Patientenverfügungen und Zwangsmaßnahmen: Neues Urteil stärkt Grundrechte

Zusammenfassung

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass eine individuell formulierte und wirksame Patientenverfügung Zwangsbehandlungen, wie die Gabe von Psychopharmaka, auch im Maßregelvollzug ausschließen kann - sofern keine konkrete Fremdgefährdung vorliegt. Voraussetzung ist, dass die Verfügung von einer einsichtsfähigen Person erstellt wurde und die jeweilige Situation klar abdeckt. Eine generische oder unzureichende Patientenverfügung bietet hingegen keinen umfassenden Schutz vor Zwangsmaßnahmen.

Kernaussage: Das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass Patientenverfügungen Zwangsbehandlungen bei psychisch Kranken verbieten können - vorausgesetzt, sie sind individuell formuliert und von einer einwilligungsfähigen Person erstellt. Ausnahmen gelten nur bei konkreter Fremdgefährdung.

Person in Anzug unterzeichnet ein Dokument auf einem Schreibtisch mit Stift und Büchern im Hintergrund.

Was das Urteil bedeutet

Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem wegweisenden Beschluss klargestellt:
Betroffene im Maßregelvollzug dürfen durch eine wirksame Patientenverfügung die Gabe von Psychopharmaka verweigern. Dies gilt sogar dann, wenn eine Zwangsbehandlung der Gesundheit des Betroffenen dienen würde[2][4][6]. Das Gericht betont damit das Recht auf „Freiheit zur Krankheit“ - Betroffene dürfen ein Leben in Krankheit wählen, solange sie niemanden gefährden[4][6].

Ausnahme: Eine Zwangsbehandlung bleibt möglich, wenn Dritte geschützt werden müssen - etwa das Personal einer Einrichtung oder Mitpatient:innen. In solchen Fällen überwiegt der staatliche Schutzpflicht[4][10].

Praktische Beispiele aus der Rechtsprechung

Der Fall aus Bayern

Ein Mann mit paranoider Schizophrenie wurde im Maßregelvollzug untergebracht. Er verweigerte Neuroleptika und verfasste eine individuelle Patientenverfügung, die dies klar ausschloss. Das Landgericht genehmigte die Zwangsbehandlung dennoch, da es den Schutz der Gesundheit des Mannes über die Selbstbestimmung stellte. Das Bundesverfassungsgericht wies dies zurück:

  • Begründung: Bei einer wirksamen Patientenverfügung dürfen Ärzt:innen eine Behandlung nicht allein zum Schutz des Betroffenen erzwingen[4][6].
  • Folge: Die Entscheidung wurde zurückverwiesen. Nun muss geprüft werden, ob die Verfügung konkret auf die Situation abstimmte und ob der Mann bei ihrer Erstellung einsichtsfähig war[11].

Der Fall aus Niedersachsen

Ein Mann mit psychischer Erkrankung nutzte eine vorgefertigte Vorlage für seine Patientenverfügung, um Zwangsmaßnahmen auszuschließen. Das Landgericht Osnabrück wies den Einspruch ab:

  • Argumentation: Die Allgemeinheitsschutzpflicht überwiegt, wenn eine individuelle, persönliche Willensäußerung fehlt.
  • Kritik: Die Vorlage war zu generisch und enthielt keine konkreten Formulierungen zur aktuellen Situation.

Handlungsempfehlungen für Betroffene und Angehörige

1. Individuelle Patientenverfügung erstellen

Warum? Vorlagen oder Muster sind unzureichend. Ein maßgeschneidertes Dokument erhöht die Wirksamkeit:

  • Beispiel: Statt „Jede Zwangsbehandlung verbieten“, besser: „Ich lehne die Verabreichung von Neuroleptika bei einer akuten Schizophrenie-Episode ab, selbst wenn dies zu hirnorganischen Schäden führen könnte.“
  • Tipp: Nutze Hilfestellungen wie Vorlagen mit Anpassungsoptionen oder konsultiere eine:r Jurist:in.

2. Einsichtsfähigkeit dokumentieren

Wichtig: Das Gericht prüft, ob die Verfügung im Zustand der Urteilsfähigkeit erstellt wurde.

  • Empfehlung: Lasse die Erstellung durch einen:r Facharzt:in oder Notar:in beglaubigen - dies stärkt die Beweiskraft[10].

3. Aktualisieren bei Veränderungen

Praxis-Tipp: Ändert sich der Gesundheitszustand (z. B. nach einer Therapie oder neuen Diagnosen), sollte die Verfügung regelmäßig überprüft werden.

Rechtliche Rahmenbedingungen

§ 1827 BGB: Die gesetzliche Basis

Die Patientenverfügung ist in § 1827 BGB verankert. Sie ermöglicht es, Behandlungswünsche für den Fall der Entscheidungsunfähigkeit festzulegen.

Ausnahmen im Maßregelvollzug

Gemäß § 11 II StrUG NRW (zitiert in[10]) dürfen Zwangsmaßnahmen nur erfolgen, wenn:

  1. Konkrete Fremdgefährdung vorliegt.
  2. Keine milderen Mittel verfügbar sind (z. B. Isolation oder Betreuung durch Fachpersonal).
  3. Die Patientenverfügung die Situation nicht erfasst.

Fazit: Selbstbestimmung vs. Schutzpflicht

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeigt einen delikaten Balanceakt:

  • Einerseits wird die Autonomie des Einzelnen gestärkt - gerade bei existenziellen Entscheidungen wie der Ablehnung von Medikamenten[4][6].
  • Andererseits unterstreicht es, dass gesellschaftliche Sicherheit Priorität haben kann, wenn Dritte gefährdet sind[10].

Für Betroffene und Angehörige bedeutet dies: Eine sorgfältig formulierte Patientenverfügung ist entscheidend, um Rechte durchzusetzen - aber sie bietet keine absolute Garantie, wenn Dritte betroffen sind.