Die Organspende-Debatte zur Widerspruchslösung: Was Sie jetzt wissen müssen

Patientenverfügung.digital

erstellt am:

2020-02-10

letzte Änderung:

2023-01-09

Am 16.01.2020 lehnte der Bundestag den Gesetzesentwurf der doppelten Widerspruchslösung ab – stattdessen gilt nun die erweiterte Zustimmungslösung. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Was bedeutet das neue Gesetz für uns Bürger? Das und mehr beantworten wir Ihnen in diesem Artikel.

Organspende Widerspruchslösung

Worum geht's bei der doppelten Widerspruchslösung?

Die doppelte Widerspruchslösung war ein Gesetzesentwurf des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU). Das Ziel: Jeder Bürger in Deutschland sollte automatisch als Organspender registriert werden – es sei denn, man entspricht der Entnahme von Organen und Geweben zu Lebzeiten.

Konkret bedeutet das: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hätte jeden Bürger ab 16 Jahren insgesamt drei mal bezüglich der Organspende angeschrieben. Wenn danach kein Widerspruch erfolgt, wäre die Person automatisch als potenzieller Spender eingetragen worden. Alle Entscheidungen wären außerdem in einem bundesweiten Register erfasst, auf das Ärzte Zugriff hätten.

Warum Widerspruchslösung?

Der Hintergrund für das Gesetz liegt in den niedrigen Organspendezahlen in Deutschland (11,5 Spender pro eine Million Einwohner). Tatsächlich gibt es in vielen europäischen Ländern deutlich mehr Organspender als in Deutschland: In Slowenien sind es mit 18,9 mehr als doppelt so viel; in Österreich liegt die Zahl bei 23,5; in Belgien bei 30,7 und bei Spitzenreiter Spanien sind es sogar 46,9 Spender pro eine Million Einwohner. Was auffällt: Länder mit Widerspruchslösung (wie zum Beispiel Spanien) haben im Durchschnitt deutlich höhere Spenderzahlen.

Übrigens: Mehr als 10.000 Menschen in Deutschland warten zur Zeit auf eine Spende. Jedes Jahr sterben mehr als 1000 Menschen, weil sie keine Organspende bekommen.

Was spricht gegen die Widerspruchslösung?

Am 16.01.2020 lehnte der Bundestag den Gesetzentwurf nach einer emotionalen Debatte ab. Hilde Mattheis (SPD) sieht den Gesetzesentwurf zum Beispiel nicht als Lösung der niedrigen Spenderzahlen. Sie vertritt die Meinung, dass die Organspende aus eigenem Antrieb und Nächstenliebe geschehen sollte – und nicht aus einer automatischen Registrierung.

Andere Politiker vertreten außerdem die Meinung, dass der Vergleich zu anderen europäischen Ländern mit doppelter Widerspruchslösung hinkt: Die Gesellschaft und Kulturen anderer Länder seien zu verschieden, um daraus auf Deutschland zu schließen.

Obendrauf könnte eine Widerspruchslösung auch die Beziehung zwischen Bürger und Staat belasten. Vielleicht solle man eher die Informationsaufklärung über die Organspende verbessern, statt Bürger durch eine automatische Registrierung zu einer Entscheidung zu "zwingen"?

Tipp: Lesen Sie hier die häufigsten Irrtümer über die Organspende.

Es ist eine Grundsatzfrage

Bei der Debatte zur Organspende geht es letzten Endes nicht nur um das Spenden von Organen. Es geht um Ethik, Würde, Selbstbestimmung und die Definition des Todesbegriffs.

  • Darf das Gesetz über den menschlichen Körper hinweg entscheiden?
  • Darf der Staat Entscheidungen über den Mensch treffen?
  • Wie ist die doppelte Widerspruchslösung mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar?
  • Wie ist die doppelte Widerspruchslösung mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit vereinbar?

Diese und weitere Fragen spielen eine wichtige Rolle. Was man außerdem bedenken muss: Was passiert mit Menschen, die nicht ausreichend informiert sind, mehr Zeit zum Entscheiden brauchen – und sterben, bevor sie sich entscheiden konnten? Die doppelte Widerspruchslösung würde das Schweigen als Zustimmung werten.

Die erweiterte Zustimmungslösung

Statt der doppelten Widerspruchslösung entschied sich der Bundestag für die "erweiterte Zustimmungslösung". Diese Lösung ergänzt die bisherige Gesetzeslage und setzt auf ein verstärktes Informieren der Bürger.

Was sind die Ergänzungen? Beim Beantragen oder Verlängern eines Organspendeausweises gibt es Informationsmaterial. Außerdem können sich Bürger in ein neues Register für Organspender eintragen lassen – was den Organspendeausweis theoretisch überflüssig macht. Ärzte müssen dann nicht mehr nach einem Organspendeausweis suchen, sondern können direkt online nachschauen. Zudem sollen Hausärzte in die Aufklärung mit einbezogen werden. Und der Erste-Hilfe-Kurs zur Führerscheinprüfung soll ebenfalls Informationen zur Organspende beinhalten. Die Umsetzung der Ergänzungen ist bis 2022 geplant.

Neue Rekordzahlen

Einen positiven Effekt hatte die Organspende-Debatte im Bundestag auf jeden Fall: Im Januar bestellten 740.000 Deutsche einen Organspendeausweis. Das sind doppelt so viele wie bisherigen Durchschnitt, der bei 330.00 Bestellungen pro Monat liegt. Auch die Informationsseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verzeichnete einen starken Anstieg: Die Aufrufe der Webseite stiegen von 30.000 Aufrufen pro Monat auf fast 180.000 Aufrufe im Januar.

Fazit

Organspende ist und bleibt ein strittiges Thema. Jeder Mensch hat hier eigene Ansichten – und sollte danach handeln. Wichtig ist, dass Sie sich mit dem Thema beschäftigen, sich ausreichend Zeit nehmen und eine Entscheidung treffen, die mit Ihren Grundsätzen vereinbar ist. Der neue Gesetzesvorschlag hat sich am Ende nicht durchsetzen können, aber eine gesellschaftliche Diskussion angeregt – und dazu geführt, dass sich mehr und mehr Menschen mit einer möglichen Organspende beschäftigen.

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