Wann ist eine Patientenverfügung wirksam und wann nicht?
Zusammenfassung
Eine Patientenverfügung ist nur dann wirksam, wenn sie konkret formuliert ist und spezifische medizinische Maßnahmen für klar definierte Situationen benennt. Allgemeine Aussagen wie “keine lebensverlängernden Maßnahmen” reichen nicht aus und können zur Unwirksamkeit führen. Um rechtliche Gültigkeit zu gewährleisten, sollten Sie Ihre Patientenverfügung individuell anpassen, regelmäßig aktualisieren und bei Unsicherheiten ärztlichen Rat einholen.
Nach den Urteilen des Bundesgerichtshofs (BGH) aus den Jahren 2016 und 2017 sind viele Patientenverfügungen in Deutschland unwirksam. Der Grund: Sie sind nicht konkret genug formuliert. Was bedeutet das für Sie, und wie können Sie sicherstellen, dass Ihre Patientenverfügung im Ernstfall gilt? Dieser Artikel gibt Ihnen klare Antworten.

Die BGH-Urteile und ihre weitreichenden Folgen
Im Juli 2016 fällte der Bundesgerichtshof ein richtungsweisendes Urteil (Az XII ZB 61/16): Eine Patientenverfügung mit der allgemeinen Formulierung “Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen” wurde für unwirksam erklärt[10]. Die Begründung: Diese Formulierung ist zu ungenau und lässt zu viel Interpretationsspielraum für das medizinische Personal.
Ein weiteres Urteil im Februar 2017 (XII ZB 604/15) betraf eine Patientin im Wachkoma, die jahrelang künstlich ernährt wurde. Ihre Patientenverfügung enthielt widersprüchliche Aussagen: Einerseits lehnte sie lebensverlängernde Maßnahmen ab, andererseits auch aktive Sterbehilfe. Diese Unklarheit führte dazu, dass die Patientenverfügung nicht angewendet werden konnte.
Was bedeuten diese Urteile für Sie?
Die Konsequenz ist eindeutig: Nur konkret formulierte Patientenverfügungen sind rechtlich wirksam. Millionen Menschen in Deutschland haben Patientenverfügungen, die nach diesen Maßstäben unwirksam sein könnten[10].
Folgende Formulierungen sind zu ungenau und machen Ihre Patientenverfügung unwirksam:
- “Lebensverlängernde Maßnahmen unterlassen”
- “Ein würdevolles Sterben ermöglichen”
- “Wenn keine Aussicht auf ein sinnvolles Leben besteht”[10]
Was macht eine Patientenverfügung rechtlich gültig?
Eine rechtsgültige Patientenverfügung muss laut § 1827 BGB folgende Kriterien erfüllen:
- Schriftform: Die Patientenverfügung muss schriftlich verfasst sein[2].
- Einwilligungsfähigkeit: Sie müssen bei der Erstellung einwilligungsfähig gewesen sein[2].
- Konkrete Festlegungen: Spezifische medizinische Maßnahmen müssen für bestimmte Situationen genannt werden[2][10].
- Freiwillig erstellt: Die Erstellung muss ohne äußeren Druck erfolgt sein[3].
- Nicht widerrufen: Die Patientenverfügung darf nicht widerrufen worden sein[2][3].
Wichtig zu wissen: Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden[2]. Ein mündlicher Widerruf genügt.
Warum ist Konkretheit so entscheidend?
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie liegen bewusstlos auf der Intensivstation. Die Ärzt:innen stehen vor schwierigen Behandlungsentscheidungen. Wenn Ihre Patientenverfügung nur allgemein formuliert ist, können die medizinischen Fachkräfte nicht erkennen, was Sie in dieser speziellen Situation gewollt hätten.
Beispiel für eine zu vage Formulierung:
“Ich möchte keine lebensverlängernden Maßnahmen.”
Das Problem hierbei: Was genau bedeutet das? Meinen Sie damit:
- Keine Wiederbelebung bei Herzstillstand?
- Keine künstliche Beatmung bei Lungenversagen?
- Keine Ernährung über eine Magensonde?
- Keine Antibiotika bei einer Lungenentzündung?
Die behandelnden Ärzt:innen können Ihren Willen nicht erkennen und werden im Zweifel für das Leben entscheiden[10].
So erstellen Sie eine wirksame Patientenverfügung
1. Konkrete medizinische Maßnahmen benennen
Benennen Sie ausdrücklich, welche Maßnahmen Sie ablehnen oder wünschen:
- Wiederbelebung (Reanimation)
- Künstliche Beatmung
- Künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr
- Dialyse (Blutwäsche)
- Antibiotikatherapie
- Bluttransfusion
- Schmerz- und Symptombehandlung
2. Konkrete Behandlungssituationen definieren
Beschreiben Sie genau, in welchen Situationen Ihre Festlegungen gelten sollen:
- Bei unheilbarer, tödlich verlaufender Krankheit
- Bei dauerhafter Bewusstlosigkeit (z.B. Wachkoma)
- Bei fortgeschrittenem Hirnabbauprozess (z.B. Demenz)
- Im unmittelbaren Sterbeprozess
- Nach einem schweren Unfall mit schwerwiegenden Dauerschäden
3. Persönliche Wertvorstellungen dokumentieren
Ergänzen Sie Ihre konkreten Anweisungen mit Aussagen zu Ihren Wertvorstellungen. Diese helfen bei der Interpretation Ihres Willens, wenn eine Situation eintritt, die in der Patientenverfügung nicht explizit beschrieben ist[2].
4. Ärztliche Beratung in Anspruch nehmen
Eine medizinische Beratung ist nicht gesetzlich vorgeschrieben, aber sehr empfehlenswert[10]. Eine ärztliche Fachperson kann Ihnen helfen:
- Medizinische Begriffe richtig zu verstehen und zu verwenden
- Die Folgen bestimmter Entscheidungen zu verstehen
- Ihre Patientenverfügung medizinisch präzise zu formulieren
5. Regelmäßige Aktualisierung
Überprüfen Sie Ihre Patientenverfügung regelmäßig und bestätigen Sie mit aktuellem Datum und Unterschrift, dass sie weiterhin Ihrem Willen entspricht. Dies ist besonders wichtig bei:
- Änderungen in Ihrer gesundheitlichen Situation
- Neuen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten
- Änderungen Ihrer persönlichen Einstellung[6]
Checkliste: Was gehört in eine wirksame Patientenverfügung?
- [ ] Persönliche Daten (Name, Geburtsdatum, Anschrift)
- [ ] Einleitung mit Bestätigung der Einwilligungsfähigkeit
- [ ] Konkrete Behandlungssituationen (wann?)
- [ ] Konkrete medizinische Maßnahmen (was genau?)
- [ ] Aussagen zur Schmerz- und Symptombehandlung
- [ ] Ggf. Aussagen zur Organspende
- [ ] Persönliche Wertvorstellungen und Überzeugungen
- [ ] Benennung einer Vertrauensperson/Bevollmächtigten
- [ ] Datum und Unterschrift
- [ ] Ggf. Bestätigung der Einwilligungsfähigkeit durch ärztliche Fachperson
Die Vorsorgevollmacht als sinnvolle Ergänzung
Eine Patientenverfügung allein reicht oft nicht aus. Ergänzen Sie diese durch eine Vorsorgevollmacht, in der Sie eine Person Ihres Vertrauens bevollmächtigen, Ihren Willen durchzusetzen[9].
Bitte beachten: Nach den aktuellen BGH-Urteilen muss auch in der Vorsorgevollmacht konkret benannt werden, zu welchen medizinischen Entscheidungen die bevollmächtigte Person berechtigt ist.
Die häufigsten Fehler und wie Sie diese vermeiden
1. Verwendung vorgefertigter Formularvorlagen
Formulare zum Ankreuzen oder Standardformulierungen genügen oft nicht den Anforderungen an die Konkretheit. Passen Sie Vorlagen unbedingt individuell an.
2. Widersprüchliche Aussagen
Vermeiden Sie widersprüchliche Festlegungen wie “Ich lehne lebensverlängernde Maßnahmen ab” und gleichzeitig “Ich bin Organspender”.
3. Medizinische Fachbegriffe ohne echtes Verständnis
Verwenden Sie nur medizinische Begriffe, deren Bedeutung und Konsequenzen Sie wirklich verstehen.
Warum ist eine Patientenverfügung so wichtig?
Für Sie selbst: Selbstbestimmung bewahren
Mit einer Patientenverfügung stellen Sie sicher, dass Ihre Wünsche respektiert werden, auch wenn Sie sich nicht mehr äußern können[5]. Sie behalten die Kontrolle über medizinische Entscheidungen bis zum Lebensende.
Für Ihre Angehörigen: Entlastung in schweren Zeiten
Eine klare, rechtlich wirksame Patientenverfügung nimmt Ihren Angehörigen schwere Entscheidungen ab[5]. Sie müssen nicht raten, was Sie gewollt hätten, und werden von emotionalem Druck entlastet.
Für medizinisches Personal: Handlungssicherheit schaffen
Ärzt:innen und Pflegefachkräfte erhalten durch Ihre konkrete Patientenverfügung klare Handlungsanweisungen[3]. Dies schafft Rechtssicherheit für alle Beteiligten.
Handeln Sie jetzt
Eine wirksame Patientenverfügung ist ein wesentliches Instrument, um Ihr Selbstbestimmungsrecht auch dann zu wahren, wenn Sie selbst nicht mehr entscheidungsfähig sind. Nach den BGH-Urteilen sind die Anforderungen an eine wirksame Patientenverfügung hoch, aber mit guter Vorbereitung erfüllbar.
Nehmen Sie sich die Zeit, Ihre bestehende Patientenverfügung zu überprüfen oder eine neue zu erstellen, die den aktuellen rechtlichen Anforderungen entspricht. Denken Sie daran: Niemand kann vorhersehen, wann ein Unfall oder eine schwere Erkrankung eintreten könnte[5].
Ihr klar dokumentierter Wille gibt Ihnen, Ihren Angehörigen und dem medizinischen Personal Sicherheit in schwierigen Zeiten.