Die Geschichte der Patientenverfügung in Deutschland

Zusammenfassung

Die Patienten­verfügung ermöglicht es Ihnen, im Voraus fest­zulegen, welche medizinischen Maßnahmen Sie wünschen oder ablehnen, falls Sie Ihren Willen nicht mehr äußern können. In Deutschland wurde sie 2009 gesetzlich anerkannt und ist heute in § 1827 BGB geregelt. Sie stärkt Ihre Selbst­bestimmung und entlastet Angehörige bei schwierigen Entscheidungen.

Eine Patientenverfügung gibt Ihnen die Möglichkeit, selbst über medizinische Behandlungen zu entscheiden, auch wenn Sie sich in einer Situation befinden, in der Sie Ihren Willen nicht mehr äußern können. Der Weg dieses wichtigen Vorsorge­instruments in Deutschland war lang und von gesellschaftlichen Debatten geprägt. Kennen Sie seine Hinter­gründe, verstehen Sie besser, warum eine Patienten­verfügung heute so große Bedeutung hat und wie sie sich über die Jahre entwickelt hat.

Arzt und Frau besprechen Dokumente in einem Büro mit Pflanzen und Regalen im Hintergrund.

Von ersten Initiativen zur gesetzlichen Anerkennung

Die Anfänge in den 1970er Jahren

Die Geschichte der Patienten­verfügung in Deutschland begann in den 1970er Jahren, als das Bewusstsein für die Rechte und die Selbst­bestimmung von Patient:innen zunahm[2]. Am 1. Dezember 1976 erschienen in Nürnberger Tages­zeitungen Anzeigen mit dem Titel “Für das Recht, human zu sterben?”. Die “Initiative für humanes Sterben nach Wunsch der Sterbenden” setzte sich dafür ein, ein menschen­würdiges Sterben gegen die - wie sie es nannten - “unmenschlich ausufernde Anwendung medizinischer Techniken” durchzusetzen.

In ihrem Aufruf forderte die Initiative: “Nicht länger dürfen in den Kranken­häusern die auf den Tod erkrankten Menschen ohne ihre Einwilligung zu einem Sterben auf Raten verurteilt werden.” Bemerkenswert ist, dass sich die Initiative unter anderem auf den damals verstorbenen Bundes­präsidenten Gustav Heinemann (1899-1976) bezog, der seine lebens­erhaltenden Maschinen offenbar abschalten ließ.

Einflüsse aus den USA: Das “Living Will”

Die Idee der Selbst­bestimmung am Lebens­ende war nicht neu - in den USA gab es bereits das sogenannte “Living Will”[19]. Der erste Living Will wurde 1967 von Luis Kutner, einem Anwalt aus Chicago und Menschenrechts­aktivisten, in einem Vortrag vor­gestellt und 1969 im “Indiana Law Journal” veröffentlicht[19].

Nach diesem Vorbild verfasste die deutsche Initiative Ende 1978 die “Verfügung an Ärzte” und druckte rund 100.000 Exemplare dieser ersten deutsch­sprachigen Vorsorge­formulare. Darin hieß es unter anderem: “Der Tod gehört zur Wirklich­keit wie die Geburt. Ich fürchte ihn nicht so sehr wie die Menschen­unwürdigkeit hoffnungs­losen Schmerzes und Dahin­siechens.”

Der lange Weg zur rechtlichen Anerkennung

Rechtliche Unsicherheiten vor 2009

Obwohl das Bewusstsein für Patient:innen­rechte wuchs, dauerte es mehrere Jahr­zehnte, bis Patienten­verfügungen in Deutschland gesetzlich anerkannt wurden. Zwar gab es schon vorher die Möglichkeit, im Rahmen von Vorsorge­vollmachten oder Betreuungs­verfügungen persönliche Wünsche zur medizinischen Behandlung fest­zuhalten, diese waren jedoch oft unverbindlich und wurden in der Praxis häufig nicht beachtet[2].

Das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungs­rechts

Die rechtliche Verbindlichkeit der Patienten­verfügung in Deutschland wurde erst durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungs­rechts im Jahr 2009 festgelegt[2][18]. Dieses Gesetz verankerte die Patienten­verfügung im Bürger­lichen Gesetz­buch (BGB) und trat am 1. September 2009 in Kraft[18]. Ziel war es, mehr Rechts­sicherheit im Hinblick auf die Ablehnung lebens­verlängernder oder lebens­erhaltender Maßnahmen zu schaffen[18].

Bemerkenswert ist, dass die Patienten­verfügung im Betreuungs­recht eine gesetzliche Ausnahme darstellt, da sie - anders als die meisten anderen Regelungen - den Willen über das Wohl stellt[18].

Die aktuelle rechtliche Situation

Gesetzliche Definition und Voraus­setzungen

Die Patienten­verfügung ist heute in § 1827 BGB gesetzlich definiert. Dort heißt es:

“Hat ein einwilligungs­fähiger Voll­jähriger für den Fall seiner Einwilligungs­unfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheits­zustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patienten­verfügung), […]”[18]

Nach geltendem Recht muss eine Patienten­verfügung schriftlich verfasst und mit Datum und eigen­händiger Unterschrift versehen sein[16]. Sie muss von einer einwilligungs­fähigen und voll­jährigen Person erstellt werden und kann jederzeit formlos widerrufen werden[18].

Präzisierung durch die Recht­sprechung

Der Bundes­gerichtshof (BGH) hat 2016 entschieden, dass pauschale Formulierungen wie “keine lebens­erhaltenden Maßnahmen” nicht ausreichen[16]. Die Patienten­verfügung sollte daher möglichst konkrete Anweisungen zu Themen wie künstliche Ernährung, künstliche Beatmung, Schmerz­behandlung, Wieder­belebung und Organ­spende enthalten[16].

Praktische Bedeutung heute

Wer sollte eine Patienten­verfügung erstellen?

Eine Patienten­verfügung ist für jeden sinnvoll, der im Fall einer schweren Erkrankung oder eines Unfalls seine Selbst­bestimmung wahren möchte[4]. Sie kommt zum Einsatz, wenn Sie selbst nicht mehr in der Lage sind, Ihre Wünsche zu äußern, etwa nach einem Schlag­anfall, während eines Komas oder bei einer fortgeschrittenen Demenz­erkrankung[3].

Was sollten Sie beachten?

Bei der Erstellung einer Patienten­verfügung ist es ratsam, sich von medizinischen Fach­personen oder anderen fach­kundigen Personen beraten zu lassen[17]. Verwenden Sie keine allgemeinen Formulierungen, sondern beschreiben Sie konkret, in welchen Situationen welche Behandlungen gewünscht oder abgelehnt werden[4].

Wichtig: Eine Patienten­verfügung sollte regelmäßig überprüft und gegebenenfalls aktualisiert werden, um sicher­zustellen, dass sie Ihren aktuellen Wünschen entspricht[2].

Kombination mit Vorsorge­vollmacht empfehlenswert

Da eine Patienten­verfügung allein nicht immer ausreicht, ist die Kombination mit einer Vorsorge­vollmacht sinnvoll[16]. So kann eine Person Ihres Vertrauens dafür sorgen, dass Ihr in der Patienten­verfügung festgelegter Wille auch tatsächlich umgesetzt wird[3].

Die Bedeutung der Patienten­verfügung in unserer Gesellschaft

Die Patienten­verfügung hat sich von einer kleinen Initiative in den 1970er Jahren zu einem zentralen Element der medizinischen Selbst­bestimmung in Deutschland entwickelt. Sie spiegelt den gesellschaftlichen Wandel wider: vom paternalistischen Medizin­system, in dem Ärzt:innen allein entschieden, hin zu einer stärkeren Betonung der Patient:innen­autonomie[2].

Heute ist die Patienten­verfügung ein anerkanntes Instrument, das es jedem Menschen ermöglicht, im Voraus festzulegen, welche medizinische Versorgung er oder sie für sich selbst wünscht oder ablehnt. Ärzt:innen und medizinisches Personal sind verpflichtet, diese Wünsche zu respektieren[2].

Mit einer gut durchdachten Patienten­verfügung können Sie sicher sein, dass Ihre persönlichen Werte und Wünsche auch dann berücksichtigt werden, wenn Sie sich selbst nicht mehr äußern können. Sie entlasten damit zugleich Ihre Angehörigen, die sonst schwierige Entscheidungen treffen müssten, ohne Ihren Willen genau zu kennen.