Erbe ausschlagen: Wie Sie sich vor unliebsamen Überraschungen schützen
Zusammenfassung
Die Ausschlagung eines Erbes ist eine wichtige Möglichkeit, sich vor finanziellen Risiken wie überschuldeten Nachlässen zu schützen. Sie muss innerhalb von sechs Wochen nach Kenntnis des Erbfalls formal beim Nachlassgericht erklärt werden und ist in der Regel unwiderruflich. Eine gründliche Prüfung des Nachlasses sowie rechtliche Beratung sind essenziell, um fundierte Entscheidungen zu treffen und unerwünschte Konsequenzen zu vermeiden.
- Warum Sie ein Erbe ausschlagen könnten
- Rechtliche Grundlagen der Erbausschlagung
- Praktische Vorgehensweise bei der Erbausschlagung
- Folgen einer Erbausschlagung
- Alternativen zur kompletten Erbausschlagung
- Häufige Fehler und Missverständnisse
- Praktische Tipps für Betroffene
- Rechtliche Besonderheiten in Deutschland
Die Ausschlagung eines Erbes ist eine folgenschwere Entscheidung mit weitreichenden rechtlichen Konsequenzen. Innerhalb einer sechswöchigen Frist müssen Sie entscheiden, ob Sie ein Erbe annehmen oder ausschlagen möchten. Falls Sie nicht rechtzeitig handeln, gilt das Erbe automatisch als angenommen - mit allen Rechten und Pflichten. Besonders bei überschuldeten Nachlässen kann dies zur finanziellen Belastung werden. Diese Ausschlagung muss förmlich beim Nachlassgericht erklärt werden und ist in der Regel unwiderruflich. Kennen Sie daher die wichtigsten Grundlagen, um wohlüberlegt zu handeln und spätere Reue zu vermeiden.

Warum Sie ein Erbe ausschlagen könnten
Die Entscheidung, ein Erbe nicht anzunehmen, kann verschiedene Gründe haben. In den meisten Fällen geht es um finanzielle Risiken, die mit dem Nachlass verbunden sind.
Überschuldeter Nachlass
Ein wesentlicher Grund für die Ausschlagung eines Erbes ist ein überschuldeter Nachlass. Als Erb:in übernehmen Sie nicht nur das Vermögen, sondern auch alle Schulden des Verstorbenen. Falls die Verbindlichkeiten die Vermögenswerte übersteigen, müssten Sie für die Schulden mit Ihrem Privatvermögen aufkommen. Diese Haftung kann zu erheblichen finanziellen Belastungen führen.
Versteckte Kosten und unerwartete Verpflichtungen
Auch wenn der Nachlass auf den ersten Blick wertvoll erscheint, können versteckte Kosten lauern:
Teure Sanierungsauflagen für geerbte Immobilien können die finanziellen Vorteile schnell zunichte machen. Manche Häuser benötigen kostspielige Renovierungen oder erfüllen nicht die aktuellen Energiestandards.
Laufende Kosten für schwer verkäufliche Objekte können sich ebenfalls summieren. Eine Immobilie in einer strukturschwachen Region verursacht beispielsweise Grundsteuern und Instandhaltungskosten, lässt sich aber kaum gewinnbringend veräußern.
Bei möglichen Rechtsstreitigkeiten drohen unkalkulierbare Folgekosten. Dazu zählen Prozesskosten oder Schadensersatzzahlungen, die erst nach der Erbannahme bekannt werden.
Pflichtteilsanspruch sichern
In manchen Fällen kann die Ausschlagung einer Erbschaft auch dann sinnvoll sein, wenn Sie als gesetzliche:r Erb:in nur mit Einschränkungen bedacht wurden. Dies gilt etwa, wenn Sie nur als Vorerb:in oder Nacherb:in eingesetzt sind oder wenn die Erbschaft mit einem Vermächtnis belastet ist. Durch die Ausschlagung können Sie stattdessen Ihren Pflichtteilsanspruch geltend machen.
Rechtliche Grundlagen der Erbausschlagung
Das deutsche Erbrecht folgt dem Prinzip des automatischen Erwerbs: Mit dem Tod einer Person geht deren Vermögen ohne weiteres Zutun auf die Erb:innen über. Die Ausschlagung bietet die Möglichkeit, diesen automatischen Übergang rückgängig zu machen.
Die entscheidende Frist
Nach deutschem Recht beträgt die Frist für die Ausschlagung eines Erbes sechs Wochen[1]. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem Sie Kenntnis vom Erbfall und Ihrer Erbstellung erlangt haben. Für Erb:innen mit Wohnsitz im Ausland verlängert sich die Frist auf sechs Monate.
Wichtig: Wenn Sie innerhalb dieser Frist keine Ausschlagungserklärung abgeben, gilt die Erbschaft automatisch als angenommen. Diese gesetzliche Regelung kann besonders bei überschuldeten Nachlässen problematisch sein.
Formvorschriften beachten
Die Ausschlagung eines Erbes ist an strenge Formvorschriften gebunden. Gemäß § 1945 BGB muss die Ausschlagung entweder:
- persönlich zur Niederschrift beim Nachlassgericht erklärt werden, oder
- in öffentlich beglaubigter Form eingereicht werden (meist durch notarielle Beglaubigung)[1]
Eine formlose Erklärung per Brief, E-Mail oder Telefonat ist nicht wirksam und hat keine rechtlichen Auswirkungen. Das zuständige Nachlassgericht befindet sich in der Regel am letzten Wohnsitz des Verstorbenen.
Praktische Vorgehensweise bei der Erbausschlagung
Die Entscheidung über die Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft erfordert eine gründliche Prüfung des Nachlasses. Dies gestaltet sich in der Praxis oft schwierig.
Nachlass prüfen - aber wie?
Vor einer Ausschlagungsentscheidung sollten Sie versuchen, den Nachlass so genau wie möglich zu prüfen. Dies erweist sich häufig als Herausforderung, da Banken und andere Institutionen oft einen Erbschein verlangen, bevor sie Auskünfte erteilen.
Achtung: Die Beantragung eines Erbscheins gilt bereits als konkludente Annahme des Erbes und macht eine spätere Ausschlagung unmöglich. Vermeiden Sie daher unbedingt diesen Schritt, wenn Sie die Ausschlagung noch in Betracht ziehen.
Praktische Ansätze zur Nachlassprüfung:
Ein Blick in die letzte Post des Verstorbenen kann wertvolle Hinweise liefern. Rechnungen, Mahnungen oder Pfändungsbeschlüsse deuten auf finanzielle Probleme hin.
Die Durchsicht verfügbarer Unterlagen wie Kontoauszüge, Steuerbescheide oder Versicherungspolicen ermöglicht eine grobe Einschätzung der Vermögenssituation.
Falls der Verstorbene Ihnen zu Lebzeiten eine Bankvollmacht oder Vorsorgevollmacht erteilt hat, erleichtert dies die Prüfung erheblich. Ansonsten reicht in vielen Fällen die Vorlage einer Sterbeurkunde und des Familienstammbuchs aus, um grundlegende Auskünfte zu erhalten. Banken dürfen nicht auf einem Erbschein bestehen!
Gang zum Nachlassgericht
Um ein Erbe wirksam auszuschlagen, müssen Sie das zuständige Nachlassgericht aufsuchen. Folgende Schritte sind zu beachten:
Bringen Sie zur Identifikation Ihren Personalausweis oder Reisepass mit.
Für die Ausschlagungserklärung benötigen Sie die Sterbeurkunde des Erblassers sowie Dokumente, die Ihre Erbenstellung belegen (z.B. Geburtsurkunde bei Kindern).
Bei der Ausschlagung für minderjährige Kinder müssen in der Regel beide sorgeberechtigten Elternteile zustimmen und anwesend sein.
Kosten der Erbausschlagung
Für die Ausschlagung eines Erbes fallen geringe Gerichtsgebühren an, die sich nach dem Nachlasswert richten. Diese liegen meist zwischen 30 und 70 Euro[7]. Bei notarieller Beglaubigung kommen die Notargebühren hinzu, die ebenfalls nach dem Gegenstandswert berechnet werden.
Folgen einer Erbausschlagung
Die Ausschlagung eines Erbes hat weitreichende rechtliche Konsequenzen, die Sie vor Ihrer Entscheidung kennen sollten.
Neuer Erbenverlauf
Wenn Sie ein Erbe ausschlagen, gilt rechtlich die Fiktion, dass Sie zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr gelebt hätten. An Ihre Stelle treten dann:
- bei gesetzlicher Erbfolge: Ihre eigenen Nachkommen oder andere gesetzliche Erb:innen in der festgelegten Reihenfolge
- bei testamentarischer Erbfolge: eingesetzte Ersatzerb:innen oder gesetzliche Erb:innen
Achtung vor unerwünschten Überraschungen: Ein Fall vor dem Oberlandesgericht zeigt, dass Familienangehörige manchmal falsche Vorstellungen vom Erbenverlauf haben. In diesem Fall schlugen die Kinder ihr Erbe aus, damit die Witwe Alleinerbin würde. Stattdessen wurden jedoch auch entfernte Verwandte (Halbgeschwister des Verstorbenen) zu Erb:innen, was die Familie nicht beabsichtigt hatte.
Rückgängigmachen der Ausschlagung
Eine wirksame Ausschlagung ist grundsätzlich endgültig. Eine Anfechtung ist nur unter engen Voraussetzungen möglich, etwa bei:
- Irrtum über den Inhalt der Erklärung
- Irrtum über wesentliche Eigenschaften des Nachlasses (z.B. falsche Einschätzung der Vermögensverhältnisse)
- Arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung
Ein reiner “Motivirrtum” - wenn Sie sich lediglich in den Folgen Ihrer Ausschlagung geirrt haben - berechtigt in der Regel nicht zur Anfechtung.
Alternativen zur kompletten Erbausschlagung
Neben der vollständigen Ausschlagung eines Erbes gibt es alternative Möglichkeiten, sich vor Nachlassverbindlichkeiten zu schützen.
Nachlassinsolvenz beantragen
Statt ein Erbe komplett auszuschlagen, können Sie auch eine Nachlassinsolvenz beantragen. Dies erlaubt Ihnen, die Erbschaft anzunehmen, gleichzeitig aber Ihr Privatvermögen vor den Schulden des Erblassers zu schützen. Die Nachlassinsolvenz ist eine gute Option, wenn Sie wertvolle Erinnerungsstücke behalten möchten, ohne für Schulden zu haften.
Erbverzicht statt Erbausschlagung
Von der Erbausschlagung zu unterscheiden ist der Erbverzicht. Während die Ausschlagung nach dem Tod des Erblassers erfolgt, wird der Erbverzicht bereits zu Lebzeiten vereinbart und muss notariell beurkundet werden. Für diesen Verzicht erhält die verzichtende Person in der Regel eine Abfindung, etwa eine Geldzahlung oder andere Vermögenswerte.
Diese Lösung bietet sich an, wenn beispielsweise ein Kind schon zu Lebzeiten der Eltern eine größere Geldsumme benötigt (etwa für einen Hausbau) und im Gegenzug auf seinen späteren Erbanspruch verzichtet.
Häufige Fehler und Missverständnisse
Bei der Entscheidung über die Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft können verschiedene Fehler passieren, die weitreichende Folgen haben.
Fristversäumnis
Der häufigste Fehler ist das Versäumen der sechswöchigen Ausschlagungsfrist. Diese läuft unerbittlich ab dem Zeitpunkt, an dem Sie von Ihrer Erbstellung erfahren haben. Nach Ablauf dieser Frist gilt das Erbe automatisch als angenommen - mit allen möglichen negativen Konsequenzen bei einem überschuldeten Nachlass.
Fehlerhafte Vorstellung vom Erbverlauf
Wie das Beispiel des Oberlandesgerichts zeigt, kann eine falsche Einschätzung darüber, wer nach einer Ausschlagung erbt, zu unerwünschten Ergebnissen führen. Besonders wenn die Ausschlagung erfolgt, damit eine bestimmte Person Alleinerbin wird, sollten Sie vorher genau prüfen, ob dies rechtlich so eintritt.
Testament statt Ausschlagung
Ein häufiges Missverständnis: Wer jemanden als Alleinerben einsetzen möchte, sollte dies durch ein Testament regeln und sich nicht auf Ausschlagungen verlassen. Im genannten Gerichtsfall hätte ein Testament, das die Witwe als Alleinerbin einsetzt, die Probleme vermieden.
Praktische Tipps für Betroffene
Die folgenden Empfehlungen helfen Ihnen, bei einer möglichen Erbausschlagung richtig zu handeln.
Frühzeitige Beratung suchen
Handeln Sie schnell! Da die Ausschlagungsfrist nur sechs Wochen beträgt, sollten Sie unmittelbar nach Kenntnis vom Erbfall mit der Prüfung des Nachlasses beginnen. Bei Unsicherheiten lohnt sich die Konsultation einer auf Erbrecht spezialisierten Anwältin oder eines Anwalts.
Nachlass systematisch prüfen
Versuchen Sie, sich einen möglichst vollständigen Überblick über die Vermögensverhältnisse des Verstorbenen zu verschaffen:
Beginnen Sie mit einer Sichtung der Post und Unterlagen.
Prüfen Sie Bankkonten, Wertpapierdepots und Versicherungen.
Informieren Sie sich über Immobilienbesitz und dessen Belastungen (Grundschulden, Hypotheken).
Erstellen Sie eine Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden.
Vorsorge für eigene Angehörige
Um Ihren eigenen Erben später die Entscheidung zu erleichtern, sollten Sie:
Regelmäßig mit Ihren Angehörigen über Ihre Vermögensverhältnisse sprechen.
Eine Übersicht über Vermögen, Schulden und Versicherungen an einem bekannten Ort hinterlegen.
Bei komplexen Vermögensverhältnissen ein notarielles Testament erstellen, das Ihre Wünsche klar regelt.
Rechtliche Besonderheiten in Deutschland
Die Erbausschlagung ist in Deutschland durch verschiedene gesetzliche Regelungen klar definiert.
Gesetzliche Grundlage
Die rechtliche Grundlage für die Ausschlagung eines Erbes findet sich in § 1942 BGB ff. Gemäß § 1942 Abs. 1 BGB kann der Erbe die Erbschaft ausschlagen, ohne Gründe dafür angeben zu müssen[1].
Die Ausschlagungserklärung muss gemäß § 1946 BGB gegenüber dem Nachlassgericht abgegeben werden. Für die Formvorschriften gilt § 1945 BGB.
Die Ausschlagungsfrist ist in § 1944 BGB geregelt und beträgt für im Inland lebende Erb:innen sechs Wochen, für im Ausland lebende sechs Monate.
Sonderfall: Erbausschlagung für Minderjährige
Falls ein minderjähriges Kind erbt, haben die Eltern als gesetzliche Vertreter:innen die Möglichkeit, das Erbe auszuschlagen. Dies muss jedoch ebenfalls innerhalb der sechswöchigen Frist geschehen. In bestimmten Fällen - besonders bei wertvollen Nachlässen - kann zusätzlich die Genehmigung des Familiengerichts erforderlich sein.
In vielen Fällen müssen beide sorgeberechtigten Elternteile zusammen beim Nachlassgericht erscheinen, um die Ausschlagung für ihr Kind zu erklären.
Die Entscheidung der Erbausschlagung für Kinder sollte besonders sorgfältig abgewogen werden, da sie weitreichende finanzielle Folgen haben kann.
Die Ausschlagung eines Erbes ist eine wichtige rechtliche Möglichkeit, sich vor unerwünschten finanziellen Belastungen zu schützen. Gleichzeitig handelt es sich um eine folgenschwere Entscheidung, die gut überlegt sein will. Die strikte Sechs-Wochen-Frist zwingt zu schnellem Handeln, was die Situation zusätzlich erschwert.
Lassen Sie sich bei Unsicherheiten von Fachleuten beraten und prüfen Sie den Nachlass so gründlich wie möglich. Mit der richtigen Information und einer sorgfältigen Abwägung können Sie die für Ihre Situation passende Entscheidung treffen und sich und Ihre Familie vor möglichen finanziellen Belastungen schützen.