Lebenserhaltende Maschinen abstellen: Rechtsgrundlagen und praktischer Ablauf
Zusammenfassung
Der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen in Deutschland richtet sich strikt nach dem Willen der Patient:innen, der durch eine Patientenverfügung, mündliche Äußerungen oder den mutmaßlichen Willen ermittelt wird. Rechtlich bildet § 1827 BGB die Grundlage, während Bevollmächtigte oder Betreuer:innen in Abstimmung mit Ärzt:innen und gegebenenfalls dem Betreuungsgericht entscheiden. Eine frühzeitige Vorsorge durch klare Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten erleichtert diesen Prozess erheblich.
- Der Patientenwille als zentrales Entscheidungskriterium
- Rechtliche Grundlagen für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen
- Welche Maßnahmen sind betroffen?
- Die Rolle von Betreuer:innen und Bevollmächtigten
- Praktischer Ablauf beim Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen
- Konflikte zwischen Angehörigen
- Praktische Hinweise für Angehörige
- Vorsorge treffen: Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht
- Fazit
Die Entscheidung, lebenserhaltende Maßnahmen zu beenden, zählt zu den schwersten Momenten im Leben von Angehörigen und Betreuenden. Sie berührt existenzielle Fragen und erfordert sowohl rechtliches Wissen als auch ethisches Feingefühl. Dieser Artikel erläutert, unter welchen Bedingungen lebenserhaltende Maßnahmen beendet werden können, welche rechtlichen Voraussetzungen bestehen und wie der praktische Ablauf gestaltet ist.

Der Patientenwille als zentrales Entscheidungskriterium
Bei der Frage nach dem Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen steht der Wille des Patienten oder der Patientin immer an erster Stelle. Dies wurde durch mehrere Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) festgelegt[1][3]. Der Patientenwille kann auf verschiedene Weise ermittelt werden:
Ausdrücklicher Patientenwille durch Patientenverfügung
Eine schriftliche Patientenverfügung bietet die klarste Form der Willensäußerung. Seit 2009 ist sie gesetzlich in § 1827 BGB verankert[1]. Damit eine Patientenverfügung für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen rechtsverbindlich ist, muss sie:
- Konkrete Behandlungsentscheidungen enthalten
- Spezifische medizinische Situationen beschreiben
- Von einer einwilligungsfähigen Person verfasst sein[6]
Ein wichtiger Hinweis: Die bloße Formulierung “keine lebenserhaltenden Maßnahmen” gilt als zu unkonkret. Der BGH hat in seinem Beschluss vom 6. Juli 2016 (XII ZB 61/16) festgestellt, dass genauere Angaben erforderlich sind[6][7].
Mündlich geäußerter Wille
Auch mündliche Äußerungen können berücksichtigt werden. Im Fall einer 1940 geborenen Frau im Wachkoma hatte diese mehrfach gegenüber Familienangehörigen und Bekannten erklärt, “nicht so am Leben erhalten werden” zu wollen - diese Aussagen wurden als relevante Willensbekundung anerkannt[2].
Mutmaßlicher Wille
Liegt keine eindeutige Willensäußerung vor, muss der mutmaßliche Wille individuell ermittelt werden. Dies geschieht anhand von:
- Früheren Wertvorstellungen
- Lebensentscheidungen
- Religiösen Überzeugungen
- Äußerungen gegenüber Angehörigen und Freund:innen[3]
Rechtliche Grundlagen für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen
Die rechtlichen Rahmenbedingungen haben sich durch mehrere wegweisende Entscheidungen des BGH entwickelt:
Entscheidende Urteile und Beschlüsse
-
BGH-Beschluss vom 17. März 2003 (XII ZB 2/03):
Der BGH stellte fest, dass lebenserhaltende Maßnahmen unterbleiben müssen, wenn dies dem zuvor geäußerten Willen entspricht. Dies folgt aus der Würde des Menschen und seinem Selbstbestimmungsrecht[3]. -
BGH-Beschluss vom 17. September 2014 (XII ZB 202/13):
In diesem Fall ging es um eine Patientin im Wachkoma nach einer Gehirnblutung. Der BGH bestätigte, dass der vorher geäußerte Wille gegen lebenserhaltende Maßnahmen zu respektieren ist[1]. -
BGH-Beschluss vom 6. Juli 2016 (XII ZB 61/16):
Hier wurden die Anforderungen an Patientenverfügungen präzisiert. Sie müssen konkrete Behandlungsentscheidungen enthalten[6][7]. -
BGH-Urteil vom 25. Juni 2006 (2 StR 454/09):
Dieses Urteil stellte klar, dass der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen nicht strafbar ist, wenn er dem Patientenwillen entspricht[9].
Welche Maßnahmen sind betroffen?
Als lebenserhaltende Maßnahmen gelten alle medizinischen Eingriffe, die das Leben eines Menschen verlängern können. Dazu zählen insbesondere:
- Künstliche Ernährung über eine PEG-Sonde (Bauchsonde)
- Künstliche Beatmung
- Reanimation
- Operationen
- Infusionen zur Flüssigkeitszufuhr
- Medikamentöse Therapien bei lebensbedrohlichen Zuständen[5]
Die Rolle von Betreuer:innen und Bevollmächtigten
Wenn Patient:innen nicht mehr einwilligungsfähig sind, kommen Betreuer:innen oder Bevollmächtigte ins Spiel:
Betreuer:innen
- Müssen dem Patientenwillen “Ausdruck und Geltung verschaffen”
- Dürfen eine Einwilligung in lebenserhaltende Maßnahmen nur mit Zustimmung des Betreuungsgerichts verweigern
- Handeln nach Maßgabe des § 1901 BGB[3]
Bevollmächtigte
Für Bevollmächtigte gilt: Die Vollmacht muss ausdrücklich die Befugnis umfassen, über lebenserhaltende Maßnahmen zu entscheiden. Der BGH fordert, dass die Vollmacht “hinreichend klar umschreibt”, dass sich die Entscheidungskompetenz auf ärztliche Maßnahmen bezieht, bei denen die Gefahr besteht, dass der Patient stirbt oder schwere gesundheitliche Schäden erleidet[6][7].
Praktischer Ablauf beim Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen
Der tatsächliche Prozess beim Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen folgt in der Regel diesen Schritten:
1. Feststellung der medizinischen Situation
Zunächst wird die medizinische Situation umfassend beurteilt. Wichtige Fragen sind:
- Ist der Zustand irreversibel?
- Besteht eine Aussicht auf Besserung?
- Handelt es sich um einen tödlichen Krankheitsverlauf?[3]
2. Ermittlung des Patientenwillens
Die behandelnden Ärzt:innen müssen gemeinsam mit den Angehörigen oder rechtlichen Vertreter:innen den Patientenwillen ermitteln:
- Liegt eine Patientenverfügung vor?
- Gibt es dokumentierte mündliche Äußerungen?
- Wenn nein: Ermittlung des mutmaßlichen Willens[1][5]
3. Entscheidungsfindung
Bei der Entscheidung über den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen sollten im Idealfall alle Beteiligten einbezogen werden:
- Behandelnde Ärzt:innen
- Pflegefachkräfte
- Angehörige
- Rechtliche Vertreter:innen
- Bei Bedarf: Seelsorger:innen oder Ethikkomitee[5]
4. Betreuungsgerichtliche Genehmigung
In bestimmten Fällen ist eine betreuungsgerichtliche Genehmigung notwendig:
- Wenn zwischen Arzt/Ärztin und Betreuer:in/Bevollmächtigtem Uneinigkeit besteht
- Wenn der Betreuer die Einwilligung in lebenserhaltende Maßnahmen verweigert[3]
5. Durchführung des Abbruchs
Der eigentliche Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen erfolgt durch:
- Abschalten von Geräten (z.B. Beatmungsgerät)
- Entfernen von Sonden
- Einstellung medikamentöser Therapien
Wichtig: Auch nach dem Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen muss eine würdevolle palliative Versorgung gewährleistet sein. Dazu gehören Schmerzlinderung, Mundpflege und menschliche Zuwendung[5].
Konflikte zwischen Angehörigen
Nicht selten bestehen unterschiedliche Ansichten unter Angehörigen. In einem vom BGH entschiedenen Fall wollte der Sohn gemäß der Patientenverfügung die künstliche Ernährung einstellen, während der Ehemann dies ablehnte[2].
In solchen Konfliktsituationen gilt:
- Das Betreuungsgericht kann eingeschaltet werden
- Der dokumentierte Patientenwille hat Vorrang vor persönlichen Wünschen der Angehörigen
- Im Zweifelsfall sollte eine unabhängige Mediation angestrebt werden
Praktische Hinweise für Angehörige
Wenn Sie als Angehörige oder Angehöriger in eine solche Situation kommen, beachten Sie:
- Suchen Sie das Gespräch mit den behandelnden Ärzt:innen
- Dokumentieren Sie alle relevanten Gespräche und Entscheidungen
- Nehmen Sie sich Zeit für die Entscheidungsfindung, sofern die Situation es erlaubt
- Holen Sie sich Unterstützung durch psychosoziale Beratungsstellen
- Ziehen Sie bei Unsicherheiten rechtlichen Rat hinzu
Vorsorge treffen: Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht
Um in kritischen Situationen Klarheit zu schaffen, empfiehlt sich die frühzeitige Erstellung einer Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Dabei sollten Sie:
- Konkrete Behandlungssituationen beschreiben
- Spezifische medizinische Maßnahmen benennen
- Ihre Wertvorstellungen darlegen
- Eine Vertrauensperson bevollmächtigen
- Die Dokumente regelmäßig aktualisieren[6][7]
Eine beratende Unterstützung durch medizinisches und juristisches Fachpersonal kann bei der Erstellung hilfreich sein.
Fazit
Die Entscheidung über den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen gehört zu den schwersten, die Menschen treffen müssen. Das deutsche Recht stellt den Patientenwillen in den Mittelpunkt und bietet gleichzeitig einen Rahmen, der Missbrauch verhindern soll.
Je besser Sie sich mit dem Thema vertraut machen und je früher Sie selbst Vorsorge treffen, desto mehr Sicherheit geben Sie sich und Ihren Angehörigen für schwierige Entscheidungen. Dies entlastet alle Beteiligten und stellt sicher, dass Ihr Wille auch dann respektiert wird, wenn Sie ihn nicht mehr selbst äußern können.