

Die Diagnostik des Hirntods erfolgt nach strengen Richtlinien der Bundes­ärztekammer und umfasst mehrere Schritte. Zunächst müssen bestimmte Voraus­setzungen erfüllt sein, wie das Vorliegen einer schweren primären oder sekundären Hirn­schädigung. Anschließend wird in klinischen Unter­suchungen das Fehlen sämtlicher Hirn­funktionen nach­gewiesen. In bestimmten Fällen sind zusätzlich apparative Unter­suchungen erforderlich, um den irreversiblen Funktions­ausfall des gesamten Gehirns zu bestätigen.

Die Diagnostik muss von zwei erfahrenen Ärzt:innen unabhängig voneinander durch­geführt werden, die nicht am Transplantations­verfahren beteiligt sind. Diese strengen Vorgaben dienen dem Schutz der potentiellen Spender:innen und sollen jeden Zweifel an der Korrektheit der Hirntod­diagnostik ausschließen.

Die ethischen Aspekte der Organ­spende

Die Entscheidung für oder gegen eine Organ­spende ist eine persönliche Gewissens­entscheidung, die von ethischen, religiösen und persönlichen Über­zeugungen geprägt sein kann. Das deutsche Transplantations­gesetz respektiert diese individuelle Entscheidungs­freiheit durch die Entscheidungs­lösung[11].

Die Organ­spende kann als Akt der Solidarität und Nächsten­liebe betrachtet werden, der schwer erkrankten Menschen ein Weiter­leben oder eine verbesserte Lebens­qualität ermöglicht. Gleich­zeitig ist es wichtig, dass die Entscheidung frei und informiert getroffen wird, ohne sozialen Druck oder moralische Verpflichtung.

Ein ethischer Konflikt kann entstehen, wenn lebens­erhaltende Maßnahmen zum Zweck der Organ­spende fort­geführt werden, obwohl die sterbende Person diese eigentlich ablehnt. Hier gilt es, den mutmaßlichen Willen der betroffenen Person sorg­fältig zu ermitteln und abzuwägen, ob die temporäre Fort­führung intensiv­medizinischer Maßnahmen zur Realisierung des Organ­spende­wunsches im Sinne der verstorbenen Person wäre[9].

Ethische Beratungs­gremien in Kranken­häusern können in solchen Konflikt­situationen eine wichtige Unter­stützung bieten. Sie helfen dabei, alle relevanten ethischen Aspekte zu berücksichtigen und eine Entscheidung zu treffen, die dem Willen der betroffenen Person bestmöglich entspricht.

Fazit: Wie Sie Ihren Organ­spende­wunsch und Ihre Patienten­verfügung in Einklang bringen

Die Vereinbarkeit von Patienten­verfügung und Organ­spende­wunsch erfordert eine durch­dachte und klare Formulierung Ihrer Vorsorgedo­kumente. Wenn Sie nach Ihrem Tod Organe spenden möchten, sollten Sie in Ihrer Patienten­verfügung ausdrücklich festhalten, dass Sie für diesen Zweck mit der vorüber­gehenden Fort­führung intensiv­medizinischer Maßnahmen einverstanden sind, auch wenn Sie diese ansonsten ablehnen[7][12].

Besprechen Sie Ihre Entscheidung mit Ihren Angehörigen und Vertrauens­personen, damit diese im Ernstfall Ihren Willen kennen und vertreten können. Eine offene Kommunikation kann späteren Unsicher­heiten vorbeugen und die Umsetzung Ihrer Wünsche erleichtern.

Nutzen Sie die Beratungs­angebote von Fach­personen wie Ärzt:innen, Notar:innen oder spezialisierte Beratungs­stellen, um Ihre Patienten­verfügung und Organ­spende­erklärung optimal zu gestalten. Diese können Ihnen helfen, die richtigen Formulierungen zu finden und alle relevanten Aspekte zu berücksichtigen.

Denken Sie daran, Ihre Dokumente regel­mäßig zu überprüfen und bei Bedarf zu aktualisieren. Lebens­umstände, persönliche Einstellungen und medizinische Möglich­keiten können sich ändern, und Ihre Vorsorge­dokumente sollten stets Ihren aktuellen Willen wider­spiegeln.

Mit einer durch­dachten und klaren Regelung schaffen Sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für Ihre Angehörigen und das medizinische Personal Klarheit und Sicherheit in einer emotional belastenden Situation.