Organspende in Deutschland: Aktuelle Gesetzes­entwürfe und ihre Bedeutung für Sie

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Zusammenfassung

In Deutschland wird aktuell über die Einführung der Wider­spruchs­regelung bei der Organ­spende diskutiert, bei der jede Person als potenzielle:r Spender:in gilt, sofern kein aktiver Widerspruch vorliegt. Während Befürworter:innen hoffen, dadurch mehr Leben retten zu können, kritisieren Gegner:innen den möglichen Eingriff in die Selbst­bestimmung. Unabhängig vom Ausgang der Debatte ist es wichtig, die eigene Entscheidung zur Organ­spende bewusst zu treffen und zu dokumentieren.

In Deutschland warten mehr als 8.000 Menschen auf ein Spender­organ, während die Spender­zahlen seit Jahren auf niedrigem Niveau verharren. Aktuell wird ein neuer Vorstoß zur Einführung der Wider­spruchs­regelung im Bundestag diskutiert. Dieser könnte das bestehende System grundlegend verändern, indem künftig jede Person als potenzielle:r Organ­spender:in gilt, sofern sie nicht ausdrücklich widersprochen hat. Die Debatte wird kontrovers geführt - Befürworter:innen erhoffen sich mehr Spenderorgane, Kritiker:innen sehen einen Eingriff in die Selbst­bestimmung über den eigenen Körper.

Krankenpfleger betreut Patientin im Krankenhausbett, umgeben von medizinischen Geräten in einem Intensivraum.

Die aktuelle Lage der Organ­spende in Deutschland

Die Zahlen für Organ­spenden in Deutschland bleiben seit Jahren auf einem niedrigen Niveau[1]. Dies führt zu einer dramatischen Situation für die betroffenen Patient:innen: Alle acht Stunden stirbt ein Mensch auf der Warteliste, weil kein passendes Spender­organ gefunden wird[12]. Die Diskrepanz zwischen verfügbaren Spender­organen und Menschen, die dringend auf eine Transplan­tation angewiesen sind, bleibt erschreckend groß.

Trotz verschiedener gesetzlicher Maßnahmen in den vergangenen Jahren ist die erhoffte Trendwende bei den Spender­zahlen bisher ausgeblieben[11]. Diese anhaltende Problematik hat dazu geführt, dass nun erneut über eine grund­legende Reform des Organ­spende­systems nachgedacht wird.

Das aktuelle System: Die Ent­scheidungs­lösung

In Deutschland gilt seit 2012 die sogenannte Ent­scheidungs­lösung[10]. Diese beruht auf folgenden Grundsätzen:

  • Eine Organ­entnahme ist nur mit ausdrücklicher Zustimmung der verstorbenen Person zulässig
  • Jede:r Bürger:in soll eine bewusste, informierte Entscheidung zur Organ­spende treffen
  • Die Entscheidung wird über einen Organ­spende­ausweis oder eine Patienten­verfügung dokumentiert
  • Seit März 2024 ist zusätzlich die Eintragung im Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebe­spende möglich[4]

Der Bundestag hatte bereits im Januar 2020 über die Einführung einer Wider­spruchs­lösung debattiert und diese abgelehnt. Stattdessen wurde eine erweiterte Ent­scheidungs­lösung beschlossen[10]. Diese sah unter anderem vor, dass Bürger:innen ihre Entscheidung in einem Online-Register dokumentieren können und dass Hausärzt:innen ihre Patient:innen regelmäßig über die Möglichkeit der Organ­spende informieren.

Der neue Gesetzes­entwurf: Die Wider­spruchs­regelung

Im Dezember 2024 hat der Gesundheits­ausschuss einen fraktions­übergreifenden Gruppen­antrag zur Organ­spende beraten und eine Experten­anhörung beschlossen[2]. Der vorliegende Gesetzes­entwurf (20/13804) zielt auf die Einführung einer Wider­spruchs­regelung ab.

Diese würde bedeuten:

  • Jede Person gilt grundsätzlich als potenzielle:r Organ­spender:in
  • Eine Organ­entnahme wäre zulässig, wenn die Person zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat
  • Der Widerspruch kann im Online-Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebe­spende eingetragen werden
  • Auch ein schriftlicher Widerspruch bleibt möglich
  • Im Gespräch mit Angehörigen kann ein entgegen­stehender Wille geltend gemacht werden[2][4]

Zusätzlich hat der Bundesrat im August 2024 einen eigenen Gesetzes­entwurf (20/12609) mit gleicher Ziel­setzung in den Bundestag eingebracht[2][11]. Die Bundes­regierung hat dazu erklärt, dass es sich um eine ethische Frage handelt, die als Gewissens­entscheidung von den einzelnen Abgeordneten zu beantworten ist[11].

Die kontroverse Debatte: Argumente für und gegen die Wider­spruchs­regelung

Die geplante Reform der Organ­spende sorgt für intensive Diskussionen unter Expert:innen und in der Öffent­lichkeit.

Stimmen für die Wider­spruchs­regelung:

Die Befürworter:innen des Gesetzes­entwurfs verweisen auf die stagnierende Zahl der Organ­spender und den eklatanten Mangel an Spender­organen[4]. Sie argumentieren, dass:

  • mit der Wider­spruchs­regelung mehr Menschen geholfen werden könnte
  • es zur Selbst­verständlichkeit werden würde, sich mit dem Thema Organ­spende ausein­ander­zusetzen
  • das Recht, sich gegen eine Organ­spende zu entscheiden, weiterhin unein­geschränkt bestehen bleibt
  • jeder erklärte Widerspruch verlässlich und jederzeit auffindbar sein muss[4]

Stimmen gegen die Wider­spruchs­regelung:

Die Kritiker:innen hingegen betonen, dass eine Organ­spende ohne Zustimmung der betroffenen Person unver­hältnis­mäßig sei[4]. Sie führen an:

  • Die Medizin-Ethikerin Claudia Wiesemann bezeichnet die Wider­spruchs­regelung als Eingriff in die Selbst­bestimmung über den eigenen Körper
  • Es gibt keine empirischen Belege dafür, dass die Wider­spruchs­regelung tatsächlich zu mehr Organ­spenden führt
  • Das Haupt­problem liegt in der mangelhaften Melde­bereitschaft der Kranken­häuser
  • Schweigen kann nicht als Zustimmung gewertet werden - “Wer etwas wolle, müsse zuerst fragen”[6]

Interessant ist auch ein alter­nativer Ansatz: Eine Studie zeigt, dass mit Hilfe der sozial­psychologischen “Disrupt-Then-Reframe-Technik” möglicherweise höhere Spender­zahlen erreicht werden könnten, ohne die Ent­scheidungs­lösung aufgeben zu müssen[8].

Chronologie der bisherigen Entwicklungen

Um die aktuelle Diskussion besser einordnen zu können, hier ein Überblick über die wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre:

  • April 2019: Das “Zweite Gesetz zur Änderung des Transplan­tations­gesetzes” tritt in Kraft. Es stärkt die Position der Transplan­tations­beauftragten in den Kranken­häusern und verbessert deren Finanzierung[12].

  • Januar 2020: Der Bundestag lehnt die Wider­spruchs­regelung ab und beschließt stattdessen eine erweiterte Ent­scheidungs­lösung[10].

  • März 2024: Das Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebe­spende nimmt seinen Betrieb auf[4][11].

  • August 2024: Der Bundesrat bringt einen eigenen Gesetzes­entwurf zur Wider­spruchs­lösung in den Bundestag ein[11].

  • Dezember 2024: Der Gesundheits­ausschuss berät über den fraktions­übergreifenden Gesetzes­entwurf zur Wider­spruchs­regelung und beschließt eine Experten­anhörung[2].

  • Januar 2025: In einer kontroversen Anhörung äußern sich Expert:innen zu den geplanten Gesetzes­änderungen[4][6].

Was bedeutet das für Sie persönlich?

Unabhängig vom Ausgang der aktuellen Debatte ist es wichtig, dass Sie sich mit dem Thema Organ­spende ausein­ander­setzen und Ihre persönliche Entscheidung dokumentieren.

Im aktuellen System:

  • Ihre ausdrückliche Zustimmung ist für eine Organ­entnahme erforderlich
  • Sie können Ihre Entscheidung in einem Organ­spende­ausweis festhalten
  • Sie können Ihre Entscheidung im Online-Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebe­spende eintragen
  • Sie haben die Möglichkeit, Ihre Entscheidung jederzeit zu ändern

Falls die Wider­spruchs­regelung eingeführt wird:

  • Sie müssten aktiv widersprechen, wenn Sie keine Organ­spende wünschen
  • Der Widerspruch könnte im Online-Register oder schriftlich dokumentiert werden
  • Angehörige könnten weiterhin einen entgegen­stehenden Willen geltend machen
  • Sie hätten weiterhin die Möglichkeit, Ihre Entscheidung jederzeit zu ändern

Praktische Tipps: So treffen Sie eine informierte Entscheidung

Die Entscheidung für oder gegen eine Organ­spende ist höchst persönlich und sollte gut überlegt sein. Diese Schritte können Ihnen dabei helfen:

  1. Informieren Sie sich gründlich bei verlässlichen Quellen wie der Bundes­zentrale für gesund­heitliche Aufklärung (BZgA) oder der Deutschen Stiftung Organ­transplantation (DSO).

  2. Besprechen Sie das Thema mit Ihren Angehörigen, damit diese im Notfall Ihren Willen kennen.

  3. Dokumentieren Sie Ihre Entscheidung - entweder mit einem Organ­spende­ausweis, in einer Patienten­verfügung oder im Online-Register.

  4. Überprüfen Sie Ihre Entscheidung in regelmäßigen Abständen und passen Sie sie an, falls sich Ihre Einstellung ändert.

Persönliches Beispiel: Maria K. (52) hat lange gezögert, sich mit dem Thema Organ­spende zu befassen. Nach einem Gespräch mit ihrer Hausärztin hat sie sich informiert und für sich entschieden, ihre Organe im Todesfall zu spenden. Sie hat ihre Entscheidung im Online-Register eingetragen und auch ihrem Mann und ihren Kindern mitgeteilt. “Es gibt mir ein gutes Gefühl zu wissen, dass ich nach meinem Tod vielleicht noch jemandem helfen kann”, sagt sie.

Abschluss: Die Bedeutung Ihrer persönlichen Entscheidung

Die Debatte um die Organ­spende­regelung in Deutschland zeigt, wie viel­schichtig dieses Thema ist. Während die einen in der Wider­spruchs­regelung eine Chance sehen, mehr Leben zu retten, sehen andere darin einen Eingriff in die persönliche Selbst­bestimmung.

Unabhängig davon, welche Regelung letztendlich verabschiedet wird - das Wichtigste ist, dass Sie selbst eine bewusste Entscheidung treffen und diese dokumentieren. Damit helfen Sie nicht nur den Menschen auf den Warte­listen, sondern entlasten auch Ihre Angehörigen, die sonst im Ernstfall für Sie entscheiden müssten.

Die nächsten Monate werden zeigen, ob der neue Anlauf zur Einführung der Wider­spruchs­regelung erfolg­reich sein wird. Bleiben Sie informiert und überprüfen Sie Ihre eigene Entscheidung, sobald ein neues Gesetz in Kraft tritt.