Warum viele Patientenverfügungen in der Praxis wirkungslos bleiben
Zusammenfassung
Viele Patientenverfügungen bleiben im Ernstfall wirkungslos, weil sie zu ungenau formuliert, unvollständig oder schwer auffindbar sind. Um sicherzustellen, dass Ihr Wille respektiert wird, sollten Sie konkrete Situationen und Maßnahmen klar beschreiben, Ihre Wertvorstellungen ergänzen, fachliche Beratung einholen und die Verfügung regelmäßig aktualisieren. Eine Kombination mit einer Vorsorgevollmacht erhöht die Handlungssicherheit zusätzlich.
- Die rechtliche Grundlage der Patientenverfügung
- Die fünf häufigsten Gründe für unwirksame Patientenverfügungen
- So erstellen Sie eine wirksame Patientenverfügung
- Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht: Zwei wichtige Dokumente
- Praxisbeispiele: So kann eine Patientenverfügung wirken
- Checkliste für Ihre Patientenverfügung
Eine Patientenverfügung soll Ihren Willen durchsetzen, wenn Sie selbst nicht mehr entscheiden können. Doch Studien zeigen: Nur etwa jede fünfzigste Patientenverfügung wird im Notfall tatsächlich wirksam. Eine Untersuchung der Herforder Notfallmedizin stellte fest, dass die meisten vorhandenen Patientenverfügungen im Ernstfall keine praktische Wirkung entfalten. Auf Intensivstationen hat eine vorhandene Patientenverfügung oft keinen Einfluss auf die Dauer der Intensivtherapie. Warum ist das so? Und wie können Sie sicherstellen, dass Ihre Patientenverfügung im Notfall tatsächlich gilt?

Die rechtliche Grundlage der Patientenverfügung
Seit 2009 ist die Patientenverfügung gesetzlich verankert. Jede erwachsene, einwilligungsfähige Person kann vorsorglich festlegen, welche medizinischen Maßnahmen in bestimmten Situationen durchgeführt oder unterlassen werden sollen. Die gesetzliche Grundlage dafür findet sich in § 1827 BGB.
Grundprinzip: Ohne Einwilligung des Patienten oder der Patientin sind medizinische Maßnahmen nicht erlaubt - selbst wenn sie lebensnotwendig sind. Nur der Patientenwille ist entscheidend. Ohne Patientenverfügung müssen Ärzt:innen und Angehörige den “mutmaßlichen Patientenwillen” ermitteln, was besonders für die Familie sehr belastend sein kann.
Die fünf häufigsten Gründe für unwirksame Patientenverfügungen
1. Zu vage und pauschale Formulierungen
Allgemeine Aussagen wie “keine lebensverlängernden Maßnahmen” oder “ich möchte würdevoll sterben” sind für Ärzt:innen nicht eindeutig genug. Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil festgelegt, dass solche Formulierungen zu viel Interpretationsspielraum lassen und daher nicht bindend sind.
Praxisbeispiel: Eine Formulierung wie “Falls mein Leben unerträglich werden sollte, will ich weder an Schläuchen oder sonstigen Apparaten hängen” ist für medizinisches Personal nicht umsetzbar, weil unklar bleibt, was genau mit “unerträglich” oder “Apparaten” gemeint ist[2].
2. Unvollständige Angaben
Viele Patientenverfügungen nennen keine konkreten medizinischen Situationen oder beschreiben nicht genau, welche Maßnahmen erlaubt oder untersagt sind. Damit bieten sie Ärzt:innen im Notfall keine klare Entscheidungshilfe.
3. Verwendung von Standardformularen ohne individuelle Anpassung
Reine Ankreuzformulare ohne persönliche Ergänzungen werden von Ärzt:innen oft kritisch gesehen. Es kann der Eindruck entstehen, dass die Person die Tragweite ihrer Entscheidungen nicht wirklich verstanden hat oder dass die Kreuze nicht von ihr selbst stammen[2].
4. Fehlende Kenntnis der Patientenverfügung
Selbst eine perfekt formulierte Patientenverfügung nützt nichts, wenn sie im Notfall nicht auffindbar ist oder niemand von ihrer Existenz weiß. Oft sind Ärzt:innen oder Pflegepersonal nicht informiert, dass eine Patientenverfügung existiert.
5. Unrealistische Erwartungen zur Umsetzung
Manche Menschen haben falsche Vorstellungen davon, wie eine Patientenverfügung in der Praxis umgesetzt wird. Beispiel: “Wenn die Wiederbelebungsmaßnahme nach 5 Minuten nicht erfolgreich ist, soll sie abgebrochen werden.” Solche zeitlichen Vorgaben sind in der Notfallsituation kaum umsetzbar.
So erstellen Sie eine wirksame Patientenverfügung
Konkrete Situationen und Maßnahmen beschreiben
Eine wirksame Patientenverfügung muss zwei Elemente klar definieren:
Die konkreten Situationen, in denen die Verfügung gelten soll, zum Beispiel:
- Im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit
- Bei schwerer, dauerhafter Gehirnschädigung ohne Aussicht auf Besserung
- Bei fortgeschrittener Demenzerkrankung
- Im Zustand des irreversiblen Komas
Die konkreten medizinischen Maßnahmen, die Sie in diesen Situationen wünschen oder ablehnen, zum Beispiel:
Verbinden Sie beide Elemente klar miteinander: “In den oben beschriebenen Situationen wünsche ich…” oder “Für den Fall, dass ich mich im Endstadium einer unheilbaren Krankheit befinde, lehne ich folgende Maßnahmen ab…”[3]
Lassen Sie sich beraten
Eine gute Patientenverfügung entsteht nicht im Alleingang. Holen Sie sich fachkundige Unterstützung:
- Sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt oder Ihrer Hausärztin
- Wenden Sie sich an Beratungsstellen wie die Verbraucherzentrale oder ASB-Gliederungen
- Bei komplexen Fragen kann ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin mit Erfahrung im Patientenrecht helfen[5]
Ergänzen Sie Ihre Wertvorstellungen
Ergänzen Sie Ihre konkreten Festlegungen durch persönliche Wertvorstellungen. Diese helfen den Behandelnden, Ihren Willen auch in nicht explizit beschriebenen Situationen zu verstehen. Beschreiben Sie, was für Sie persönlich “Lebensqualität” bedeutet oder welche religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen für Ihre medizinische Behandlung wichtig sind[3][5].
Sorgen Sie für die Auffindbarkeit
Eine Patientenverfügung wirkt nur, wenn sie im Notfall auch gefunden wird:
- Informieren Sie Ihre Angehörigen über die Existenz und den Aufbewahrungsort
- Teilen Sie Ihrer Hausärztin oder Ihrem Hausarzt eine Kopie mit
- Führen Sie einen Hinweiskarte im Portemonnaie mit sich
- Wenn Sie eine:n Bevollmächtigte:n benannt haben, sollte diese Person eine Kopie besitzen[8]
Aktualisieren Sie regelmäßig
Überprüfen Sie Ihre Patientenverfügung in regelmäßigen Abständen (etwa alle zwei Jahre) und nach einschneidenden Lebensereignissen oder medizinischen Diagnosen. Bestätigen Sie mit Datum und Unterschrift, dass die Verfügung weiterhin Ihrem Willen entspricht[8].
Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht: Zwei wichtige Dokumente
Eine Patientenverfügung allein reicht oft nicht aus. Ergänzen Sie sie durch eine Vorsorgevollmacht. Darin benennen Sie eine Person Ihres Vertrauens, die Ihren Willen durchsetzen kann, wenn Sie selbst nicht mehr entscheidungsfähig sind[6].
Wichtig zu wissen: Seit dem 1. Januar 2023 gibt es ein gesetzliches Notvertretungsrecht für Ehegatten. Dies ist jedoch nur eine Notlösung für akute Situationen und ersetzt nicht die individuelle Vorsorge durch Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht[3][11].
Praxisbeispiele: So kann eine Patientenverfügung wirken
Beispiel 1: Fortgeschrittene Demenz
Angelika U. hat in ihrer Patientenverfügung festgelegt, dass sie bei fortgeschrittener Demenz ohne Heilungschancen nicht künstlich ernährt werden möchte. Als sie tatsächlich an Demenz erkrankt und in ein fortgeschrittenes Stadium kommt, kann sie nicht mehr sprechen, gehen und selbstständig essen. Ihr Hausarzt legt die Patientenverfügung vor, und die Ärzt:innen verzichten wie gewünscht auf lebensverlängernde Maßnahmen.
Beispiel 2: Palliativmedizin bei schwerer Lungenerkrankung
Thomas S. leidet an einer schweren Lungenerkrankung im Endstadium und muss immer häufiger auf der Intensivstation künstlich beatmet werden. Nach Beratung mit seinem Arzt entscheidet er sich gegen weitere maschinelle Beatmung und für eine palliative Behandlung. Er hält in seiner Patientenverfügung fest, ab welchem Zeitpunkt er keine künstliche Beatmung mehr wünscht, sondern stattdessen eine Schmerzlinderung.
Checkliste für Ihre Patientenverfügung
- ✓ Konkrete Situationen beschrieben, in denen die Verfügung gelten soll
- ✓ Konkrete medizinische Maßnahmen benannt, die gewünscht oder abgelehnt werden
- ✓ Eigene Wertvorstellungen und persönliche Überzeugen ergänzt
- ✓ Von einer medizinischen Fachperson oder spezialisierten Beratungsstelle prüfen lassen
- ✓ Mit Datum und eigenhändiger Unterschrift versehen
- ✓ Angehörige und Hausarzt über Existenz und Aufbewahrungsort informiert
- ✓ Mit einer Vorsorgevollmacht kombiniert
- ✓ Regelmäßige Aktualisierung mit neuem Datum und Unterschrift geplant
Die Erstellung einer Patientenverfügung ist eine persönliche Angelegenheit, die Ihr Leben und Sterben betrifft. Nehmen Sie sich Zeit, über Ihre Wünsche nachzudenken, und scheuen Sie sich nicht, fachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine gut durchdachte und klar formulierte Patientenverfügung gibt Ihnen die Sicherheit, dass Ihr Wille auch dann respektiert wird, wenn Sie ihn selbst nicht mehr äußern können.