Patientenverfügung und Organspende: Wann können medizinische Wünsche in Konflikt geraten?
Zusammenfassung
Die Vereinbarkeit von Patientenverfügung und Organspendewunsch erfordert eine klare Formulierung, da für eine Organspende intensivmedizinische Maßnahmen wie künstliche Beatmung notwendig sind, die in einer Patientenverfügung oft abgelehnt werden. Um Konflikte zu vermeiden, sollte ausdrücklich festgehalten werden, dass solche Maßnahmen im Fall einer Organspende vorübergehend erlaubt sind. Eine regelmäßige Überprüfung der Dokumente und offene Gespräche mit Angehörigen helfen, den eigenen Willen eindeutig zu kommunizieren.
- Der medizinische Hintergrund: Hirntod als Voraussetzung für Organspende
- Der rechtliche Rahmen der Organspende in Deutschland
- Wenn Patientenverfügung und Organspendewunsch in Konflikt geraten
- Praktische Lösungen: Die richtige Formulierung in der Patientenverfügung
- Die formalen Anforderungen an Ihre Patientenverfügung
- Medizinische Voraussetzungen für die Organspende im Detail
- Die ethischen Aspekte der Organspende
- Fazit: Wie Sie Ihren Organspendewunsch und Ihre Patientenverfügung in Einklang bringen
Die Vereinbarkeit von Patientenverfügung und Organspendewunsch stellt viele Menschen vor Herausforderungen. Der folgende Bericht erläutert die medizinischen Voraussetzungen für eine Organspende nach dem Tod, den rechtlichen Rahmen in Deutschland und zeigt praxisorientierte Lösungen für mögliche Konflikte zwischen beiden Vorsorgedokumenten auf. Besonders wichtig: Für eine Organspende muss der irreversible Hirnfunktionsausfall (Hirntod) festgestellt werden, wofür intensivmedizinische Maßnahmen wie künstliche Beatmung vorübergehend fortgeführt werden müssen - auch wenn die Patientenverfügung lebenserhaltende Maßnahmen eigentlich ablehnt.

Der medizinische Hintergrund: Hirntod als Voraussetzung für Organspende
Die postmortale Organspende unterliegt in Deutschland strengen Kriterien. Eine grundlegende medizinische Voraussetzung ist der nachgewiesene irreversible Hirnfunktionsausfall, häufig als “Hirntod” bezeichnet. Dieser Zustand ist definiert als der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Mit der Feststellung dieses Zustands gilt aus naturwissenschaftlich-medizinischer Sicht der Tod des Menschen als eingetreten.
Die Diagnostik des Hirntods erfolgt auf der Intensivstation und dient zunächst der Prognoseeinschätzung, ist aber auch Grundvoraussetzung für eine mögliche postmortale Organspende. Wichtig zu verstehen ist, dass der Hirntod ein seltenes Phänomen darstellt, sodass nur wenige Verstorbene überhaupt für eine Organspende in Frage kommen[10]. Der Zustand tritt typischerweise nach schweren Hirnschädigungen auf, beispielsweise durch Hirnblutungen oder Hirntumoren[10].
Entscheidend für eine erfolgreiche Organspende ist, dass nach Feststellung des Hirntods die Organe weiterhin durchblutet werden. Dies geschieht durch die vorübergehende Aufrechterhaltung des Herz-Kreislauf-Systems mithilfe intensivmedizinischer Maßnahmen[10]. Ohne diese künstliche Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen wäre eine Organentnahme und spätere Transplantation nicht möglich.
Die Feststellung des Hirntods erfolgt in Deutschland nach strengen Richtlinien, die von der Bundesärztekammer festgelegt werden. Aktuell gilt die fünfte Fortschreibung dieser Richtlinien seit September 2022. Diese Verfahrensregeln sind im Transplantationsgesetz verankert und werden regelmäßig aktualisiert, um den neuesten medizinischen Erkenntnissen zu entsprechen und höchste Standards zu gewährleisten.
Der rechtliche Rahmen der Organspende in Deutschland
In Deutschland basiert die Regelung der Organspende auf der sogenannten “Entscheidungslösung”. Diese stellt eine Abwandlung der Zustimmungslösung dar und bedeutet: Organe dürfen nur dann nach dem Tod entnommen werden, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten einer Organspende zugestimmt hat oder - falls keine Entscheidung bekannt ist - die Angehörigen im Sinne der verstorbenen Person einer Spende zustimmen[11].
Für die Zustimmung zur Organspende gibt es verschiedene Möglichkeiten. Diese kann auf einem Organspendeausweis, im Organspende-Register oder in einer Patientenverfügung dokumentiert werden[10]. Die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen steht dabei im Mittelpunkt - niemand ist verpflichtet, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden.
Um Menschen bei ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen, sieht das Gesetz eine umfassende und ergebnisoffene Aufklärung vor. Diese Aufgabe wird insbesondere von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) wahrgenommen[11]. Zudem erhalten alle bei einer deutschen Krankenversicherung versicherten Personen ab dem vollendeten 16. Lebensjahr regelmäßig Informationsmaterialien und einen Organspendeausweis mit ihrer elektronischen Gesundheitskarte[11].
Die postmortale Organspende ist in Deutschland streng geregelt. Nach dem deutschen Transplantationsgesetz ist eine Organspende nur zulässig, wenn bei der spendenden Person zuvor der Hirntod festgestellt wurde und entweder die Person selbst oder stellvertretend ihre Angehörigen in die Organentnahme eingewilligt haben[9]. Diese klaren rechtlichen Vorgaben schaffen Rechtssicherheit und schützen sowohl die Autonomie der potentiellen Spender:innen als auch die Interessen der Organempfänger:innen.
Wenn Patientenverfügung und Organspendewunsch in Konflikt geraten
Ein besonderes Problem kann entstehen, wenn eine Person in ihrer Patientenverfügung intensivmedizinische Maßnahmen ablehnt, gleichzeitig aber den Wunsch nach einer Organspende äußert. Diese scheinbar widersprüchlichen Willensäußerungen müssen sorgfältig betrachtet werden, da für die Feststellung des Hirntods und die anschließende Organentnahme zeitweise intensivmedizinische Maßnahmen wie künstliche Beatmung und Aufrechterhaltung des Kreislaufsystems unerlässlich sind[8].
In der medizinischen Praxis kann ein solcher Widerspruch dazu führen, dass eine Organentnahme oft gar nicht in Betracht gezogen wird, da für die behandelnden Ärzt:innen nicht eindeutig erkennbar ist, wie sie handeln sollen[8]. Es stellt sich die Frage: Sollen die intensivmedizinischen Maßnahmen eingestellt und damit die Feststellung des Hirntods und eine Organentnahme ausgeschlossen werden, oder sollen die Maßnahmen fortgesetzt werden, damit die Hirntoddiagnostik durchgeführt werden kann?
Die Bundesärztekammer hat in einem Arbeitspapier zum Verhältnis von Patientenverfügung und Organspende verschiedene Fallkonstellationen unterschieden[9]. Besonders relevant ist die Situation, in der Patient:innen intensivmedizinisch behandelt werden und ein Hirntod vermutet wird. In diesem Fall kann die vorübergehende Fortführung intensivmedizinischer Maßnahmen zur Ermöglichung der Hirntodfeststellung und einer anschließenden Organspende als vereinbar mit dem Patientenwillen angesehen werden, sofern ein klarer Organspendewunsch dokumentiert ist[9].
Anders verhält es sich, wenn der Hirntod erst in einigen Tagen erwartet wird. Hier würde die Fortführung intensivmedizinischer Maßnahmen den Sterbeprozess nicht nur um den Zeitraum verlängern, der für die Feststellung des Hirntods und die Durchführung der Organspende notwendig ist, sondern auch um den schwer zu prognostizierenden Zeitraum bis zum Eintritt des Hirntods[9]. In solchen Fällen muss eine Entscheidung gemeinsam mit dem Patientenvertreter (Bevollmächtigter oder Betreuer) und den Angehörigen getroffen werden.
Praktische Lösungen: Die richtige Formulierung in der Patientenverfügung
Um mögliche Konflikte zwischen dem Wunsch nach Behandlungsbegrenzung und dem Wunsch nach Organspende zu vermeiden, ist eine klare und eindeutige Formulierung in der Patientenverfügung wichtig. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) empfiehlt, dass in einer Patientenverfügung auch die Entscheidung über eine mögliche Organspende geregelt werden sollte[7].
Eine geeignete Formulierung, die der Bundesärztekammer in einem Arbeitspapier vorschlägt, könnte lauten: “Ich stimme einer Entnahme meiner Organe nach meinem Tod zu Transplantationszwecken zu. Es ist mir bewusst, dass Organe nur nach Feststellung des Hirntodes bei aufrechterhaltenem Kreislauf entnommen werden können. Deshalb gestatte ich ausnahmsweise für den Fall, dass bei mir eine Organspende medizinisch in Frage kommt, die kurzfristige (Stunden bis höchstens wenige Tage umfassende) Durchführung intensivmedizinischer Maßnahmen zur Bestimmung des Hirntodes nach den Richtlinien der Bundesärztekammer und zur anschließenden Entnahme der Organe.”[7]
Die Bundesärztekammer bietet Textbausteine für die Patientenverfügung an, die eine klare Erklärung zur Organspende beinhalten[12]. Diese können je nach persönlicher Präferenz angepasst werden. Beispielsweise können Sie festlegen, ob Sie uneingeschränkt Organe und Gewebe spenden möchten oder bestimmte Organe von der Entnahme ausschließen wollen[12].
Wichtig ist auch, eine zeitliche Begrenzung der intensivmedizinischen Maßnahmen festzulegen, wenn dies gewünscht ist. Ein entsprechender Passus könnte lauten: “Die intensivmedizinischen Maßnahmen sollen nicht länger als [Anzahl] Stunden fortgesetzt werden.”[12] Diese klare zeitliche Vorgabe gibt den behandelnden Ärzt:innen eine konkrete Handlungsanweisung und wahrt gleichzeitig Ihren Wunsch nach Behandlungsbegrenzung.
Die formalen Anforderungen an Ihre Patientenverfügung
Eine Patientenverfügung muss bestimmte formale Anforderungen erfüllen, um rechtswirksam zu sein. Sie muss schriftlich verfasst und eigenhändig unterschrieben oder notariell beglaubigt sein[12]. Es gibt in Deutschland keine Pflicht, eine Patientenverfügung zu erstellen, jedoch kann sie im Ernstfall eine große Hilfe für Angehörige und medizinisches Personal sein.
Wenn Sie neben Ihrer Patientenverfügung auch einen Organspendeausweis besitzen, ist es wichtig, dass beide Dokumente inhaltlich übereinstimmen und keine Widersprüche enthalten[12]. Um sicherzustellen, dass Ihr Wille für Ärzt:innen eindeutig dokumentiert ist, sollten Sie in Ihrer Patientenverfügung explizit auf Ihren Organspendeausweis hinweisen und angeben, wo dieser zu finden ist.
Informationen zu Patientenverfügungen erhalten Sie beispielsweise beim Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz oder bei der Bundesärztekammer[7]. Diese Stellen bieten umfassende Beratung und stellen Musterformulare zur Verfügung, die Ihnen bei der Erstellung Ihrer persönlichen Patientenverfügung helfen können.
Es empfiehlt sich, Ihre Patientenverfügung regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls an veränderte Lebensumstände oder medizinische Entwicklungen anzupassen. Eine regelmäßige Aktualisierung, etwa alle zwei Jahre, mit erneuter Datierung und Unterschrift verdeutlicht, dass Sie sich mit dem Inhalt Ihrer Verfügung auseinandergesetzt haben und dieser nach wie vor Ihrem Willen entspricht.
Medizinische Voraussetzungen für die Organspende im Detail
Die Zustimmung zur Organspende allein reicht für eine tatsächliche Organentnahme nicht aus. Neben der rechtlichen Voraussetzung - der Zustimmung der verstorbenen Person oder ihrer Angehörigen - muss auch die medizinische Voraussetzung erfüllt sein: der unumkehrbare Ausfall der gesamten Hirnfunktionen, der Hirntod[10].
Der Hirntod ist ein seltenes Phänomen und tritt nur bei bestimmten medizinischen Konstellationen auf. Typischerweise handelt es sich um schwere Hirnschädigungen, etwa durch Hirnblutungen, Schädel-Hirn-Traumata oder Hirntumoren[10]. Daher kommen nur wenige verstorbene Personen überhaupt für eine Organspende in Frage.
Die Diagnostik des Hirntods erfolgt nach strengen Richtlinien der Bundesärztekammer und umfasst mehrere Schritte. Zunächst müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, wie das Vorliegen einer schweren primären oder sekundären Hirnschädigung. Anschließend wird in klinischen Untersuchungen das Fehlen sämtlicher Hirnfunktionen nachgewiesen. In bestimmten Fällen sind zusätzlich apparative Untersuchungen erforderlich, um den irreversiblen Funktionsausfall des gesamten Gehirns zu bestätigen.
Die Diagnostik muss von zwei erfahrenen Ärzt:innen unabhängig voneinander durchgeführt werden, die nicht am Transplantationsverfahren beteiligt sind. Diese strengen Vorgaben dienen dem Schutz der potentiellen Spender:innen und sollen jeden Zweifel an der Korrektheit der Hirntoddiagnostik ausschließen.
Die ethischen Aspekte der Organspende
Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende ist eine persönliche Gewissensentscheidung, die von ethischen, religiösen und persönlichen Überzeugungen geprägt sein kann. Das deutsche Transplantationsgesetz respektiert diese individuelle Entscheidungsfreiheit durch die Entscheidungslösung[11].
Die Organspende kann als Akt der Solidarität und Nächstenliebe betrachtet werden, der schwer erkrankten Menschen ein Weiterleben oder eine verbesserte Lebensqualität ermöglicht. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Entscheidung frei und informiert getroffen wird, ohne sozialen Druck oder moralische Verpflichtung.
Ein ethischer Konflikt kann entstehen, wenn lebenserhaltende Maßnahmen zum Zweck der Organspende fortgeführt werden, obwohl die sterbende Person diese eigentlich ablehnt. Hier gilt es, den mutmaßlichen Willen der betroffenen Person sorgfältig zu ermitteln und abzuwägen, ob die temporäre Fortführung intensivmedizinischer Maßnahmen zur Realisierung des Organspendewunsches im Sinne der verstorbenen Person wäre[9].
Ethische Beratungsgremien in Krankenhäusern können in solchen Konfliktsituationen eine wichtige Unterstützung bieten. Sie helfen dabei, alle relevanten ethischen Aspekte zu berücksichtigen und eine Entscheidung zu treffen, die dem Willen der betroffenen Person bestmöglich entspricht.
Fazit: Wie Sie Ihren Organspendewunsch und Ihre Patientenverfügung in Einklang bringen
Die Vereinbarkeit von Patientenverfügung und Organspendewunsch erfordert eine durchdachte und klare Formulierung Ihrer Vorsorgedokumente. Wenn Sie nach Ihrem Tod Organe spenden möchten, sollten Sie in Ihrer Patientenverfügung ausdrücklich festhalten, dass Sie für diesen Zweck mit der vorübergehenden Fortführung intensivmedizinischer Maßnahmen einverstanden sind, auch wenn Sie diese ansonsten ablehnen[7][12].
Besprechen Sie Ihre Entscheidung mit Ihren Angehörigen und Vertrauenspersonen, damit diese im Ernstfall Ihren Willen kennen und vertreten können. Eine offene Kommunikation kann späteren Unsicherheiten vorbeugen und die Umsetzung Ihrer Wünsche erleichtern.
Nutzen Sie die Beratungsangebote von Fachpersonen wie Ärzt:innen, Notar:innen oder spezialisierte Beratungsstellen, um Ihre Patientenverfügung und Organspendeerklärung optimal zu gestalten. Diese können Ihnen helfen, die richtigen Formulierungen zu finden und alle relevanten Aspekte zu berücksichtigen.
Denken Sie daran, Ihre Dokumente regelmäßig zu überprüfen und bei Bedarf zu aktualisieren. Lebensumstände, persönliche Einstellungen und medizinische Möglichkeiten können sich ändern, und Ihre Vorsorgedokumente sollten stets Ihren aktuellen Willen widerspiegeln.
Mit einer durchdachten und klaren Regelung schaffen Sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für Ihre Angehörigen und das medizinische Personal Klarheit und Sicherheit in einer emotional belastenden Situation.